Therese Huber
Klosterberuf

[145] Vorbericht

Ein bairischer Officier, der in Petersburg die Erbschaft eines Verwandten eingeholt hatte, hielt sich im Jahre 1791 einige Wochen in W. in Lithauen auf. Seine Frau war ihm bei dieser beschwerlichen Reise gefolgt, und von Petersburg aus der Frau von Bohuzsky, der Gemahlin des Castellans des Fürstbischofs von W., empfohlen. Dieser Titel: Castellan, bezeichnet in Polen ein ansehnliches Kronamt, aber auch einen Dienst, den der kleinere Adel bei dem größern bekleidet, und der oft die Aufsicht über einen so großen Umfang von Gütern in sich begreift, daß ihre Eigenthümer in dieser Rücksicht mit den größern deutschen Reichsfürsten hätten verglichen werden können. Dieses war bei dem Fürstbischof der Fall, und Bohuzsky, selbst aus einer sehr guten, aber verarmten Familie, mit der Tochter eines Grafen G–ky vermählt, ein angesehener Mann. Das gastfreie Haus dieses Mannes bot der jungen gebildeten Deutschen einen angenehmen Aufenthalt dar. Neben dem nationellen [145] Charakter von Entschlossenheit, Lebhaftigkeit, Sinnlichkeit, Selbstsucht, den sie auch in diesem Kreise erblickte, fiel ihr, unter den zahlreichen schönen Weibern, die Tochter des Castellans aus einer ersten Ehe, ein noch sehr junges Mädchen, auf. Sie schien einer ganz andern Welt anzugehören, Hoheit und Hingebung, Kälte und Innigkeit wechselten in ihrem Wesen, und brachten eine sonderbare Disharmonie in Zügen hervor, bei denen die Natur den höchsten Einklang beabsichtigt hatte. Diese Sonderbarkeit zog Eugenie, so hieß unsere Reisende, an, sie näherte sich dem Mädchen Anfangs aus Neugier, bald verband sie sich ihr aber durch theilnehmende Freundschaft; und die nachfolgenden Blätter, Selbstbekenntnisse, welche die junge Polin für ihre Freundin aufsetzte, waren das Resultat dieser Verbindung. Die Fortsetzung ihrer Geschichte ist aus Eugeniens Feder – sie bildete sie aus Bruchstücken, die sie bei einer Reise nach Schlesien im Jahre 1807 einsammelte. Das Ganze mußte unvollkommen bleiben, weil Bohuzsky's Tochter selbst und alle ihre Umgebungen nie daran dachten, daß ihr Schicksal in Zusammenhang sollte gereiht werden, es mußte auch unvollkommen bleiben, weil der Zeitpunkt noch so nahe und die Umstände so wahr sind, daß man an vielen Orten den Zusammenhang der Schonung gegen Lebende und Todte aufopfern mußte. Für ein fühlendes Herz wird aber doch einer daraus hervorgehen, den das Schicksal hineinlegte; es wird ein liebendes Gemüth erblicken, das, im Schoße der Unnatur seine höhere Bestimmung ahnend, die höchste Unnatur, das Klosterleben, zu erreichen [146] strebt, weil es dort Mittel zu lieben und zu wirken vermuthet, ein Gemüth, dem das fürchterlichste Unglück seine Sehnsucht nach Wirksamkeit stillt, und das endlich, durch seinen innern Reichthum gestärkt, im liebenden Vergessen seiner selbst mit der Welt versöhnt wird.

Dieser Gesichtspunkt rechtfertigt keinen der zahlreichen Mängel dieser Geschichte, er entschuldigt keinen, er zeigt nur den Theil dem Leser an, um dessentwillen er sich jedem billigen Tadel gern aussetzt.

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Erster Abschnitt

Ich begreife nicht recht klar, warum Sie die kleine Geschichte meines Lebens, die so unbedeutend ist, die so bald für die Welt ganz aufhören wird, schriftlich von mir haben wollen. Ist es ein mitleidiger Kunstgriff, mir durch die ungewohnte Beschäftigung, zusammenhängend über einen Gegenstand zu schreiben, meine Trennung von Ihnen erträglich zu machen? Der mislingt, meine Freundin! ich werde noch um so viel mehr an Sie denken. Erzählte ich Ihnen nicht schon Alles, was mein junges Herz beschäftigt hatte? Nahmen Sie meine Sehnsucht, meine Thränen, meine Wünsche nicht in Ihren Busen auf? Aber Sie legen es mir als eine Pflicht der Freundschaft auf, in meine Kindheit zurückzugehen, von meiner Mutter Schicksal zu beginnen, und fortzufahren bis zu dem Augenblicke, wo ich Sie kennen lernte. Das wird langsam gehen, denn Sie wissen, wie weniger Augenblicke Herr ich bin. Das wird schlecht gehen, denn ist gleich Deutsch die Sprache meines Herzens, so schrieb ich doch wenig in ihr, so [148] wenig wie im Polnischen, denn was hat ein Mädchen bei uns zu schreiben? was darf sie schreiben? – Ich machte mir einmal Auszüge aus den Kirchenvätern, die der Bischof alle in französischen Übersetzungen hat. Das entdeckte meine Stiefmutter und nannte es Kopfhängerei. Sie verklagte mich bei meinem Beichtvater, und der nannte meine Beschäftung einen unweiblichen Vorwitz, der dem Zweifel den Weg bahne. Zu meinem Unvermögen in der Sprache und im Styl kommt noch mein Mangel an Zeit. Der Sommer – denn Sie behaupten ja, wir haben keinen Frühling – führt so viele Gäste herbei, daß meiner Mutter Putzzimmer am Vormittage nicht leer wird. Von der bischöflichen Tafel darf ich mich nicht mehr ausschließen, und selten darf ich von da bis zur Abendpromenade nach Hause zurückkehren. Ihrem Rathe zu Folge widerstrebe ich nie mehr den Befehlen meiner Eltern, an der Tafel Theil zu nehmen. Ich sehe wohl, daß ich dadurch die Hoffnung bei Ihnen errege, dem Schleier doch endlich noch zu entsagen. Das thut mir weh! Denn bei meinem festen Beharren erscheint meine jetzige Willfährigkeit endlich als Falschheit. Jetzt hat es aber wirklich die Folge, mir viel Freiheit in der Anwendung meiner Zeit zu verschaffen; die Gesellschaftsstunden ausgenommen, bekümmert sich Niemand um mein Thun und Lassen.

Die Begebenheiten, welche die letzten Lebensjahre des letzten sächsischen Königs und die des Mannes ausfüllten, der jetzt unsere Krone trägt, sind den Ausländern wenig interessant. Ich war oft erstaunt, mit welchen [149] genauen Umständen Ausländer die Empörung der Amerikaner schilderten, wie sie jede Antichambreveränderung am Versailler Hofe kannten, und von dem schrecklichen Kampfe, für den in Polen Jahre lang das edelste Blut floß, von Thaten, die Griechenland und Rom verewigt hätte, kannten sie nur die rohen Umrisse. Ehemals konnte ich mit glühendem Unwillen die Helden meines Volkes diesen Unbilligen verkünden. – Wie aber dieses Volk so muthig seine Fessel zu brechen schien, glaubte ich in jedem Beschlusse für die Freiheit eine Hymne an Madalinsky's Grabe, eine Todtenfeier für so vieler Edeln Manen zu hören, und die Unwissenheit der Fremden ward mir gleichgültig. Jetzt! – nun Verrath von allen Seiten seine giftige Hand an die freiheitklopfenden Herzen legt, gebietet Scham, bittere Scham mir Stillschweigen. – In jener Zeit des namenlosen Elends und der unaussprechlichen Unterdrückung war mein Vater ein Jüngling und focht, der Partei, welcher seine Familie schon lange anhing, gemäß, für die Sache des tapfern Herzogs von Kurland, Augusts Sohnes. Persönlichen Muth machte ihm nie Jemand streitig, denn er war in Mitau Karln zu Hülfe geeilt, und jene Begebenheit war auf immer Zeugniß der Tapferkeit. Wie alle Aussicht, einen sächsischen Prinzen auf unsern Thron zu setzen, vernichtet war, gerieth er, und noch mehr sein Vater, in einige Verlegenheit. Das Vermögen der Familie war in dem Luxus des Hofes und nachher durch ihre Anhänglichkeit an das sächsische Haus verschwendet worden, der neue Kurfürst hatte weder Mittel, noch Neigung, sie zu entschädigen, mein[150] Vater faßte also den Entschluß, sich am russischen Hofe einzuschmeicheln und auf diesem Wege in Polen eine Lage zu gewinnen, die seinen Glücksumständen wieder aufhelfen sollte. Zu diesem Plane war eine Reise nach der Hauptstadt von Frankreich, die Ausbildung, welche der Umgang mit dem Hofe und den Weibern gab, ein eben so sicheres und weniger gefährliches Mittel, als in Polen durch russische Hülfstruppen die polnischen Freiheitsverfechter zu würgen. Sie haben selbst meines Vaters einnehmendes Wesen bewundert, denken Sie seine schönen, edeln Züge, ehe Leidenschaft sie bearbeitete, denken Sie sein Auge mit dem Ausdrucke von Ruhe ..... Wischen Sie das Andenken seines Lebens von diesem schönen Gesichte, und Sie werden wohl begreifen, wie es meine Mutter anziehen mußte. Es war bei seiner Rückkehr von Paris, wie er, ohne sein Vaterland zu berühren, nach Rußland zu gehen im Begriff war, als er sie in Breslau auf einem Balle kennen lernte, wo ihn der Gouverneur, dem er von Berlin aus empfohlen war, einführte. Meine Mutter war das einzige Kind eines reichen Edelmannes; Alles, was nicht Mannslehen war – und der meiste Reichthum war durch Heirathen in die Familie gekommen – fiel ihr zu; sie ward also von einer Menge von Freiern umlagert, die ohne ihren Mahlschatz gewiß ihre Liebhaber gewesen wären; denn sie war ein Engel an Schönheit und Güte. Aber sie war protestantisch, und mein Vater katholisch, und meine Großeltern theilten das Vorurtheil, das Ihre Landsleute gegen mein Vaterland haben. Auf meine Mutter mußt es nicht wirken, oder [151] sie mußte den Religionsunterschied nicht so schneidend fühlen, denn sie gab sich ihrer Liebe ganz hin, sie bestritt jeden Einwurf der besorgten Eltern mit der Bitte um das Glück ihres Lebens, und trug den Sieg davon. Sie war siebzehn Jahre alt, sie hatte so vortreffliche Eltern, – sie ward so innig geliebt, – ach, sie muß meinen Vater vergöttert haben! – aus den Armen zärtlicher Eltern einem Manne zu folgen? – ich habe dafür keinen Begriff.

Wie es zur Abschließung des Ehecontracts kam, gerieth mein Vater in einige Verlegenheit, die ihn aber seine angeborne Leichtherzigkeit und seine Liebe bald beseitigen ließ. Seine Erwartung, viel Geld zu erhalten, war für den Augenblick getäuscht und für die Zukunft durch Bedingungen beschränkt. Mein Großvater bestand darauf, daß keines seiner Kinder dem geistlichen Stande gewidmet werden könnte, und die Töchter der Mutter Glauben befolgten; im Gegentheil sollte alles Vermögen nach meiner Mutter und meines Vaters Tode der Familie meiner Mutter wieder heimfallen; ein sehr ansehnliches Jahrgeld war Alles, was er erhielt, was aber bei seinen beträchtlichen Schulden seine Lage nicht unabhängig machte. Wahrscheinlich sind mir nicht alle Umstände der Heirath bekannt; meine mütterlichen Großeltern mußten von der Lage meines Vaters nicht ganz unterrichtet gewesen sein, um ihm ihr einziges Kind in einem fremden Lande anzuvertrauen; mein Vater muß auch gehofft haben, den Ehecontract mit der Zeit günstiger auslegen zu können. – Genug, daß meine arme Mutter Vaterland, Liebe und Glück verließ, um in [152] diesem Lande der Zwietracht und des Lasters ein verkümmertes Leben und ein frühes Grab zu finden. Ich bin jetzt achtzehn Jahre alt, ich war ein Kind, wie sie starb; meine Vernunft war, so lange sie lebte, noch zu ungebildet, um ihre Lage und ihr Schicksal zu verstehen, aber meinem Gedächtniß drückten sich tausend Bilder ein, die seitdem zur Reife meiner Vernunft viel beitrugen. So lange sie lebte, schloß sie einen Zauberkreis um mein Dasein, der die Schuld entfernte. Ich kannte nur Unglück, und dieses nur in Gestalt der Armuth und der Sklaverei, und die Thränen meiner Mutter glaubte ich nur für die Sehnsucht nach dem Vaterlande und für den Verlust ihrer Eltern vergossen. Wie sie nun ihre strahlenden Augen schloß, wie sie nun die feste Burg der Ruhe einschloß im stillen Grabe, wie der unnennbare Schmerz der zerstörenden Zeit, die auch den Schmerz bändigt, nach und nach Raum ließ, und ich wieder hörte und sah, und ich den Zauberkreis, den die Muttersorge um mich gezogen hatte, gebrochen sah, und von allen Seiten das Laster zähnefletschend mich umringte, wie ich nun der Mutter Thränen verstand – O daß ich Jahre lang diese Thränen sah und nicht verstand! – Schweig, Sprache, schweig, Lallen des Kindes, das nie mein Elend schildert! – mich rettete nur ein Wunder, nur unzählige Wunder, die in tausend Gestalten meine Reinheit bewahrten.

