[256] XXXIX.
Fragment einer Geschichte des Apollo.

Hier haben Sie, mein werthester Freund! die Geschichte des Gottes der Musen und der Aerzte, die ich Ihnen versprochen. In den tausend Folianten, die ich über ihn nachgeschlagen, hab' ich viel Mangelhaftes und Unrichtiges gefunden.

Nicht einmal von dem ersten Zeitalter des Gottes, eh' er in Ungnade fiel, ist in den Götterchroniken etwas zu finden. Von dieser seiner ersten Zeit hätten die ersten Dichter, die Apollo begeisterte, so schöne Sachen zu erzählen gehabt;


Da saß er ganze Tage lang
Auf seinem Helikon, und sang
Von Schiffbruch und von Donnerwettern,
Von Riesen und von Liebesgöttern,
Von Helden, Weisen, Faunen, Spöttern;
Von Rosen und von Myrthenblättern;
Er sang des Frühlings Wiederkehr,
Und fand er keine Reime mehr,
[257]
Dann sang er seine Musen,
Und ihre vollen Busen.

Glücklich ist derjenige, der immer singen kann, und Apollo war es. Dazu kam noch, daß Keiner besser sang, und daß alle Dichter ihn verehrten. Andere Zeitvertreibe konnten ihm eben so wenig fehlen.


Wenn ihn der Hypochonder plagte,
Dann stieg er auf den Pegasus,
Den Bogen in der Hand, und jagte
Bis zum beschneyten Kaukasus:
Da dacht' er nicht an seine Leyer;
Er tödtete die Ungeheuer.
Diese Glückseligkeit daurete Jahrhunderte,
Bis endlich Doktor Aeskulap 1
Gestorbenen das Leben wieder gab;
Am unbesuchten Höllenfluß
Alecto sich die Finger nagte,
Und über böse Zeiten klagte;
Der alte Charon, voll Verdruß,
Die großen Feueraugen rollte,
Den Abschied förmlich nehmen wollte;
Und kurz, im ganzen Tartarus,
[258]
Im weiten Reiche blasser Schatten,
Die Richter und der Syndikus
Kein Protokoll und keine Sporteln hatten.

Pluto beschwerte sich über den Verfall seiner Staaten, welcher vielleicht dem politischen System der kleinen Götter, wie der großen, zuwider war; doch setzte dieses noch den Olymp nicht genug in Bewegung. Zuletzt aber sollte durch die Kunst des Aeskulapius ein Mann vom Grabe zurückgerufen werden, der sich besser zu den Todten, als zu den Lebenden schickte.


Ein Feind der holden Cypria,
Der nie empfand, und immer dachte,
Der Allen Sterblichen nur Langeweile brachte,
Und selbst den Vater Zevs, wenn er vom Himmel sah,
Bey seinem Nektar gähnen machte.

Dieses war die Kunst zu weit getrieben; deßwegen erschlug Jupiter den Arzt mit seinem Donner, damit Leute, welche man weder im Himmel, noch auf der Erde verlangt, ruhig in die Unterwelt wandern könnten.

[259] Unmöglich ist es, den Tod eines geliebten Sohns gelassener zu ertragen, als es Apollo that. Es ist wahr, daß er nach der Wohnung der Cyclopen gieng, welche den Donner geschmiedet hatten; daß er sie aber Alle hingerichtet, ist eine falsche Beschuldigung.


Er wollte Meister und Gesellen
Nur freundschaftlich zur Rede stellen;
Doch als der hinkende Vulkan
Ihm nicht die Werkstatt aufgethan,
Da fieng er, ohne Blutvergießen,
Mit seinem starken Bogen an,
Ihm Thür und Fenster einzuschießen.

Der Schade war beträchtlich, obgleich Apollo nicht verdiente, deßwegen aus dem Himmel gestoßen zu werden. Es war einmal sein Schicksal, und er mußt' es sich gefallen lassen, unter freyem Himmel, oder unter einem schlechten Dache, wie gemeine Hirten, zu leben. Man sagt:


Daß, wenn sein göttlich Lied den stillen Hayn erfüllte,
Die Heerde laut dazwischen brüllte;
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Daß sein ambrosisch blondes Haar,
Oft ungekämmt, ein Spiel der Winde war;
Daß er der Schwester oft begegnet,
Von Kälte starr, und naß von Regen,
Und, wenn der Gott ein Lamm auf seinen Schultern trug,
Diana voller Schaam die Augen niederschlug.
Er bewieß sich hiebey so, wie es dem Gotte der Musen zukam.
Den Thoren wird ihr Unfall schwer;
Doch Weise lernen in den Armen
Der Dürftigkeit, nur zärtliches Erbarmen.
Apollo gieng vergnügt umher,
Anstatt dem Jupiter zu fluchen,
Geheime Kräuter aufzusuchen;
Und auch sein Hirtenstand war nie vom Wohlthun leer.

Seine Wissenschaft war leider den hübschen Kindern am wenigsten nütze; zumahl im Anfang', eh' er die sterblichen Mädchen recht kannte.


Zwar lernt er unter kleinen Spielen,
Wenn ihm zur Seite Chloe saß,
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Ihr ganzes Spiel, und sich vergaß,
Und abgefallne Blühten laß,
Den Puls der Schäferinn zu fühlen;
Er sah den Augenwinkel naß,
Er sah die schöne Wange blaß;
Doch kam der Gott von Paphos ihn zu hören,
Und lächelte bey seinen Lehren.

Indessen erwarb er sich durch seine gesammleten Kräuter und durch den Puls der Mädchen so viele Kenntnisse, daß er bis auf den heutigen Tag, als ein Gott der Aerzte verehret wird.

Jacobi.

Fußnoten

1 Des Apollo Sohn.

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TextGrid Repository (2012). Heinse, Wilhelm. Erzählungen. Erzählungen für junge Damen und Dichter. Zweyter Band. 39. Fragment einer Geschichte des Apollo. 39. Fragment einer Geschichte des Apollo. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4CE3-F