Über den Tod seines Bruders Cornelius Georg Götzens

[21] [23]Haud quicquam mihi dulce meorum

Te sine, FRATER, erit.

Virgilius.

Was seh ich? Himmel hilf! so zarte Wangen,
Solch einen schönen Mund, wo Suada thront,
Dies kästenbraune Haar, die klaren Augen,
Bespritzt das faule Gift der Sterblichkeit?
Erhabne Tugenden, des Höchsten Töchter,
Gehorsam, holde Scham, Bescheidenheit,
Eilt euer Meisterstück geschwind zu retten,
Sonst stirbt mein werthester Cornelius.
Hilf Gott! es öfnet sich des Himmels Pforte,
Ein heilger Wächter fährt im Glantz herab,
Und löset sanft, mit dem etherschen Speere,
Das künstliche Gewirr des Knotens auf,
Der die geweihte Seele meines Bruders,
An dies zerbrechliche Gefäse band.
Er nickt und stirbt; o Himmel! und im Sterben
Fällt ihm sein Worms, sein süses Worms noch ein.
Weh mir! du fliehst davon, da ich noch athme,
Und lässest unbarmhertzig mich zurück:
Ach! daß ich nicht mit Seufzen, Weinen, Grämen,
Zum Todtenreich den Zugang öfnen kann!
Denn sucht ich dich, dich, nun nicht mehr den Meinen,
Am stillen Flusse der Vergessenheit,
In tausend schattigten Cypressengängen,
Beym zweiffelhaften Licht der Dämmerung.
Du warst voll Lieblichkeit, wie Welschlands Trieften,
Gefällig, wie der West, wie Blumen, schön,
Wie weisse Lämmer sind, von holder Sanftmuth,
Der keuschen Liebe werth, und stets geliebt.
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Du wuchsest auf, gleichwie ein junger Lorbeer,
Den alle Nacht der Abendstern bethaut,
Die grünen Arme kronenförmig breitet,
Und luftigschön aus schwartzem Boden steigt.
Ich liebte dich, wie Engel Engel lieben,
Als herrscheten die goldnen Zeiten noch.
Zehn Jahre lang sah ich dich alle Tage,
Als wärs an jedem Tag das erstemahl.
Kamst du allein, mir, wie du pflagst, entgegen,
So sprang um dich ein Heer von Tugenden;
Und giengest du mit mir in weiten Wüsten,
So gieng gantz Worms zugleich, mein Bruder, mit.
Nunmehr beseufzen dich die goldnen Aehren,
Die fetten Wingerte, die Blumenflur,
Der prächtge Tempel, wo du kunstreich sangest,
Die Maulbeerau, und Dahlbergs Sommerbusch.
Der Vater Rhein geht aus den duncklen Grotten,
Gantz triefend ans Gestad, und rufet dir,
Dreht rund umher die grosen Riesenaugen,
Und findt dich nicht, und schmiltzt für herber Pein.
Die Weltweisheit, die du so liebgewonnen, 1
Entdeckte dir ihr edles Antlitz schon;
Trug dir im Qualm egyptscher Finsternisse,
Das sichre Licht der rothen Fackel vor.
Du hieltest stets die aufgerollte Charte
Von ihrem Reich, betrachtend in der Hand;
Ihr Demantschloß, das in der Ferne funckelt,
Bewegte sich, wie es fast schien, zu dir.
Nun lehnt sie sich an deines Grabes Marmor,
Ihr langes Haar folgt flatternd Zephirs Hauch,
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Mit beedem Arm hertzt sie die volle Urne,
Den Rest von dir, den sie mit Thränen küst:
So liegt im dicken Schwall beschäumter Wogen,
Der Rhodanus auf einer Schilderey,
Es tropft sein Bart, es tropfen seine Locken,
Sein starcker Arm stürzt klammernd einen Krug.
Cornelius, Geschenke meines Gottes,
Ach! allzubald verlässest du die Welt.
In dir verstirbt den künftigen Geschlechtern,
Ein groser Geist, und jeder Tugend Bild.
Du ewiglich zu leben würdger Jüngling,
