Elegie auf eine Rose

Die schönste Rose, die der Lenz gebar,
Und Zephyr küßte, liegt
Mit welken Busen, mit zerstreuten Haar
Am Boden, und zerfliegt.
Ihr, die, mit voller Wang', am Morgenroth
Die Schwestern überstrahlt,
Ihr hat jetzt, da der Tag entflieht, der Tod
Die Wange bleich gemalt.
Entpurpert liegt sie da! Der Schmetterling,
Der, als ihr Reiz begann,
Voll Lüsternheit an ihrem Busen hieng,
Blickt ihren Rest kaum an.
Der West, der ihr so oft, von Lieb' erhitzt,
Manch süßes Küßchen stahl,
Der lose Flatterer, verläßt sie itzt
Und tändelt durch das Thal.
Du duftetest an keines Mädchens Brust,
In keines Mädchens Haar,
Du arme Rose, die der Flora Lust,
Der Neid der Schwestern war!
Von einem Wirbelwind ringsum bestürmt,
Sank sie zur Erde hin,
Als Donner sich am Himmel aufgethürmt,
Lyäens Lieblinginn.
Kein Amor bettet je in ihren Schooß! –
Selinde kam, und sprach,
Indem ein Thränchen ihr vom Auge floß,
Das schöne Blümchen, ach!
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Notizen
Entstanden 1769. Erstdruck in: Allgemeine Unterhaltungen (Göttingen), 14. Stück vom 16.2.1771.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Hölty, Ludwig Christoph Heinrich. Elegie auf eine Rose. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-7E2A-F