Amnestie

Sie lächeln! – doch ihr Lächeln ist verloren,
Vergebens ihrer Blicke Sonnenschein;
Wie ich für Fürstendonner keine Ohren,
Hab' ich kein Herz für ihre Schmeichelein.
O seht euch vor, es ist ein falsches Treiben!
Und diese Gnade – unser jüngst Gericht!
Wir wollen, Brüder, auf dem Walplatz bleiben:
Die Garde stirbt, doch sie ergibt sich nicht!
In Rosen gilt's die Freiheit zu erdrücken,
Die sich in Ketten nicht erdrosseln läßt:
O gönnt dem Volk, dem Pöbel sein Entzücken,
Dies falsche, heuchlerische Freudenfest!
Ihn hungert wohl, er geht nach seinem Brode,
Das man ihm fürder reichlicher verspricht.
Uns dürstet. Drum: dies Glas dem freien Tode!
Die Garde stirbt, doch sie ergibt sich nicht!
Ei schaut, der Käfig wird nun aufgeschlossen,
Da längst der Vogel nicht mehr fliegen kann.
So mancher unsrer alten Kampfgenossen
Ist nun ein müder, ein gebrochner Mann!
Hübsch sind die Blumen, drin ihr sprecht; nur schade,
Daß draus der Dorn des Despotismus sticht.
Das Recht vor Gott braucht keines Königs Gnade:
Die Garde stirbt, doch sie ergibt sich nicht!
Geschäftig drängt das Volk von nah und ferne,
Des Fürsten Hände küssend, sich heran:
Es sei – wir folgen unserm eignen Sterne,
Des Thrones Himmel ist nicht seine Bahn.
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Mag sich die Welt im Strahl der Gnade sonnen,
Ich kenn' ein Fähnlein doch, das weiter ficht;
Frisch, meine Jugend, frisch den Kampf begonnen!
Die Garde stirbt, doch sie ergibt sich nicht!
Was war denn zu vergessen und vergeben,
Und welche Todessünde zu verzeihn?
Nach mancher Krone pflegten wir zu streben;
Doch sagt, schenkt man in euern Kronen Wein?
Wir wollten uns so gern mit euch versöhnen!
Gebt Raum der Freiheit, wie dem Tageslicht!
Ihr zaudert? – Gut, so laßt den Schlachtruf tönen:
Die Garde stirbt, doch sie ergibt sich nicht!
So will's die Zeit; sie heischet Feuerzungen,
Ihr Sturm verweht der Liebe sanften Hauch;
Doch was wir für die Freiheit einst errungen,
Errangen wir für unsre Liebsten auch.
Wenn alle jubelnd in die Hände schlagen,
Weil 'mal ein Gnadenstrom aus Felsen bricht –
Dann können unsre braven Mädchen sagen:
Mein Liebster starb, doch er ergab sich nicht!

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TextGrid Repository (2012). Herwegh, Georg. Gedichte. Lieder eines Lebendigen. Zweiter Teil. Amnestie. Amnestie. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-5F08-2