[407] [409]Der Buchstabe Nun.

1.

Der gekrönte Fürst der Rosen
Ist am Wiesenrand erschienen;
Herr, er möge Segen bringen
Den Zipressen und Jasminen!
Schön ist und so ganz am Platze
Dieses König's Thronbesteigen;
Jeder wird sich wieder setzen
Auf die Stelle die ihm eigen.
Gib dem Siegel Dschem's die Kunde
Von dem freudenvollen Ende:
Denn es band der Namen grösster
Ahriman's verruchte Hände.
Dieses Haus soll ewig blühen,
Denn vom Staube seiner Pforte
Trägt die Düfte des Erbarmers
Jemen's Wind an alle Orte!
Was der Sohn Pěschēnk's geleistet.
Wie sein Schwert die Welt bezwungen.
Hat in den gesell'gen Kreisen
Manches Königsbuch besungen.
Deinen Sattel hat des Himmels
Schlägelschimmel selbst getragen;
Auf den Rennplatz kamst du, Reiter,
Sollst nun kühn den Ball auch schlagen!
In des Reiches breitem Strome
In dein Schwert ein fliessend Wasser:
Pflanze dr'um den Baum des Rechtes
Und entwurzle seine Hasser!
[409][411]
Künftig wird man nicht mehr staunen,
Wenn, bei'm Wohlduft deiner Milde,
Moschusduft Ĭrēdsch durchwehet,
Wie nur sonst Chŏtēn's Gefilde.
Deiner freundlichen Geberde
Harrt der stille Klausner bange:
Nimm die Mütze von dem Haupte
Und entschlei're deine Wange!
Den Verstand zog ich zu Rathe,
Der »Hafis trink' Wein!« mir sagte;
Schenke, gib mir Wein! Vertrauen
Heischet der um Rath Befragte.
Ost! Ersuche doch den Schenken
An des Atabeg's Gelage,
Dass er jenes gold'nen Bechers
Bodensatz mir nicht versage.

[411] [413]2.

Will dir jetzt ein Wörtchen sagen,
Hör' es an, mein Augenlicht:
»Ist dein Glas gefüllt so trinke;
Doch verwehr's auch Ander'n nicht!«
Alte sprechen aus Erfahrung
Und so sprach auch ich zu dir;
Dass du alt auch werdest, Knabe,
Horche, wenn ich rathe, mir!
Den Verständigen schlug in Ketten
Nimmer noch der Liebe Hand:
Willst du Freundeslocken streicheln,
So entsage dem Verstand!
Rosenkranz und Kutte bieten
Dir die Lust des Rausches nie:
Willst du sie erstreben, ford're
Von dem Weinverkäufer sie.
Sparen darf man bei den Freunden
Gut und Leben nimmermehr;
Weih' dem Freunde hundert Seelen,
Hört auf die Ermahnung er.
Auf der Liebe Bahn versuchet
Ahriman uns oft; allein
Merke dir's, nur Engelkunden
Darfst des Herzens Ohr du leih'n!
Blatt und Frucht sind ganz verdorben,
Und der Freude Ton blieb aus:
Harfe, lass die Klage schallen,
Pauke, schalle mit Gebraus!
Dessen Glas von reinem Weine
Leer nie werde, Schenke du,
Sende mir, dem Hefentrinker,
Einen Blick der Gnade zu!
Zieh'st du trunken hin, im Kleide
Reich mit Golde ausgelegt,
So gelobe nur Ein Küsschen
Dem Hafis, der Wollstoff trägt!

[413] [415]3.

Mein schlankes Lieb, das freundlich koset,
Und das zu spielen pflegt mit Bildern,
Hat abgekürzt mir die Geschichten
Die meine lange Tugend schildern.
Sah'st du, o Herz, als Alter, Tugend!
Und selbst Verstand zu Ende gingen,
Was mir gethan ward von den Augen,
Die stets an der Geliebten hingen?
Ich sitze, durch der Augen Wasser
Nunmehr an eines Feuers Rande:
Dies Wasser war's das mein Geheimniss
Verkündet hat durch alle Lande.
Ich sagte: »Mit der Gleissnerkutte
Will decken ich die Spur der Liebe«:
Doch es verrieth mich meine Thräne,
Enthüllend die geheimen Triebe.
Der Freund ist trunken, und erinnert
Sich seiner Trinkgenossen nimmer;
Da lob' ich mir den holden Schenken
Er tröstet ja die Armen immer.
Ich werde – fürcht' ich – meinen Glauben
In Baldem als Ruine schauen,
Denn des Gebetes Ruhe raubte
Der Hochaltar mir deiner Brauen;
Und über mich vergiess ich Thränen,
Indess ich, gleich der Kerze, lache;
Ob wohl auf dich, du Herz von Kiesel,
Mein Glüh'n und Schluchzen Eindruck mache?
Ich mal' in diesem Augenblicke
Ein Bild auf Wasser, durch mein Weinen:
Wann wird was ich nur bildlich schaue
Als volle Wahrheit mir erscheinen?
[415][417]
Und wann, o Herr, fängt jener Ostwind
Zu wehen an, er, dessen Lüfte
Mein Unternehmen fördern sollen
Durch ihre süssen Gnadendüfte?
Und da, o Frömmler, durch dein Beten
Die Dinge nimmer vorwärts gehen,
Halt' ich den nächt'gen Rausch für besser
Und mein verliebtes Glüh'n und Flehen.
Der Gram verbrannte schon Hafisen,
D'rum wolle, Ost, dies offenbaren
Dem König, der die Freunde nähret
Und schmelzen macht der Feinde Schaaren!

