[24] Züricher Bilder

Springbrunn

Das ist ein lustiger Springbrunn
Im Mittagssonnenglanz,
Glitzernde Tropfen tanzen
Den silbernen Sonnentanz.
Viel feuchte, leuchtende Funken –
Das schimmert und rieselt und glüht –
Der speienden Löwenhäupter
Gerunzelte Stirne sprüht.
Die Lindenblätter sich neigen
Und fangen den spritzenden Tau.
Am Becken kühlt und erquickt sich
Die müde Taglöhnersfrau.

Promenade

In dieses grünen Parks Revieren
Fließt milder Hauch von Baum zu Baum,
Die jungen Mädchen gehn spazieren,
Das Leben ist ein Liebestraum.
[25]
An Tante Marlitt just ergötzt sich
Die breite Bonne neben mir,
Ein Greis in braunem Schurzfell setzt sich:
Evviva Wurst und Lagerbier!
Mit sorgenhaft vergrilltem Blicke
Spazierstockt ein Rentier daher:
»Auf nichts Verlaß! Die Welt voll Tücke!
Die Kurse sinken immer mehr.«
Ein Dutzend Kinder schlingt den Reigen,
Der Springbrunn silberne Funken speit,
Die Strahlen sprudeln, springen, steigen –
O wunderschöne Jugendzeit.
Am Brückenpfeiler dort zerschellen
Die Fluten, gurgelnd rauscht es hohl,
Ein Weib starrt trostlos in die Wellen
Und seufzt: »Wie wär' mir drunten wohl!«
Sie flieht den Strom mit leisem Stöhnen,
Frech gafft ein Geck ihr ins Gesicht,
Die Eisenhämmer drüben dröhnen,
Der Qualm verschlingt das Sonnenlicht.

[26] »Sechsläuten«

Altes Züricher Volksfest zur Feier des Frühlingsanfangs


Heut haben sie den Winter verbrannt;
In höllischen Flammen stand
Der Tannzweighügel. Funken flogen
Rosasprühend. Rauchwolken zogen,
Schmutzgrau aufwirbelnd. Hoch auf der Stangen
Die Puppen wollten nicht Feuer fangen.
Aber jetzt ein Knall. Leuchtkugeln stiegen,
Die Puppen huben an, sich zu wiegen,
Von Glut gekrümmt und gefoltert,
Nickten sie stumm sich zu –
Lichterloh sind sie heruntergepoltert
Und verkohlt im Nu.
Um das Freudenfeuer im Kreise
Zogen die »Zünfte« nach Ahnenweise,
Zwar heut alles nur Spiel und Schein,
Muß doch jährlich gezunftet sein.
Meistens »bessere« Züricher Herrn,
Die da mit Zange und Knieriem marschierten,
Unter dem blauen Vergnügungsstern
Sich gewerkschaftlich amüsierten.
Käseblaß Schneiderlein neben mir,
Eben mit Frau und Kind noch gekommen,
Lächelte trüb ob der sauberen Zier
[27]
Dieser fröhlichen Innungsfrommen.
Und die »Schneider« schwangen die Scheren,
Tanzten wie Ziegenböcke vorbei,
Und den Amboß, den zentnerschweren,
Schleppten der stattlichen »Schmiede« drei.
»Bäcker« in mehlweißen Schürzen,
Schulternd mit Brezeln und Brot,
»Kaufherrn« mit Safran und Würzen
Schlugen den Winter feierlich tot.
»Wenn ich an meinem Amboß steh
Und hämmre lustig drein« –
Rot wehte der Flammberg in die Höh,
Becken und Pauken schmetterten ein.
Und das neugierige Publikum
Bummelt' in hellen Haufen herum.
Mädchenaugen noch einmal so keck,
Verliebten Mäusen der wahre Speck.
Schau! am Bäumchen zu meiner Seiten
Lehnten zwei Schwestern – Halleluja!
Da soll einen der Teufel nicht reiten –
Nektar und Ambrosia!
Äste prasselten laut zusammen,
Grünlich ringelten sich die Flammen.
Zu der fröhlichen Frühlingsmette
Schimmerte hell die Alpenkette ...
Lenzfrohes Lachen ... Teterete!
[28]
Bekränzte Nachen tanzten im See ...
Und die Züricher kreuzfidel
Spritzten ins Feuer der Freuden Öl.
Während der Mond aus blauen Fernen
Silberglanz auf die Türme goß,
Zogen die Zünfte mit Buntlaternen
Einzeln herum zu Fuß und zu Roß.
Immer von einem Zunfthaus zum andern
Mit Musik marschierend im Schritte,
Kommen und Holen, Reden und Wandern,
Grüßen, Zutrinken nach alter Sitte.
Freudenhäuser von vorn bis zuletzt
Krabbeldicht alle Türen besetzt.
Vier Polizisten leibwachten einen
Epileptischen Trunkenbold,
Kläglich fing der Mensch an zu weinen,
Daß er mit auf die Wache sollt'.
Aus allen Schenken Klaviergeklimper:
»Ach, ich hab' sie ja nur auf die ...« Lärm und Geschrei.
Harmonikaquieken, Gitarrengestümper ...
So ging der Winterkehraus vorbei.
Juchzer knatterten wie Raketen
Durch die ganze geschlagene Nacht,
Und von Trommeln und Trompeten
Bin ich am Morgen noch aufgewacht.

