Georg Philipp Harsdörffer
Gedichte

[3] Das Maienblümchen

Wo des Schattens Fittig schwebet
Ob der Auen Sommerkleid,
Weinet in der Winterzeit,
Was in diesen Triften lebet.
Unsrer Nymphen Wangen gießen
Thränen, gleich dem Bergkrystall,
Und von solcher Zähren Fall
Sieht man diese Blum' entsprießen.
In dem stolzen Blumengarten
Findet man dergleichen nicht,
Darum hält dich mein Gedicht
Höher, als die andern Arten.
[3]
Maienblümlein, deine Glocken,
Sind zerspaltnen Perlen gleich.
Der sich untersteht, entweich',
Eins von diesen abzupflocken.

[4] Das Veilchen

Wann der graue Winter weicht,
Und der Silberschnee verbleicht
In den träufelnden Auen,
Lass' ich auf den falben Matten
An der Zäun' und Hecken Schatten
Meine Blümelein schauen.
Purpurbraun ist mein Gewand,
Grün und Gold der Blättlein Rand,
Voll herzkühlendem Saft;
In den neuen Hirtenkränzen
Siehet man Violen glänzen
Mit süß duftender Kraft.
[5]
Wer die Veielblum' betracht',
Nimmt der Demuth Bild in Acht
Mit viel trefflichen Gaben.
Die nun auf der Erden liegen,
Sich in Dornenschatten schmiegen,
Werden endlich erhaben.

[6] Die Lilie

Gott hat mein Kleid gesticket
Ohn' mein Sorgen,
Mit Silber mich beglücket
Spat und morgen.
Die Lilie, zeptergleich, gestaltet,
Hoch über alle Blumen waltet,
Mit Pracht geschmücket.
Der weise König Salomon
Den Lilien weichet,
Sein hoher Thron und Königskron'
Sich mir nicht gleichet.
Weil ihn der Weiber Lust verführet,
Ist er nicht, wie ich bin, gezieret,
Weiß, rein und schön.
[7]
Der in erhabnen Würden lebet,
Und ist befleckt,
In dessen Herz und Munde schwebet,
Was ihn ersteckt. 1
Die aber reine Geister haben,
In denen sind des Höchsten Gaben
Bald aufgeweckt.

Fußnoten

1 D.h. erstickt.

[8] Der Frühling

Der frohe Frühling kömmt heran,
Der Schnee dem Klee entweichet;
Der Lenz, der bunte Blumenmann,
Mit linden Winden häuchet.
Die Erd' eröffnet ihre Brust,
Mit Saft und Kraft erfüllet;
Der zarte West, der Felder Lust,
Hat nun den Nord gestillet.
Es hat der silberklare Bach
Den Harnisch ausgezogen,
Es jagt die Fluth der Fluthe nach,
Durch bunten Kies gesogen.
Das Thauen nun die Auen frischt,
Die weiße Wollenheerde
Auf neubegrüntem Teppich tischt
Und tanzet auf der Erde.
[9]
Man hört die heisre Turteltaub',
Die Schwalb' und Nachtigallen.
Das grünlichweiße Blüthenlaub
Muß aus den Knospen fallen
Und bauen diesen Schattenthron
Den Luft- und Feldergästen.
Die Rose hebt die Dornenkron'
Auf schwachen Stachelästen.
Die Sonne wieder stärker scheint
Und machet früher wachen.
Allein die dürre Rebe weint,
Wann Feld und Wälder lachen.
Die hochgeschätzte Tulipan,
Das Sinnbild auf dem Beete, 1
Zieht ihre fremden Kleider an
Und pranget in die Wette.
[10]
Ach Gott, der du mit so viel Gut
Bekrönst des Jahres Zeiten,
Laß uns auch mit erfreutem Muth
Zum Paradies bereiten,
Da wir dich werden für und für,
Die höchste Schönheit, finden,
Dagegen diese schnöde Zier
Ist eitler Staub der Sünden.