[417] [419]4.

So oft ich auch den Ärzten
Mein Leiden mitgetheilet,
Die Fremdlinge, die armen,
Hat Keiner noch geheilet.
Des Liebeskästchens Siegel
Blieb nimmer unversehret:
Nie werde Nebenbuhlern,
O Herr, ein Wunsch gewähret!
Zur Rose die stets weilet
In eines Dornes Krallen
Sprich: »Mögest du erröthen
Vor holden Nachtigallen!«
O Herr, lass mich nicht früher
Erliegen dem Geschicke
Als auf der Freunde Wange
Der Freunde Auge blicke!
Woran ich heimlich leide
Musst' ich dem Freund erzählen:
Unmöglich ist's dem Arzte
Sein Leiden zu verhehlen.
Soll länger noch, o Prasser,
Am Tische, der mit Gaben
Besetzt ist deiner Liebe,
Ich keinen Antheil haben?
Es hielten nicht die Menschen
Hafisen für bethöret,
Hätt' er auf die Ermahnung
Gebildeter gehöret.

[419] [421]5.

Du dessen Antlitz, das dem Monde gleichet,
Den jungen Lenz der Schönheit in sich schliesst,
Und dessen Maal der Mittelpunkt der Anmuth,
Und dessen Flaum der Schönheit Schwerpunkt ist
Ein wahres Zaubermährchen liegt verborgen
In deinem weinberauschten Augenpaar;
Es macht in deiner unbeständ'gen Locke
Sich der Bestand der Schönheit offenbar.
Nie blickte aus dem Sternenhaus der Reize
Ein voller Mond so hell wie du hervor,
Und schlank wie du ragt' an der Schönheit Strome
Noch niemals ein Zipressenbaum empor.
Mit hoher Lust erfüllte deine Süsse
Den Lebenslauf der Liebenswürdigkeit,
Und deine Huld und Lieblichkeit erfüllte
Mit Seligkeit der Schönheit frohe Zeit;
Und durch die holden Netze deines Haares,
Und deines Maales Korn, so süss und zart,
Blieb auf der Welt kein Herzensvogel übrig
Der deiner Schönheit nicht zur Beute ward.
Die Veilchen, die die Lippe dir beschatten,
Sind desshalb nur beständig frisch und zart,
Weil sie das Wasser ew'gen Lebens trinken
Das deiner Schönheit reicher Quell bewahrt;
Und immer lässt die Amme des Gemüthes
Aus ihrer Seele Mitte, liebewarm,
Mit zartem Sinn dir Nahrung angedeihen
Und wiegt dich freundlich auf der Schönheit Arm.
Dass nimmer er dir Gleiches würde schauen,
Das hat Hafis verzweifelnd schon erkannt:
Gibt es doch Keinen der sich deiner Wange
Vergleichen liesse in der Schönheit Land.

[421] [423]6.

Vergnügen wecken Lenz und Rose,
Und brechen der Gelübde Macht;
Reiss' dir den Kummer aus dem Herzen,
Und freue dich der Rosenpracht!
Schon kam der Ostwind, und die Knospe
Trat in verliebter Schwärmerei
Heraus aus ihrem eig'nen Wesen,
Und riss sich selbst das Kleid entzwei.
Der Treue Pfad zu wandeln lerne,
O Herz, vom reinen Wasser nur;
Den Gradsinn und die Freiheit suche
Nur bei Zipressen auf der Flur.
Die Knospenbraut, so schön geschminket,
So freundlich lächelnd und so zart,
Raubt Glaub' und Herz vor aller Augen,
Und thut es auf gar schöne Art.
Der liebevollen Sprosser Klage;
Der Nachtigallen Wirbelton
Erschallt, in Sehnsucht nach der Rose,
Aus ihrem Trauerhause schon.
Sieh wie des Ostes Hand die Rose
Mit krausen Locken rings umflicht,
Und wie das Haar der Hyacinthe
Sich wiegt auf des Jasmin's Gesicht.
Der Zeitgeschichte Überlief'rung
Verlange vom Pocal, Hafis,
So wie es dich das Wort des Sängers
Und das Fětwā des Weisen hiess.