[29] Venezianische Nacht auf dem Zürichsee

Die Lampions gaukeln auf dem See,
Laut zischen nach unten die sprühenden Garben,
Das Glühlicht scheint wie Mondesschnee,
Hellt weit die Flut vom hohen Quai,
Bengalisch leuchten die Farben,
Bis matt sie im Dunkel erstarben.
Die Königin der Gondeln naht
Langsam auf stolzem Spiegelpfad.
Der Buntlaternen zauberisch Tor
Spitzt diademisch sich empor.
Darunter spielt die Stadtmusik
Ein südlich Barkarolenstück.
Leuchtkugeln steigen und neigen
Ihr schön verscheidendes Haupt,
Brandfrösche knattern im Reigen,
Das Feuerrad schwirrt und schnaubt.
Vom Ütliberg aufschimmert's hell,
Mit Blenden grüßt das Kulmhotel.
Mattblinkend winken Mond und Sterne
Aus meeresdunkelblauer Ferne.
Das ganze Ufer schwarzgedrängt
Staunt in das rot-blau-grüne Spiel,
[30]
Die Fahne des Vergnügens schwenkt
Frau Neugier hoch am Vorderkiel.
Verliebte Leute, Bräute, Greise
Genießen laue Luft und Licht,
Der eine jauchzt, der summt was leise,
Der Dichter schaukelt sein Gedicht.
Er ist so farbenlustberauscht,
Er schaut in Wundertraum und lauscht,
Wie all die kleinen Lichter hüpfen,
Leuchtschlangen durcheinander schlüpfen,
Wie nach dem Takt der Melodien
Sie tanzen, kreisen, suchen, fliehn.
Die schwarzen Zuschauer, die flimmernden Nachen,
Er sieht sie mit Trauer, er sieht sie mit Lachen –
Das springt empor bei japanischem Licht,
Geistessprühfeuer bezaubert sie nicht.
Aber wir alle freun uns am Schein ...
Da schleift hochaufgedonnert pikfein
Starrblickende Dirne vorüber,
Sie lockt nicht der wellengespiegelte Schein,
Zwanzig Fränkli wären ihr lieber.
Ihre Hechtaugen spähen nach Beute,
Ein günstiger Fangabend heute.
Und hinter ihr an der Tochter Arm
Tastet ein blinder Mann durch den Schwarm.
[31]
Die Raketen platzen in seinem Ohr,
Er träumt mit dem Auge, das er verlor.
Sein Töchterlein muß ihm berichten
Von den schönen, bunten Geschichten.

Maimarkt

Heut ist Jahrmarkt. Von den Buden
Wehn knallrote Taschentücher,
Abgefeimte Schacherjuden
Recken ihre krummen Riecher
Geiermäßig mit Geschrei
In den lindengrünen Mai.
Emmenthaler Käseriesen,
Frischer Stiefel Lederduft ...
Staub beweißt die jungen Wiesen,
Krämerdunst verdickt die Luft.
Wachstuch in den grellsten Farben:
»Einen Franken für den Rest!«
Blumenhüte, Rüschen, Barben –
Bärbel, denk aufs Pfingstenfest!
Rudolf, Baroneß Vetsera,
Farbenblutdruckkatastrophen ...
Firuli und Firulera
Spielt die Orgel. Spitze Zofen
[32]
Mit den Kleinen fürnehm eilen,
Schrupperfeen gierig weilen.
Ein Student zieht durchs Getriebe
Mit der schwesterlichen Liebe.
Die hat immer was nach hinten,
Maiprinz Amor lädt die Flinten.
Aus des Busens Knopfsaum wedelt
Rotverführerisch ein Zipfel,
Da wird auch was eingefädelt,
Angebändelt, liebgemädelt ...
Wollust weht der Lindenwipfel.

Vielliebchen

Schweigend in dem Schwarm der Schreier,
Schneebleich in der »Blauen Fahne«
Mit dem schwarzen Trauerschleier
Sitzt die schöne Kurtisane.
Leicht den Schleier von den Lippen
Schiebt die feierliche Schöne,
Vielgeliebte Lippen nippen
Bockbier beim Musikgedröhne.
Zu des Walzers wilden Takten
Zucken zarte, kleine Füße,
[33]
Auf die feinen, florbeflaggten
Wangen perlt des Lächelns Süße.
Aber schnell in ihre Grübchen
Scheucht sie die Verräter wieder,
Ernsthaft, ernsthaft senkt Vielliebchen
Jüngferlich die Augenlider ...

»Troupe internationale«

Mit der seidenschwarzen Flügelhaube,
Mit dem offenherzigen Purpurmieder,
Eine adlerhafte Turteltaube,
Singt sie zündende Revanchelieder.
Schluchzend Klagen dringen,
Wie sie wühlend klingen!
Jauchzend wogt's zum Schluß,
Und sie wächst beim Singen,
Wächst zum Rachegenius.
Voll begleitende Akkorde
Wogen noch eine Weile hin ...
Gorgo dräut unversöhnt,
»Bis, bis!« und »Bravo« dröhnt
Der hochstämmigen Elsässerin. –
Keck auf das Podium hüpft, die noch eben
[34]
Still memoriert,
Kaum aus dem Kind geschlüpft, aber das Leben
Längst schon probiert;
Die vollendet blühenden Beine
Gibt das flatternde Röckchen frei,
Rezitativisch quiekst die Kleine
Ihre geriebene Pariserei. –
Jetzt die Graziöse wiegt den Kopf
Und lächelt links und rechts
Mit wundervollem, blondem Zopf
Dickmaschigen Geflechts.
Sie trägt ein russisch Rosakleid
Mit schweren Perlenketten,
Ihr Atlasfüßchen weckt den Neid
Der bunten Amoretten.
Der Schalk springt aus den Augen ihr
Und tanzt von Tisch zu Tisch.
Wahrhaftig! Jetzo zwinkt sie mir
Verflucht verführerisch. –
Plump watschelt die fette Ente
Krumm vor das Auditor,
Vermummt die eminente
Zinnobernase vor.
Sie mimt den Vetter Trunkenbold,
Den alten Korporal,
Sein Auge schwimmt, sein Sauflied rollt
[35]
Und poltert durch den Saal.
Plötzlich faßt' er die Fahne,
Die rote, mit fester Hand,
Stramm Monsieur Antoine,
Der Impresario, stand.
Schnell rechts die Elegante,
Die Pipipepi links,
Glut auf die Tasten brannte
Die rächerische Sphinx.
Revanche, Revanche bis in die Kniee,
Alarm, Alarm vom Kopfe bis zur Zeh:
»Allons, enfants de la patrie,
Le jour de gloire est arrivé!«

Im Exil

Täglich seh' ich jenen jungen
Russen mir vorüberwehen,
Dessen Augen schmerzbezwungen
Düster vor sich niedergehen.
Bücher schleppt er unterm Arme,
Müd ist seines Ganges Weise,
Schleppt die Last von ewigem Harme –
Seine Lippen zucken leise.
[36]
Und der schwarze, kurzgeschorne
Bart umflort des Mundes Weh,
Traurig grüßt der Leiderkorne
Seines Volks Gethsemane.
Polizeikosakenknuten
Hör' ich auf ihn niedersausen,
Dumpfer Klagen finstre Fluten
Des Verbannten Ohr umbrausen.
Sklaventrägheit fühl' ich lasten
Bergesschwer auf seiner Seele,
Heißen Zornquell spür' ich hasten
Wildaufschäumend nach der Kehle.
Eisige Steppenkatakombe
Überfriert mich nordlichtklar,
Und zerschmetternd platzt die Bombe
Auf der Freiheit Blutaltar.