Fußnoten

1 Tulipae Hortorum Emblemata.

[11] Der Sommer

Nun kommt, ihr Frommen, laßt uns eilen,
Zu schauen dieser Zeiten Gut,
Den Reichthum, der nicht lang' kann weilen,
Und schnell verrauschet, wie die Fluth.
In dieser Welt nichts lang' besteht,
Wo ihr Bestand wie Tand vergeht.
Der diese Feld' und Wälder bauet,
Ist höchstes Lobs und Rühmens werth,
Der sie befruchtet und bethauet,
Beschützt, erhält und reichlich nährt.
Er krönt das Jahr mit seinem Gut
Und giebt uns Menschen freien Muth.
[12]
Es grünt der Wald mit frechen Sprossen,
Die Bienlein finden ihre Kost,
Die Reben sind hoch aufgeschossen
Und machen hoffen guten Most;
Man hört der Lerchen hellen Klang
Und mancher Nachtigall Gesang.
Ein jedes Thier kann sich erfüllen,
Allein der Mensch wird nimmer satt:
Er plaget sich mit Sorgengrillen,
Die er sich selbst geheget hat.
Mehr Reisegeld wünscht er sich mit,
Wenn er fast thut den letzten Schritt.
Wir wollen unsre Werke stellen
Auf Gottes Willen, Ehr' und Preis;
Sonst wird die Erd' uns zu der Höllen,
Die uns kann sein ein Paradeis,
Wenn unser Leben englisch ist,
Keusch, ohne Sünd' und falsche List.

[13] Der Herbst

Nun heben an zu klagen die Hügel, That und Feld,
Es bringt viel Mißbehagen des rauhen Windes Kält',
Es fallen falbe Blätter
Und schweben in der Luft;
Denn Schnee und Winterwetter
Der Nordenstürmer ruft.
Die reifen Früchte fallen, wenn man sie nicht nimmt ab,
Die alten Menschen wallen hin zu dem alten Grab.
Das, was hat zugenommen
Bis auf gewisse Zeit,
Muß zu dem Ende kommen
In dieser Eitelkeit.
[14]
Wann wir die Aexte sehen den Bäumen angesetzt,
So ist es bald geschehen, daß er, dadurch verletzt,
Zu der entfärbten Erden
Sich neigend bricht und kracht,
Und muß er endlich werden
Dem Feuer zugebracht.
So müssen auch die alle, so sind ohn' gute Frucht,
Sich fürchten vor dem Falle, das ist die Menschensucht.
Und wie der Baum gefället,
So liegt er fort und fort;
Der Böse wird gestellet
Dort in den Jammerort.
So lasset uns bedenken bei dieser Herbsteszeit,
Wie alle Ding' erkranken und zu dem Tod bereit.
Daß wir noch länger leben,
Daß Alles nicht ist aus,
Hat Gottes Gnad' gegeben
Hier in dem Erdenhaus.

[15] Der Winter

Der graue Winter hat bereit
Mit rauhem Frost und Traurigkeit
Die Felder überdecket,
So die begrünte Frühlingszeit
Erfreulich auferwecket.
Die Fluthen sind nun eisenhart,
Das Wasser ist fast harnischart, 1
Mit Wollenschnee erweichet,
Die Erde mit der Ruhe bahrt, 2
Bis sich die Sonn' erzeiget.
[16]
Wann unsre Herzen sind erstarrt
Und von der Sünde marmorhart,
Kann sie das Kreuz erweichen.
Des Höchsten Gnad' ist sonnenart,
Wenn wir sie nur erreichen.
Der kurze Tag, die lange Nacht
Hat Manchen viel Verdruß gebracht
In Sünd und Lasterleben.
Wer hat an seine Seel' gedacht,
Die muß in Nöthen schweben?
Gerechter Gott in Ewigkeit,
Der Du verwandelst Jahr und Zeit,
Bleib' nun bei uns in Gnaden.
Du Sonne der Gerechtigkeit,
Schütz' uns vor allem Schaden!

Fußnoten

1 harnischartig.

2 liegt wie auf der Bahre.