Vor meiner Geburt gab meine Mutter ihrem Gemahl zwei Söhne, die in dem ersten Jahre rüstig heranwuchsen und die Erbschaft meiner mütterlichen Großeltern meinem Vater zuzusichern schienen. Die ersten [153] Jahre ihrer Ehe waren die leichtesten; sie verlebte sie in den glänzendsten Cirkeln des petersburger Hofes, zu denen mein Vater durch Empfehlungen und persönliche Liebenswürdigkeit, so lange es seine Mittel erlaubten, Zutritt hatte. Allein bald ward es klar, daß seine Vorzüge wol eine angenehme Lage in der gesellschaftlichen großen Welt verschaffen, aber keinen merklichen Einfluß in die Geschäfte gewinnen konnten. Nicht als gehörte dazu wirkliches Verdienst – davon beweist die ganze Geschichte meines unglücklichen Landes das Gegentheil –, aber Glücksfälle bedarf es, und die wollten meinen Vater nicht begünstigen, oder ein polnischer Stolz, den sein Charakter nie verlor, und durch den er sich mit allen seinen russischen Beschützern nach und nach entzweite, mochte ihm im Wege stehen; er war genöthigt, Petersburg nach vier Jahren viel ärmer zu verlassen, als er hingekommen war, um in Warschau auf einem sehr bescheidenen Fuße zu erscheinen. In Petersburg hatte meine Mutter die Verschiedenheit ihrer Lage gegen die in ihrem Vaterlande nicht so schneidend gefühlt. Sie liebte ihren Gemahl mit der Innigkeit eines jungen, mit schwärmendem Gefühl begabten Weibes, sie sah von dem fremden Lande nichts als die Gesellschaftssäle; sie hörte von den fremden Menschen nur, was man ihr zu gefallen in ihrer Muttersprache sagte, denn russisch versuchte sie nicht zu lernen, und französisch lernte sie erst durch den Gebrauch, sie hatte es bis dahin nur nothdürftig zu lesen verstanden. Sie war schön, sie tanzte, sie sah viel Neues, sie hatte zwei Schwangerschaften, zwei Kindbetten, die ihr Aufmerksamkeit [154] zuzogen, die Menschen ehrten vielleicht ihre Unschuld, oder die Russen waren sittlicher als der Hof des Königs Stanislaus, genug, daß es meiner Mutter in Petersburg nicht so auffallend ward, unter wie verschiedenen Menschen sie lebte. In Warschau änderte sich ihre ganze Lage. Meine Großeltern in Schlesien waren über das Betragen meines Vaters sehr unzufrieden, sie beschuldigten ihn der Falschheit in der Darstellung seiner Lage, des Misbrauchs von seiner Frauen Einkünften, und weit entfernt, ihn reichlicher zu unterstützen, suchten sie meine Mutter zu einer Trennung von ihm auf unbestimmte Zeit zu vermögen. Vor meiner Mutter sank nach und nach die Täuschung, die ihr Glück vorgespiegelt und Unglück versteckt hatte, nieder. In dem engen Beisammensein eines beschränkten polnischen Haushaltes sah sie die Nation, der sie nun angehörte, in ihrer ganzen Barbarei und Verderbniß. Bei der Partei, der mein Vater anhing, lernte sie keine ihrer Tugenden kennen, ja die Helden, die bei Baar sich vereinigten, die bei Chozim bluteten, die den Tod in tausend Gestalten für das Vaterland bekämpften und erduldeten, blieben ihr damals unbekannt. Nun lernte sie auch meinen Vater ganz kennen. Ihn schildere ich nicht, er ist nur, was er aus seiner Nation und unter seinen Landsleuten werden mußte, sobald er unter russischem Schutz ein Pole sein wollte.

O meine Freundin! diesen Punkt berühre ich nicht. Sie behaupten, das Weib solle keinen Patriotismus besitzen, oder könne nicht – denn ich begreife die Sache so wenig, daß ich die Worte nicht fassen kann; in Polen [155] ist es dem Weibe noch erlaubt, Theil zu nehmen an den Begebenheiten, denen es Mann, Kinder, Brüder mit Freuden Leben und Vermögen opfern sieht, das sie anspornt, Alles fröhlich dahinzugeben. Ich habe nie ein anderes Land als Polen gesehen, ich weiß nur, was mir meine Mutter erzählte, von den reinlichen Dörfern ihres Schlesiens, von den blühenden Obstwäldern um die wohnlichen Hütten, von dem Gewühl fröhlicher, reinlich gekleideter Landleute in den betriebsamen Städten, von dem vielen Interesse des Wissens, der Kunst – wie ihr Vater von gelehrten Männern besucht wurde, wie ihre Vettern an der Vervollkommnung der Güter arbeiteten, wie sie Fabriken und Ackerbau unter ihren Unterthanen beförderten – wenn sie mir unaufhörlich diese heitern Bilder hinstellte neben unsere lithauische Wirklichkeit – so weinte ich über mein Land, und liebte es, wie man einen Unglücklichen liebt. Diese elenden Hütten, dieses verkrüppelte Menschengeschlecht, diese Sklaven, die meine Füße umklammern, die eines Schergen Peitsche von der Dumpfheit zum Lasttragen aufruft – in ihnen schläft ein Funke göttlichen Ursprungs, wie Friedrichs Seele war, göttlich, wie die der deutschen Männer, deren Schriften meiner Mutter Geist und Herz bildeten; und mit einer Wehmuth, die meines Lebens Bestimmung entschied, liebe ich das beeinträchtigte, stiefmütterlich behandelte, hintangesetzte, zertretene Volk. Wenn eine unserer Leibeigenen mir ihr neugebornes Kind zeigt, drück' ich's an mein Herz, hebe es zum Himmel, und reiche es gegen den Strahl der Sonne, und möchte rufen: Du Gott! Gott! Aller [156] Gott! dieser Mensch könnte ja ein freier Mensch werden, warum wird er ein thierischer Sklav? – und meine Thränen benetzen das Wesen, das den Stempel der Herabwürdigung in seinen stumpfen Zügen trägt.

Ach, ich erzähle schlecht! ich sehe wohl, daß ich Ihnen wenig sagte bis jetzt. Ungewohnt, von Herz zu Herz zu sprechen, erzählte ich Ihnen todte Thatsachen, und mein Gefühl blieb verschlossen in meiner vollen, schmerzenvollen Brust. Jetzt löst es sich in der Stille des Denkens und Schreibens, ungezügelt durch die ungewohntere Umgebung Ihrer Gegenwart, ungestört durch die Ungelenkigkeit meiner Zunge, der die deutschen Töne verboten sind, seit meiner Mutter Stimme im Grabe verhallte.

Vielleicht hatte mein Vater nie strenge Begriffe von ehelicher Treue, vielleicht verführte ihn erst die Beschränkung seines warschauer Hauswesens, fremden Genuß, oder Genuß ohne Haussorgen zu suchen – genug, daß meine Mutter auch diesen Schmerz kannte, daß sie die Folgen von ihres Gatten Irrthum auf eine Art büßte, der kein Mann sein Weib aussetzen kann, ohne alle Gesetze der Menschlichkeit mit Füßen zu treten. Aber meine Mutter liebte nur ihn, sie war schutzlos ohne ihn, er war der Vater ihrer Kinder, und sie betete diese Kinder an. Ihr weiches Herz bedurfte einen Vertrauten, einen Schutz gegen die Anmahnungen ihrer zürnenden Familie, gegen die Trostlosigkrit ihres Herzens, gegen die Verderbniß, die sie umgab, die ihre noch anziehende Schönheit von allen Seiten angriff; ihr Gatte lernte nicht, dieser Vertraute zu sein, sie näherte sich [157] also einem Geistlichen ihrer Kirche. Statt eines Trösters, eines Versöhners, eines weisen Freundes, fand sie einen finstern Eiferer, einen kalten Strafprediger. Er fing damit an, sie selbst erst bekehren zu wollen, weil er die zufällige Entfernung von dem äußern Gottesdienste ihrer Kirche, in der sie seit einigen Jahren gelebt hatte, als die Sünde schilderte, für welche Gottes Strafgericht über sie hereinbreche. Ein fürchterliches Schicksal drohte in diesem Zeitpunkte meiner unglücklichen Mutter: Verzweiflung an Religion und Tugend. Ihr durstiges Herz fand nirgend Labung, nirgend ein Gefühl des Friedens. Unempfindlichkeit schien ihr die einzige Waffe gegen herannahende Armuth, gegen erloschene Gattenliebe, gegen auffodernde Verführung. In dieser Stimmung gerieth sie an einer Charfreitagsvorfeier zufällig in die Kirche eines Frauenklosters, wo das »Stabat mater« aufgeführt wurde. Sie hatte den katholischen Gottesdienst Anfangs, wie sie ihr Vaterland verließ, aus einer Scheu vermieden, die, wie sie mir sagte, Protestanten leicht gegen ihn haben; so war sie in die Gewohnheit gerathen, in keine katholische Kirche zu gehen. An diesem Tage brach vor der Kirchthüre ihr Wagen, es regnete stark, und sie trat in die Vorhalle, um ein anderes Fuhrwerk abzuwarten. Die Töne jener göttlichen Musik zogen sie mächtig an, sie trat näher, sie hörte zu; ihr Herz, das schon lange nach Verhärtung rang, um der Verzweiflung zu entgehen, schmolz vor dem Geiste himmlischer Wehmuth, den die Harmonie um sie her ergoß. Gewiß sagte sie mir nie Alles, was in ihr vorgegangen war, gewiß war sie sich nicht[158] Alles bewußt, was die gute Gottheit in ihr wirkte – aber sie fand Thränen wieder, fand Schmerz wieder, konnte wieder beten – es zog sie mit unnennbarer Gewalt zu einer menschlichen Darstellung des Allbarmherzigen, zu einer sinnlichen Darstellung seiner Gegenwart, die ein Gleichgewicht hielt allem Jammer, der in der Sinnenwelt sie bestürmte, und so fand sie sich in Thränen hingegossen vor der Statue einer Schmerzensmutter, welche die Menge kniend umgab. Die Musik schwieg, meine Mutter eilte nach Hause, und ein peinigender Zweifel, ob der Trost, der ihr in dem fremden Tempel ward, nicht Sünde sei, quälte sie in der folgenden Nacht, und unterbrach mit Mislauten die Himmelstöne, die noch vom Kreuze herab zu ihr herschallten. Bald konnte sie der Sehnsucht, noch einmal Trost zu empfinden, nicht mehr widerstehen, sie suchte im Halbdunkel des sinkenden Tages die Kirche wieder auf und betete und weinte in der einsamen Halle. Beim Herausgehen begegnete sie einem alten Franziskanermönche, der sie deutsch grüßte; wie ein Blitz fuhr ein Gedanke durch ihren müden, gespannten Sinn, den sie, noch ehe er ihr klar ward, ausführte. Sie legte ihre Hand auf des Mannes Arm und fragte in ängstlicher Eile: Ich bin eine Protestantin, aber es gibt mir Trost, hier zu beten; darf ich Das, ohne daß der Papst mich zu seiner Kirche zählt? – »Gott ist überall, wo bedrängte Herzen ihn suchen,« erwiederte der Mönch nach kurzer Besinnung mit ruhiger Stimme, »unsere Kirchen ständen nicht zu jeder Tageszeit offen, wenn wir ihren Trost nur mit Ausschließung wollten angedeihen lassen.« Er [159] ging langsam von ihr, indem sie beruhigt, aber von Sehnsucht nach Hülfe von außen getrieben, noch zögerte, ihn mehr zu fragen als das. Von diesem Tage an gewöhnte sich meine Mutter an stille Stunden frommen Nachdenkens, in welches bald ihr leidenschaftliches Flehen überging. In ihrer traurigen Wohnung wurden sie ihr nicht geschenkt; Unordnung, Mangel, lärmende Spieler entzweiten sie dort mit sich selbst; in den stillen Gewölben der Tempel fand sie Ruhe, und wenn ungewöhnliche Leiden sie trafen, suchte sie kindlich die Nähe der Dulderin, vor deren Bilde sie einst so unerwartet Trost gefunden hatte. Der Tod ihrer Söhne, die bald nacheinander an den Blattern starben, machte sie noch vertrauter mit dem Troste des Gebetes, das im Nachdenken über uns und Erhebung unserer Seele zu Gott besteht. Nein, gewiß, meine Mutter hat mir nie ein Wort gesagt, das mich aufgemuntert hätte, die Religion ihrer Eltern zu verlassen, sie selbst ist nie dazu in Versuchung gewesen, sie wies nur den Zauber nicht von sich, den unser Gefühl und unsere Phantasie – ach! den unsere Menschheit in den sinnvollen Bildern der katholischen Kirche findet. Wenn es mir jeder fühlende Mensch vergönnt, daß der Anblick der aufsteigenden Sonne, daß die thaubedeckte Flur, daß so viele Scenen der Schöpfung mein Herz dem Irdischen entreißen und mich über den schweren Erdendunst auf Momente zum ewigen Anschauen erheben, warum nennen sie das weniger Abgötterei, Aberglauben, als wenn ich im Tempel das Heiligste fühle? als wenn im Orgeltone, im Weihrauchgewölke meine Seele emporsteigt über Grab und [160] Tod und Leiden? als wenn die freundlichen Bilder der Heiligen mich an ihre Tugenden mahnen? als wenn ihre besiegten Leiden mir Pfand meines Überwindens sind? – Das Kind, das fern von der Heimath mit sehnendem Schmerze des Vaters, der Brüder gedenkt, das sie im Herzen trägt immerdar, das sie sieht überall, wo sein Blick Freude sucht, darf es nicht vor dem Bilde seines Vaters inniger weinen? Wenn es eines seiner Kleidungsstücke hätte, dürfte es das todte Gewand nicht küssen, nicht feierlicher vor den täuschenden Zügen ihm geloben: Vater, ich bleibe Dein! – Nein, meine Mutter hat mir das Alles nicht gesagt, sie wäre nie katholisch geworden, und ich würde es nie, wenn ich einen andern Weg zu meinem Heile wüßte. – Doch, ich verliere den Faden meiner Geschichte, in der mich äußere Unterbrechungen und mein eignes Gefühl mehr stören, als ich voraussah. Aber Sie erreichen Ihren Zweck nicht! Indem ich mich Ihnen erkläre, finde ich mehr Überzeugung, auf meinem Entschlusse zu beharren, als vorher.

