[164] Sulamith

[165][167]

Verbirg Dein Antlitz nicht vor mir

Herr! hab' ich Dir nicht Alles hingegeben,
Mein Lieben, Wollen, Denken und mein Sein?
Für Dich, mit Dir, in Dir nur will ich leben,
Nach Dir allein soll treu die Seele streben;
Wo Du ihr fehlst, kennt sie nur Nacht und Pein.
Um Dich hab' ich ein Mutterherz verlassen
Und Bruder, Schwester, Freund und Vaterland.
Ich ließ den vollen Freudenkranz erblassen,
Um Deine Dornenkrone zu erfassen.
O, laß mich nicht! O, gieb mir Deine Hand! –
Du spielst ein grausam Spiel mit meinem Herzen,
Verbirgst mir Deines reinen Lichtes Schein,
Und um mich her seh' ich das Leben scherzen,
Mir bietend tausend bunte Freudenkerzen –
O, laß mich nicht! In Dir ist Licht allein! –

Münster, 1819.

[167] Innere Einsamkeit

Seit Er gestorben, den ich liebe,
Ist mir so fremd und leer die Welt,
Und all mein Sinnen, meine Triebe,
Sie ziehn zum blauen Himmelszelt.
Dorthin ist Er vorangegangen,
Um Den mein trübes Auge thränt.
Dort ist's, wo meine Kronen hangen,
Dort ist, wonach mein Herz sich sehnt.
Ich kann nicht mehr hienieden wohnen.
Hier hab' ich keine Liebe mehr.
Der Erde Kränz' und eitle Kronen
Sind meiner heißen Stirn zu schwer.
[168]
O, warum ist aus Seinen Wunden
Das Leben mir nicht auch entflohn?
Ich hätte Ruh' in Ihm gefunden
Und kniete schon an Seinem Thron. –
Nun muß ich mit gebroch'nem Herzen
Zu Spiel und Mahl und Festen gehn
Und muß mit stillverhehlten Schmerzen
Der Menschen eitles Treiben sehn.
Und pflege doch dies bange Beben,
Das tiefe Weh im Herzen gern;
Und würd' ich um die Welt es geben,
Erst dann wär' Er mir todt und fern.
Jetzt ist Er bei mir in den Schmerzen,
Nur wenn ich Sein nicht denke, todt.
Noch dämmert leise mir im Herzen
Der schönsten Tage Abendroth.
Oft wird die Seele mir so muthig,
Schau' ich der sanften Röthe nach.
Und denke, wie für mich so blutig
Sein treues Herz in Liebe brach. –
[169]
Zwar meine Nacht ist kalt und trübe,
Und was mich freute – es ist todt.
Doch, Heil! bald schimmert meiner Liebe
Des Hochzeittages Morgenroth.
Da zieht mit treuen Liebesarmen
Mich der Geliebte himmelwärts,
An Seiner Brust werd' ich erwarmen
Und selig lächeln wird der Schmerz.
O selig, selig, Den zu küssen,
Der aller Liebe Urquell ist!
O schrecklich, schrecklich, Ihn zu missen,
Der alle Wonnen in sich schließt! –

19. März 1820.

[170] Antwort

Warum ich mir kein Herz erwählte,
Das Liebe sucht' und Liebe bot?
Warum ich Christo mich vermählte,
Ihm treu zu sein bis in den Tod?
Warum ich Ihn allein will lieben,
An Seiner Schöne mich erfreu'n,
Bei Seinen Schmerzen mich betrüben,
In Seiner Liebe selig sein?
Warum? Nicht will ich es euch sagen;
Ihr mögt nur selbst zum Liebsten gehn,
Mögt nur den Allerschönsten fragen,
Warum Er so unendlich schön. –
Gern hätte mich die Welt betrogen,
Sie bot mir all ihr blendend Glück
Da hat Er mich an sich gezogen,
Nun kehr' ich ewig nicht zurück.
[171]
So oft ich einem Erdensohne
In Liebe wollt' entgegengehn,
Da sah ich in der Dornenkrone
Den Liebsten traurig seitwärts stehn.
Und wollt' ich dennoch Ihn verlassen
Und wollte mich dem Andern weihn,
So sah ich Ihn am Kreuz erblassen,
So treu, so liebend, so allein.
Da hab' ich viel geweint, gerungen,
Zu Ihm gewandt den trüben Blick,
Bis siegend ich hindurchgedrungen;
Nun will ich ewig nicht zurück.
Ich gönn' euch ja all' eure Freunden,
Den bunten Tand, ich mag ihn nicht.
All euer Freu'n, all euer Leiden
Ist nicht mein Schatten, nicht mein Licht.
O gönnt auch ihr mir meine Freuden
Und störet meinen Frieden nicht.
In Ihm, mit Ihm ist jedes Leiden
Verklärt und süß und führt zum Licht.

Frühjahr 1820.