[17] Lob des Winters

Wem behagt Aprillenwetter?
Wem des Hundsgestirnes Hitz'?
Wem des Herbstes falbe Blätter?
Niemand, der nicht sparet Witz.
Ich will nun kaltsinnig loben
Die begrau'te Winterszeit,
Die uns unsre Augen weid't,
Und auch billig wird erhoben.
Wie ein fast bejahrter Alter
Nach der schnellen Monden Flucht,
Sitzend bei dem Weinbehalter,
Kostet seiner Arbeit Frucht,
Hält die Ruhtag' für sein Leben
Bis zum vorgesteckten Ziel,
Da der grauen Haar' so viel
Strahlen großer Klugheit geben:
[18]
Also pfleget auch zu rasten
Aller Jahrszeit Flucht und Eil,
Und beginnet recht zu masten
An des weißen Winters Seil.
Ceres wohnet in den Scheuern,
Bacchus bringt den süßen Most,
Und Pomona ihre Kost,
Sylvan kann beim Feuer feiern.
Schauet drauß die weißen Flocken,
Wie sie streichen hin und her,
Wie sie sich zusammen stocken,
Wie sie stürmen überquer!
Das ist ein gesundes Wetter,
Und man heizt auch tapfer ein,
Horchend bei dem firnen Wein
Der Musik von einem Bräter.
Mich bedünket, daß die Sterne
Strahlen baß, wann's Winter ist;
Wann das Wasser hartet gerne
Wie Kristallstein durch Gefrüst,
[19]
So muß man das Eis belaufen
Mit der Schlittschuh' schnellem Holz;
Wie ein Vogel oder Bolz,
Rauscht man vorwärts ohn' Verschnaufen.
Masken, Fastnacht, Schlittenfahren,
Reiten, Tanzen, Fechten üben,
Lass' ich unbemeldet fahren,
Wie auch auf der Tafel schieben, 1
Und erhebe das Studiren,
So uns manche lange Nacht
Auch wohl in das Bett gebracht,
Daß wir Winterslust recht spüren.

Fußnoten

1 D.h. Wie auch die Brettspiele.

[20] Ständchen

Nun der übermüde Tag
Mehr zu wachen nicht vermag,
Schleicht der süße Schlaf herein,
Legend aller Sorgen Klag'
In den finstern Schattenschrein.
Alles liegt in sanfter Ruh'
Vieler Augen schließet nu
Mancher vorverübte Traum,
Blühend so dem Morgen zu,
Gleich dem edlen Mandelbaum.
Wie dann, daß die Liebe wacht,
Und mit Schmerzen sich beklagt
Ueber Angst und Herzeleid,
Bis die Sonne wieder tagt
Und sich von dem Meere scheid't?

[21] Deutsches Trinklied

Nach der Blumen schneller Flucht
Prangt die röthlich gelbe Frucht,
Und die laubbegrünten Reben
Schenken Freudenbecher ein.
Ach, es ist der Menschen Leben
Weh' und Weinen ohne Wein!
In dem kalten Nordenland
Ist berühmt das Pelzgewand.
Füchse, Marder, Bärenhäute,
Zobel, Luchs und Reihenthier, 1
Hitzen selber rauhe Leute,
Wie der Wein uns wärmet hier.
In dem heißen Südenland
Bringt der Sonnenstrahlen Brand
Pomeranzen, Oel, Granaten,
[22]
Pfeben 2 und Salat herfür,
Sie zu kühlen, wann sie braten:
Uns beliebt der Wein allhier.
Von der Donau bis zum Rhein
Träget jeder Hügel Wein,
Und viel Eichen, zu befassen
Solchen süßen Keltersaft.
Wer will dann die Deutschen hassen,
Wenn sie lieben diese Kraft?
Seht, wir folgen der Natur
Und betreten ihre Spur,
Wenn wir unsre kalten Mägen
Nach der sauern Arbeitzeit
Hitzen mit dem Winzersegen
In beschränkter Fröhlichkeit.

Fußnoten

1 D.h. Rennthier.

2 Pepo, eine Art Melone.

[23] Die Vögel

Flüchtige Vögel, grüßet den Morgen!
Wecket der Menschen tägliche Sorgen!
Singet und klinget dem Höchsten ein Lied,
Welcher uns schenket Segen und Fried'!
Danket dem Herren, lobet ihn alle,
Stimmet mit gleich erhabenem Schalle!
Echo der Thäler gegen euch halle!
Nachtigall, führe der Vögelein Reihen!
Töne, wann Andere freien im Maien!
Schwinge dich höher, liebliche Lerch',
Zähle der Hirten fruchtende Pferch'!
Spielet dem Herren, danket, psalliret!
Jedes Geschöpf die Gnade verspüret,
Welche die schönen Zeiten bezieret.
[24]
Aber wir Menschen pflegen zu nehmen
Mancherlei Hab' ohn' Denken und Schämen,
Keiner fast Gottes Güte betracht',
Was er empfähet, für Schuldigkeit acht'.
Lasset uns doch die Vögelein lehren,
Welche den Preis des Schöpfers vermehren,
Ihrem Gott danken, preisen und ehren.