Die innere Ruhe, die meine Mutter zu genießen anfing, zog ihr von außen her neue Leiden zu. Mein Vater bemerkte oder erfuhr ihre häufigen Besuche katholischer Kirchen und gerieth auf den Gedanken, daß ihre Schwärmerei, wie er die Stimmung ihres Gemüthes nannte, sie zu einem Schritte verleiten möchte, der ihn aller Hoffnung auf ihr Vermögen beraubte. Diese Besorgniß machte ihn aufmerksamer auf ihre Zufriedenheit; ihre zunehmende innere Ruhe gab ihr eine Duldsamkeit und Gefälligkeit gegen seine Schwächen, die ein [161] besseres Verhältniß zwischen ihnen herstellte. Seine ökonomische Lage war in dieser Zeit so gesunken, daß er sich zu dem demüthigenden Entschlusse bequemen mußte, die Stelle anzunehmen, die er noch, aber freilich unter Bedingungen bekleidet, die mir immer unbegreiflicher werden. Schon seit einiger Zeit hatte ihn das Spiel mit dem Fürstbischof bekannt gemacht, er ward vertraut mit ihm, besorgte ihm einige Geschäfte zu seiner Zufriedenheit, und übernahm zu eben der Zeit, wo meine Mutter mit mir schwanger ward, die Intendanz seines ganzen Vermögens, was beinahe nichts Anderes heißt, als: die Auftreibung neuer Darlehen und die Beschwichtigung aller Gläubiger; denn indem der Fürst in einem Glanze lebt, der Sie den Luxus Ihrer regierenden Fürsten verlachen macht, befindet er sich in einer Lage, in welcher er in einem Lande, wo Gesetze walten dürfen, längst ehrlos geworden wäre. Ich ward hier in W–ky, welches damals aus einer Einöde hervorgezaubert wurde, geboren, und meine Mutter gefiel sich in dieser reizenden Gegend so wohl, daß sie sich seitdem zu keinem andern Aufenthalt entschließen wollte, so häufig mein Vater die weitverbreiteten Güter des Fürsten besuchen mußte. Ein Zufall, der für meine Mutter an das Wunderbare grenzte, so einfach er war, trug viel dazu bei, ihre Geistesruhe zu befestigen, so daß sie nie glücklich war, aber doch nie mehr von den äußeren Umständen überwältigt wurde. Die Jahreszeit, wo der Fürstbischof nicht anwesend war, ausgenommen, war es ihr während meines Vaters langen Abwesenheiten vergönnt, nach ihrem Gefallen zu leben. Die häufigen Besuche, die er [162] gern aufnahm, fielen dann von selbst hinweg, sie hatte die Landessprache völlig erlernt, die reiche Büchersammlung des Bischofs stand ihr offen, sie zauberte sich eine arme Täuschung vor von einem Leben, wie sie es in dem Vaterlande hätte führen können, wenn ihr Herz eine andere Wahl gemacht, ihr Schicksal eine andere Wendung genommen hätte. In einem dieser einsamen Zwischenräume, wie ich noch an ihrer Brust lebte, besuchte sie ein Franziskanerkloster in Beniakony, um den heiligen Stephan zu sehen, von dem ich Ihnen erzählte, daß er nachher meiner kindlichen Phantasie das Ideal zu meinem Schutzgeiste gab. Der Jüngling steht an die Säule gebunden, mit zurückgelegtem Haupte scheint er in einen himmlischen Gedanken verloren, seine auf den Rücken gebundenen Arme täuschen, denn so verschlang er sie freiwillig in ruhigem Nachsinnen – – der ganze Körper ist durch Jugend und geistigen Ausdruck verklärt, die Pfeile in der geliebten Brust erfüllen mit Entsetzen, und wenn der Blick auf die Bogenschützen fällt, die sie abschossen, wird es klar, wie sie, von Schrecken ergriffen, bei dem Anblicke des Heiligen vor ihrem Morde zu fliehen im Begriffe sind. Meine Mutter stand entzückt vor dem vollendeten Sieger, bis ihr Blick an einem Mönche, der sich ihr näherte, bekannte Züge erblickte; es war derselbe, der in Warschau in jener Kirche ihr zweifelndes Gewissen so wohlthätig beruhigt hatte. Ohne ihn an jenen Augenblick zu erinnern, knüpfte sie ein Gespräch über das Gemälde und ihren Genuß bei seinem Anschauen an, sie fand so viel Befriedigung in ihm, daß sie ihn einlud, sie in W–ky [163] zu besuchen. Diesem Manne habe ich Alles zu danken, was in mir Gutes lebt; er setzte, nach meiner Mutter Zeugniß, sie in den Stand, mich zu erziehen, lehrte sie, ihre Gefühle und ihre Ansichten zu ordnen, so daß Harmonie in ihr Leben kam, die mir – nicht Überlegenheit, nicht Ausbildung, aber einfachen Willen erlangen half. Pater Amadeus war ein Deutscher, er hatte ein reiches Leben voll Schmerz und Seligkeit gelebt, Wissenschaft war ihm zuletzt allein übrig geblieben, alles Andere nahm ihm der Tod und die Zeit. Vermögen hatte er nie; ein Schicksal, das er Irrthum eines Mächtigeren nannte, bei dem aber jeder minder Weise über Ungerechtigkeit und Verfolgung geklagt hätte, zerstörte seine bürgerliche Lage; er nahm den Rest seiner Habe, reiste damit einige Jahre nach Italien und nach Griechenland, und nahm dann in diesem Kloster das Ordenskleid, weil er in Griechenland einen gelehrten Mönch aus dieser Stiftung kennen lernte, der ihm die Hoffnung gab, seinen Trieb nach einsamem Forschen hier befriedigen zu können. Das muß Ihnen als Fremden eben so gut wie dem roheren Theile unserer Nation unbekannt sein, daß wir Klöster haben, wo im Einzelnen wissenschaftliches Forschen eben so in den Mantel des Geheimnisses gehüllt wird, als in vielen Laster und Unthaten. Amadeus war nicht Katholik gewesen. – Bedarf ich eines Symbols für die Gottheit, sagte er zu meiner Mutter, so ist das katholische das erhabenste; bedarf ich einer Lehre, so ist sie die consequenteste; bedarf ich eines Cultus, so erhebt der mein Herz am höchsten; sollte ich also ein Bekenntniß ablegen, so müßte [164] es das katholische sein. Er lebte der Wissenschaft und der Wohlthätigkeit – der Sprache ward er bald mächtig, und nun war er der thätigste Seelsorger der Gegend, war Arzt, war Rathgeber, und ward mein Schutzgeist von früher Kindheit! O lebte er noch! hätte er diesen Zeitpunkt erlebt, er würde eine Stütze der Freiheit, er würde eine Sonne der Gerechtigkeit geworden sein.

Sie werden nun denken, daß Amadeus Denkungsart die meinige geworden ist, daß ich ihm meinen Eigensinn, in das Kloster zu gehen, ihm mein Beharren, eine andere Religion anzunehmen, verdanke, da außerdem nichts in meiner Denkart Fanatismus und Aberglauben ausspricht. Nein, meine Freundin, Amadeus hat dazu nichts beigetragen, die Umstände überzeugten mich, daß im Kloster allein Freiheit für mich zu finden ist, und Sie werden mir endlich noch beistimmen.

Bis in mein dreizehntes Jahr lernte ich in der Welt nichts kennen, als unsere Wälder, unsere Hügel, unseren klaren Fluß, und die größte Entfernung, die ich allein zu erreichen mir getraute, war der lange, dunkle Gang am Ende des Parkes, wo ihn die Klostermauer der ehemaligen Abtei noch umschließt, und durch eine angebrachte Öffnung jetzt die Aussicht gegen die untergehende Sonne gestattet. Damals war die Mauer noch unversehrt, und an der Stelle der Öffnung ein Wandgemälde, das Christus am Kreuze darstellte, und die Mutter mit Johannes unter ihm, wie er ihnen sein heiliges Vermächtniß verkündet. – O dieses Bild! – Nein, die Gottheit hört nicht auf, Wunder zu thun in [165] unserm Herzen. Dort holte mich meine Mutter meistens wieder ein und gab mir in der schönen Jahreszeit dort Lehrstunden; dort war unter den hohen Tannen auch der Schauplatz meiner kindischen Spiele und der Leibesübungen, zu denen sie früh mich gewöhnte. Auf dem großen, beschatteten Rund mußte ich laufen, klettern, und das Jahr vor ihrem Abschiede von mir ließ sie mich auf einem kleinen türkischen Pferde reiten lernen. Damals dachte ich nicht über den Gesichtskreis, der mich umgab, hinaus; jetzt ahne ich, warum Amadeus und meine Mutter mich so unwissend ließen über alle Wirklichkeit, über die nächste, die mir drohte, zuerst. Sie rechneten auf die Zeit, wo ich, stark am Geist und fest im Handeln, aus meiner Unschuldswelt hervorgehen sollte. – Der Tod kam ihnen zuvor, und die zarte Pflanze, die vor jeder rauhen Luft geschützt wurde, stand da im Sturme des Nordens, und – ein guter Gott erhielt ihre Kraft; aber das weiche Kind des Südens ist sie nicht mehr, sie ist kalt und starr geworden, wie das Land, in das sie grausam verpflanzt ward.

Meiner Mutter Gemüth war nun ruhig, sie hatte mit dem Schicksal abgerechnet, hatte Weisheit statt Glück hingenommen, hatte die ganze Schöpfung zu ihrem Genuß, und ein besseres Dasein zu ihrer Hoffnung. Aber von außen her ward ihr keine Ruhe. Bei meinem Vater wurzelte der Verdacht immer tiefer, daß sie sich zu einer Religionsveränderung neige, und durch ihn aufmerksam gemacht, verfolgten sie ihre Eltern mit oft sehr unbilligen Vorstellungen – erlassen Sie mir Das, meine Freundin! – sie sind auch todt, und waren gute [166] Menschen. Von einer andern Seite waren meines Vaters Verhältnisse gegen den Bischof nicht dazu gemacht, meiner Mutter Ruhe zu gestatten. Mein Vater ließ sich zu Dingen brauchen, zu Dingen, die eine späte Gerechtigkeit vielleicht noch an's Licht zieht, die aber die nie schlafende Nemesis gewiß noch rächt. Ich habe mir ein heiliges Gesetz gemacht, über nichts, was meinem Schicksal fremd ist, zu schreiben, und Sie behaupten ja, meines Landes Ketten seien mir fremd, und die Morgenröthe seiner Freiheit, die so herrlich aufstieg, gehe das Weib nichts an.

Von dem Allen wußte ich nichts, deute jetzt erst meiner Mutter Thränen, fasse jetzt erst, warum ein gewisser Ausdruck in meines Vaters Gesicht, der mich als Kind immer von ihm zurücktrieb wie von einer Geistergestalt, sie vermochte, mich von ihm zu entfernen. In der Jahreszeit, die der Bischof in W–ky zubrachte, konnte sich meine Mutter der Gesellschaft nicht ganz entziehen. Der Fürst weiß, was Verdienst ist, und sein Verstand lehrt ihn, es in jeder Art auszuzeichnen, und diese Empfänglichkeit machte ihn von jeher um so gefährlicher, denn er verräth nie ganz und beobachtet nie reine Treue. Oft scheint er fremde Tugenden zum Sühnopfer seiner eigenen Schuld befördern zu wollen, und er ist nicht Heuchler, wenn er Pulawsky's Heldenmuth und Mokranosky's Unerschütterlichkeit seinen jungen Gesellschaftern anpreist. Er ist um so undurchdringlicher schlecht, weil er seine Schlechtigkeit vor sich selbst verbirgt. Amadeus, dessen Bekanntschaft er durch meine Mutter machte, ward von ihm auf alle Weise ausgezeichnet, und verfehlte [167] nie seinen Zweck, wenn er ihn um theilweise Mittel zur Unterstützung der Elenden bat. Auch ich genoß des Bischofs Gunst. Er überraschte uns mehrmals bei unsern einsamen Beschäftigungen, wo ihn nur die Absicht, meiner Mutter Achtung zu bezeigen, hinführen konnte, und wie sie ihm, auf sein dringendes Bitten, mich in seinen Cirkel mitzubringen, ihren Wunsch erklärte, mich bis in mein sechzehntes Jahr von aller Gesellschaft zurückzuhalten, willigte er auf eine Art ein, die es bewies, daß sein Verstand den Werth der Handlungsweise meiner Mutter einsah. Diesen Vorgang erzählte sie mir in ihrem letzten Lebensjahre, wie ich sie einmal fragte, warum ich nicht in die Gesellschaft dürfte, da sich junge Damen meines Alters darin befanden und bei ihrem Besuch in unserm Hause ihre Verwunderung über meine Zurückgezogenheit äußerten. In diesen wenigen Stunden, wo sie mich verließ, durfte meine deutsche Wärterin mich nie verlassen, und sobald es mein Alter erlaubte, gab sie mir darin so viele Beschäftigung auf, daß ich nie mein Alleinsein fühlte.

So erreichte ich mein dreizehntes Jahr. Ich war schuldlos und rein wie die Kindheit, vertrauend wie sie, und ungekünstelt wie die buschigen Hügel von Ribizcy, aber was ich von der Außenwelt der Menschen kannte, war Alles ein Kunstwerk. Alles Elend, was ich an der Hand meiner Mutter gelindert hatte, war mir nur als Unglück bekannt geworden, die Menschen hatte ich nur in ihren guten Augenblicken gesehen – ich wußte, daß es Laster gab, ja ich wußte viel von dem Bösen, aber nie in Anwendung auf die Welt, die mich umgab; [168] ich dachte mir Unsittlichkeit, Bosheit, Betrug wie die Orkane, welche die westindischen Inseln verwüsten – zu uns gelangt der Sturm nie; ich versetzte das Böse, wie die Alten die Grenze der Erde, immer in das zufernest liegende Land. Nur Eine Art Elend kannte ich, die Sklaverei unseres Landes; nur Einem Idol hatte ich außer Gott und meiner Mutter einen Altar in meinem Herzen errichtet – der Freiheit meiner Nation. Sie fragen wieder befremdet, wie dieses Vaterlandsgefühl in der Brust der Halbfremden, der Einsamen Wurzel schlagen konnte? Es muß wol, trotz Ihrer Behauptung des Gegentheils, in jedes Weibes Busen als Keim verborgen liegen – und sollten wir, deren ganzer Beruf Liebe ist, nicht den Boden lieben, auf dem wir unsere Entwickelung finden, auf dem wir unsere Bestimmung zu erlangen hoffen? – Übrigens war diese Vaterlandsliebe ein bloßer unmotivirter Begriff, der aus Haß gegen unsre Unterdrücker und einem Bilde von Menschenwürde zusammengesetzt war, das ich mir aus den Geschichten freier Völker früherer Zeit zusammengesetzt hatte, und Alles, was ich Schönes in unserer Geschichte las, was ich Großes von unsern Zeitgenossen hörte, modelte ich nach jenen Begriffen. Ein Weib muß lieben, liebt immer ein Ideal, liebt es mit Mysticismus, mit Schwärmerei – so liebte ich den heiligen Stephan, so liebe ich das Vaterland, so liebe ich den Schleier.