[172] Laßt mich allein

O, laßt in stiller Klause
Mein Auge einsam weinen;
Ich will nicht im Gebrause
Der Welt fortan erscheinen.
Mein Herz, ihr Lieben, sehnet
Sich nicht nach ihren Freuden;
Mein düstres Auge thränet
Auch nicht ob ihrer Leiden.
Sie bot mir ihre Freuden –
Ich habe sie verlassen.
Wohl kenn' ich ihre Leiden
Und muß sie ewig hassen.
[173]
Laß nun in stiller Zelle
Mein Herz zu Dem sich heben,
Der einzig ist die Quelle
Von Liebe, Licht und Leben. –
Er läßt im stillen Grabe
Wohl bald mich Ruhe finden.
Was ich gelitten habe,
Kann Er allein ergründen. –
Herr! laß in ew'gem Frieden
Mich dann in Dir erfreuen.
Was ich gefehlt hienieden,
Herr! Du wirst es verzeihen.

Frühjahr 1820.

[174] Stilles Erwarten

Armes Herz, wann endet sich endlich dieses Sehnen?
Wann, o! wann versiegen sie, diese bittern Thränen?
Wie am schwülen Sommertag seufzt nach Thau die Rose,
Wie das kranke Kind sich sehnt nach der Mutter Schooße,
So verlangt mein Herz nach Dir, einzig Holder, Lieber!
Ach, das Leben ohne Dich wird mir täglich trüber.
Wenn das Morgenroth erscheint, ruf' ich: Ach, erscheine!
Kommt der Mond, Dein sanftes Bild, sitz' ich noch und weine,
Daß ich Dich, o göttlich Herz! ach! so spät erkannte,
Daß in dieser sünd'gen Brust fremdes Feuer brannte,
Daß ich Dich durch meine Schuld ließ am Kreuz erblassen,
Daß ich noch im Todeskampf treulos Dich verlassen!
[175]
O, nun muß auch ich Dir nach, auch mit Dir nun sterben!
Nimmer kann hienieden ich Ruh' und Trost erwerben.
Fühl' ich meine Wange kalt, meine Brust beklommen,
Sag' ich: Freue dich, mein Herz, bald nun wird Er kommen.
Seh' ich nur ein welkend Blatt fallen und erbleichen,
Lächl' ich still und sage mir: Bald wirst du ihm gleichen.
Doch so lang' dein Odem weht, sollst als Magd du dienen,
Ob es dir gelingen mag, deine Schuld zu sühnen;
Deiner Thränen herbe Fluth muß noch reicher fließen,
Und du mußt, o böses Herz, hier noch härter büßen.
Endlich rührt Ihn doch dein Leid, reget Sein Erbarmen,
Und du ruhst in Ewigkeit in des Ew'gen Armen.

Herbst 1820.

[176] Im h. Grabe

O, so ruhe nun im Frieden
In der stillen Felsenkluft! –
Ich bin auch mit Dir geschieden,
Deine Gruft ist meine Gruft.
Draußen kalte Winde wehen,
Und die Welt ist leer und arm.
Heiß' mich nie von hinnen gehen,
Hier nur ist es lind und warm.
Draußen mögen Menschen wandeln,
Wenig kümmert mich ihr Thun,
Ob sie reden, ob sie handeln;
Laß in Deinem Grab mich ruhn.
[177]
Geht vorüber! Geht vorüber!
Wälzt den Stein nicht von der Thür;
Der hier ruht, Er ist mir lieber,
Als der Himmel Pracht und Zier.
Gebt nur Acht, ihr rüst'gen Wächter,
Seht mit scharfem Auge zu,
Daß nicht Zion's muntre Töchter
Stören meines Liebsten Ruh'.
Denn ich hab' Ihn nun gefunden,
Den ich liebe, meinen Freund,
Und im Kusse Seiner Wunden
Bin ich selig Ihm vereint.
Und nun muß ich Ihn umfassen,
Bin Ihm ewig nun gesellt;
Nimmer kann ich von Ihm lassen,
Ob auch fällt und bricht die Welt. –
Lehre mich, o Magdalena,
Lieben Ihn, wie Du geliebt;
Ob ich so Sein Herz versöhne,
Das mein Leichtsinn einst betrübt.
[178]
Deine Demuth, Deine Treue,
Deinen Schmerz erflehe ich.
Ganz in Wehmuth, ganz in Reue,
Ganz in Liebe löse mich.
Dein Verlangen, Suchen, Sehnen,
All Dein Büßen, Deine Pein,
Deine Seufzer, Deine Thränen
Sollen fort auch meine sein.
Ob ich so zu Ihm mag dringen,
Neben Seinem Thron einst stehn,
Ob ich so Ihn mag erringen
Und sein göttlich Antlitz sehn!

Düsseldorf, 1821.

[179] Wie anders nun!