[25] Gespräch einer Jungfrau mit einem dürren Rosenstocke

Sie.

Ach, wer hat von deinem Haupt
Deine Rosenkron' genommen?
Er.

Schau, der Nord hat mich beraubt,
Der mit Kält' ist angekommen.
Sie.

Ich beschaute mit Behagen
Deine Blüte, Blum' und Blatt.
Er.

Allen Schmuck, den ich getragen,
Diese Zeit geendet hat.
[26] Sie.

Ich betraure deine Zier,
Die du pfeilgeschwind verloren.
Er.

Auch dein End' ruht vor der Thür,
Gleich dem Allen, was geboren.
Sie.

Deine Blum', die du getrieben,
War grün, gold- und weißlich- roth.
Er.

Nichts als Dornen sind geblieben,
Und die Blum' ist worden Koth.
Sie.

Warum hat die rauhe Zeit
Deine Dornen nicht verzehret?
Er.

Weil die Freude nach dem Leid
Mich mit Frühlingskräften mehret.
Sie.

So wirst du nicht kahl verbleiben,
Ganz entlaubet, hars 1 und klein?
[27] Er.

Nein, ich werde Rosen treiben
Mit dem linden Lenzenschein.
Sie.

Unterdessen lebst du todt,
Und der Schnee muß dich bedecken.
Er.

Gott wird dich auch nach der Noth
Aus der Erden auferwecken.
Sie.

So will ich mich nicht entsetzen,
Weil der Tod das Leben giebt.
Er.

Was verletzet, wird ergötzen,
Denn du bist von Gott geliebt.
Sie.

Wohl, so wird auch mein Gebein
Grünen an dem jüngsten Tage.
Er.

Viel mehr Freude wird da sein,
Als du jetzo leidest Plage.
[28] Sie.

Also sterb' ich nun erfreuet,
Und das Sterben schmerzt mich nicht.
Er.

Der den Rosenstrauch erneuet,
Bringt dich wieder an das Licht.

Fußnoten

1 D.h. harsch, hart, rauh.

[29] Hoffe, da nichts zu hoffen ist

Ein betrübter Schäfersmann,
Weidend seine Wollenheerde,
Da der Felsen von der Erde
Aufstieg, gleichsam himmelan:
Als nun seine Schafe tischten,
Sieht er aus dem trocknen Stein
Wasser triefen felsenein,
Davon sich die Augen frischten.
Ach, sprach er, in sich entrüst':
Hoff', da nichts zu hoffen ist!
Nachdem stürmten durch das Gras
Wolkenwinde, Donnerblitzen,
Als in dieses Felsens Ritzen
Eine Turteltaube saß.
[30]
Wann die schweren Wetter drohen,
Suchet jeder Schutz und Hut.
Sie war schnell dahin geflohen,
Da sich sicher sitzt und ruht.
Ach, sprach er, in sich entrüst':
Hoff', da nichts zu hoffen ist!
Unter nächstem Weidenbaum
Trieb er, vor des Wetters Flammen,
Seine Heerde bald zusammen,
Daß sie alle hatten Raum,
Sich zu schützen vor dem Regen.
Bald die Winde wurden still,
Und die Sonn' ihm kam entgegen,
Und er sang zum Schäferspiel:
Hoffnung deine Seele frist'!
Hoff', da nichts zu hoffen ist!
Ach, was, sagt er, nach und nach
Denk' ich doch mit Fehlverlangen!
Hab' ich denn nicht Trost empfangen
Von des Felsens Thränenbach?
[31]
Von der Taube sonder Gatten,
Welche hier in Grüften lebt?
Von der Weiden Schutz und Schatten,
Der ob meinem Haupte schwebt?
Ich hoff', als ein frommer Christ,
Da auch nichts zu hoffen ist.

