Scheidelieder

1.

Kein Lebewohl, kein banges Scheiden!
Viel lieber ein Geschiedensein!
Ertragen kann ich jedes Leiden,
Doch trinken kann ich's nicht, wie Wein.
Wir saßen gestern noch beisammen,
Von Trennung wußt' ich selbst noch kaum!
Das Herz trieb seine alten Flammen,
Die Seele spann den alten Traum.
Dann rasch ein Kuß vom lieben Munde,
Nicht Schmerz getränkt, nicht Angst verkürzt!
Das nenn' ich eine Abschiedsstunde,
Die leere Ewigkeiten würzt.

2.

Das ist ein eitles Wähnen!
Sei nicht so feig, mein Herz!
Gieb redlich Thränen um Thränen,
Nimm tapfer Schmerz um Schmerz!
Ich will dich weinen sehen,
Zum ersten und letzten Mal!
Will selbst nicht widerstehen,
Da löscht sich Qual in Qual!
[153]
In diesem bittren Leiden
Hab' ich nur darum Muth,
Nur darum Kraft zum Scheiden,
Weil es so weh' uns thut.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hebbel, Friedrich. Scheidelieder. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-3ADE-8