Der Fürst hatte einen älteren Bruder, einen unschädlichen Menschen, der in seiner Bildung dem gemeinsten Adel unsrer Nation um keinen Schritt vorgeeilt [169] war. Ein roher Mann, starr und treu. Vor den Convulsionen, die Stanislaus Thronbesteigung begleiteten, war der Fürst in den ersten Jünglingsjahren im Auslande und bildete in London, Paris und Rom die Talente aus, die er nachher so schlecht gebrauchte. Er verschwendete ungeheure Summen, die sein Vermögen erschöpften und seinen ältern Bruder zu der Drohung zwangen, ihm seine Unterstützung zu entziehen. Der Jüngling war genöthigt, in sein Vaterland zurückzukehren; aber durch eine mächtige Familie unterstützt, zur Intrigue geboren, durch Geldbedürfniß und Herzlosigkeit den Russen geneigt, ward er in einem Alter Bischof, das wenig zu dieser Würde geschickt ist. Seine Schwäche und Treulosigkeit kostete ihn während der Convulsionen, die unser Vaterland zerrissen, das Vertrauen aller Edlen aller Parteien, seinem guten, treuen Bruder drohte sein Freiheitssinn die Verweisung nach Kamtschatka, da er bei Zucka gefangen ward. Wie die Dinge sich fügten, weiß ich nicht; Alles, was ich erfuhr, entdeckte mir der Zufall; genug, daß der Fürst Mittel fand, diesen Bruder für unsinnig auszugeben, daß er Erbe der Güter ward, und daß man nun seit vierzehn Jahren sich bemühte, jenen Unglücklichen seines Verstandes zu berauben, indem man ihn als des Verstandes beraubt bewachte, mishandelte, verhöhnte – und zu diesem Werke der Hölle ließ mein Vater sich brauchen. – O wie oft bediente ich kniend die Armen in der Zeit, wo die Landesreligion öffentliche Liebeswerke erlaubt, wie oft bat ich alte Väter um ihren Segen, wie oft stammelte ich unzufriedenen Kindern unserer Leibeigenen Demuth, Unterwerfung [170] gegen ihre Eltern zu – mein wundes Herz fand Linderung darin, Fremden die Achtung zu zollen, die ich meinem Vater nie geben kann. – Dieser mishandelte Mann ward auf entfernten Ländereien in der Ukraine gehalten – denn er war nicht eingesperrt, er war, für unsinnig gehalten, bewacht und endlich überredet worden, daß er es sei. Dieses Werk der Finsterniß mußte Amadeus entdecken. Er erhielt von seinen Obern leicht die Erlaubniß zu reisen, um zum Behuf seines gelehrten Forschens fremde Klosterbibliotheken zu besuchen, und so befand er sich in einem alten Kloster zu Balta, als eine ansteckende Krankheit das Volk heimsuchte. Theurung des Getreides war ihre Ursache, indeß das Korn dieser reichen Gegend die Flüsse hinuntergeführt und auf fernen Märkten um halbes Geld verkauft ward. Amadeus half den Mönchen die Kranken trösten, die Sterbenden einsegnen, die Todten begraben; denn sie kamen in Hütten, wo der letzte Sterbende den letzten Todten neben sich verwesen sah. Eines Tages verlor er seinen Weg und gerieth auf ein entferntes Dorf, wo seine Gastfreunde, die Mönche von Balta, nicht hinzugehen pflegten. In mehren Hütten, denen er sich näherte, fand er das Elend der Seuche, des Hungers, und er theilte die Gabe, welche er seiner anbefohlenen Heerde hatte bringen wollen, unter die fremden Hungernden aus; endlich nahte er sich einem besser gebauten Hause, an welches ein umzäunter Garten grenzte, und in ihm erblickte er einen blassen, veralteten Mann in wunderlicher Kleidung von grobem Linnen, aber das blaue Band und den Stern an der Brust. [171] Rund um ihn standen und lagen eine große Anzahl junger Kinder, einige sogar wurden von den größern noch auf den Armen getragen, und er theilte jedem eine Schale Buchweizen aus, ja er fütterte die jüngsten, indem er mit dem Löffel von einem zum andern ging. Ein Paar Diener, die neben ihm standen, erblickten kaum den Ordensmann, als sie sich ihm ehrerbietig näherten und ihm nach Landessitte Brot und Wein anboten. Neugierig trat Amadeus in den Garten und nahm gerührt den Wink der Diener auf, daß ihr Herr – wie sie es nannten – von Gott heimgesucht sei. Über des blassen Mannes dürre Wangen flog bei Amadeus Anblick eine schnelle Röthe, er schien seine Züge erkennen zu wollen, und sagte dann fragend: »Ich sah Dich noch nie?« Die beiden Diener schienen verlegen zu werden, und flüsterten unter einander, der Mönch sei ein Fremder. Amadeus sagte dem Alten einige herzliche Worte über sein wohlthätiges Geschäft, worin ihn denn einer der Wächter unterbrach und ihm bedeutete, das wäre eine seiner Narrheiten, sich mit Kindern zu beschäftigen. Der Alte sagte jetzt fürchterlich trocken: »Würdiger Vater, ich bin ein Narr, und da will sich Niemand mehr mit mir freuen und Niemand mit mir weinen, denn was ich thue, ist ja eitel Tollheit; nur die Kinder freuen sich mit mir und danken mir, und wenn sie mich weinen sehen, legen sie ihre Händchen an meine Augen. Sind sie keine Kinder mehr, so verwerf' ich sie – dann spotten auch sie meiner, die ich an meinem Busen trug – Mancher, mit dem ich vor vierzehn Jahren meine Suppe theilte, reißt jetzt meine [172] Blumen aus und zerpflückt die Kränze meiner Patronin.« Er zeigte auf eine Nische, wo eine Schmerzensmutter mit Blumen gekränzt stand. – Diese Züge erzählte mir mehrmals meine Mutter, weil sie sie für mein Alter angemessen fand; das Übrige erfuhr ich – ich weiß nicht wie; zum Theil vergaß man in der Verwirrung gewisser Augenblicke, es mir zu verhehlen – ach, so verstehe ich jetzt Vieles, was ich gern nicht wüßte. – Amadeus sprach weiter mit dem Unglücklichen, er erfuhr, daß er den ältesten Fürsten ***, den Bruder des Bischofs von ***, vor sich hatte; er erfuhr mehr, denn es ward ihm offenbar, daß der Mann nicht unsinnig sei, daß er aber hoffnungslos gemacht sei, sich zu retten, und Furcht und die Gewohnheit, als ein Tollhäusler behandelt zu werden, ihn zu einem leidenden Opfer der hartnäckigsten Grausamkeit gemacht hatte. Ich weiß nicht, ob Amadeus ihn nur einmal, ob er ihn öfter sprach. – Noch eines Zuges erinnere ich mich: Amadeus hatte ihm wahrscheinlich etwas gesagt, das ihm Hoffnung zur Befreiung machte; der Arme unterbrach ihn und rief mit einem Ausdruck unendlich wehmüthiger Freude: »Also bin ich doch nicht unsinnig!« – O Gott! was wird aus Deinen Menschen, wenn Deine Gebote ihnen fremd sind! So weit brachte ein Bruder den Bruder! –

Wie Amadeus seinen Besuch wiederholen wollte, ward er mit dem Bescheide zurückgewiesen, daß die lange Unterredung, die er mit dem Kranken gehabt, ihn so angegriffen habe, daß sein Zustand seitdem um Vieles verschlimmert sei und man genöthigt worden wäre, [173] ihn einzusperren. Der edle Mönch kehrte gleich darauf nach Beniakony zurück, entschlossen, das Schicksal dieses Unglücklichen zu mildern, und, wenn es sein müßte, seine Henker zu entlarven. Der Bischof hatte von den Wächtern seines Bruders ohne Zweifel schon Nachricht von dem Vorgange mit Amadeus erhalten, doch ohne daß diese Leute den fremden Ordensmann hatten bezeichnen können. Unbefangen befragte er Amadeus bei dem ersten Besuche, den er nach seiner Rückkehr in W–ky machte, um seine Reise und die näheren Umstände der in jener Gegend wüthenden Seuche, die auch seine Güter verheerte. Amadeus machte in dem Cirkel der Großen, der um den Fürsten versammelt war, eine herzzerreißende Schilderung von dem Elend jener Gegend; und wie einige Stimmen nach der Ursache fragten, welche nach einem günstigen Winter und einem trockenen Frühjahre so ein Übel veranlaßt hätte, zog er ein Stück des Brotes hervor, welches jene Unglücklichen seit dem neuen Jahre aßen, welches ein Gemisch von gehacktem Stroh, Flachshülsen und Kleien war und wie getrockneter Dünger aussah. – »Hier, meine Herren, ist die Ursache jener Pest; solches Brot essen Ihre Unterthanen, während Ihre Castellane Ihr Korn auf den Grenzmärkten für halbes Geld hinweggeben – aber Gott sorgt für diese Elenden, wie für alle seine Creaturen; wie der Frühling die Keime der Tannen entwickelte, krochen die abgemergelten Gerippe aus ihren verpesteten Hütten in den Wald und heilten sich gleich andern Thieren des Feldes mit dem Genusse dieser balsamischen Knospen.«

[174] Alles schwieg, ein Theil tief erschüttert, ein Theil voll Grimms über die Kühnheit des Fremdlings. Amadeus fühlte selbst, wie heftig sein Angriff war, aber nun wollte er durchgreifen. »Gnädiger Herr, fing er ruhig an, und in der Stille hallten seine Worte wie Donner, der Zufall führte mich nach Sasnowicza, wo ich Ihrer bischöflichen Durchlaucht Herrn Bruder fand ......« Der Bischof erblaßte, trat einige Schritte vorwärts und streckte die Arme aus, als wollte er der Rede wehren. – Ich fand ihn in einer Beschäftigung, fuhr Amadeus unbefangen fort, als ihn der Bischof, der sich nun gefaßt hatte, beim Arme nahm, und, ihn vor dem Cirkel auf sein Cabinet zuführend, ausrief: Allen Heiligen Dank, daß ich einmal wieder einen Augenzeugen spreche, der den theuern Mann gesehen hat! Aber dieses Gespräch würde meine Gäste betrüben, hier sagen Sie mir Alles. – Sie waren in das Cabinet getreten, und der Mönch wußte nicht mehr, wie viel Kunst oder Natur in dem Betragen dieses Mannes sei. Er ließ sich aber dadurch nicht stören, dem Bischof mit Gründen auseinanderzusetzen, daß sein Bruder, wenn er auch eine Gemüthskrankheit gehabt hätte, sich jetzt in einem Zustande befände, der ihm die Rückkehr zu seiner Familie erlaube. – Der Bischof schien entzückt, umarmte ihn ein Mal über das andre, und rief meinen Vater herbei, dem er die auffallenden Nachrichten mittheilte, und ihm befahl, sich sogleich zur Abreise zu bereiten, um sich selbst mit der Lage bekannt zu machen, die seinem theuern Bruder die erwünschteste sei. Eben so unbefangen führte er nun Amadeus in den Salon zurück, aus [175] dem sich dieser bald entfernte, um mich, seine Schülerin, nach langer Abwesenheit wiederzusehen. Meine Mutter verließ bald nachher den Gesellschaftssaal, und ich bemerkte, daß sie ängstlich und lebhaft mit Amadeus über einen mir fremden Gegenstand sprach. Abends, wie ich meine Mutter schon verlassen hatte, kam mein Vater in einem Zustande zurück, wo ihn der Wein unfähig gemacht hatte, seine Leidenschaft zu mäßigen. Diesem Fehler unterlag er selten, und er bedurfte der Vorsicht, denn er war dann nicht mehr Herr seiner Zunge. Was nun vorging, weiß ich gar nicht. Ich fand meinen Vater am andern Morgen abgereist, meine Mutter krank – sie ward kränker und immer kränker, und nach einem langen Kampfe mit der wohlthätigen Natur, die sie ihrer unglücklichen Theofanie erhalten wollte, starb sie, vier Wochen nach jenem schrecklichen Tage.

Sehen Sie, ich bin ruhig, meine Freundin. Ich habe das Bild ihres Todes vor mein Auge gestellt, und mich blind an ihm gesehen; ich habe den letzten Seufzer ihrer Brust in mein Ohr gefesselt, und habe mich taub an ihm gehorcht; ich habe den Gedanken, daß sie im Grabe ist, in mein Gehirn aufgefaßt, und ihn so lange gedacht, bis ich nichts anders mehr denken konnte – und da ward ich so kalt, wie ich nun bin.