[423] [425]7.

Stets zerreiss' ich, gleich der Rose
– Weil's an deinen Duft mich mahnt –
Mir vom Kragen bis zum Saume
An dem Leibe das Gewand.
Deinen Leib erblickt' die Rose,
Und im Garten schien sie nun
Sich das Kleid vom Leib zu reissen,
Wie es die Berauschten thun.
Schwer entzieh' ich meine Seele
Deiner Hand, der Quälerin;
Du hingegen, du vermochtest
Leicht das Herz mir zu entzieh'n.
Auf die Rede schnöder Feinde
Wandtest du dich ab vom Freund;
Werde nie ein Mensch hienieden
Seinem Freunde so zum Feind!
Mache nicht dass, herzverbrennend,
Meiner Brust ein Seufzerhauch
Auf dieselbe Art entsteige
Wie dem Schornstein heisser Rauch!
Und dein Leib, so zart umhüllet,
Gleicht dem Wein im Glaspocal,
Und dir ruht das Herz im Busen
Wie in Silber harter Stahl.
Träufle, Kerze, aus dem Auge
Thränen, wie die Wolke thut.
Denn schon wurde klar dem Volke
Deines Herzens heisse Gluth!
Brich das Herz mir nicht in Stücke,
Wirf's nicht vor die Füsse gar:
Seinen Wohnsitz aufgeschlagen
Hat es ja in deinem Haar.
Da Hafis sein Herz gebunden
An dein Haar, mit treuem Sinn.
O so wirf auf gleiche Weise
Nicht zu deinen Füssen ihn!

[425] [427]8.

Werd' ich zum Staub des Weges den Er wandelt,
Ermangelt Er mich abzuschütteln nicht,
Und sage ich: »Du sollst das Herz verwenden«
Verwendet Er – von mir das Angesicht.
Stets zeigt Er Seine holdgefärbte Wange,
Der Rose ähnlich, allen Leuten hier,
Und sag' ich Ihm: »Du solltest sie verhüllen«
Verhüllt Er sie – doch immer nur vor mir;
Und sterbe ich vor Ihm, gleich einer Kerze,
Lacht meines Gram's Er, wie der Morgen lacht;
Und zürn' ich d'rob, so wird sein zartes Wesen
Nun gegen mich zum Zorne angefacht.
»Blick' hin auf Ihn« – sprach ich zu meinem Auge –
»Bis du dich endlich satt an Ihm geseh'n!«
Und es erwiederte: »Du scheinst zu wollen
Es mög' aus mir ein blut'ger Bach ersteh'n.«
Nach meinem Blute dürstet Er; ich aber
Nach Seiner Lippe. Wer entscheidet hier?
Nehm' ich von Ihm mir das was ich verlange,
Wie, oder nimmt Er Rache gar an mir?
Ich opferte die Seele Seinem Munde;
O theure Freunde, seht es selbst mit an,
Wie wegen eines winzig kleinen Dinges
Er nimmer sich mit mir vergleichen kann.
Was liegt daran wenn mich, wie einst Ferhaden,
Dem Tode weiht ein bitteres Geschick?
Es bleibt dafür so manches süsse Mährchen
In der Erinnerung von mir zurück.
Doch ende nun, Hafis; denn gibst du ferner
Auf diese Art in Liebe Unterricht,
Erzählt in jedem Winkelchen die Liebe
Ein Zaubermährchen das von mir nur spricht.

[427] [429]9.

Weile doch, um Gotteswillen,
Bei den Kuttenträgern nicht;
Doch den unverständ'gen Zechern
Zeige frei dein Angesicht!
Denn auf dieser Kutte haftet
Gar so viel Unreinigkeit;
Doch das off'ne Kleid der Zecher
Lebe hoch für alle Zeit!
Bist du doch ein zartes Wesen,
Und erträgst es nimmermehr,
Dass ein Haufe Kuttenträger
Dich belaste drückend schwer.
Diese ssofigleichen Männer
Hab' ich nie betrübt geseh'n;
Doch nur Hefentrinkern möge
Reine Lust zur Seite steh'n!
Komm und sieh wie die Verruchtheit
Dieser Heuchlerrotte schon
Bluten macht das Herz der Flasche,
Brausen macht das Barbiton!
Nun du mich ganz trunken machtest,
Setz' dich nicht so nüchtern her;
Nun du Süsses mir gegeben,
Reich' mir keinen Gifttrank mehr!
Öffne das berauschte Auge
Und die Lippe, roth wie Wein,
Denn schon gährt der Wein aus Sehnsucht
Bald mit dir vereint zu sein.
Vor Hafisen's heissem Herzen
Nimm gar sorgsam dich in Acht!
Seine Brust gleicht einem Topfe
Der zum Sude ward gebracht.