Lebst, wenn dies leben heist, nur einen Tag,
Den Rosen gleich, die itzt der Ost gebohren,
Und itzt der Süd mit giftgen Stichen tödt.
Dein früher Tod beraubt mich aller Freude,
Verbittert mir des Lebens Süsigkeit.
Der werthen Vaterstadt beglückte Felder,
Sind nun für mich ein unwirthbares Land.
Die unansehnliche geringe Hütte,
Die deiner Jugend frohe Tage sah,
Ergötzet mich, weil noch die Mutter lebet,
Betrübet mich, weil du entschlafen bist.
Ich sprach: komm, holder Lentz! du Schmuck des Jahres,
Es seufzt Feld, Berg, und Thal verliebt nach dir;
Füll mit dem Ambraduft gewürzter Kräuter,
Den zarten Mirthenhayn, das junge Thal.
Auf bunten Fittichen gelinder Winde,
Weh uns vom Pfirsigbaum Gerüche zu,
Daß ich die kleine Stadt am Rhein besuche,
Die grose Seelen zeugt. Komm, holder Lentz!
Nun ach! verlang ich nicht den Lentz zu sehen,
Sein allerhellster Tag ist Nacht für mich.
Der Ruhe goldnes Haus ist mir verriegelt,
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Und meine gröste Lust, das ist mein Gram.
Ach! mein Cornelius, Freund meiner Seele,
Den ich weit mehr, als mich, weit mehr geliebt,
Ich werde nimmermehr dich wiedersehen;
Beseufzen werd ich dich in Ewigkeit.
Hält dich die Liebe nicht zur armen Mutter,
Die du im Grab das erstemahl betrübst,
Die Tage lebt, wie lange Ewigkeiten,
Den Tod bald schilt, bald so dem Tode ruft:
»Gebar ich dich, mein süsestes Vergnügen,
Gebar ich dich, dem blassen Reiche nur?
Und solltest du, da ich dich kaum erzogen,
Undanckbarer, auf ewig von mir fliehn?
Mir schmeichelte die ungetreue Hofnung,
Ich würde bald, betagt und lebens satt,
An deiner Brust, die dunckeln Augen schliesen,
Von dir betraurt ins Land der Schatten gehn.
Nun läufst du vor, Grausamer, und ich lebe?
O Leben sonder Lust! o wahrer Tod!
O holdes Kind, zu meinem Leid gebohren!
Mein süß Gemahl stirbt nun aufs neu in dir.
Ach! meine Freundinnen, was wollt ihr machen?
Erreget meinen Zorn mit Trösten nicht.
Mein Leid gefällt, und soll mir stets gefallen;
Wohin ich seh, o Sohn, seh ich dein Grab.
Dein unverhoft, und thränenreiches Sterben,
Erneuert mir die Wehen der Geburt.
Bedenckst du nicht, was ich hier sterbend thue,
Wär deine Pflicht bey meiner Gruft zu thun?«
So winselt sie in einsamstillen Nächten,
Und Luna macht ihr rundes Fenster auf,
Und gukt auf sie vom blauen Himmelssaale,
Mit blassem mitleidvollem Angesicht,
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Und läst, wie Perlen, runde Zähren rollen,
Die man, wenns tagt, noch auf den Rosen findt,
Hüllt drauf das schöne Haupt in einen Schleyer,
Als schämete sie sich der Weichlichkeit.
Ich aber irr in öden Wüsteneyen,
Wo Traurigkeit den bleyern Scepter führt,
Wo neben mir das blasse Schweigen schleichend,
Den dürren Finger auf die Lippen drückt,
Wo um und um betrübte Schatten seufzen,
Und Gräber offen stehn, und Eulen schreyn:
Da seh ich tausendmahl, dich, Bruder, sterben,
Und fühle tausendmahl den Tod mit dir.
Denn bricht mein kläglich Ach die tiefe Stille,
Denn sing ich deinen Werth, und unsern Bund,
Und wie vor Ewigkeit des Schöpfers Liebe,
Mein künftig Glück mit deinem Seyn verknüpft.
O traurig Glück! von wenigen Sekunden!
O treue Laute komm, erneure mirs!
Umsonst. Du sinckst aus matten Bruderhänden,