[32] Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben

In den grünlich falben Matten,
Unter einer Linde Schatten,
Hat ein müder Wandersmann
Seine Laute hingeleget,
Weil er, von dem Schlaf erreget,
Mund und Augen zugethan.
Auf den nah geleg'nen Auen
Weidet in dem kühlen Thauen
Ein darob erstaunter Knab'.
Als er nun nichts mehr vernommen,
Ist er näher beigekommen,
Hinterlassend seinen Stab.
[33]
Er kniet bei der Laute nieder,
Die zuvor so holde Lieder
Und den wunderreinen Klang,
Diesen Knaben zu bethören,
In den Lüften lassen hören
Durch den strengen 1 Saitenstrang.
Er wollt' dem Gehör nicht trauen,
Und mit seinen Augen schauen,
Wie des stummen Holzes Stern
Könnte sonder Sinn und Leben
So beliebte Stimme geben,
Wollt' er selber schauen gern.
Als er nun nicht mögen sehen,
Wie der Klang pflegt zu geschehen,
Rühret er die Saiten an.
Bald die Laute murmelnd klagte,
Und dem Wandersmann ansagte,
Was der Hirtenknab' gethan.
[34]
Sind nicht in des Holzes Krümmen
Aller Vögel zarte Stimmen,
Die doch niemand hier beschaut?
Ich hab' mit dem Ohr vernommen,
Daß aus diesem Holze kommen
Ein gar wundersüßer Laut.
Wie kann aus des Bauches Klüften
Etwas tönen in den Lüften,
Sag' mir, lieber Wandersmann.
Sag' mir, wie kann doch geschehen,
Daß ich hier nicht kann ersehen,
Was ich hab' gehöret an?
Knab', du mußt den Ohren trauen;
Was du hörst, ist nicht zu schauen,
Dich vergnüge das Gehör.
Man muß seinen Sinn betauben,
Gottes Wort in Einfalt glauben.
Selig ist, der glaubt der Lehr'!

Fußnoten

1 D.h. straff angezogen.

[35] Der Fischer

Ein belobter Fischersmann
Hängt des Angels Anbiß an,
Etwan ein Gericht zu fangen.
Er senkt seines Angels Ruth'
In die silberhelle Fluth.
Ihm ist mancher Fisch entgangen,
Weil sie in des Flusses Krümmen
Schauten seine Stricke schwimmen.
Nachmals, als der Regenguß
Trüb' gemacht den schlanken Fluß,
Sah er an dem Angel hangen
Von dem stummen Schuppenheer
Nach und nach je mehr und mehr,
Die er alle hat gefangen,
Weil sie in den trüben Fluthen
Nicht bemerkt die Angelruthen.
[36]
Gottes Wort, das höchste Gut,
Ist dergleichen Angelruth',
Die uns nicht kann leichtlich fangen
In der Ruh' und Glückeszeit.
Kömmt uns Trübsal, Angst und Leid,
Hoffen wir dann mit Verlangen,
Uns zu reißen aus dem Mangel
Mit dem ankergleichen Angel.

[37] Der Phönix

Wann der Phönix ist bejahret und nimmt an den Kräften ab,
Bauet er von Zimmetrinden für sich selbst ein Flammengrab.
Auf des höchsten Berges Spitzen
Soll er im Gewürze sitzen,
Mit dem schwarzen Trauerkleid angethan, und doch erfreuet,
Daß der holden Sonne Glanz ihn durch ihren Brand erneuet,
Weil er ihre Flammen liebt,
Die ihm todt das Leben giebt.
Also soll ein jeder Christ seine Sünden legen ab,
Und des alten Adams Fleisch gleichsam tragen in das Grab;
In der Trübsal Dornenspitzen
Soll er rein und reuig sitzen,
[38]
So wird ihn der Gnadengeist und die Himmelsglut erfreuen,
Daß er sich mit Seel' und Sinn, wie der Phönix, wird erneuen,
Weil er eine Flamme liebt,
Die des Lebens Leben giebt.

[39] Gesprächsbild

Was machst du mit dem Stein, sag' mir, o liebes Kind?
»Ich probe, welche hart und feuerstriemig sind.«
Wählst du sie durch den Schlag an dieses Ankers Spitze?
»Der goldnen Fünklein Blitz weist die verborgne Hitze.«
Und wenn du welche find'st, die haben keine Flamm'?
»Ich werf' und lasse sie dort in dem faulen Schlamm.«
Die aber ihre Glut beglauben und erweisen?
»Die wähl' ich, und die Prob' ist dieses Ankers Eisen.
Nun sag', was denkest du von mir, als einem Kind?«
Daß Stein' und Felsenart der Menschen Herzen sind.
[40]
»Wie gleichet sich hiezu des Ankers Pfeil und Spitze?«
Die Hoffnung weist in uns des rechten Glaubens Hitze.
»Es sind der Steine viel, die bergen keine Flamm'.«
Und diese wirfet man hin in den Höllenschlamm.
»Die aber ihre Glut durch solche Probe weisen?«
Dieselben fürchten nicht des Todes Senseneisen.