[429] [431]10.

Gibt es frohere Gedanken
Als an Becher und an Wein?
Und durch sie möcht' ich ergründen
Was das Ende werde sein?
Soll das Herz noch lang sich grämen
Weil die Tage schnell vergeh'n?
Mögen Herz und Tage schwinden!
Doch was wird wohl dann gescheh'n?
Trinke Wein, nicht Gram, und höre
Auf den Rath des Gauklers nicht;
Soll man auf die Worte achten
Die der nied're Pöbel spricht?
Sag' dem kraftberaubten Vogel:
»Gräme selbst dich über dich!«
»Wird, wer Netze aufgerichtet,
Deiner je erbarmen sich?«
Klug ist's, wenn du nach Gewünschtem
Strebest mit der Mühe Hand:
Dass dann Ungewünschtes folge,
Ist dir nur zu wohl bekannt.
Gestern las der Greis der Schenke
Uns dies Räthsel vor; – im Glas
War es deutlich eingegraben –:
»Welches Ende nimmt wohl das?«
Mittels Pauke, Lied und Harfe
Ward Hafis durch mich verführt:
Welcher Lohn mir, dem Verruf'nen,
Für dies Treiben wohl gebührt?

[431] [433]11.

Weisst du wohl was Glück man nenne?
Das Gesicht des Freundes schau'n;
Lieber, als ein König heissen,
Bettler sein in seinen Gau'n!
Seine Seele aufzugeben
Fällt dem Menschen leicht; allein
Trennung von den Seelenfreunden
Kann nur schwer erduldbar sein.
Herzbeklommen; gleich der Knospe,
Eil' ich in den Garten fort,
Und das Hemd des guten Rufes
Will ich mir zerreissen dort;
Will bald, wie der West, der Rose
Das Verborg'ne machen kund,
Bald des Liebesspiel's Geheimniss
Hören aus des Sprossers Mund.
Drück' erst auf des Freundes Lippe
Einen Kuss, wenn du's vermagst,
Weil du sonst im Schmerz der Reue
Hand und Lippe dir zernag'st.
Nütze die gesell'gen Freuden,
Denn wir bleiben vom Moment
Wo wir dieses Haus verlassen
Von einander stets getrennt.
Aus Mănssūr's, des Königs, Sinne
Schwand Hafis, behauptest du;
Führ', o Herr, des Bettlers Pflege
Wieder seinem Sinne zu!

[433] [435]12.

Tritt zur Thür herein, erhelle
Uns're Nacht durch deinen Strahl,
Und mit Wohlgeruch erfülle
Dann die Luft im Geistersaal.
Seel' und Herz weiht' ich des Lieblings
Augenpaar und Augenbrau'n;
Komm, o komm die hohen Bogen
Und die Fenster anzuschau'n!
Trag' ein Stäubchen uns'res Saales,
Du des Himmelsgartens Luft,
Hin in's Paradies, durchräuchernd
Es mit süssem Aloëduft.
Schönheitsschimmer fällt als Schleier
Vor das Auge des Verstand's:
Komm und mach' das Zelt der Sonne
Lichter noch durch deinen Glanz!
Sterne in der Nacht der Trennung
Leuchten und erhellen nicht!
Steig' denn du auf's Dach des Schlosses
Statt des Mondes Fackellicht!
Deiner Reize Macht erkennen
Alle Schönen auf der Flur:
Blick auf Pinien und Jasmine
D'rum mit sprödem Trotze nur.
Aufgeblasenheit erzählet
Mährchen ohne Unterlass;
Thu' indess was deines Amtes,
Schenke! giessend Wein in's Glas.
Nimmer wag' ich's zu begehren
Deiner Liebe bares Geld:
Gib mir auf die Zuckerlippe
Einen Wechsel ausgestellt!
[435][437]
Küsse erst des Glases Lippe;
Gib's dem Trunk'nen in die Hand,
Und mit dieser Zartheit würze
Das Gehirn du dem Verstand!
Räth der Liebe Spiel zu meiden
Dir der rechtsgelehrte Mann,
Reiche ihm den Becher, sprechend:
»Feuchte das Gehirn dir an!«
Mögest du durch edle Gaben
Und durch Reize immerdar
Hoch empor als Kerze ragen
In der Trinkgenossen Schaar!
Dieser Kopfbund, diese Kutte,
Sie beengen mich gar sehr:
Durch den Blick, der Ssofis tödtet,
Mache mich zum Cālěndēr!
Wenn der Liebe Lust genossen
Du mit einem Mondgesicht,
Dann erlerne und behalte
Ein hafisisches Gedicht.