Wie ich damals eine Menge Dinge erfuhr, einsah, zusammenrechnete, weiß ich nicht, denn ich war dreizehn Jahre alt, und über der Menschen Thun unwissender als ein sechsjähriges Kind. Meines Vaters Rückkehr war schrecklich, sie erfolgte erst nach der Mutter Tode, [176] aber er schien dennoch nicht versöhnt, sondern lange noch nannte er ihren Namen nie in kaltem Blute, und wenn Wein oder Leidenschaft ihn erhitzten, mit bitterer Verwünschung, als sei sie an einem Unglücke, an einer Handlung schuld, von der er schreckliche Folgen befürchtete. Amadeus schien er mit gleichem Hasse zu verfolgen, aber eine geheime Scheu – oder andere Ursachen – nöthigten ihn zur Schonung. Von seiner Reise erfuhr ich nun durch die Gespräche der Gesellschaft – denn Amadeus schwieg von diesem ganzen Vorgange gegen mich – daß der unglückliche Fürst schon vor seiner Ankunft in Sasnawicza kränkelte und nach einigen Tagen starb, ohne seines Verstandes mächtig genug zu sein, um sich noch der zärtlichen Sorgfalt seines Bruders erfreuen zu können. – O des Schreckens eines jungen Gemüthes, das zum ersten Male den Frevel in seiner abscheulichsten Gestalt ahnet! – Seine Blüthe ist hin! Wie ein Schwefeldampf die junge Rose entfärbt, ist sein Glanz verdunkelt und sein Duft verflogen. So welkte meines Lebens Leben, meine Unschuld – mir bleibt nur Kraft, nur Tugend, nur starrer Wille, nie zu sein wie Jene, die mein Paradies mir zerstörten. –

Einige Wochen nach meines Vaters Rückkehr fand mich Amadeus in trostlosen Thränen am Ende meines Laubenganges – ich hatte meinen Blick auf das alte Gemälde geheftet, das mich wie das Wiedersehen eines freundlichen Kindheitsgespielen an mein verlornes Glück erinnerte, und hatte der trostlosen Mutter Schmerz unter dem Kreuze mit meinem Schmerze verschmolzen in [177] mein armes Herz gesenkt, daß es fast darüber brach. Mit sanfter Weisheit war der väterliche Freund weit entfernt, meine Phantasie gewaltsam von diesem Bilde loszureißen, er ging vielmehr in den Sinn desselben ein, er zeigte mir, wie ich nicht bei dem hülflosen Schmerze dieses Moments stehen bleiben sollte, wie ich nicht den sterbenden Sohn da erblicken sollte, sondern den göttlichen Tröster, der über den Tod hinaus seine Mutter, seinen Freund lehren wollte, nicht die Liebe für ihn, für seine Persönlichkeit sollten sie meinen, sondern Liebe für einander, unter einander, allgemeines Wohlthun, Leben Eines für das Andere. Seine Worte gaben meinem gesunkenen Geiste einen neuen Willen: Herr seines Schmerzes zu werden; ich hing nun mit andern, tröstenderen Gefühlen an den gemalten Gestalten. Amadeus sagte mir noch, ich sollte unter meiner Mutter Musikalien suchen, es müßte eine Kirchenmusik unter ihnen sein, die »Stabat mater« heiße; darin fände ich die Gedanken des Trostes in Musik gesetzt, die in diesem Bilde Christus seinen Geliebten gäbe. Wie er noch bei mir war, kam mein Vater und verwies mir mit rauhen Worten meinen ihm lästigen Schmerz, misbilligte meinen Aufenthalt in diesem Unkenwinkel, wie er den dunkeln Gang nannte, und drohte, die Mauer einreißen und die Bäume niederhauen zu lassen. Ich weiß nicht, was ich aus Furcht und Schmerz sagen mochte, das auf das Gemälde Bezug hatte; im Fortgehen – denn ich eilte nach Hause – hörte ich aber, daß er dem Pater vorwarf, er bestärke mich in dieser papistischen Grille, da er doch wisse, daß ich für die protestantische [178] Kirche bestimmt sei. Ihr Gespräch mußte sehr heftig geworden sein, mein Vater kündigte mir an, daß er des Paters Besuche verboten habe, und ich sie, wenn er sie dennoch fortsetzte, nicht mehr annehmen sollte. Seitdem soll er auch selten mehr zum Bischof gekommen sein, obschon er von ihm mehr als jemals mit Gunstbezeigungen überhäuft ward. Einmal noch traf ich ihn bei der Vesper, die ich zuweilen besuchen durfte, wie ein trüber Herbstabend schon Dunkelheit in der Vorhalle verbreitete, ich brach bei seinem Anblicke in Thränen aus und sank zu seinen Füßen – ich fühlte ein unnennbares Glück, wieder vor einem mitfühlenden Wesen zu weinen, er war mir in diesem Augenblicke Repräsentant einer tröstenden Gottheit, Repräsentant meiner verewigten Mutter. Er bat mich mit Fassung, meine Gefühle zu mäßigen, führte mich in die Kirche zurück und sagte mir im ruhigen Auf- und Abgehen theure, heilige Worte, die ich damals wie Heiligthümer aufbewahrte und erst jetzt verstehe. Darauf gab er mir ein geschriebenes Heft mit dem Bedeuten, daß er seit mehren Jahren die Geschichten mancher Heiligen seiner Kirche, von zufälligem Unsinne gesäubert, hier zusammengetragen und vorzüglich für mich bestimmt habe. Ich sollte ihm zum Andenken diese Blätter bewahren, sollte sie oft lesen, wenn mein junges Gemüth, das religiösen Eindrücken sehr offen schien, von irgend einem frommen, aber unverständigen Bilde sich heftig ergriffen fühlte. – Sie kennen diese Blätter und haben die heilige Kindlichkeit bewundert, welche von den ungestalteten Legenden nur den reinen Geist auffaßte und mit Kindersinne [179] darstellte. Meine Begleiterin rief mich mit Ungestüm von der Unterredung ab. Ich trennte mich mit unbeschreiblicher Wehmuth von dem ehrwürdigen Manne; er schien sein und mein Schicksal zu ahnen; denn wie er mir segnend die Hand auf's Haupt legte, hob er sein Auge mit einem Blicke gen Himmel, als weihe er ein Opfer und wisse nicht, sei er es, oder ich.

Ich sah ihn nicht wieder. – Nach wenig Tagen ward er krank und starb an einem schnellen Übel. Ich glaube, die Tugend übt ihren Einfluß auf die Herzen der Menschen jedes Mal aus, sobald nicht Eigennutz ihm im Wege steht. Mein Vater fürchtete den vortrefflichen Mann – seine Rechtschaffenheit vielleicht, vielleicht nur seinen Einfluß auf mich – sobald ihn seine Gegenwart nicht mehr drückte, ließ er ihm Gerechtigkeit widerfahren, denn die wenigen Tage, die seine Krankheit dauerte, war meines Vaters Unruhe sichtbar. – Welch eine neue, entzückende Empfindung war es für mich, meinen Vater einmal eines meiner Gefühle theilen zu sehen! Aber das war eine kurze Täuschung. Meine Thränen mußten vor seinem Verbote bald verstummen, und mein junges Gehirn wäre vielleicht dem Zwange unterlegen, hätte ihn nicht Beruf und Gewohnheit von mir – wenige Momente im Tage ausgenommen – entfernt. Eine Verwandte, welche dem Hause vorstand, überließ mich mir selbst, das heißt, dem Genusse meines Schmerzes. Meine kindische Phantasie kannte nichts von der Welt, keinen Fußbreit Boden, als die Gärten von W–ky und das Grab meiner Todten; die Vergangenheit war dahin, und mit ihr die [180] Bande, welche sie an die Zukunft knüpften; hülflos, wie ich war, konnte ich mir den heutigen Tag nur wie den gestrigen, und den morgenden als Rückkehr der heutigen Öde und Qual denken, und so fort bis an's Ende. – Konnte die Sehnsucht nach dem Grabe mir entstehen? Ich sehnte mich danach mit aller Kraft meines jungen Lebens, und betete darum und hoffte darauf, und hatte kindische, kindische Plane, meinen Wunsch zu erreichen. Ich wollte meinen Vater bitten, mich mit andern Damen auf die Jagd zu nehmen, wie sie bei uns häufig sind, dort wollte ich Mittel finden, in Schuß zu stehen – ich Kindskopf! – es war Furchtsamkeit und Gewissensscheu und Aberglaube dabei. Ich scheute mich, mir eigenhändig das Leben zu nehmen, ich fürchtete die Schuld des Selbstmordes. – Wie malte ich nicht das Bild aus! wie rührte mich nicht der Gedanke, daß mein Vater um mich weinen und seine Härte gegen mich bereuen würde. – Wenn er mich in diesen Phantasien überraschte, drängte ich mich mit Zärtlichkeit zu ihm, um ihn für den Schmerz zu lieben, der ihn bei meinem Tode erwartete. Mein nächster Ideengang war nun eine strenge Frömmigkeit, deren Natur durch meiner theuern Mutter Vorschriften bestimmt ward. Ich beschäftigte mich angestrengt mit weiblicher Arbeit, welches meiner Mutter von allen Polinnen, vorzüglich von ihrem Gesinde, war verdacht worden, da es ganz gegen den Gebrauch unsers Landes ist; meine Hofmeisterin, die alte Verwandte, erlaubte mir's, weil ich nur Kleidungen für arme Kinder machte. Durch den alten Franschusek, den Sie immer den gefühlvollen Bären [181] nennen, ließ ich mir die bedürftigsten Kinder unserer Leibeigenen ausfinden, ich entwischte oft aus dem Schlosse und besuchte selbst die Hütten, bis mich der Anblick von Völlerei oder grausamer Rohheit, mich mit Schrecken erfüllend, davon abhielt, und ich mich begnügte, sie in meiner Dienstmädchen Zimmer zu waschen, zu füttern, zu kleiden. Ich übte mich auf dem Clavier, so viel es mein zartes Alter erlaubte – ach, tausend Mal sang ich mit seligem Schmerze die Worte des »Stabat mater«, welche Amadeus mir anzeigte: »Du bist dieses Jünglings Mutter, Mutter, sieh, er ist Dein Sohn!« – Wenn die Sonne dann aus der blendenden Höhe auf die Schneefläche strahlte, wenn sie gegen Morgen die niederen Hügel mit Rosenduft färbte – o mit welchem unnennbaren Schmerze tönten die Harmonien der Worte in mir, wie leicht die Töne von meinen kindischen Lippen: »Könnt' ich doch auf Adlersflügeln hin zu euch, ihr Höhen, eilen, ihr Höhen der Herrlichkeit!« – aus eben der Musik. Ich las auch mit Anstrengung in mehren deutschen Predigtbüchern, in denen ich meine Mutter oft hatte lesen sehen; aber sie beschäftigten meinen Verstand gar nicht, und mein Herz blieb leer dabei. Eines Tages hatte ich den Muth, das Heft aufzuschlagen, welches mir Amadeus bei unserer letzten Zusammenkunft gegeben hatte. – Eine wunderliche Scheu hatte mich davon abgehalten. Es war eines Todten Vermächtniß, sein himmelan gerichteter Blick, das blasse Gesicht, die dürre, weiße Hand, die er dabei emporhielt, die kalte Rechte, die dabei auf meiner Stirn lag, schwebten mir stets vor; daß es geschrieben [182] war, mochte die Befremdung erhalten – wer erklärt alle Ursachen? Genug, daß ich es jetzt erst las, da es bisher mit manchem kleinen Geräthe, das meiner Mutter auf dem Todbette gedient hatte, und das ich nie ohne tiefen Schauder berührte, verschlossen blieb. – Ich las – und wie mußten die einfachen, kindlichen Geschichten mich anziehen! – Mein Zustand war während einiger Monate sehr sonderbar gewesen, ich war unendlich glücklich, aber unendlich schmerzvoll – wie Sie wollen. Es war eine lange Todesvorbereitung, denn ich brachte Alles in Beziehung mit meinem nahen, freiwilligen Tode. Nun las ich viel in der Handschrift, bis ich an eine Legende kam: Maximina; die ganz für meinen Zustand gemacht schien. Sie haben sie wahrscheinlich gefunden. Maximina verlor ihre Eltern beide in meinem Alter, ihre heidnischen Verwandten wollten sie zu der Feier sittenloser Feste zwingen, und da bat sie Gott mit Ungestüm um ihren Tod. Wie sie darauf einschlief, träumte ihr, sie sei in einem schönen Garten, ihr Vater begegnete ihr in demselben, und sie bat ihn herzlich, eine Rosenknospe brechen zu dürfen von den vielen, die sie da sah mit Hyacinthen, Lilien und andern Blumen. Wie sie aber die Hand danach ausstreckte, bog sich die Blume zurück und entschlüpfte ihrem Bemühen. Da ward der Vater lichtumflossen und sagte ihr, alle diese Blumen wären gute Menschen gewesen wie sie, und blühten einst auf Gottes schöner Erde, bis der Vater der Menschen sie umpflanzte in sein Paradies; darum solle sie sein warten, und nicht mehr den Tod suchen, sondern leben in Liebe und Barmherzigkeit, [183] und er, ihr Vater, werde als Schutzgeist um sie schweben. – Die Legende ist so beschränkt, die Allegorie so fehlerhaft, das seh' ich jetzt wohl, aber Maximina war ein Kind wie ich, sie wünschte das Leben zu verlassen wie ich, ihr erschien ein geliebter Vater, und ich sehnte mich nach einer theuern Mutter – die Geschichte mußte mich belehren, mich trösten, mich zur Nacheiferung führen. Mein Schmerz war weniger ungestüm; kaum durchbrach die Sonne die Eisrinde unsers Bodens, so suchte ich mei nen Spielplatz wieder auf und lebte stundenlang mit dem alten Frescogemälde. Meine kindische Phantasie schob das Bild meiner Mutter dem Christusbilde unter, und ich versank in Wehmuth, daß sie mir kein befreundetes Wesen hinterlassen hatte, mich mit ihm zu trösten.