Es taut

Wahrhaftig, schon zwitschern die Spatzen
Von den fließenden Dächern der Stadt,
Es zirpen und piepen die Matzen,
Sich puddelnd im sonnigen Bad.
[37]
Das ist ein fröhliches Schmelzen
Des schmutzig verwitterten Schnees;
Die Damen stolzieren in Pelzen
Zur Sommerkonfektionens'.
Pensionsgäns kokettieren,
Die Madame sieht es ja nicht –
Im Rollstuhl fährt spazieren
Die pensionierte Gicht.
Im See die winzigen Schollen
Rieseln und lösen sich los,
Blitzende Wellen rollen
Dem seligen Lenz in den Schoß.
Mich aber will es gemuten
So frisch und märzenjung,
Meine Schmerzen schmelzen und fluten
Ins Meer der Erinnerung.

Himmelfahrt

Bunte Blumen, grüne Büsche,
Burschen, Mädchen Arm in Arm,
In der kühlen Morgenfrische
Locker schlendernder Frühlingsschwarm.
[38]
Übernächtige Gesichter,
Lange, lange noch nicht matt,
Lebenslustiges Gelichter,
Lange, lange noch nicht satt.
»Heut lieb' ich die Susanne
Und morgen die Marianne,
Halli, Hallo!
Wir leben so –
Vom lustigen Berge in die lustige Stadt.«
Der da mit ihren zerlockerten Haaren
Ist wohl die Unschuld gen Himmel gefahren
Heut in dieser selbigen Nacht;
Maiennächte sind Liebesschulen,
Lieblich ist es im Grünen buhlen,
Und kein Wächter der Sitte wacht.
In den schwärzlichen Augenringen
Kauert schläfrig gebüßte Lust,
Tüchtig hat das Feuer gerußt.
Aber mit silberreinem Singen
Sittige Dirnen vorüberspringen,
Maienglöckchen an keuscher Brust.
Aus dem offenen Bierhaus dringen,
Klingen Schalmei und Harmonika,
Klingen Harmonika und Schalmei;
Italiener mit lautem Geschrei
Feigenkränze zu Häupten schwingen,
[39]
Brezelweiber schleifen vorbei.
Schüchterne Sonnenstrahlen blinken,
Schimmerwellen am Waldesrand,
Ach, wie herrlich die Wipfel winken,
Lichte Buchen im Brautgewand!
Und noch ehe mit breitem Strahl
Siegreich mich die Sonne bestreicht,
Seh' ich in der Tiefe das Tal,
Habe des Berges Kulm erreicht.
Wolkenspiegelnd und funkenwiegelnd,
Perlgrau zittert der See.
Dicker Sonnenduft
Hüllt die ferne Luft,
Tief im Flor versinkt der Firnenschnee.

Morgenwanderung

Um fünf Uhr früh schritt ich dem Berg entgegen,
Die Gaslaternen brannten Sonnenlicht,
Der Osten streute seinen blanken Segen
Den Mädchen an den Brunnen ins Gesicht.
Im Trabe kamen nach der Stadt gefahren
Milchleute, die schon nachts zu Wege waren.
Da draußen, wo sich's ländlich bald verlor,
Stand Bursch und Bäurin schon am Gartentor.
[40]
Nicht lange bin ich einsam fortgewandelt,
Wiewohl der Pfad gleich oben waldwärts bog.
's war Feiertag. Just Arm in Arm gebandelt
Ein Mädchenpaar an mir vorüberzog.
Sie trugen Riesensträuße in den Händen,
Gepflückt an Wiesenbach und Talschluchtwänden,
Und sangen Lieder in die helle Flur
Von Lieb' und Lust, von Heimat und Natur.
»Grüß Gott!« Sie schieden links, ich rechts zum Kamme,
Doch ihrem Duo lauscht' ich noch von fern.
Das ist ein lieber Zug am Schweizerstamme,
Die Lust zum Lied. Sie haben's »grüsli« gern.
Jetzt war's verweht. Nun sang es aus den Büschen,
Crescendo plätscherte der Quell dazwischen;
Er rann noch links vom Wege ziemlich flach,
Geräuschvoll schoß er rechts, ein heftiger Bach.
Die Kerzentannen spielten mit den Strahlen
Der weißen Sonne, die im Tau zersprang
Und Farben, wie sie keine Künstler malen,
In Perlenketten um die Erlen schlang.
Mutwillige Flügler schwirrten walddurchschweifend,
Bald mir den Kopf, bald tief die Gräser streifend,
Auf einmal aus dem Fichtendunkel schrie
Der Kuckuck seine Traummonotonie.
[41]
Am letzten Abend hatt' es fest geregnet,
Auf Dickichtwegen wurd' ich tüchtig naß.
Doch hab' ich die Beträuflung gern gesegnet,
Dies Frischgefühl – o welche Wonne das!
So in dem fetten Humus einzusinken,
Die Fruchtbarkeit mit Sohlen aufzutrinken,
Zu schlürfen diesen feuchten Sonnenseim –
Ein Hochgenuß wie kein Poetenreim.
Vorm Adlisberger Forsthaus hielt ich Atzung
Mit frischer Milch und saftigem Bauernbrot.
Gering war noch der Gäste Frühbesatzung;
Ein städtisch Meisterlein mir »Wohlsein« bot.
Ein runzlig Häufchen Arbeit, krumm von Sorgen,
Nur froh für jetzt: »Gell Sie? Ein prächtiger Morgen!
Wenn man das ganze Jahr sich plagt und müht ...
's ist eine Freude, wie das wächst und blüht!«
Bald kamen neue durstige Gemüter;
Ein Herr mit frühlingslichtem Töchterlein.
Sortierten die botanisierten Güter
Und aßen Käs' und tranken weißen Wein.
Juchhei, das schönste Kind am schönsten Tage!
Die Wirkung spürt' ich schon am Herzensschlage,
Ein Augenspiel hub an verführerisch,
Zitronenfalter tanzten um den Tisch ...