[437] [439]13.

Sieh, wenn du Rubinenwein geniessest,
Mondesstirnigen in's Angesicht,
Und, der Secte Jener widerstrebend;
Sieh nur stets auf Dieser Schönheitslicht!
Sie verbergen schlau gar manche Schlinge
Unter'm abgeflickten Mönchsgewand:
Sieh wie diese Träger kurzer Aermel
Werke üben einer langen Hand!
Um die reichen Garben beider Welten
Neigen sie ihr Haupt zu Boden nicht:
Sieh den Stolz und Hochmuth der aus Bettlern,
Der aus armen Ährenlesern spricht!
Nimmer löst der holde Freund den Knoten
Der auf seiner falt'gen Braue ruht:
Sieh wie herzbegabte Männer bitten,
Und wie spröd die Schaar der Zarten thut!
Ist denn Niemand der vom Freundschaftsbunde
Die Erzählung mir zu hören gibt?
Sieh wie alle Freunde und Genossen
Der gehofften Treue Pflicht geübt!
Das Gefangenwerden durch die Liebe
Gibt mir Mittel mich befreit zu seh'n:
Sieh wie Jene auf ihr Heil nur denken
Die mit Vorsicht stets zu Werke geh'n!
Liebe ist's die, ähnlich einer Feile,
Frei von Rost gemacht Hafisens Brust:
Sieh wie rein der Spiegel Jener glänzet,
Die sich reinen Glaubens sind bewusst.

[439] [441]14.

Ein gar zartes Wort will ich nun sprechen:
»Sieh das Maal auf jenen Mondeswangen,
Sieh wie fest geknüpft Verstand und Seele
An den Ketten jenes Haares hangen!«
Und ich schalt das Herz, indem ich sagte,
Dass sein wildes Schüchternsein nicht tauge;
Und es sprach: »O sieh nur jenes Hirschen
Halbberauschtes, türkengleiches Auge!«
Jener Ring, geformt aus Seinem Haare,
Dient zum Schauplatz sanften Morgenwinden:
Sieh wie Hunderte von Herzbesitzern,
Dort die Seel' an jedes Härchen hingen!
Meinen Liebling kennt nicht wer die Sonne
Anzubeten nähret das Verlangen:
Sieh, o Tadler, doch um Gotteswillen
Nicht auf ihre, sieh auf seine Wangen!
Bande legte um des Ostes Nacken
Sein gelocktes Haar, das Herzen raubet:
Sieh das schlaue Spiel das sich der Inder
Mit dem luft'gen Wanderer erlaubet!
So ein Lieb wie ich's so eifrig suche,
Dass ich d'rüber aus mir selber schreite,
Schaute Keiner, wird auch Keiner schauen:
Sieh dich kühn nur um nach jeder Seite!
Reibt Hafis sich an des Altar's Ecke
Das Gesicht, so muss man Recht ihm geben:
Sieh, o Tadler! doch um Gotteswillen
Jener Braue Wölbung dort sich heben!
Himmel, weig're dich nicht zu erfüllen
Das was Schah Mănssūr von dir begehret!
Sieh die scharfe Klinge seines Schwertes,
Und die Kraft die seinen Arm bewehret!

[441] [443]15.

Der Monarch der buchsbaumgleichen Schönen,
Der Chŏsrěw süsslipp'ger Kinder, er
Dessen Wimper stets das Herz durchbrochen
Auch dem kühnsten Reihdurchbrecherheer,
Warf, indem berauscht vorbei er eilte;
Einen Blick mir, dem Děrwīsche, zu,
Sprechend: »Aller süssberedten Männer
Augenlicht und helle Fackel du!
Bis wie lange sollte noch dein Beutel
Leer von Gold und blankem Silber sein?
Werde erst mein Diener, und die Schönen
Mit dem Silberleib sind alle dein!
Nied'rer bist du nicht als Sonnenstäubchen:
Auf! und wenn du treu geliebet hast,
So erhebst du dich im Radeschwunge
Zu der Sonne einsamen Palast.
Lass die Welt dir nicht zur Stütze dienen,
Sondern trinke, hast im Glas du Wein,
Auf das Wohl der Reizenden mit Stirnen
Wie Sŏhrē und Leibern zart und fein!«
Unser Greis, der gern den Becher leeret,
– Seiner Seele mög' es wohl ergeh'n! –
Sprach: »Vermeide Jene die sich schmählich
Einen Bund zu brechen untersteh'n!«
Zu dem Oste auf der Tulpenwiese
Sprach ich, als der Morgen kaum gegraut:
»Wem zum Opfer fielen alle Jene
Die im blut'gen Leichentuch man schaut?«
»Ich und du, Hafis – so sprach er – wissen
Nicht zu deuten dieses Räthsels Sinn:
Darum sprich nur vom Rubinenweine
Und von Schönen mit dem Silberkinn!«
Greife nach dem Saume deines Freundes,
Doch dem Feinde hange nimmer an;
Werde Gottes Mann; und sicher wandelst
Du vorüber selbst an Ahriman.