Unerwartet gab mir mein Vater einst die Nachricht seiner zweiten Vermählung. Sie war mir peinlich und täuschte mich doch zu Augenblicken mit süßer Hoffnung, daß sie vielleicht den Trost mir brächte, den mein Gott mir verhieß. Selbst die unvorsichtigen und boshaften Anmerkungen meiner Dienstmädchen über den Druck einer Stiefmutter konnten mich nicht ungläubig machen. Ihr Anblick, ihre oberflächliche Bekanntschaft war ganz dazu gemacht, meine Täuschung zu nähren, und die Anmerkungen der Hausgenossen über das Glänzende dieser Heirath waren mir unverständlich. Mir schien kein Weib zu hoch, zu gut, um die Stelle meiner Mutter einzunehmen. – Nur zu früh lernte ich den verhaßten Zusammenhang kennen, den die große Welt nun längst vergaß, der aber in meinem jungen Gemüthe zerstörend [184] wirkte. Meine Stiefmutter, eine Tochter des mächtigen Grafen J–ky, war die glänzendste Schönheit des Herzogthums, selbst in Warschau verdunkelte sie die Schönsten, und ihr Vater triumphirte in dem Vorzuge, den man seiner Lieblingstochter gab. Sie brachte auch einen Sommer in W–ky zu, der Fürst war ihrer Mutter Halbbruder, er verschwendete Feste und Schmeicheleien, um sie zu gewinnen, oft horchte ich traurig auf das Getümmel, das zu meinem einsamen Bogengange herüberschallte – aller dieser Taumel feierte den Fall der stolzen Schönheit. Es ziemt mir nicht, näher anzudeuten, was mir ewig verhaßt sein muß, was ich gern auf ewig vergäße. Mein Vater verkaufte seine Männerehre um Gold, um die Schande von J–ky's Tochter abzulenken, er beschimpfte das Andenken meiner Mutter, und meine Jugend kränkelte unter der Kenntniß der Sünde, unter dem nagenden Gefühle von Schmach. – – –

Meine neue Mutter überhäufte mich mit Geschenken und Liebkosungen, aber bald bezeigte sie eben so viel Befremden über mein eingezogenes, arbeitliebendes Leben, als Misfallen über die Art meiner Freuden. Mein Talent zur Musik gefiel ihr, aber spottend warf sie meine Noten unter den Flügel und legte mir Opern vor, deren Inhalt meine damaligen beschränkten Begriffe hinderte, die Composition zu schätzen. Bald verbot sie mir den einsamen Bogengang, unter den ich mich flüchtete, wenn ihr Zimmer mit dem lästigen Schwarme unverschämter Geistlichen und schamloser Gecken sich füllte. Denken Sie sich die Befremdung, die Bestürzung, die [185] Gewissensangst endlich eines jungen Geschöpfes, das, in den ernsten Begriffen des Protestantismus erzogen, fern von Gesellschaft zu strengem Pflichtgefühl gewöhnt, durch frühen Verlust mit frommen Gedanken vertraut, durch Einsamkeit, Zufall, Anlage zur Schwärmerin, zur frommen, weltentsagenden Schwärmerin gestimmt, sich ein Ideal von Tugend gemacht hatte, und nun plötzlich die Begierde ohne Fessel, die Unsittlichkeit ohne Maske, die Selbstsucht ohne Schminke sieht – welch ein Aufruhr entstand in meinem Innern! Ich reifte eben zur Jungfrau heran, der unwürdige Haufe ahnete gar nicht, daß ich ihm fremd sei – er ahnet ja die niedere Stufe nicht, auf der er steht, eben so wenig als die Würde, zu welcher der Mensch gelangen kann. Meine Verwirrung reizte ihre Neugier, meine Neuheit ihre Übersättigung, und Alles meiner Stiefmutter Ungeduld über mein herrenhutisches Wesen, wie sie es nannte. Einige Male, wenn ich, dem Gesellschaftszimmer entfliehend, zu meinem einsamen Bogengange geeilt war, hatte mich der Bote, der mich zurückholen mußte, vor dem Bilde betend und weinend gefunden. Dieser Umstand und meine Liebe zu Kirchenmusik und Heiligengeschichten mochten meiner Stiefmutter zuerst die Furcht einflößen, daß ich mich zur römischen Kirche hinneige, sie wußte, daß meiner Großeltern Vermögen in diesem Falle auf eine Seitenlinie überging, und ich verarmt das Vermögen ihrer Kinder schmälern würde. Unter den Maßregeln, die sie dagegen anwenden zu müssen glaubte, war auch die Zerstörung meines Bogenganges. Die Mauer ward abgetragen, die Stützen des Laubgewölbes niedergerissen, [186] die freundschaftlichen Ranken krochen am Boden und bald deckte sie der tiefe Schnee des herannahenden Winters, der mir nicht einmal mehr erlaubte, über den Trümmern zu weinen. Alle äußere Gegenstände, die meine Einbildungskraft beschäftigen konnten, hatte man mir geraubt, natürlich arbeitete sie nun desto kräftiger in sich selbst, und mir unbewußt reifte mein Sehnen nach einer Welt, wo man gut wäre, und Grauen vor der, die mich umgab, zu der Vorstellung, daß im Kloster das Böse fern und das Gute einziger Beruf sei. Eine sonderbare Ruhe entstand mit diesem Gedanken; ich wußte nun eine Zuflucht, und die bange Eile, mit der ich vor zwei Jahren Mittel zum Tode suchte, ging in eine kalte, meinem Alter nicht angemessene Beobachtung des Lebens über.

Das erste Kindbett meiner Stiefmutter erklärte mir Umstände, die schmerzvoll zu der Entwickelung meines Nachdenkens mitwirkten. Schrecklich öffnete mir der Zeitpunkt, in welchem es statthatte, über viele Verhältnisse die Augen, er erklärte mir den Spott der Hausgenossen, die Stimmung meines Vaters; aber stets bleibt es mir ein Räthsel, warum in dieser Zeit der Fürst von ihm mit einem Übermuthe behandelt wurde, der die Gesetze der Convenienz selbst beleidigte, und den dieser stolze Mann ertrug. – Ha! ich mag es nicht lösen! – – – Mein Herz zog mich zu dem kleinen Geschöpfe hin, das ich meines Vaters Tochter nennen hörte, dunkler Widerwille gegen seinen Ursprung stieß mich von ihm zurück, aber die Gleichgültigkeit, ja der Abscheu, mit dem es seine Mutter von sich stieß, machte [187] es bald zu einem Gegenstande meiner wehmüthigsten Sorge. In diesem Zeitpunkte nirgends gestützt, und bei dem lebhaften Bedürfniß nach Rath und Vertrauen, erhielt mein Vater kurz nach einander die Nachricht von dem Tode meiner beiden Großeltern in Schlesien. Sie hatten in ihrem Testamente die Bedingung aus dem Ehecontracte ihrer verewigten Tochter noch einmal streng wiederholt, und die Erfüllung ihres Wunsches, ich möchte einen Protestanten zum Gemahl wählen, beinahe zur Bedingung ihres Segens gemacht.

Ich erinnere mich noch sehr deutlich des Eindrucks, den diese Nachricht auf mich machte. Die Empfindung, die mir meine Großeltern eingeflößt hatten, war stets sehr gemischt gewesen. Die Erzählungen meiner Mutter von ihrem Vaterlande hatten es in meiner Phantasie immer mit einem schönen, wehmüthigen Lichte umgeben, der Begriff, den sie mir aber von der Erziehung einflößte, die sie ihr gaben, von der Art, wie sie ihren Einfluß auf sie gebrauchten, brachte in mir eine große Scheu gegen sie hervor. So beherrschte mich meine Mutter nie, so widerstrebte sie meinen Wünschen nicht, nur um mich meine Ohnmacht zu lehren, so strafte sie meine Irrthümer nicht – sie nahm nicht wahr, daß ihre Erzählung so auf mich wirkte, sie gedachte ihrer Jugend, die mir beeinträchtigt, despotisirt vorkam, mit Sehnsucht und Wehmuth, sie hing dankbar an den Eltern, von deren guter Absicht sie überzeugt war, so wenig sie ihre Erziehungsgrundsätze befolgte. Hatte nun diese Scheu meiner Liebe die Wage gehalten, so ward ihr Einfluß noch immer größer durch den Kummer, den [188] die unbilligen Vorwürfe dieser Großeltern meiner Mutter machten, bald über ihre Anhänglichkeit an meinen Vater, bald über ihre angedichtete Anhänglichkeit an den katholischen Glauben. Mein junges Gemüth empfand Widerwillen, diesen Glauben als den Weg, der unsre Seele der Hölle zuführte, anschwärzen, und, als Strafe des Gehens auf demselben, immer den Verlust irdischer Güter androhen zu hören. Nach meiner Mutter Tode hatten sie mich einige Male aufgefodert, meinen Vater zu verlassen, aber sie hatten es mit Härte gegen diesen Vater gethan, und das empörte mich! Ich konnte ihn nicht ehren – ach nein! ich durfte es nicht, wenn mir nicht das Unrecht gleichgültig sein sollte, aber Andere sollten gegen mich den Vater ehren, denn mir war seine Schuld als sein Unglück heilig. Er war nicht gut, und meine Mutter hatte mich gelehrt, daß man dann nicht glücklich sei. – O wie mild hat mich dieser Begriff gegen alle Strafwürdige gemacht, und wie abschreckend machte er mir alles Unrecht! –

Dennoch, wie ich von ihrem Tode hörte, war mir's, als sei ich nur noch einsamer in der Welt; W–ky ward mir nun noch lieber, die Erde, die meine Mutter deckte, noch theurer, der Boden, wo ich sie wandeln sah, meine einzige Heimath, und die arme, verlassene Waise, meiner Stiefmutter verstoßenes Kind, meine einzige Liebe. Der Befehl meiner Großeltern, einem Protestanten meine Hand zu geben, machte mich damals gar nicht unruhig; ich glaubte nicht, daß mein Vater ein Interesse haben könnte, mein ererbtes ansehnliches Vermögen einem Fremden auszuliefern, und die Scham, [189] so jung an's Heirathen zu denken, entfernte die ganze Sache aus meinem Gesichtskreise.

Unter den gewöhnlichen Gesellschaftern und Clienten des Bischofs und den eifrigsten Besuchern meiner Mutter befand sich auch Großmaniev, ein Deutscher, dessen Vater mit dem letzten sächsischen Könige in's Land gekommen war; man kannte ihn erst, da er eine Starostei erhielt, und erkundigte sich erst nach seiner Familie, da mehre Glücksritter und falsche Spieler, durch seine Vermittelung von dem Könige mit Begünstigungen überhäuft, ihn Vetter nannten. Nach Augustus Tode hatte er sich, uneingedenk der Hand, die ihn gehoben, an Poniatowsky's Partei gehängt, und sein Sohn war während des schrecklichen Bürgerkrieges des neuen Königs Gesellschafter – also so fern wie möglich von jeder Gefahr, und jeder Schmach nahe – gewesen. Dieser Sohn war mir vom ersten Augenblicke an verhaßt – warum? konnte und mochte ich nicht ergründen, denn wenn ich mit meinem Gewissen zu Rathe ging, das mir Duldung befahl, so befahl es mir auch, Gutes an ihm aufzusuchen, und das fand ich nicht; – ich hatte nur immer seine erloschenen blauen Augen vor mir, und seine wankende Stimme, und sein beleidigendes Gelächter, wenn ich auf die Reden und Fragen der Männer etwas antwortete, das nach seinem Sinne einer falschen Auslegung fähig war. Wenn ich diesen Menschen nicht sah, dachte ich nicht an ihn, ich bemerkte es also kaum, wenn er nicht in unserm Cirkel erschien, und erinnerte mich nur späterhin, daß man von einer Reise sprach, die er zu seiner Familie nach Sachsen unternommen [190] hätte. Warum ich seiner jetzt erwähne, sollen Sie sogleich sehen.

Nach dem Tode meiner Großeltern brachte ich zum ersten Male einen Winter in der Stadt zu. Meine Stiefmutter hatte ihre Wohnung in dem Palaste ihres Vaters, das Grafen J–ky, und ich mußte an allen Gesellschaften Theil nehmen, die diesen Winter durch die Prachtliebe des Tribunalmarschalls *** sehr glänzend waren. Was mich in diesem Kreise an sich zog, war nicht der Schimmer des Putzes, nicht der Eindruck, den meine neue Gestalt und die Unbehülflichkeit meiner stolzen, scheuen Jugend hervorbrachte, es war die Ahnung einer Begebenheit, die ich nie in ihrem Umfange, in ihren Folgen fassen konnte, die aber dennoch meine ganze Seele fesselte, so wie das Weltall in seiner Unendlichkeit sich meinem Verstande versagt, indeß der bloße Anblick des gestirnten Himmels meine ganze Seele von der Erde emporhebt. In diesem Winter bereitete sich der schöne Moment, der Polen späterhin zeigte, was es sein könnte – es war ein Lichtstrahl in eine Welt voll Trümmer – er schwand! – aber der sehnsuchtsvolle Blick erkannte bei diesem einzigen Strahle, wo zu helfen sei und wie geholfen werden müsse, und er wird nicht vergebens geleuchtet haben.

Sein Sie ruhig, meine Freundin, ich verspreche Ihnen, in keinen besondern Umstand dieser Begebenheiten einzugehen, sie haben mit meinem beschränkten Leben keine Gemeinschaft, nur insofern sie auf meine Entwickelung wirkten, muß ich sie erwähnen. Mein Alter gestattete mir keine deutlichen Begriffe, ich konnte im [191] Ganzen nur das Neue, was man erreichen wollte, für das Gegentheil des Vorhandenen, also für das Bessere halten. Ich kannte die Menschen nicht, aber von dem Menschen hatte ich ein Ideal, das mich Tugend lehrte und meine Tugend bewahrte. Aber die Menschen, die ich bis jetzt gesehen habe, standen mit verzerrter Häßlichkeit neben diesem Ideale, jetzt hört' ich Männer davon sprechen, deren Denkart, deren Ansichten mich zuerst eine edle Wirklichkeit kennen lehrten. Ich brauche Ihnen diese Männer nicht zu nennen, der Schutzgeist der Menschheit kennt sie und trug ihre Namen mit goldnen Zügen in sein Buch ein.

Unter den Fremden, welche das glänzende Tribunal herbeizog, war ein Ausländer, dessen ganzes Wesen durch etwas Räthselhaftes bezeichnet ward. Er gab sich für einen Engländer aus, allein die Fertigkeit, mit der er in andern Sprachen sich ausdrückte, und die Art seines Accents hätte ihn eher für einen Deutschen halten lassen, hätte nicht die Geschmeidigkeit seines Geistes und der nationelle Ton von Schmeichelei gegen Weiber ihn zum Franzosen gestempelt. Mortan, so hieß der Fremde, war ein ältlicher Mann und hatte Eigenheiten alter Leute an sich, die er aber humoristisch an sich selbst verspottete. Dahin gehörte, daß er im Gesellschaftszimmer immer seinen eigenen Platz hatte, den er – denn er spielte nicht – von Anfang bis zu Ende einnahm, und wo die Geistreichsten der Gesellschaft sich um ihn versammelten und meist die öffentlichen Angelegenheiten zum Gegenstande des Gespräches machten. Sie haben mir gesagt, daß man diese Lebhaftigkeit im Gespräche [192] und die gesellschaftliche Vereinigung von Menschen ganz verschiedener Parteien bei Ihnen nicht kennt. Ich verstehe Sie nicht recht. Unsere Männer sind ja alle Polen, haben also doch alle gleiches Recht, eine Meinung zu haben und sie durchzusetzen; so lange sie also sich nicht schlagen wollen, begreife ich nicht, warum sie sich vermeiden sollen. Soll man sich denn nicht kennen, weil man sich um einen Regierungsgrundsatz streiten will? Bei Ihnen muß man nicht so fest auf seiner Meinung halten, oder man muß im Deutschen nicht so gut überreden können – ach! und das glaube ich – denn meine Worte sind recht todt und lahm.