[42] Trutzlied

Ob ihr mit vollen Backen
Trompetet Lug und Neid,
In tückischen Attacken
Garstige Granaten speit,
Ihr Helden von der Feder,
Vom kritischen Katheder,
Mir sitzt der Schalk im Nacken
In Lust und Leid.
Ihr seid die alte Meute,
Die schwarze Meute ja,
Ich aber läute, läute
Mein hell Halleluja.
Von meinem Fensterbrette
Pfeif' ich die Frühlingsmette,
Geburtstag feir' ich heute,
Was wollt ihr da?
Mir wirft die Post der Gaben
So viele auf den Tisch:
Die »Herzli« sind erhaben,
Die Kuchen süß und frisch!
Die Freundschaft streut mir Grüße
Und Blumen vor die Füße,
Die Liebe will mich laben
Verschwenderisch.
[43]
Die Sonne steigt im Osten,
Die Amsel ladet hell:
»Vom Lichtquell laß uns kosten,
Frischauf, frischauf, Gesell!
Nach all den toten Tagen
Wir mögen's wohl vertragen,
Die weichen Veilchen sproßten
Am jungen Quell.
Und laß dich's nicht verdrießen
Und laß dich's nicht gereun,
Den Guten auszugießen
Gesänge, die dich freun!
Die Merker und die Mucker,
Das sind die ärmsten Schlucker,
Die lieben in Verließen
Das Licht zu scheun.«
Die ihr mit plumpen Rüsseln
Mich schnuppernd untersucht,
Mit gelben Himmelsschlüsseln
Jag' ich euch in die Flucht.
Ihr seid die schwarze Meute,
Ich aber läute, läute
Und samml' auf Silberschüsseln
Goldsaftige Frucht.

[44] Hymnus

Solang meine Seele noch leuchtet und blüht,
Das wonnige Leben, nicht werd' ich es müd!
Ich lausche den Rhythmen der rauschenden Welt,
Die klangvoll am ewigen Strande zerschellt.
Ich weide das Aug' am Geschmeide der Zeit,
Das funkelt in dunkler Unendlichkeit,
Ich atme der Freiheit Sturmwind,
Der die Knechtschaft schüttert zugrund,
Ich küsse der Wonne Wangen
Mit zitternden Lippen wund.
Solange der Geist mir noch fruchtet und trägt,
Der Baum meiner Freude, nicht sei er zersägt!
Ich sammle der Denker schwergoldene Saat
Und mahle den Weizen mit plätscherndem Rad.
Ich küre die schönsten Gedanken zum Tanz
Und winde der Wahrheit den schwellenden Kranz.
Ich grüße das werdende Gute
Mit hocherhobener Stirn,
Ich feire der reinen Erkenntnis
Hellglühende Rosenfirn.
Solang meine Seele noch leuchtet und blüht,
Solange der Geist mir noch fruchtet und trägt,
Das wonnige Leben, nicht werd' ich es müd,
Der Baum meiner Freude, nicht sei er zersägt!

[45] Angst

Wie eine plumpe, graue Hand
Liegt heut der Himmel ausgespannt;
Die Riesin preßt mich nieder.
Der Atem stockt im Busen schier,
Erstickt der Mut, ein röchelnd Tier,
Erdrosselt Lust und Lieder.
Kein Laut, kein Licht, kein Hauch. – Mir graust.
O du verfluchte Riesenfaust,
Wie lähmst du mir den Nacken!
Unheimlich öde, dumpf und starr.
Ist das der Tod? Bin ich ein Narr?
Wird mich der Wahnsinn packen?
Zünd an! Ich muß was lodern sehn!

Immergrün

Aus dürren Gräsern grüßt mich Immergrün.
Rasch her damit und an die Brust gesteckt!
Noch einmal sei's gewagt und hoffnungskühn
Sei das Gespenst in seine Gruft geschreckt!
Nein, werter Freund, der du die Schlinge wirfst
Nach meiner Seele sinkendem Genick,
[46]
Vampir, der meines Geistes Blut du schlürfst,
Noch einmal in den Strauß um mein Geschick!
Zu Boden riß mich Unnatur der Zeit,
Mutter Natur, reck deinen Sohn empor!
Verfault, ihr Gräser der Vergangenheit,
Und du, neu Leben, quill, o quill hervor!

Im Zwielicht

Der Tag ist tief im Niedergang,
Zwieleuchtet die Tapete ...
Wie fremd mir wird, wie erdenbang!
Ängstlich klagt des Windes Klang,
Wie wenn er Rettung flehte.
Die Frau vom grauen Ölbild schaut,
Als müßte sie mich verdammen.
Ihr sonnensterbend Auge taut
Tränen, daß mir glüht und graut ...
Schreckhaft zuck' ich zusammen.

[47] Leise Klage

Tief blutrot sinkt das Weinlaub hin,
Lichtnelken nicken scheidend,
Der Sommer zittert durch den Sinn,
Die Seele fühlt sich leidend.
Wenn sich die Seele leidend fühlt,
So mag sie leise klagen.
Der Sturm, der in die Wurzeln wühlt,
Soll er die Krone schlagen?
Durch Kron' und Wipfel schleicht es matt,
Wie tief zu Tod entmutet.
So müde bin ich wie das Blatt,
Das dort zu Boden blutet.