[443] [445]16.

In Moschushyacinthen hülle
Das zarte Blatt der Rose ein,
Das heisst: Verbirg die holde Wange,
Und mach' aus Welten Wüstenei'n!
Lass Schweiss vom Angesichte träufeln,
Und mach' der Fluren weites Reich
Von Rosenwasser überfliessen,
Den Flaschen meiner Augen gleich!
Erschliesse freundlich die Narcisse
Die voll von Schlummer ist und Wein
Und schläf're der Narcisse Auge,
Das Eifersucht ermattet, ein!
Dem Leben eines Menschen ähnlich
Ist schnell die Rose auch verblüht:
D'rum gib, o Schenke, rasch im Kreise
Den Wein herum, der rosig glüht,
Und labe dich am Veilchendufte,
Und greife nach des Liebling's Haar,
Und blicke auf der Tulpen Farbe,
Und Wein verlange immerdar!
Wirf auf das Angesicht des Glases
Das Auge, wie's das Bläschen thut,
Und schliess' vom Bläschen auf die Stützen,
Auf welchen dies Gebäude ruht;
Und weil die Liebenden zu morden
Zum Brauch dir und zur Sitte ward;
So leer' ein Gläschen mit den Feinden,
Und tadle dann mich streng und hart!
Es fleht auf des Gebetes Wege
Hafis um des Genusses Glück:
Das Fleh'n der herzenskranken Männer,
O weise, Herr, es nicht zurück!

[445] [447]17.

Morgen ist's; darum, o Schenke,
Fülle mir mit Wein ein Glas!
Spute dich, denn auch der Himmel
Kreiset ohne Unterlass!
Lass, bevor die Welt, die schnöde,
Gänzlich wird verwüstet sein,
Mich auch ganz verwüstet werden
Durch den rosenfarben Wein!
Aus dem Orient des Bechers
Stieg des Weines Sonnenlicht:
Willst du des Genusses Früchte,
Leiste auf den Schlaf Verzicht!
Wenn dereinst aus meinem Thone
Krüge formt des Himmels Hand,
O dann fülle mir den Schädel
Voll mit Weine bis zum Rand!
Nein, ich bin kein tugendhafter,
Bin kein reuig frommer Mann:
Sprich darum nur mit dem Becher
Voll von reinem Wein mich an!
Eine fromme Handlung übet
Wer, Hafis, den Wein verehrt;
Auf denn! Einer frommen Handlung
Sei dein Vorsatz zugekehrt!

[447] [449]18.

Trittst du hin zum Haupte des Erkrankten
Bete fromm ein Fātĭhā für ihn,
Und erschliess den Mund, denn neues Leben
Spendet Todten deines Mund's Rubin!
Dem der zum Besuche kam und gehet
Wenn zuvor ein Fātĭhā er sprach,
Sage du, er zög're noch ein wenig,
Denn ich sende schnell den Geist ihm nach.
Der ein Arzt du heissest der Erkrankten,
O besehe meine Zunge dir,
Denn, als Herzenslast, belegt die Zunge
Dieser Hauch und Rauch des Busens mir!
Mehr als sonnenheiss durchglühte Fieber
Mein Gebein, bis dass es endlich schwand;
Doch es schwindet mir aus dem Gebeine,
Gleich dem Fieber, nicht der Liebe Brand.
Deinem Maal gleicht meines Herzens Lage,
Denn das Feuer ist ihr Vaterhaus:
Krank und schmachtend, deinem Auge gleichend,
Sieht darum mein ganzer Körper aus.
Lösche denn, durch beider Augen Wasser,
Jene Gluth die mir im Innern wühlt,
Greife dann den Puls mir, um zu sehen
Ob man d'rin ein Lebenszeichen fühlt.
Jener der beständig mir die Flasche
Sonst gereicht mit lusterfülltem Sinn,
Warum trägt er alle Augenblicke
Meine Flasche jetzt zum Arzte hin?
Mir, Hafis, mir gossen deine Lieder
Die Arznei des Lebenswassers ein:
Lass den Arzt denn fahren, komm und lese
Die Recepte meiner Arzenei'n!