Es kam mein Lieb gegangen
Auf grünem Rasengrund. –
Wie leuchten Seine Wangen!
Wie lacht Sein Purpurmund! –
Die Augen, lichte Sonnen,
Sie strahlten mir in's Herz,
Das brach ob solchen Wonnen
Und brach ob solchem Schmerz.
Ganz gab sich's Ihm zu eigen
In süßem Liebestod,
Als Er mit holdem Neigen
Den ersten Kuß mir bot.
[180]
Wie blühte rings die Oede,
Wie tönte rings Gesang,
Als Seine süße Rede
In meine Seele klang!
Bei Seiner Liebe Kosen
Im Morgensonnenstrahl,
Wie flammten hoch die Rosen, –
Wie jauchzten Berg und Thal! –
Doch weh! wie bald entschwunden
War meine sel'ge Lust.
Ich ging, der Liebe Wunden
In sehnsuchtsvoller Brust.

1821.

[181] Er grüßt dich überall

Auf allen Blättern steht geschrieben,
Wie wundergut der Vater ist.
O Herz, wie magst du Ihn nicht lieben,
Der dich aus jeder Blume grüßt? –
Auf alle Blättlein möcht' ich schreiben,
Wie sehr mein süßer Freund mich liebt,
Und all Sein Thun und all Sein Treiben,
Das Er als Mensch für mich geübt.
Auf alle Blätter möcht' ich malen
Des Liebsten klares Angesicht,
Doch alle Farben, alle Strahlen
Erreichen Seine Schöne nicht.
Und allen Bäumen möcht' ich sagen
Von Seiner Treue, Seiner Huld,
Und allen Steinen muß ich's klagen,
Daß Ihn getödtet meine Schuld.

Brinke, 1821.

[182] Ich schaue nach den Bergen, von denen mir Hilfe kommt

Ich lieg' im dunkeln Thale,
So öd' und schauerlich,
Und sehne nach dem Strahle
Des neuen Morgens mich.
Es hat mit Eis umgeben
Der Winter meine Brust;
Es schwieg in mir das Leben,
Der Liebe reine Lust.
Nach Dem ich mich muß bangen,
Der einzig treu und rein:
Ich kann Ihn nicht erlangen
Und kann nicht ohn' Ihn sein. –
[183]
Weht hin, ihr milden Lüfte,
Durch Seiner Locken Zier
Und bringt der süßen Düfte
Von Seinen Bergen mir! –
Ich schau' empor, die Hügel,
Sie stehn so eng' um mich;
O, hätt' ich Taubenflügel,
Mein Freund! ich fände Dich. –
Wann kommst Du, mein Verlangen?
Wann küsset mich Dein Mund?
Wann wird von stetem Bangen
Mein sterbend Herz gesund?
O, möcht' ich Deine Spuren
In dieser Wüst' erspähn:
Es würden bald die Fluren
In hellen Blüthen stehn.
O, dürft' ich Licht und Wonne
Aus Deinen Augen ziehn,
Mir brauchte keine Sonne
Am Himmel mehr zu glühn! –
[184]
Ohn' Ihn ist Alles trübe,
Das Herz so krank und schwer,
Kein Trost und keine Liebe
Auf weiter Erde mehr.
O, daß die Still' erbebte
Von Seinem süßen Ruf!
O, daß Er mich belebte,
Der mir das Leben schuf!

Sondermühlen, 1822.

[185] Trost im Klagen

Kann Dich ein sehnendes Herz, ein weinendes Auge noch rühren,
Lebt noch mein Bildniß in Dir, ach! so erbarme Dich mein!
Komm und befreie das Herz, dem Du Dich einst gnädig erzeigtest,
Komm und erfreue das Aug', das Dich verwundete einst.
Siehe, der Frühling ist da; es blühet die liebliche Schlehe
Und in den Wäldern erschallt längst schon der Nachtigall Lied.
[186]
Unsere Maien sind grün – mich labt nicht ihr freundliches Grünen.
Duftende Veilchen erblüh'n, aber nicht freut mich ihr Duft. –
Einsam verbirgt sich die Taub' im dunkelen, wilden Gehölze,
Ruft durch die Stille des Hains, aber es schweiget der Hain.
Klage, du Arme, mir nur, du findest in mir die Gesellin:
Einsam und sehnend bist du, einsam und sehnend bin ich.
Siehe, ich weiß deinen Schmerz: der Liebste, den du dir erkoren,
Flog in die Ferne dahin, ließ dich Betrübte zurück.
Ach! auch der Einzige mein, den früh meine Seele erwählet,
Floh durch die Wolken hinauf, ließ mich Einsame zurück
[187]
Schwester, nun höre den Rath, den heut meine Seele ersonnen:
Fortan bewohnen nun Zwei liebend und sehnend den Hain,
Girren und klagen vereint und rufen den süßesten Namen,
Bis sich der Flügelein Paar stärker den Schultern enthebt.
Dann, o der Wonne! dann trägt uns über den Mond das Gefieder –
Dann, o der Wonne! dann wird Liebe mit Liebe vereint.
Ach, und das freudlose Heut – wir wollen es duldend ertragen,
Sind wir doch morgen schon Ihm selig dort oben geeint.

Sondermühlen, 1823.


Notes
• Sulamith
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hensel, Luise. Sulamith. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-531F-1