Schwermut

Grau liegt die Luft, der Wind fliegt bang,
Der Regen rinnt, den Wald entlang
Zieht Seufzerzug, singt Grabgesang ...
Nun streut die Schwermut ihre Keime
In angstgefurchte Herzen ein,
In dunkel abgetönte Reime
Verhüllt der Dichter seine Pein.
[48]
Ach, wer sein Weh zu Rhythmen flicht,
Der ist noch lang der Ärmste nicht;
Doch wer um Glück und Lust betrogen
Die Stirn an Fensterscheiben preßt,
Wer grauenschwer hinabgezogen
Sich tief und tiefer treiben läßt;
Wem Kraft und Wille treu selband
In Unkraft und Verzweiflung schwand;
Wer schon zu müd, den Feind zu fassen,
Der ihn erwürgt, zum Tod gelassen,
Verkohlend sich in Asche schiebt
Und nicht mehr leuchtet, nicht mehr liebt –
Kein Klang reißt die zerstampfte Seele
Aus ihrer dumpfen Kerkerhöhle ...
Die Luft liegt grau, der Wind fliegt bang,
Der Regen spinnt, den Wald entlang
Zieht Seufzerzug, singt Grabgesang ...

Der Mörser

Es ist ein großer Mörser,
Drin stoß' ich klein mein Leid,
In alle Winde schütt' ich es,
Die wirbeln's weltenweit.
[49]
Wie trommelt dumpf mein Mörser,
Wenn meine Seele schreit!
Mein Wehe wird zerrieben
Im Mörser Ewigkeit.

Winter

Das ist der bleiche Winter:
Eiszapfen in der Hand,
Am Wolkenwebstuhl spinnt er
Elend und Liebestand.
Sein Atem überschauert
Mit Schneekristall das Land,
In Frost und Nöten kauert
Armut am Herdesrand.
Auf spiegelblankem Eise
Sportlust ist heiß entbrannt,
Venus im Pelz zieht Kreise
Um ihren Leutenant.
Das ist der bleiche Winter:
Eiszapfen in der Hand,
Am Wolkenwebstuhl spinnt er
Elend und Liebestand.

[50] Müde

Soll ich es einmal sagen,
Wie tief ich trostlos bin?
Ich hab so viel verkündet
Vom Glück, das mir verbündet,
Ich darf es fast nicht wagen –
Soll ich es einmal sagen,
Wie tief ich trostlos bin?
Arm, der die Welt umschlossen,
Sinkst mir so schläfrig hin.
Die Früchte lass' ich fallen,
Der Mund zu träg zum Lallen,
Die Seele gähnt verdrossen –
Arm, der die Welt umschlossen,
Sinkst mir so schläfrig hin.
Nun treiben alle Tage
Gleichgültig ab und zu;
Wie trinkt mein Aug' noch Leben?
Wo fühl' ich's brausend beben?
Kaum dämmert dumpfe Sage –
Nun treiben alle Tage
Gleichgültig ab und zu.

[51] Melancholie

Dicker Nebeldunst drückt den See, die Stadt,
Wie der blasse Mond lugt die Sonne matt.
Nur am Ufer dampft sich die Welle frei,
Und der Schwaden rollt trüb und schwer vorbei.
Kahle Äste schaun schwarz und hilflos her,
Und sie feiern doch grüne Wiederkehr.
Wenn der Winter weicht, rieselt's lustig los,
Wenn der Frühling kommt, ist die Wonne groß.
Meines Lebens Saft nur ist ganz verzehrt,
Und kein Lenz ist mehr meiner Kraft beschert.
Wie des Dampfers Rauch in den Nebel kriecht,
Meiner Seele Hauch in das Nichts versiecht.

Müßiggang

Heut ging ich müßig
Den ganzen Tag,
Nun bitter büß' ich
Den Mißertrag.
Umhergetrieben
In Markt und Stadt,
Und nichts geblieben,
Was Tiefe hat.
[52]
Ein flaches Tändeln
Mit der und der,
Ein schwaches Pendeln
Die Kreuz und Quer.
Bei Büchsenschießen
Und Budenschrein
Ein halb Verdrießen
Und Nichtsgedeihn.
Der Schwarm der Grillen
Schwirrt stechend um,
Mich einzuhüllen
Mit Summ und Brumm:
»Was gingst du müßig
Den langen Tag?«
Und bitter büß' ich
Den Mißertrag.

Bettler

Blüten, Früchte, Füll' und Farben,
Überfluß der reichen Saat,
Schnitterinnen, eure Garben,
Wie sie wogend mich umwarben,
Als ich Reicher mich genaht!
[53]
Meine schönen Schnitterinnen,
Sonnumleuchtet, blau bekränzt,
Trieb für ewig euch von hinnen
Mit dem Netz von Riesenspinnen
Das umschattende Gespenst?
Wüst und leer, wo eure Garben
Üppig sich gewölbt im Rund –
Blüten, Früchte, Füll' und Farben,
Meine reichen Welten starben ...
Sterbend zuckt des Bettlers Mund.

Windmühle

Jüngst, als ich von Bergeshöhen gefahren
In die flachen Lande nieder,
Eine Windmühle sah ich nach manchen Jahren
Zum ersten Male wieder.
Sie ragt' auf einem kleinen Hügel –
Wie lange sie mein Auge sah! –
Sie drehte langsam ihre Flügel
Und stand so philosophisch da.
Da dacht' ich des ewigen Don Quichotte
Und meiner phantastischen Nöte,
[54]
Da lacht' ich meiner mit spielendem Spotte
Und staunt' in die Abendröte.
Die Wolken glühten, und golden säumte
Sich ihr verlodernder Sonnenschild,
Windmühle drehte sich und träumte
Von einem meerblauen Saatgefild ...

Frau Welt

Ein blasiertes Gedicht


Frau Welt beschloß, nicht mehr zu sein,
Der Fluß der Dinge schafft ihr Pein.
Sie grollte: »Allem schlägt die Stunde,
Nur ich geh' nimmermehr zugrunde.
Was sich auch wandelt für und für,
Nur mir winkt keine Ausgangstür.
Das ist ein ewiges Geflute –
Unheimlich schier wird mir zumute.
Wo harrt mein Grab, wo find' ich Ruh?
Im Gange bleib' ich immerzu.
Ist denn kein Doktor aufzutreiben,
Mir Weltarsenik zu verschreiben?«
[55]
Sie raufte sich ihr Nebelhaar,
Das währte zehn Millionen Jahr.
Sie biß sich auf die Himmelslippen,
Sie schlug sich auf die Höllenrippen,
Indes sie: »Weh, Welt! Weh, Welt!« sang.
Das dauerte Milliarden lang.
Wie sie auch aufstieß mit den Füßen,
Herr Nichts vermied, sie zu begrüßen.
Matt sank aufs Sofa sie zurück:
»Ich bin und bleib ein Schelmenstück.
Bin schon so gräßlich alt geworden
Und darf mich nicht mal selbst vermorden.
Reicht keiner den Erlösungstrank,
Werd' ich vor Tiefsinn geisteskrank ...«
Frau Welt beschloß, zu resignieren
Und Schopenhauer zu studieren.

