Musa

Der große Ba-Yazed war in einer schmählichen Gefangenschaft gestorben, das osmanische Reich in seinen Grundfesten erschüttert, denn seine Macht ward in der blutigen Schlacht bei Ancyra durch den Beherrscher der Mongolen, Timurlank, gebrochen. Dennoch stand es da, wie eine Ruine, die nur eines gewaltigen Herrscherwortes bedurfte, um herrlicher aus dem Schutt hervorzusteigen. Ba-Yazed hatte drei Söhne hinterlassen, Solimann, Muhamed, und Musa. Musa der Jüngere wurde in dem Hause Othmans seines Oheims erzogen, und der Liebe süseste Bande knüpften ihn frühe an Fetama, Othmans Tochter, und an dessen Sohn Cara-Boga die innigste Freundschaft. So hatte er das siebzehnte Jahr erreicht, als ihn Timurlank zum Sultan der Osmannen ernannte. Gewaltige unaussprechliche Gefühle bewegten die Seele des Jünglings, der bis jetzt sanft und stille war, er staunte nicht lange dankbar über sein Glück, er griff rasch darnach, und [60] wollte es gebrauchen, als sey es ihm angebohren; aber das Schicksal hatte es anders beschlossen. Solimann, sein älterer Bruder, schlau, gewand, ehrgeizig, gewann die Herzen des Volks, er bestieg den Thron, Musa wurde in den Kerker geschleppt, und Fetama die treulose Fetama! gab ihr Herz dem neuen Kronbesitzer. Cara-Boga entzweite sich mit seinem Vater, seiner Schwester, und folgte dem unglücklichen Musa in den Kerker.

Des Gefängnisses tiefe Todtenstille vermochte nicht, Musas wilde Verzweiflung in Schlummer einzuwiegen, und die ewige Nacht die ihn umgab, konnte die Flammen die ihn verzehrten nicht in ihre Schatten begraben. Seine Jugend verblühte im Kerker, seine Tugend erlag der Rache quälenden Gedanken, er war wie ein lebendig Begrabner der verzweifelnd kämpft, den Grabhügel von sich weg zu wälzen, und endlich in schrecklicher Raserei sein eignes Gebein zerreißt.

Schon war ein Jahr so verflossen, als Cara-Boga beschloß ihn zu retten; er verließ ihn mit dem heiligen Schwur: ihm die Krone seiner Väter aufzusetzen oder zu sterben.

Cara-Boga wußte seinen Vater, viele Großen des Reichs und einen Theil der Janitscharen durch Bitten und Versprechungen auf Musas Seite zu bringen. Alle vereinigten sich, den Tirannen Solimann zu stürzen, und Cara-Boga zu gehorchen, bis Musa den Zepter würde ergriffen haben. Die entscheidende [61] Nacht nahte. Mohadi, Großvezier und mitverschworen, beneidete Cara-Bogas Ansehen und künftigen Einfluß. Im Getümmel der Empörung, stieß er ihm, mit Hülfe einiger Anführer der Janitscharen, das Schwert in die Brust. Doch wurde der Plan der Verschwörung da durch nicht unterbrochen; der Palast fiel durch Mohadis Verrath in die Hände der Verschwornen. Solimann fiel, mit Wunden bedeckt. Jetzt stieg der Tag herauf! Die Janitscharen eilten nach Musas Gefängniß; ihm träumte eben: Cara-Boga sey in ein Leichentuch verhüllt, vor ihm vorübergegangen, den Blick traurig, sein Haar blutig! Musa streckte die Hände nach ihm aus, rief ihm; aber er antwortete nicht. Da klirrten die Riegel des Gefängnisses; die Janitscharen drangen herein. Cara-Boga! wollte er rufen; da blitzte ihm die Krone entgegen, da jauchzte das Volk, kleidete ihn in Purpur und führte ihn unter einen Thronhimmel, auf dem Marktplatz von Prusa errichtet.

Musas Wangen waren bleich, seine Augen brannten wie zwei Vulkane in einer eingeäscherten Wildniß, eine erzwung'ne Majestät, unter deren Druck er fast zu erliegen schien, war über sein ganzes Wesen ausgegossen, und er sah aus wie die finstere Pracht eines Grabmahls, das ein blühendes Geschlecht bedeckt.

Durch das Getümmel hindurch drängte sich Mohadi und überreichte dem neuen König, in knechtischer Demuth, das Zepter, und ihm nach drängte [62] sich Othmann, fiel nieder und sprach: Großer König! deine erste Handlung sey Gerechtigkeit! Cara-Boga, dein Freund, der dich liebte wie den Morgen, ist gefallen, nicht im rühmlichen Kampf für dich; durch tückischen Meuchelmord Mohadis. Sein letzter Laut war Segen dir!

Eine schreckliche Stille herrschte; der Sultan verhüllte sich in den Purpur, Zeugen traten auf und zeugten gegen Mohadi, und dieser sank zitternd zur Erde. Da rief Musa mit schrecklicher Stimme: Janitscharen! tödtet ihn auf der Stelle, daß des Mörders Anblick kein Auge mehr vergifte.

Aber das Volk und die Janitscharen riefen: Gnade! Gnade dem Vezir!

Ihr Alle habt mich an einem schrecklichen Tag verlassen, sagte Musa: ruhig saht ihr, wie mich der Bruderhaß in den Kerker stürtzte, nur er folgte mir, und mochte den Tag nicht sehen, und keine Freude haben, ohne mich, und jetzt, da er die Herrlichkeit die er mir bereitet hat, mit mir theilen soll, jetzt ist er ermordet! schändlich! meuchelmörderisch! tödtet den Mohadi, er hat einen Tropfen langsamen Giftes in meinen Lebensbecher gegossen, er soll nicht zusehen, wie ich ihn austrinke, wie er mein Eingeweide verzehrt.

Aber immer noch: Gnade! Gnade! riefen die Völker.

Ihr gehorcht immer noch nicht? sagte Musa: wohl! ich mag diesen Thron nicht, wenn er mir nicht die Gewalt giebt, so blutiges Verbrechen zu [63] bestrafen; mag in dieser Welt nicht leben die so schändliche Sünde gut heißt; ich steige hinab zu meinem Freunde und tröste ihn über seines Volkes Feigheit. Kommt! tödtet mich! ich falle wie es mir geziemt, im Purpur, königlich, herrlich, dieser Tod ist mein Leben werth, kommt! So sprach Musa, und sich selbst vergessend in fieberhafter Tollkühnheit kniete er sich unter die Säbel der murrenden Janitscharen, um den tödtlichen Streich zu empfangen. Aber sie sahen seine königliche Schönheit; der tiefe Schmerz in dem er ganz verlohren war, ergriff sie, Mohadi wurde der rächenden Gerechtigkeit geopfert, und Musa bestieg den Thron.

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TextGrid Repository (2012). Günderode, Karoline von. Gedichte. Gedichte und Phantasien. Musa. Musa. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-2046-B