[41] Die Muscheln

Ich spaziert' an einem Abend an des Meeres flachem Strand,
Da viel rauhgefaltne Muscheln lagen auf dem schroffen Sand.
Als der Sonnen Purpurglanz fast war in die Fluth verschossen,
Haben diese Muschelsöhn' ihre Häuser zugeschlossen.
Es ging aus dem güldnen Bette auf die Sonn', als Bräutigam;
Bald von ihrer Strahlenhitze neue Kraft der Saft gewann
In dem offnen Muschelschloß; und den Strahlen zugekehret,
[42]
Ward gebuntet ihre Farbe und ihr innrer Kern genähret.
Ob uns wohl die Sündennächte schließen eine kurze Zeit,
Wird doch unser Durst und Hunger nach der Sonnen Lieblichkeit
Nie geschlossen und betäubt. Unsre Herzen kluften offen;
Du füllst, o getreuer Gott, die auf deine Gnade hoffen.

[43] Der gute Hirt

Der Herr ist unser guter Hirt,
Führt uns auf fette Heiden,
Da unsre Seel' nicht darben wird,
Und wohlvergnüget weiden.
Es fleußt dabei der helle Bach;
Er rufet uns, als Schafen, nach,
Wann wir uns schon verirret.
Er trägt in seiner treuen Hand
Zween ganz ungleiche Stäbe,
Der erst' heißt Weh, also genannt,
Auf daß das Schäflein lebe,
Wann es, entfernet von der Hut,
Sich stürzet in der Thäler Flut,
Und muß gestrafet werden.
[44]
Der andre Stab ist Sanft genannt,
Damit er uns geleitet,
Wann wir des Hirten Stimm' erkannt
Und folgen, wie er schreitet.
In seinen Hürden er bei Nacht
Uns sanft und sicher ruhen macht,
Weil er uns selbst bewachet.
Getreuer Gott, gieb, daß wir all'
Auf deiner Weide bleiben,
Und daß uns deiner Stimme Schall
Mög' unverhindert treiben.
Der Höllen Wolf ist um uns her
Und bringt dem armen Schaf Gefähr;
Du, Du kannst ihn verjagen!

[45] Morgengesang

Nun ist die übermüde Nacht
In sichrer Ruhe hingebracht,
Die Morgenröthe blicket;
Der Sonnen Purpurangesicht,
Das Aug' der Welt, das Flammenlicht,
Der Menschen Sinn erquicket.
Schauet, s'thauet
Perlenthränen,
Zu beschönen
Unsre Heiden,
Die mit fettem Klee sich kleiden.
Es singt der Vogel in der Luft,
Daß widerschallt der Thäler Gruft,
[46]
Dem höchsten Gott zu Ehren,
Der allem Fleisch zu rechter Zeit
Hat sein begnügtes Mahl bereit',
Pflegt alles Heer zu nähren.
Felder, Wälder,
Was ihr heget,
Was sich reget
Hier und oben,
Soll den Schöpfer stetig loben.
Gleichwie der Blumenblättlein Schrein
Zertheilt der warme Sonnenschein,
Sie gänzlich zu erquicken,
So soll auch mein verdüstert Herz
Sich öffnen, daß des Geistes Kerz'
Kann seinen Schrein durchblicken.
Rührend, zierend,
Daß es Gaben
Möge haben,
Die vor allen
Gott und Menschen wohlgefallen.
Herr, hilf, daß ich auch diesen Tag,
Und so lang' ich noch leben mag,
[47]
Mein Amt getreu verrichte,
Daß ich auf deinen Wegen geh',
Und aller Sünde müßig steh',
All' Eitelkeit vernichte,
Und wann kommt dann
Tod und Sterben,
Laß mich erben
Und empfangen,
Was die Frommen all' erlangen.