[56] Zwischensommer

Ich habe den Sommer genossen
In selbstgenügsamer Ruh,
Den roten Vorhang geschlossen,
Drängte die Sonne sich zu.
Verstohlen spielten die Strahlen
Zum blinkenden Ofenring,
Auf rosaroten Sandalen
Die Sonne durchs Zimmer ging.
So lag ich in stillender Kühle,
So lag ich in reifender Rast
Auf golddurchwobenem Pfühle
Und habe mich selber erfaßt.
Ich habe gelauscht und getrunken
Meiner Jugend wirbelnden Gischt,
Da ist es in schäumenden Funken
Noch einmal emporgezischt.
All mein verwegenes Wollen,
All mein messianischer Mut,
Rollen hört' ich und grollen
Die glühende Willensflut ...
[57]
Ich habe den Sommer genossen
In selbstgenügsamer Ruh,
Den roten Vorhang geschlossen,
Drängte die Sonne sich zu.
Nun schüttet kristallene Bläue
Der Herbst in mein offnes Gemach,
Schwebend in eigener Treue
Schau' ich der sinkenden Sonne nach.

Frühlingsspiel

Der Sprengstoff flog. Doch ich flog nicht dabei.
Froh fühl' ich nur: von »Jugend« ward ich frei.
Erst scheint es Lähmung einen Augenblick,
Man wirft den Arm, man schüttelt das Genick,
Man springt behutsam über einen Graben
Und merkt, man ist noch Herr von seinen Gaben,
Setzt sich vergnügt auf einen Stein und denkt:
Der klare Wein wird langsam eingeschenkt.
O diese Lust, sein Leibliches zu strecken,
Von ungefähr sich selber zu entdecken,
Den echten Kerl mit seinem Rattenkaiser
Von Riesenwünschen, die nun leiser, leiser
[58]
Und immer leiser pfeifen, flau zu hören,
Doch nimmer mein gewitzigt Ohr betören.
Ihr schlauer Pfiff aus jeder Tonart zog
In Spalt und Schlund mich, und er log, er log!
Ich lebe noch. 's ist nicht so schlicht begriffen.
Der Rattenpfiff hat mir nun ausgepfiffen.
Und ob sie noch so majestätisch prahlen,
Bin doch der Herr von meinen Idealen.
Und ob sie strahlen noch so souverän,
Bin doch der Herr der Banner, die sich blähn,
Als wären sie die Weiser meiner Ziele,
Und sind doch meiner Finger Frühlingsspiele.
Ja, Frühlingsspiel, mit sichrer Hand geübt,
Mein Leben sei, wie sich der Tag auch trübt!
Nur einem treu im heiter-ernsten Spiele,
Nicht Volk, nicht Menschheit, keinem »heiligen Ziele«,
Nur mir treu, mir, in dessen Hirn sich zeugt
Das Ziel selbst, das so gern sich Knechte beugt ...
Frei wie ein Lichtfürst über Meer und Land
Mit Sternengold und Hermelingewand.

[59] Mein Ça ira

Volksführer? Nein! die Toga paßt mir nicht,
Um auf dem Markte Politik zu treiben.
Ich bilde mich und bilde mein Gedicht,
Was meinem Wesen fern liegt, lass' ich bleiben.
Aus Mitgefühl sing' ich mein Lied der Not,
Mein Menschheitslied aus Höhentrieb der Seele,
Doch dem Parteigetriebe bin ich tot –
Nun hängt mich auf – empfehle mich, empfehle!
Die heißen Geister der Gerechtigkeit
Verlockten mich, mit Knütteln dreinzuschlagen,
Doch tut es fast mir um das Pathos leid,
Wehmütig lernt' ich solchem Strauß entsagen.
Ich mag nicht mehr, aus innerster Natur,
Und eins mit mir darf ich getrost gestehen:
Ich werde fortan nur auf einer Spur,
Auf eigner Spur des reinern Daseins gehen.
Kein Ehrgeiz jagt mich auf das Podium,
Kein Agitator geht an mir verloren,
Der Eifersucht des Siegers bin ich stumm,
Und für das Bravo hab' ich schlechte Ohren;
[60]
Das heute dem und morgen jenem schallt,
Ja augenblicklich treulos sich verwandelt,
Das eben noch Empörerfäuste ballt
Und gleich darauf mit Schwätzern schon verhandelt.
Hinweg, ihr Stelzen der Vergänglichkeit,
Der Überredung aufgeblasne Robe!
Man wird so klein, wenn man sich täglich weiht
Dem Massenkult der menschlichen Mikrobe.
Zu eitel dünkt mich dieses Priesterkleid,
Weshalb ich mir den Rock des Weltmanns lobe
Und dem Augurendienst der Menschheit fremd
Ein Lächeln spare, das mein Herz beklemmt.
Versteht mich wohl! Der Menschheit großen Zug
Werd' ich mit Sinnen nachzuziehen suchen,
Denn ihren sonnenkühnen Adlerflug
Verleugnen nur ästhetische Eunuchen.
Es steigt empor das menschliche Geschlecht
Bedächtigen Schritts die wunderbaren Stufen,
Und auch der rohe Bruch von Herr und Knecht
Wird einem feinern Formverhältnis rufen.
Wo sich des Denkers reiner Eifer müht,
Wo Forscherlust lebendige Schlüsse gattet,
[61]
Wo der verborgne Baum der Weisheit blüht,
Dort birg dein Lied, von Einsamkeit beschattet!
Was du nur lebst, abseits dem grellen Licht
Der augenbeizenden Gewöhnlichkeiten,
Was ganz dein eigen, tränke dein Gedicht,
Du leite dich, laß sich die andern leiten!
Nur frei sein, frei, auch von der »Freiheit« frei,
Die vollen Mundes Herrscherlaunen pachtet
Und sich mit bettelarmem Marktgeschrei
Den größten Kundenkreis zu sichern trachtet.
Zeit meiner Ausrufkunst, du bist vorbei,
Nach Lauschereinsamkeit die Seele schmachtet ...
Zurückgezogen in den Kreis der Kraft
Genüg' ich tiefer Dichterleidenschaft.