Und ächzest sinckend noch: Cornelius.
Er aber steigt, als eine heilge Flamme,
Zur Himmelsstadt, dem ewgen Ursprung, auf,
Und wird nicht mehr der dunckeln Kugel leuchten,
Die seinen hohen Adel nicht erkannt.
Die Cherubim, in hellen Sabbathskleidern,
Empfangen ihn, gebückt, am goldnen Thor,
Beym lauten Klang unsterblicher Gesänge,
Wovon das himmlische Gebürge bebt.
Da ziehet er im Pomp durch breite Gassen,
Nächst lichten Schlössern hin, zur Gottheit Thron;
Und alsobald steht mit holdseelgem Lächeln,
Voll Majestät, der Sohn des Höchsten auf,
Nimmt mit der Hand das prächtge Diadema,
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Das an dem goldnen Pfosten schimmernd hängt,
Und bindet es auf seine glatte Stirne,
Und ruft ihn laut, als Ueberwinder, aus.
Und unser Vater siehts, springt aus dem Lehnstuhl,
Der hocherhöhet strahlt, eilt auf ihn zu,
Durch hohe Helden, die zurücke treten,
Aus Ehrfurcht gegen seinen hohen Stand;
Bewillkommt ihn auf beyde Rosenwangen,
Wünscht ihm, in süsen Thränen, tausend Glück.
Der weite Himmel lacht im ewgen Glantze,
Und neue Wonne füllt das grose Reich.
Drauf drehet er sein sonnengleiches Antlitz,
Mit ernster Freundlichkeit, von ihm, auf mich;
Die sanfte Harmonie der Sphären schweiget,
Die seelgen Heere horchen lüstern auf:
»Was trübest du des neuen Cherubs Freude,
Geliebter Nikolaus?
Misgönnst du ihm, daß er zum Ziel gedrungen,
Wohin du noch die heissen Räder lenckst.
Soll er sein ewig Glück mit Füsen treten,
Dein einzeln Glück, ein kurtzes Glück zu baun.
Wahr ists: er floh aus süser Brüder Armen;
Allein wohin? in eines Vaters Schoos.
Hier flammet er in göttlichhohen Ehren,
Hier ist sein Vaterland;
Und wie ihn dort grosmüthge Seelen liebten,
So liebt ihn hier der Himmel und sein Herr.
Wer stirbt, wie er, stirbt in recht goldnen Tagen;
Nicht er, nur du, du bist beklagenswerth.
Sieh an, er lebt, auf immergrünen Inseln,
Von Irrthum, Nacht, Verdruß und Wechsel frey.
Ein Amaranth schattirt die hellen Locken;
Sein Fus tritt den Olymp.
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Und unter ihm dreht sich in tiefer Ferne,
Der kleine Mond, wo deine Mutter weint.
In einem Paradies, wo sanftre Lüfte,
Durch fette Pomeranzenwälder wehn,
Dadurch durchsichtge Bäche rieselnd rinnen,
Auf deren Rand gemahlte Blumen stehn,
Wo mit dem ewgen Herbst, ein ewger Frühling
Geschwisterlich sich paart:
Spatziert er, wie ein Stern, an meiner Seite,
Und lobet Gott, und Gott ist selbst sein Lohn.
Drum weine nicht. Bald schlägt die seelge Stunde,
Da auch von dir der Rock des Todes fällt.
Wir warten dein mit sehnlichem Verlangen;
Sey, bis dahin, der alten Mutter Trost.
Ich schwöre dir beym Glantz der Morgenröthe,
Der um mich strahlt,
Wir lieben dich; wer könnte dich vergessen?
Da Gott, dein Gott, ja selbst dich nie vergist.«

Candidus insuetum miratur limen Olympi.
Virgilius.

Fußnoten

1 Er starb zu Halle, wo er eben die Weltweisheit zu studieren angefangen hatte.

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TextGrid Repository (2012). Götz, Nicolaus. Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Über den Tod seines Bruders. Über den Tod seines Bruders. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-E510-8