[449] [451]19.

Bin's, der durch verliebtes Treiben
Ruhm erlangte in der Stadt;
Bin's, der durch den Blick auf Böses
Nie sein Aug' besudelt hat.
Treu bin ich, ertrage Tadel,
Und bin wohlgemuth dabei:
Denn nach meiner Satzung heisset
Menschen quälen – Ketzerei.
Zu dem alten Wirthe sprach ich:
»Wie gelangt zum Heile man?«
Und, den Becher fordernd, sprach er:
»Wenn man weislich schweigen kann.«
Wesshalb wandle ich beschauend
Auf der Erde Blumenland?
Deiner Wange Rosen pflücken
Will ich mit des Auges Hand.
Weinverehrend malt' auf Wasser
Desshalb nur mein Bild ich hin,
Weil das Bild der Selbstverehrung
Ich zu tilgen Willens bin.
Auf das Mitleid deiner Locke
Baue ich mit Zuversicht:
Wenn nicht sie mich angezogen,
Nützt mir alles Streben nicht.
Liebe zu der Schönen Wangen
Lerne von des Freundes Flaum,
Denn gar herrlich ist's zu kreisen
Rings um Schöner Wangensaum.
Hin zur Schenke will die Zügel
Lenken ich aus diesem Kreis:
Pflicht ist's, nicht auf den zu hören
Der da nicht zu handeln weiss.
Küsse nur des Liebling's Lippe
Und den Weinpocal, Hafis!
Denn der Gleissner Hand zu küssen
Wäre Sünde ganz gewiss.

[451] [453]20.

Einen besser'n Blick als diesen
Schleud're auf der Zecher Chor.
Und mit besser'm Schritt als diesem
Geh' vorbei am Schenkenthor!
Was an Huld mir deine Lippe
Freundlich bietet, ist gewiss
Ganz vortrefflich; doch ein wenig
Bess'res wünscht' ich noch als dies.
Jenem, dessen Scharfsinn löset
Das verworrene Geschick,
Sage du: »In diesem Punkte
Wünscht' ich einen besser'n Blick.«
Wie? ich gäb' mich nicht vom Herzen
Jenem theuren Knaben hin?
Nie gebiert ja Mutter Erde
Einen besser'n Sohn als ihn.
Mein Ermahner sprach: »Nur Kummer
Trägt die Kunst der Liebe ein.«
Und ich sagte: »Weiser Lehrer!
Welche Kunst kann besser sein?«
Sag' ich: »Nimm das Glas und drücke
Küsse auf des Schenken Mund«
O dann höre mich, o Seele!
Bess'res thut dir Niemand kund!
Zuckerfrüchte trägt Hafisens
Schreibe-Rohr; d'rum pflücke sie:
Bess'res Obst erblickt dein Auge
Wohl in diesem Garten nie!

[453] [455]21.

Ich verbrenne, weil du mich verlassen;
Wende ab von Grausamkeit den Blick!
Trennung ward mein Missgeschick hienieden:
Wende ab, o Herr, das Missgeschick!
Auf dem grünen Gaul des Firmamentes
Glänzet hell der Mond in seinem Lauf;
Doch, damit er schnell zu Boden stürze,
Schwinge du dich auf dein Pferd hinauf!
Tritt, um Glauben und Verstand zu plündern,
Aus dem Haus in holder Trunkenheit;
Setze schief dir auf das Haupt die Mütze,
Und verschiebe auf der Brust das Kleid!
Schüttle das gelockte Haar! ich meine:
Trotze selbst den Hyacinthen dreist,
Mit dem Rauchfass kreisend um die Wiese
Wie um sie das Morgenlüftchen kreist.
Du o Licht der Augen der Berauschten!
Ich verschmachte in des Harrens Qual:
Streichle denn die Harfe, die betrübte,
Oder mache kreisen den Pocal!
Da der Zeitlauf auf die holde Wange
Eine schöne Schrift geschrieben dir,
O so wende, Herr, der Bosheit Lettern
Ab von Jenem, der so theuer mir!
Nur so viel, nicht mehr ist's, was die Schönen
Dir, Hafis, bestimmten als dein Loos;
Bist du aber nicht damit zufrieden,
Änd're denn was das Geschick beschloss.

[455] [457]22.