Lebensplan

Rein zu genießen begehr' ich mein Leben,
Weise durchwandelnd die Tage des Lichts,
Meine Gedanken will ich erheben
Zu den Wipfeln des Weltgedichts.
Saat des Elends begehr' ich zu mindern,
Weil sie die Freiheit der Seele mir stört,
Tat des Unrechts begehr' ich zu hindern,
Weil sie das horchende Herz empört.
[62]
Blumen zu pflücken ist mein Begehren,
Blumen der Liebe, der Kunst und der Flur,
Kinder und Enkel will ich es lehren:
Folgt der erlösenden Schönheit Spur!

An Tomarkin

Alter Tomarkin, Gefährte
Schwermutvoller Schicksalsstunden,
Nun der Seele Flut sich klärte,
Nun ich frischen Mut gefunden ...
Nach der Wirrnis jener Tage,
Drin du hilfreich mich begleitet,
Drin verstummt schien selbst die Klage,
Die im Lied sich Lust bereitet ...
Nimm dies kleine Häuflein Lieder,
Das emporhebt seine Flügel,
Tau der Nacht noch am Gefieder,
Schwebt es über Morgenhügel.
Nein, ich will mich nicht ergeben,
Nein, ich kann nicht unterliegen,
Meine Losung lautet Leben,
Meine Losung lautet Siegen!
[63]
Ruder schon der Hand entsunken,
Wollt' ich hoffnungslos verzichten,
Lethe hätt' ich schier getrunken,
Nicht mehr atmen, nicht mehr dichten ...
Schwellen dunkelblaue Trauben,
Reifend in Septembersonnen,
An mich selber darf ich glauben,
Und das Spiel, es wird gewonnen.

Kling! ...

Kling! ...
Meine Seele gibt reinen Ton.
Und ich wähnte die Arme
Von dem wütenden Harme
Wilder Zeiten zerrissen schon.
Sing!
Meine Seele, den Beichtgesang
Wiedergewonnener Fülle!
Hebe vom Herzen die Hülle!
Heil dir, geläuterter Innenklang!
[64]
Kling!
Meine Seele, dein Leben,
Quellendes, frisches Gebild!
Blühendes hat sich begeben
Auf dem verdorrten Gefild.

Durchs Frühlicht

Gedenke der dunkleren Tage,
Gedenk ihrer nimmer zu sehr,
Geh weiter im Frühlicht und wage
Noch vieles, vieles mehr!
Als du in finsterer Kammer
Gefoltert am Boden rangst,
Schlug der Verzweiflung Hammer
Dein Haupt mit lähmender Angst.
Und Tage krochen und Nächte
Und Monde trostlos vorbei ...
»Erlösung, ewige Mächte!«
Klang deiner Seele Schrei.
Der Todespokal ist gesunken
Aus deiner zuckenden Hand,
Des Lebens rettender Funken
Langsam emporgebrannt ...
[65]
Nun denke der dunkleren Tage,
Doch denk ihrer nimmer zu sehr!
Geh weiter im Frühlicht und wage
Noch vieles, vieles mehr!

Wandlung

Einst sprach das Leid zu mir: du bist verloren,
Zu fest umklammert hält dich meine Hand.
Du glaubtest dich zur Herrlichkeit erkoren,
Nun lähm' ich dir mit Schrecken den Verstand.
Einst sprach das Leid zu mir: du bist verloren.
O schwere Zeit der finsteren Gewalten,
Da ich in Qualen lag, die niemand weiß;
Da mich umarmten widrige Gestalten,
Und fern versank der Jugend Sehnsuchtspreis ...
O schwere Zeit der finsteren Gewalten!
Ich taumelte, ich strauchelte, ich stürzte –
Frag keiner mich, wohin geriet mein Gram!
Als Ekel mir das Mahl des Lebens würzte
Und die Verzweiflung mir den Schlummer nahm.
Ich taumelte, ich strauchelte, ich stürzte.
[66]
Wer löst das Rätsel, wie ich auferstanden?
Geheime Hände hoben mich empor.
Das Leben heilte mich mit neuen Banden,
Und alles ward erfüllt, was ich verlor.
Wer löst das Rätsel, wie ich auferstanden?
Ich bin ein Wundergläubiger geworden,
Seit mir so Wunderwirkendes geschah.
Das Lied der Kraft mit segnenden Akkorden
Umrauschte mich – ein Sieger stand ich da.
Ich bin ein Wundergläubiger geworden.
Verwandelt ist mein Fühlen und mein Sinnen,
Und keiner Wolke Dunst umarm' ich mehr.
Das Nichts verlieren und das All gewinnen:
Gewaltig ist des Lebens Wiederkehr.
Verwandelt ist mein Fühlen und mein Sinnen.
Einst sprach das Leid zu mir: du bist verloren.
Das Spiel war aus und meine Seele tot.
Nun bin ich doch zur Herrlichkeit erkoren,
Zur höchsten Wonne ward die tiefste Not. –
Einst sprach das Leid zu mir: du bist verloren!

[67] Anders

So vielem, was mir klang und scholl,
Ward meine Seele taub und matt,
Ich weiß nicht, ob ich klagen soll,
Bin nun des lauten Tones satt.
Es wuchs in mir, wer sagt woher,
Ein Sinn der stillen Lust empor,
Ich mag das Kampfgeschrei nicht mehr
Und weiß nicht, ob ich viel verlor.
Wie so von ungefähr das kam,
Aus einer Dämmerung der Nacht,
Aus einem tiefen Seelengram,
Daraus ich anders aufgewacht ...
Ob mich Gedankenflug geführt
Zum Thron der feinen Einsamkeit,
Den Ton hab' ich, den Ton verspürt,
Der mich vom Lärm des Tags befreit.
Ihr wartet wohl auf Trommelschlag?
Ich glaube fast, der Tambour fiel,
Doch wenn er nicht mehr trommeln mag,
Ergibt er sich dem Geigenspiel.