Mortan also sprach bald polnisch, bald französisch, und überredete in Beidem unsere Männer und unsere Damen. Bei der Abendtafel nahm er nicht Platz, sondern ließ sich von seinem Bedienten einen großen Becher frischer Milch bringen, die er hinter dem Stuhle einer der Damen, zu deren Ritter er sich eben erklären wollte, verzehrte. Hier machte er bald seine Nachbarschaft zu dem lebhaftesten Punkte der Gesellschaft, da ihm alle Mittel zur Unterhaltung zu Gebote standen. Seine edeln Züge hatten mich zuerst aufmerksam gemacht, sein graues Haar schreckte mich nicht ab, sie wiederholt zu betrachten, und die Feinheit, mit welcher er meiner Schüchternheit ein Paar Mal forthalf, wie ich in das Gespräch hineingezogen ward, erwarb ihm mein Vertrauen. Bald bemerkte ich das größere Interesse, das seinen männlichen Cirkel belebte, und wählte in meiner Mutter Versammlungen meinen Platz am Ende des Halbcirkels, den die Damen vor Tische, vor dem Spiele [193] und bei andern Gelegenheiten bildeten, so daß ich der Stelle, wo er stand, nahe genug war, um einen Theil seines Gespräches zu hören. Er mochte meine Aufmerksamkeit beobachten, und fing an, sich auf eine Art mit mir zu unterhalten, die eine Quelle von Unterricht für mich ward. Bald scherzend, bald ernst, stets mit einer treffenden Schärfe, aber immer mit klarer Ruhe, die meinen Verstand mit meiner Empfindung gleichen Schritt zu halten nöthigte, sprach er über die Menschen und über mich selbst. Bei jeder Eigenheit unserer Sitten stellte er mir eine Reihe von Gemälden der Sitten anderer Völker auf, die von uns abweichen, und zeigte mir mit Scharfsinn, woher diese Verschiedenheit zu entstehen schien und welche Folgen sie für unsere Bildung haben müßte. Oft sagte er lachend, und doch mit einem feierlichen Wesen zu mir, ich sei keine Polin, aber auch keiner andern Nation. Es gäbe unter jedem Volke einzelne Menschen, die zuerst der Menschheit, und nur zufällig ihrer Nation gehörten, so wie das Ideal in der Kunst zu keiner Schule. Ich war nicht geschmeichelt von diesen Worten, die ich noch nicht recht verstehe, sie betrübten mich. Ich sah, daß die Welt, die mein Herz bedurfte, wenn ich Mor tan's Schilderungen Glauben beimessen sollte, nirgends zu finden sei, ich ahnete, daß sich der Mann eine eigne Welt bilden könne, wenn Kraft und Entsagung ihn waffne, aber für mich hülfloses Weib, einsames Mädchen sah ich kein Mittel, das Gute zu befördern, weil Nichtsbedeutenheit die Bedingung unsers gesellschaftlichen Daseins geworden ist. Gegen das Böse mit meiner Ohnmacht zu kämpfen, [194] vermochte ich nicht, das Gute zu bewirken, bedurfte ich eines geschlossenen Kreises, der mir seine Spuren merkbar machte – jede neue Erfahrung von Anderer Leiden und meiner Schwäche zeigte mir also nur eine Freistätte – das Kloster. Von den tausend Veranlassungen, die mir diese Ansicht lebendig machten, erzähl' ich Ihnen die nächste, die meinem Gedächtniß eingeprägt blieb.

Nach einem Feste, das der Fürst einer großen Gesellschaft in W–ky gab, kehrte man bei einem glänzenden Vollmonde längs des Ufers der Willia zurück. Sie kennen die Ruinen des O–ky'schen Schlosses, das von dem hohen Ufer herab den Strom und die niedern Hügel übersieht – eine der schönsten Lagen, die ein Dichter ersinnen könnte, wenn die Zauberkraft des Frühlings in einigen wenigen Tagen alle Büsche dieser Hügel mit sprossenden, drängenden Blättern bekleidet, das weiche Grün des Bodens mit tausendfältigen Blumen prangt, die kleinen Bäche krystallhell über den gelben Sand hüpfen, der Lotus seine breiten Blätter an den Ufern ausbreitet und seine prächtigen Blumen wie Najaden im Wellentanze sanft über dem Wasser wiegt, indeß ihr Ursprung, vom Silberstrome ewig versteckt, sie zu einem Kinde des reinen Elements, nicht der schweren Erde macht. Damals war es Winter, wir kehrten am Abend zurück, die Mauern des zerstörten Schlosses, Denkmale alter Größe und rauher Barbarei, vom Monde erhellt, breiteten seitwärts ihre schwarzen Schatten wie einen Trauermantel über den Vaterlandsboden, der sie in Trümmern sieht. Der große Thurm nahe [195] am Wasser gab ein besonders ehrfurchtgebietendes Schauspiel. – Ein scharfer Nord drang in die bestverwahrten Schlitten. – »Wohnte doch jetzt hier eine gute Fee, sagte die reizende Fürstin ** zu dem Tribunalsmarschall, der mit ihr in einem Schlitten fuhr, die uns in diesen Trümmern ein warmes Zimmer und Punsch gäbe!« – »Es muß keine Fee mehr geben, sonst würde Ihr Wunsch erhört werden,« erwiederte der galante Marschall, und ließ die Pferde antreiben, um schneller zu Hause zu sein. Nach einigen Tagen lud der Starost ** zu einer Mittagstafel zu Zablocin ein, wo er ein Haus besaß, das er der großen Jagden wegen, die in der Nähe gehalten wurden, neu aufgeputzt hatte. Die Fürstin zeichnete mich mit Güte aus, sie nannte mich die kleine Römerin, und sagte oft, wenn ich über die zudringlichen Scherze der Männer erröthete, mit einer Härte, die nur ihr erlaubt war, wobei sie mich in ihre Arme zog: »Laßt das Mädchen! Eh' Ihr so ein Weib werth seid, muß Euch die eiserne Noth dahin gebracht haben, Euch unter einander selbst aufzuzehren; Einem von Denen, die dann übrig bleiben, werde diese Portia zum Lohne!« Sie hatte mich an diesem Tage in ihren Schlitten eingeladen. Bei unserer Rückkehr kamen wir bei denselben Ruinen vorbei. »Sehen Sie, wie die Sterne so roth durch die Trümmer blicken,« sagte einer unserer Begleiter. – Die Fürstin sah hin. – »Das sind Fackeln; ein Theil unserer Gesellschaft muß den Fluß herunterfahren. Die Waghälse!« – »Nein, rief ich, wie wir jetzt dem Gemäuer näher kamen, es ist Feuer!« – denn die Fensterlöcher des alten Thurmes[196] waren erleuchtet, und aus einem Thorwege stiegen Flammen und Rauch auf. Indem bog unser Schlitten von der Straße ab auf die Ruinen zu; in einem Vorhofe brannten große Feuer von Kienholz, wodurch die nächsten Gegenstände mit einem schaudervollen rothen Lichte erhellt waren, indeß dicke Rauchwolken einen Schatten auf die Schneehügel warfen, der wie Riesengeister aussah, die grau und wankend emporklimmten. Die lebhafte Fürstin stieg still und bestürzt an des Marschalls Hand aus dem Schlitten und nahm mich an den Arm. Wir traten in den Thurm, eine enge Wendeltreppe, schwarz belegt, Wände, schwarz behangen, von bläulichen Lampen erhellt, führten uns aufwärts – oben stand eine wunderliche Rittergestalt, nein, sie stand nicht, sie schritt, grade wie wir die letzte Stufe bestiegen, aus einer finstern Vertiefung der Mauer, schien eine schwarze eiserne Pforte, die vor uns war, nur zu berühren, die Pforte ging auf und die Gestalt verschwand in dem Lichtglanze, der uns entgegenstrahlte. »Fürstin, die Feen haben Ihnen gehorcht!« rief der Marschall, wie wir in ein Zimmer traten, das uns, in einem zierlichen Achteck, die lieblichste Wärme und den Duft der ausgesuchtesten Blumen entgegenströmte. Die Wände waren mit Draperien von der Fürstin Farben behangen, große Spiegel vervielfältigten die glänzenden Wandleuchter, rund umher luden türkische Sophas ein, den rauchenden Punsch, den duftenden Thee, der auf kleinen, niedern Tischen bereitet stand, zu genießen.

Sie können denken, ob eine solche Schmeichelei der [197] Fürstin gefiel. Nur eine ausgesuchte Gesellschaft hatte den Weg zu den Ruinen genommen; die Unterhaltung war um so lebhafter. Anfangs betraf sie nur die Mittel, durch welche in so kurzer Zeit ein solches Kleinod, wie dieses Cabinet, hätte geschaffen werden können. Durch Zauberei, war des Marschalls feste Behauptung. Er habe blos den Befehl erhalten, sie hereinzuführen; von allem Andern wüßte er nichts. Dieser Einfall gab dem Gespräche eine abenteuerliche Wendung, ein Jeder suchte den Andern furchtsam zu machen, indem er in allen Genüssen, die uns umgaben, Blendwerk und Geisterspuk darstellte. »Aber die Erscheinung! rief plötzlich die Fürstin; der Ritter, der alte Sarmate, der vor uns hier eintrat!« – Sie schauderte wirklich zusammen und blickte auf den großen purpur- und hellgrünen Teppich, der in reichen Falten den Eingang verbarg und eben rauschend aufrollte, aber es war Mortan, der mit komischer Behutsamkeit hereintrat. Er hatte heute aus irgend einem Vorwande bei der Gesellschaft gefehlt und war von Allen schon vermißt worden. Seine Ankunft gab der Unterhaltung einen neuen Umschwung, er gesellte sich unserm Scherze sogleich bei, sprach abenteuerliches Zeug von einem Dämon, der ihn durch die Luft hergeführt hätte, ward aber nach und nach immer ernsthafter, bis er uns unvermerkt dahin brachte, ihn nochmals nach der Art seiner Ankunft zu fragen. »Ich besuchte, sagte er, nach abgefertigtem Posttage den deutschen Commandanten im Castell, und finde ihn am Fenster, wie er, seine Pfeife dampfend, in die dunkle Nacht sieht. ›Heute ist's tödtlich kalt,‹ sage ich zu [198] dem steinernen Manne. – ›Hm! ja, mögen's die Leut' spüren, denen dort die Hütt' brennt.‹ – ›Wo? machen Sie doch Lärm!‹ und stoße ihn etwas unsanft vom Fenster weg, und sah an einem Platze, wo ich sonst gar kein Haus kenne, Feuerröthe, und dringe in ihn, Lärm schlagen zu lassen. ›Ei, sagt er unerschütterlich, und wackelt an dem Tische, um die Pfeife auszuklopfen, machen doch die Leute, wo's brennt, keinen Lärmen; das geht mich nichts an, das geschieht oft.‹ – Ich hätte vor Ungeduld vergehen mögen, springe in meine Chaise, nehme aus dem nächsten Kruge Branntwein und Brot, was der Wagen führen kann, und fahre auf das Feuerzeichen zu. Ob ich erstaunt war über Das, was ich fand, können Sie urtheilen.« – Man lachte über seinen Irrthum, der wol nur halb wahr sein mochte, bis er ernsthaft wieder anfing: »Wissen Sie aber, daß wir es darauf wagen, mit erfrornen Pferden nach Hause zu fahren? Das ist eine Kälte, wie ich sie nie erlebte!« – Indeß kam ein Bedienter, um dem Marschall etwas in's Ohr zu sagen. Dieser antwortete: »Laß sie noch mehr Feuer machen!« – »Es ist kein Holz mehr bei der Hand,« sagte der Mensch betreten. – Mich empört es, die Antwort zu wiederholen, die der Marschall mit einem Fluche verband. Die Fürstin vernahm die Unterredung und drang auf die Abreise – wir stiegen die schauerliche Treppe hinab, die Kälte benahm uns den Athem. In dem Hofe loderten die Feuer nicht mehr, sondern von großen Kohlenhaufen blies ein schneidender Nordwind die Asche, und schwarze, elende Gestalten gingen heulend im Kreise [199] umher oder hockten an der dunkeln Glut. – Seitdem las ich Dante's Hölle, ich fand, das Bild gehöre dahin. – Man that sein Möglichstes, sich in den Schlitten zu verhüllen; Mortan behauptete, er müßte auch Theil an der Gesellschaft haben, und erhielt von der Fürstin die Erlaubniß, mich in seiner Chaise nach Hause fahren zu können. Alle Pferde waren von dem langen Stehen in dem offenen Gemäuer bei der ungeheuern Kälte erstarrt, nur die Mortan's, die vor kurzer Zeit angekommen waren, waren frischer, man trug ihm also auf, vorauszufahren, um den Andern Muth zu machen. Wie er mich in den Wagen gehoben hatte, eilte er auf ein Paar Menschen zu, die sich auf den Schnee legten, riß sie auf und beschwor sie, sich schnell zu bewegen um dem Erfrieren zu entgehen. Ich bemerkte, daß er unmuthig war, aber ohne ihn zu errathen, denn das Feenmäßige des Abends hatte mich sehr zerstreut. Kaum waren wir unterweges, so scheuten unsere Pferde, sprangen zur Seite und zogen die Chaise in den tiefen Schnee. Auf Mortan's Frage sagten die Bedienten, die sogleich abgestiegen waren, es läge ein Mensch im Wege, der schon ganz starr gefroren sei. Mortan rief einige englische Worte aus – wenn er vom Gefühl hingerissen ward, waren seine Ausrufungen in dieser Sprache, weshalb ich ihn dennoch für einen Engländer halte – und sprang aus dem Wagen. Nach einigen Secunden, in welchen die Schlitten uns näher kamen, trat er zu mir und bat mich, zur Fürstin zurückzukehren – »Ich habe hier, sagte er, zwei Unglückliche, denen zu helfen ich einen Versuch machen werde; Sie – und er nannte [200] mich mit Nachdruck ein gutes, menschliches Wesen – Sie werden mir gern erlauben, lieber barmherzig als galant zu sein.« Hier faßte er mich wie ein Kind mit allen meinen Pelzhüllen in die Arme und trug mich über den knisternden Schnee an der Fürstin Schlitten. »Zwei Ihrer Leute liegen erfroren im Wege, rief er dem Marschall zu; ich fahre sie zum nächsten Wundarzte, vielleicht retten wir sie.« So schob er mich in den Schlitten hinein und eilte fort. Der Marschall nannte ihn einen wohlthätigen Murrkopf und entschuldigte ihn bei der Fürstin, daß er mit seiner Don Quixotte's Laune so oft dem Scherz eine ernste Tinte gäbe. Sie antwortete mit einem Wesen, das ich nur an Weibern sah, die durch Schönheit und Geist ihres Einflusses gewiß sind. Bloßer Stand erlaubt es nicht; es würde bei einer Königin übermüthige Härte heißen. »Freilich ist er ein Thor, antwortete sie, denn er nimmt nicht wahr, wie vergeblich er uns in's Gewissen redet. Verstanden Sie denn nicht, Marschall, daß er Ihnen sagte: Sie haben ein Paar Menschen ermordet, um einem Weibe eine Fete zu geben?« – Der Marschall war empfindlich, antwortete aber schmeichelnd. »Nur fort,« sagte sie kalt, »Sie treiben Ihr Handwerk, aber ein Fremder sieht diese Dinge anders an, und ich möchte vor Scham vergehen, wenn wir so in unserer weichlichen Barbarei vor ihm stehen.« – »Schöne Dame,« rief der Marschall spottend, »das könnte ja in einer Volksrede an der Seine prangen!« – »Was ich sage? ja! und was Ihr thut, führte jene Volksreden herbei. Ihr wollt Eure Nation befreien, und haltet das Leben Eurer Brüder[201] nicht werth, den Schlitten anhalten zu lassen.« – Der Marschall suchte sich mit empfindsamen Phrasen zu retten, sprach davon, daß die Familien dieser Unglücklichen ein Denkmal ihres schönen Zornes sein sollten, durch die Wohlthaten, mit denen er sie überhäufen würde. Sie beantwortete alle seine Unterwürfigkeit mit einer Darstellung des allgemeinen Charakters unseres Adels, und besonders dessen, der sich jetzt zur Revolution rüstete, zu der sie die grellsten Farben brauchte. Ihre Zunge war wie ein schneidendes Schwert, und der Marschall erwiederte keine Sylbe. Endlich schloß sie mit den Worten: »Und weil ich uns nun von Herzen verachte, bin ich dem russischen Hofe zugethan, und bleibe es, bis eine eiserne Noth Euch Männer zerquetscht hat; dann mögen meine Söhne das Racheschwert fassen, oder ich verneine sie noch im Grabe.« – Ich saß stumm und zitternd – so hatte ich noch nicht sprechen hören, so noch nie Schmach ausschütten hören – und sie ergoß sich über mein Vaterland!