Brich mit Einem holden Blicke
Flugs den Markt der Zauberei,
Schlage mit dem Wimpernwinke
Allen Ruhm Sămīr's entzwei!
Weih' den Winden Haupt und Turban
Einer ganzen Welt, das heisst:
Setz', wie Schöne thun, die Mütze
Unternehmend auf und dreist!
Sprich zu deinem Lockenhaare:
»Sträube dich nicht länger mehr!«
Sprich zu deinem Wimpernschwerte:
»Schlage das Tirannenheer!«
Komm heraus, und über alle
Trag' der Schönheit Ball davon;
Nimm den Peris ihren Schimmer,
Gib den Huris ihren Lohn!
Mit den Hirschen deiner Blicke
Bändige den Sonnenleu;
Brich dem Mūschtěrī den Bogen
Mit der Doppelbrau' entzwei!
Wenn das Haar der Hyacinthe
Duftet durch den Hauch der Luft,
So beraub' es allen Werthes
Durch des Haares Ambraduft!
Wenn, Hafis, der Sprosser prahlet,
Dass sein Lied so lieblich klang,
So besiege und beschäme
Ihn durch persischen Gesang!

[457] [459]23.

Es ist mein Herz ein heil'ger Vogel
Der nistet auf dem Himmelsthron;
Des Körpers Käfich macht ihm bange
Und satt ist er der Erde schon;
Und fliegt dereinst der Seelenvogel
Aus diesem Staubgefäss empor,
So wählet er zum zweiten Male
Ein Plätzchen sich an jenem Thor;
Und fliegt empor der Herzensvogel,
So sitzt er auf dem Sidra auf:
D'rum wisse, uns'res Falken Stelle
Ist nur des Himmelsthrones Knauf.
Der Schatten ist's des höchsten Glückes
Der auf das Haupt der Erde fällt,
Wenn unser Vogel seinen Fittich
Ausspreitet über diese Welt;
Er hat nur über'm Himmelsrade
In beiden Welten seinen Stand;
Sein Leib entstammt dem Geisterschachte,
Und seine Seele kennt kein Land.
Der Ort, wo unser Vogel glänzet,
Sind höh're Welten nur allein,
So wie ihm Kost und Trank nur bietet
Des Paradieses Rosenhain.
Hafis, du Wirrer, du der immer
Von Einheit nur gesprochen hat,
Durchstreiche mit der Einheit Rohre
Der Menschen und der Geister Blatt!

[459] [461]24.

Bring', o Herr, doch jenen Moschushirschen
Wieder auf Chŏtēn's Gebiet,
Bringe jene wandelnde Zipresse
Wieder auf das Wiesenrieth!
Schmeichle sanft mit einem Abendlüftchen
Meinem welkgeword'nen Glück,
Bringe – sag' ich – die entfloh'ne Seele
Wieder in den Leib zurück!
Mond und Sonne kommen an am Ziele
Auf ein Machtgebot von dir!
Bringe meinen vollmondgleichen Liebling
Wieder gütig her zu mir!
Meine Augen, schon ganz blutig, suchen
Den Rubin aus Jemen nur:
Bringe, Herr, den glänzendsten der Sterne
Wieder heim auf Jemen's Flur!
Ohne dich – dies Wort bleibt ausgesprochen –
Wünsch' ich nicht zu leben mehr:
Bringe – hör' es, du o kund'ger Bote –
Wieder eine Nachricht her!
Eile, sel'ger Vogel, dessen Spuren
Deuten auf der Herrschaft Glück?
Bring' das Wort der Krähe und des Raben
Wieder dem Ăncā zurück!
Jenen, Herr, der in Hafisens Auge
Seine stete Heimath fand,
Bring' nach seinem Wunsche aus der Fremde
Wieder in der Heimath Land!

[461] [463]25.

Bēdăchschān ist's, wo aus Steinen
Der Rubin zum Vorschein kömmt,
Wie der Rokna, gleich dem Zucker,
Einem engen Sack entströmt,
In Schĭrās tritt allenthalben
Schelmisch, hold und wunderlieb
Aus dem Thore jedes Hauses
Ein gar schöner Herzensdieb.
Aus des Richters und des Mufti's,
Aus des Scheïch's und Vogtes Haus
Kommen unverfälschte Weine,
Rosenroth gefärbt, heraus.
Wenn Begeist'rung auf der Kanzel
Sich mit Gleissnerei verband,
Kömmt das Kräutchen Beng zum Vorschein
An des Pred'gers Mützenrand.
In der Gärten inner'm Raume
Tönet durch des Sängers Sang
Früh und spät des Sprossers Klage
Zu der Harfe sanftem Klang;
Und, in einer Stadt wie diese,
Tritt Hafis aus seinem Haus,
Traurend ob des Freundes Trennung,
Ach, und herzbeengt, heraus!

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Ḥāfeẓ, Šams o'd-din Moḥammad. Der Buchstabe Nun. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-287B-F