[68] Meine Welten

Einst, als mein Herz an Schätzen leer,
In Lüfte griffen meine Hände,
Und Banner trug ich vor mir her,
Die schwang ich, daß ich Ruhe fände ...
Nun brauch' ich keine Banner mehr.
In mir nun trag' ich mein Symbol,
Mein Herz ward selbst mir Ziel und Zeichen,
Der Prunk der Losung dünkt mir hohl,
In meinen Welten ward mir wohl ...
Laßt mich in meinen stillen Reichen!

Besinnung?

Trat ich wohl aus des Lebens Kinderschuhe?
Ist Raub geschehn an meiner Leidenschaft?
Ist das Besinnung? Ist's Verlust an Kraft,
Erschöpfungsarmut oder reiche Ruhe?
Ich fühle doch, ich habe kaum verloren,
Verwundert bin ich über die Natur,
Die mich mit siebenfachem Schwert durchfuhr
Und todeswund mich dennoch neu geboren.
[69]
Einst wilder Strudel, breiter Stromgang heute –
Ließ die granitne Finsternis mich frei?
Es tobt' und schäumte; – das ist nun vorbei,
Ich wurde nicht des grausigen Tunnels Beute.
O süßes Licht der ausgedehnten Wiese!
Wie rollt sich's quallos unerschüttert fort!
Und was die Wellen tragen, Lied und Wort,
Rauscht mir dahin wie Klang vom Paradiese ...

Frage

Nun fragst du wohl und lächelst mild,
Dem jungen Selbstbetrug enthoben:
War das dein eignes Geistesbild,
Das du der Menschheit eingewoben?
War das der Seele Hochzeitstraum,
Mit dem die Erde du umspanntest,
Als du vom Leben nur den Saum
Der lichtbeglänzten Schwingen kanntest?
Das Feuer deiner Jugend schlang
Sich um die Welt im Glutumfassen,
Der Sturm, der dir im Haupte sang,
Schlug auf das Trommelfell der Massen?
[70]
Des Selbstgefühles Ozean
War Liebesflut dir von Millionen,
Dein sehnsuchtsvoller Zukunftswahn
Verzweiflung öder Lebenszonen? ...

Schattenfroh

Meine sonnensatten
Augen,
Die ihr saugen
Mochtet Lichtes nie genug,
Seid vom Schatten
Ihr gewonnen,
Und verronnen
Ist der blendende Betrug?
Meine schattenfrohen
Stunden,
Drin umwunden
Ward mit kühlem Kranz mein Haupt:
Ach, die hohen
Musen haben
Ihre Gaben
Nur verwandelt, nicht geraubt.

[71] Friedensgruß

Aus tiefer Sommerstille,
Von Rosenduft umhaucht,
Nun alles Rohe, Schrille
In scheuer Ferne untertaucht ...
Biet' ich mit frommem Munde
Dem Frieden leisen Gruß,
Streue Blüten in die Runde,
Wo immer segnend weilt sein Fuß.
Ihm zum Willkommen trinke
Vom Mildesten ich zu ...
Ich winke ihm, ich winke
Der schaffensheiligen Daseinsruh.
Wie aus uralten Träumen
Kampfecho klirrt ans Ohr –
Kriegesrosse seh' ich schäumen
Und wild sich bäumen hoch empor ...
Wir sind der Wildheit müde,
Des Hasses weh und wund,
Ein heiliger Menschenfriede
Quillt uns aus tiefstem Herzensgrund.
[72]
Ich muß ihn leise grüßen
Mit frommem Dichtermund,
Streue Blüten ihm zu Füßen
Rings auf dem weiten Erdenrund.
Aus reifer Sommerstille,
Von Rosenduft umhaucht,
Nun alles Rohe, Schrille
In scheuer Ferne untertaucht.

Im Morgenschiff

Schifflein, frühes Schifflein, sollst mich tragen,
Wo die Berge rosig schimmernd ragen,
Durch den Flor, der silberdampfend weicht,
Morgenleicht!
Hinter mir, was dumpf und schwer gelauert,
Vor mir, was mich wellenfrisch durchschauert ...
Fliege, Schwalbe, neues Leben singt,
Lichtbeschwingt!

[73] Dank dir, Erde!

Willst du dich öffnen,
Mein übervolles Herz,
Um auszuschütten
Deines Segens Last?
In dieses goldnen
Herbsttags Fülle
Lohnt es zu schenken
Mit andern Früchten
Der Seele Frucht.
Gefunden hab' ich
Macht in mir selbst,
Fest hier auf Erden
Nun steht mein Fuß,
Und alle Strudel,
Drin ich gewirbelt,
Sind abgeglitten
Von meinem Haupt.
Nun mag mir reifen
Des Lebens Saat,
Die Blitz und Hagel
Doch nicht zerstört.
Ich darf erwarten
[74]
Der Ernte Tag:
Bin vor der Zeit nicht verdorben.
Wer fühlt sich Blume,
Wer fühlt sich Fackel,
Duftet und glüht
In Garten und Welt?
O meine unverwelkte Seele,
Wes ist die Kraft,
Die dich hebt und hält?
Und sank auch manches
Glaubens Blendwerk
Vor deinem glanzbetrogenen Blick,
Dein tiefstes Fühlen
Lebt unverdunkelt,
Stern deiner Sterne
Ob allem Geschick.
Dich reizt zum Leben
Der Seele Wollust,
Sich aufzuschließen
Nach freier Wahl;
Du magst nicht schielen
Nach fremden Augen,
Dich lockt und leitet
Der eigne Strahl.
[75]
Aus wilden Feuern,
Die lodernd sengten,
Geglüht sind Ringe,
Die dich umziehn.
Du bist von kräftigen
Kreisen umhütet,
Davor die Schrecken
Des Daseins fliehn.
In blaue Tiefe nun tauche,
Mein Auge, sonnenverwandt!
Dankbar die Lippe hauche:
Erde, segnende Erde,
Dich lieb' ich, mütterlich Land.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Henckell, Karl. Züricher Bilder. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-4E65-C