[48] Morgenlied

Herr Himmels und der Erden,
Der du läßt Tage werden,
Gott, Vater, Sohn und Geist,
Der uns bisher erhalten,
Woll' stetig ob uns walten,
Und ewig sein gepreist!
Wir danken dir von Herzen,
Daß du, o Gott, vor Schmerzen,
Vor Jammer, Angst und Noth
Uns diese Nacht bewahret
Und uns gesund gesparet
Im Schlaf, dem halben Tod.
[49]
Die Finsterniß der Sünden
Laß mit dem Tag verschwinden,
Mach' deine Gnade neu!
Weil nun die Hahnen krähen,
So lassen wir auch sehen
Mit Petro wahre Reu'.
Gieb, daß ich diesen Morgen,
Die Seele zu versorgen,
Des Bösen müßig geh',
Und wenn heut' sollte kommen
Der Hoffnungstag der Frommen,
Vor dir mit Freuden steh'.
O Gott, dir ich befehle
Den Leib und auch die Seele,
Mein' Hab', Sinn und Verstand.
Durch deine Gnad' und Güte
Mich allezeit behüte
Sammt dieser Stadt und Land.
[50]
Dein' Engel zu mir sende,
Daß ihre Hand abwende,
Was Seel' und Leib versehrt.
Laß meine Sünd' versöhnen,
Gleich wie des Thaues Thränen
Der Sonnen Glanz verzehrt.

[51] Vereinigung mit Gott

Ach, milder Gott, begnade mich,
Indem ich will erkennen dich,
Und deine Wege wallen.
Erneu' mein Herz und nimm mich mir;
Ich habe mich gelobet hier
Allein dir zu gefallen.
Dein Will' sei mein Will' für und für,
So daß ich mich in dir verlier'.
Das gute Werk, das ich vollbring',
Ist ein gefügter Kettenring,
Von Gottes Gnad' umschlossen.
Ich thue nun, so viel ich woll',
[52]
So thu' ich doch nicht, was ich soll,
Die Schwachheit ist verdrossen.
Doch nimmt Gott auch den Willen an,
Wenn man nur leistet, was man kann.
Ich meide Sünd' und Missethat
Und thue Gut's, durch deine Gnad',
So viel mir Huld erschienen.
In deines Willens Heiligkeit
Bin ich zu jeder Zeit bereit,
Dem Nächsten stets zu dienen,
Und traure, daß ich nicht kann sein
In dieser Schwachheit engelrein.
Wie gerne wollt' ich hinter mir,
Was irdisch ist, vergessen hier
Und Gott allein anhangen!
Wie gerne wollt' ich Gottes Ehr',
Und was gemäß ist seiner Lehr',
Ohn' allen Ruhm erlangen,
Auf daß die höchste Heiligkeit
Erleuchte mich zu aller Zeit.
[53]
Die höchste Stufe, die man kann
In diesem Leben treten an,
Ist, Gott vereinbar werden.
Dann weiß man nichts mehr, als von Gott,
Und achtet man für eiteln Spott
Die Nichtigkeit der Erden.
Das ist der Frommen höchster Ruhm,
Vollkommen sein im Christenthum.

[54] Sehnsucht nach dem Kreuze

Wann die übermüde Nacht
Alle Menschen ruhen macht,
Schau' ich im versüßten Traum,
Als ob mich voll Freud' und Wonne
Flügel gleich der Morgensonne
Führten an des Kreuzes Baum,
Und mich machet mein Verlangen
Nagelfest am Kreuze hangen.
Mein erhobnes Angesicht
Ist zur Dornenkron' gericht',
Meine Thränen allzumal
Wollen durch die Wolken wallen,
Und doch auf die Erden fallen
In des Herzens Schmerzenqual.
Also machet mein Verlangen
Mich fest an dem Kreuze hangen.
[55]
Alles, was der Welt beliebt,
Meinen Muth und Sinn betrübt;
Denn mein Aug' ist stets gericht'
Zu ihm, der für mich gestorben;
Der das Leben hat erworben,
Kömmt mir aus dem Sinne nicht.
Also machet mein Verlangen
Mich mit ihm am Kreuze hangen.

[56] Die Demuth

Sie ist ihr holder Feind, der sich am kleinsten achtet,
Und seinen Nächsten groß; der nicht nach Ehren trachtet,
Und zürnet ob dem Lob; Verachtung, Spott und Schand'
Ist ihr als eine Straf' der Sünden wohl bekannt.
Sie pfleget nimmermehr nach großem Gut zu streben,
Und wünscht in ihrem Haus der Schnecke gleich zu leben
In stiller Schattenruh'; sie trägt ein schlechtes Kleid,
Und weiß nicht, was man nennt Haß, Meuchellist und Neid.
[57]
Ihr Wort ist ja und nein, begierig, viel zu hören,
Sie ehret Jedermann und läßt sich täglich lehren,
Bestrafet ihren Sinn, der sich nicht niederneigt
Und vor dem höchsten Gott bis zu der Erden beugt.

