Gespräch

Der Jüngere

Ihr gleicht nun völlig dem vertriebnen Herzog,
Der zaubern kann und eine Tochter hat:
Dem im Theaterstück, dem Prospero.
Denn ihr seid stark genug, in dieser Stadt
Mit eurem Kind so frei dahinzuleben,
Als wäret ihr auf einer wüsten Insel.
Ihr habt den Zaubermantel und die Bücher,
Mit Geistern zur Bedienung und zur Lust,
Euch und die Tochter zu umgeben, nicht?
Sie kommen, wenn ihr winkt, und sie verlassen,
Wenn ihr die Stirne runzelt. Dieses Kind
Lernt früh, was wir erst spät begreifen lernten:
Daß alles Lebende aus solchem Stoff
Wie Träume und ganz ähnlich auch zergeht.
Sie wächst so auf und fürchtet sich vor nichts:
Mit Tieren und mit Toten redet sie
Zutraulich wie mit ihresgleichen, blüht
Schamhafter als die festverschloßne Knospe,
Weil sie auch aus der leeren Luft so etwas
Wie Augen stets auf sich gerichtet fühlt.
Allmählich wird sie größer und ihr lehrt sie:
»Hab du das Leben lieb, doch nicht zu lieb,
Und nur um seiner selbst, doch immerfort
Nur um des Guten willen, das darin ist.«
In all dem ist für sie kein Widerspruch,
Denn so wie bunte Muscheln oder Vögel
Hat sie die Tugend lieb. Bis eines Tages
Ihr sie vermählt mit einem, den ihr völlig
Durchschaut, den ihr geprüft auf solche Art,
Die kein unedler Mensch erträgt, als wäre er
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Schiffbrüchig ausgeworfen auf der Insel,
Die ihr beherrscht und ganz euch zugefallen
Wie Strandgut.

Der Ältere

Nun meine ich, ist mir ein Maß geschenkt,
Ein unveränderlich und sichres Maß
Das mich für immer und untrüglich abhält,
Ein leeres Ding für voll zu nehmen, mich
Für Schales zu vergeuden, fremdem Fühlen
Und angelerntem Denken irgend Platz
In einer meiner Adern zu gestatten.
Nun kann zwar Krankheit, Elend oder Tod
Mich noch bedrohen, aber Lüge kaum.
Dazu ist dies mein neues Amt zu voll
Einfacher Hoheit. Und daran gemessen
Vergeht erlogne Wichtigkeit zu Nichts.
Ins Schloß gefallen sind die letzten Türen,
Durch die ich hatte einen schlimmen Weg
Antreten können. Durch und durch verstört,
Im Kern beschmutzt und völlig irre an Güte
Werd ich nun nicht mehr. Denn mich hat ein Glanz
Vom wahren Sinn des Lebens angeglüht.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Hofmannsthal, Hugo von. Gespräch. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-78D7-E