[58] Sprüche, Sinngedichte und Räthsel

Mittelstraße

Zu viel ist eine Last, zu wenig macht betrübt,
Wer zwischen beiden steht, den hat das Glück geliebt.

Der Traum, ein Dichter

Der Traum ist ein Poet, der gleich dem Maler dichtet,
Und unser Sorgenbild gestaltet und vernichtet.

Wie Gebet, so Gehör

Du betst und weißt nicht, was, du hörst dich selber nicht.
Glaub', daß sich Gottes Ohr nach deiner Andacht richt'.

[59] Ausgleichung

Viel müssen dieser Zeit aus Mangel Hungers sterben,
Mehr sind hingegen, so durch Ueberfluß verderben.

Demuth und Hoffart

Kein Laster ist so groß, das Demuth nicht bedeckt,
Und keiner Tugend Lob, das Hoffart nicht befleckt.

Die Einfalt

Die Einfalt ist bei mir, willst du viel Falten haben,
So nimm' ein' Weiberrock, der wird dich wohl begaben.

Freude des Geizes

Ich halte, daß der Geiz ein' solche Freude bringt,
Als wann der Durstige viel Salz mit Wasser trinkt.

[60] Das Gebet

Ich steige himmelauf, doch ohn' Geleit und Leiter,
Ich bin der Kranken Arzt, der Armen Trostbereiter.
Der All's verloren hat, verlieret mich doch nicht;
Den Sünder söhn' ich aus vor Gottes Strafgericht.

Das Hühnlein im Ei

Ich leb' und bin noch nicht auf diese Welt gekommen,
Doch meiner Mutter Leib vor kurzer Zeit entnommen.
Wann ich mein Haus zerbrech', eröffn' ich meine Thür,
Was mich bedecken sollt', bedeck' ich noch in mir 1.

Fußnoten

1 Die Federn.

Grabschrift der Demuth

Weil der Stolz hatt' Ueberhand,
Mußt' ich Demuth unterliegen,
[61]
Und des Undanks Felder pflügen
In dem Dienst- und Knechtschaftstand,
Ja, der Hoffart hoher Trab
Tritt mich noch in meinem Grab.

Grabschrift der Mäßigkeit

Der Gebrauch im deutschen Land,
Schwelgen und Gesundheit trinken,
Hat in's Kloster mich gebannt,
Da läßt mich der Mönch auch sinken,
Daß ich, aller Tugend Zier,
Liege längst begraben hier.

Ehr', Reh

So leicht das Reh entwischt, so schnell entfleucht die Ehr',
Und ist sie einmal hin, so kömmt sie selten mehr.

[62] Die vier Räder am Wagen

Vier Schwestern laufen fort und können sich nicht weilen,
Doch keine selber kann die andre übereilen.
Sie gehen einen Weg, und weiß doch jedermann,
Daß keine dieser vier die andre rühren kann.

Das Schiff

Wenn man mich rückwärts schaut, so gleich' ich einem Fisch,
Verlier' ich meinen Schwanz, so bleibet das Gezisch.
Mein Leib heißt rückwärts ich, so dien' ich, wie ich kann.
Wer meinen Namen räth, der ist ein Räthselmann.

Der Eiszapfen

Ich wachse lang und dünn, doch niemals aus der Erden:
Kann auch dergleichen Stamm bei uns gefunden werden?
[63]
Hab' keine Wurzel nicht, spross' aus des Himmels Feld,
Mich kennt ein jedes Kind und kauft mich ohne Geld.

Das Feuer

Kein Mensch auf dieser Welt kann meiner lang' entbehren,
Doch kann ich Jedermann verderben und gefähren.
Ich esse, was man mir giebt, ohne großen Dank,
Und sterbe, wenn man mich will zwingen zum Getrank.

Notizen
Erstdrucke nicht ermittelt. Vorliegende Sammlung folgt einer Auswahl Wilhelm Müllers: Leipzig (Brockhaus) 1826.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Harsdörffer, Georg Philipp. Gedichte. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-343C-F