»O blute, blute, armes Vaterland!« – – – wie Sie mich Shakespear kennen lehrten, und mich bei diesen Worten, die Macduff ausspricht, eine heftige Rührung ergriff, wunderten Sie sich – diese Worte dachte ich damals, wo ich keinen Shakespear kannte, und deswegen rührte es mich so, daß vor Jahrhunderten die Muse einem Menschen den Schmerz offenbarte, den mein Gemüth damals empfand. Ich hatte Zeit, ihm nachzuhängen, denn von da an herrschte todte Stille in unserm Schlitten bis zu unserer Ankunft. Lange nachher hörte ich, daß die Fürstin durch dieses Gespräch den [202] Marschall, dessen schwankender Charakter beide Parteien aufhielt, zu einer Entscheidung hatte bringen wollen. Es gelang ihr, denn er trat bald nachher als offenbarer Beförderer der Revolution auf. Ob die Fürstin das wollte, weiß ich nicht; sie verließ Polen noch vor der Annahme der Constitution, um nach Italien zu gehen, von wo sie noch nicht zurückgekehrt ist. Ich verstehe diese Frau nicht; wenn ich mir aber Heldinnen jedes Jahrhunderts denke, steht unwillkürlich ihr edles Bild vor mir da.

In der Gesellschaft wurden die beiden verunglückten Menschen gar nicht mehr erwähnt. Ich suchte gleich den folgenden Tag Mortan auf, um nach ihnen zu fragen – einer von ihnen war ein Weib, ein hochschwangeres Weib! sie war dahin! Sie war die Frau eines Leibeigenen des Marschalls, und hatte mit vielen Anderen an der Einrichtung des Zaubercabinets arbeiten müssen. Dieses Unternehmen war nur durch Überfluß von Geld und Menschenmühe so schnell zu Stande gebracht; noch bis zum Augenblicke unserer Ankunft hatte man Steine fortgeschafft und den Weg dann mit Schnee, den man feststampfen mußte, beschüttet; das arme Weib hatte, durch seine Bürde ungewöhnlich ermüdet, ihren Mann gebeten, sie einen Augenblick ausruhen zu lassen, der Schlaf hatte sie, Starrheit ihren Mann befallen, dieser hatte, wie seine Stellung zeigte, da mitten im Wege unsere Pferde vor ihm scheuten, sich noch retten wollen, und war auch durch Mortan's beharrliche Bemühung wieder in's Leben zurückgerufen worden. Im Ergusse meines Gefühls pries ich sein Glück, eines Menschen [203] Leben gerettet zu haben. Er antwortete finster: »Das ist ein schlechtes Glück, mein Fräulein, was ich hatte, und was ich dem Elenden schenkte; ein dumpfes Dasein, das nur durch schreiendes Bedürfniß oder sklavische Strafe empfunden wird. Wie viel wohlthätiger schien mir der Anblick der starren Mutter in ihrem tiefen Schlafe, von dem sie zu keinem Jammer mehr aufwachen wird, als der wiederbelebte Vater, den halbnackte Kinder mit blödsinniger Neugier nach der todten Mutter fragten.« Ich schauderte vor diesem Bilde; ich bat, er sollte mir seinen Diener schicken, ich wollte den Leuten Unterstützung senden. Ich sagte viel Kindisches, Vieles, was sich, unreif und überspannt, in meinem Kopfe formlos umherwälzte; mein schmerzhaftes Gefühl, überall Verderbniß und nirgends Hoffnung zu sehen, riß mich hin, meine Schüchternheit zu vergessen. Mortan nannte mich ein edles Gemüth und sagte, ich sei um ein halbes Jahrhundert zu früh in meinem Vaterlande geboren. – Gebe Gott, daß also ein halbes Jahrhundert später Herzen wie meines, unzerquetscht von Jammer und Unrecht, in diesem Lande schlagen können! – Seitdem war die Familie des erfrornen Weibes unser Geheimniß; er ließ mir die Freude, mit Aufopferung manches Überflusses für die Kinder zu sorgen, er selbst nahm sich eines Knaben von dreizehn Jahren an, den er zu sich nahm, und der ihn, von dem Marschall feierlich ihm geschenkt, bei seiner Abreise aus unserm Lande begleitete.

Über diesen Dingen, die ich Ihnen mit lebhafter Erinnerung erzählt habe, bin ich weit von meiner Geschichte abgekommen. Außer den Festen und Gesellschaften [204] beschäftigte mich in demselben Winter, in welchem ich zum ersten Male in die große Welt trat, auch eine sehr ernsthafte Begebenheit. Mein Aufenthalt in der Stadt ward benutzt, um mir den Religionsunterricht zu geben, der bei den Protestanten dem öffentlichen Bekenntnisse und der ersten Communion vorhergehen soll. Der lutherische Prediger in W. war ein guter, höchst beschränkter, mit Armuth kämpfender Mann. Eine Menge Kinder erschwerten seine Lage; in den Bürgerkriegen war er in Koszlowin von den Russen belagert worden und hatte das schreckliche Schicksal dieser Stadt, wo sich die Conföderirten vertheidigten, getheilt. Hunger und Furcht hatten die Einwohner erschöpft, die unmenschliche Behandlung, die allen überwundenen Städten, ohne Rücksicht auf Parteihalten, zu Theil ward, hatte den Muth der Vertheidiger zur Verzweiflung, ihren Haß zur Wuth erhöht. Feuer wüthete durch die Gassen, die hölzernen Häuser boten nirgends Schutz, die Mütter liefen, mit ihren Kindern auf dem Arme, der Glut aus dem Wege, sie kletterten auf die Wälle und warfen sie, von der leckenden Flamme erreicht, flehend den russischen Soldaten zu – die Barbaren empfingen sie auf ihren Bajonetten, und die Unglücklichen wurden, in Starrsucht versunken, von ihren Vertheidigern zertreten, oder irrten, ihres Verstandes beraubt, in die Flammen zurück. –

So ward mein Volk behandelt! Die Unmenschen, die es damals zerfleischten, setzen ihm wieder den Fuß auf den Nacken. – Und ich soll froh sein? Ich soll in einer Welt leben, wo solche Gräuel vorgehen? Ich[205] soll Menschen angehören, die ihres Meisters Ebenbild so vertilgten? Denken Sie, ich sei thöricht genug, um Reinigkeit, Heiligkeit, Freiheit im Kloster zu suchen? – Eine Mauer suche ich, die mich von dieser Welt scheidet – – –

So, gedrückt von seiner kalten Religionslehre, gedrückt von Schicksalen, die Helden oder Knechte bilden müssen, gedrückt von Nahrungssorgen, hatte dieser Mann gerade die Eigenschaften, die nöthig waren, um ein junges Gemüth vor aller Exaltation zu bewahren, die durch religiöse Empfindungen so leicht angefacht werden konnte. In seinem Kopfe stritt Secteneifer mit Menschenfurcht, und er lehrte mich die Dogmen unserer Kirche mit dem Fanatismus, der ihr ein nicht unwichtiges Mitglied zusichern wollte, und mit der furchtsamen Zweideutigkeit eines Menschen, der es nicht vergessen konnte, daß seine Schülerin in naher Verbindung mit wichtigen Häuptern seiner Gegenpartei war. Anstatt seine Kirchenlehre mir zuzueignen, lernte ich über Glaubenslehren überhaupt nachdenken und meinen Glauben, den mir früher Schmerz und früher Trost, von Gott selbst mir zugesandt, erworben hatte, noch fester halten. Aber froher machte mich das nicht, nicht verband es mich mehr mit den Menschen um mich her – im Gegentheil, ich lernte in dem Verhältnisse, welches mir dieser lutherische Geistliche in dem Menschen zeigte, eine neue verächtliche Seite meiner Landsleute kennen, denn forschsüchtig, wie ich nun einmal bin, las ich und grübelte so lange, bis ich endlich sah, wie wenig Religionswärme in dem Religionsstreite unsers Landes stattgefunden hatte.

[206] Die Zeit meines Unterrichts ging zu Ende, und ich sollte dem ersten öffentlichen Religionsactus in der Ostercommunion beiwohnen. Mein verewigter Lehrer hatte mir die Bedeutung dieser Handlung in den letzten Zeiten seines Lebens auseinandergesetzt, und mir war ein wehmüthiges Bild von diesem Vereine frommer Verfolgter, Verkannter, zu gleicher Liebe und Entsagung durch das Band der Liebe sich Verbindender geblieben. Was sie in der protestantischen Kirche jetzt sei, hatte ich nicht bedacht, bis mein Lehrer diesen Gegenstand mit mir durchging. Ich sah nun wohl, ohne mir die Sache schulgerecht erklären zu können, dieser einfache Gebrauch sei ein Symbol geworden. Klar mir bewußt zu werden, was es eigentlich vorstellen sollte, gelang mir nicht, weil mir bei der Darstellung, die Amadeus mir machte, gar keine Erinnerung an etwas geheimnißvoll Überirdisches geblieben war, ich konnte also meines Lehrers Bemühung, meinen Glauben dabei in Anspruch zu nehmen, nicht reimen. Zufällig kam ich darauf, mir durch den Vergleich mit der katholischen Kirche Licht verschaffen zu wollen, denn des lutherischen Geistlichen Versicherung, daß sie unvernünftig sei, machte mir Hoffnung, sie als Gegensatz benutzen zu können. Ich kam zu einem sonderbaren Resultate – ich begriff meinen Lehrer nun gar nicht mehr, mir war aber, als wenn ich die katholische Lehre wol glauben könnte. Da ich seit unserem Aufenthalte in der Stadt als ein erwachsenes Frauenzimmer behandelt wurde, ward es mir leicht, unbemerkt in die Messe zu gehen. Ich wohnte einem Hochamte bei, in der Absicht, über den Sinn der Handlung [207] nachzudenken. Kaum war sie aber begonnen, so fühlte ich eine Sehnsucht nach etwas Höherem, als die Erde, auf der ich kniete, und wie der Priester die Monstranz aufhob, war mir's, als zerrissen die Wolken über meinem Haupte und ein lebendiger Strahl der Gottheit erleuchtete mein Gemüth. Ist das Glaube? dachte ich halb bestürzt, und wartete halb bange und halb neugierig auf das Osterfest, welches mir die Ceremonie meiner Kirche lehren sollte.

Es kam. Die Kirche drückte mich mit ihren dunkeln, nackten Wänden, die Menschen, die sich dem Altar näherten, quälten mich mit ihren Gesichtern und Stellungen, die alle den Stempel ihres gemeinen Lebensberufs trugen; vor mir standen ein Paar Frauen von Stande, die sich von reichgekleideten Dienern die Schleppe tragen ließen – ich dachte an Amadeus Erzählung und fühlte mein Herz beengt, denn ich fühlte Widerwillen. Um mich von diesem sündigen Gefühle zu zerstreuen, blickte ich umher, und erblickte unter den Männerreihen, die mir gegenüber derselbe Zweck zusammenrief, Großmaniev in der Uniform seiner Provinz, mit dem rothen Bande geziert. – Wie ein Blitzstrahl fuhr mir die Ahnung durch den Kopf, daß dieser Auftritt Bezug auf meine Zukunft haben sollte. Mir schienen augenblicklich einzelne Worte meiner Eltern, einzelne Züge in dem Betragen dieses Menschen Beziehungen zu haben, und mit einem peinlichen Kampfe in meinem Innern folgte ich dem Fortschreiten der frommen Handlung.

Ich bin schon besser geworden, meine Freundin, als ich damals war; ich fühle es, daß es mir gelingen[208] wird, noch besser zu werden. Jetzt geht meine Heftigkeit in Nachdenken und bald in Sanftheit über, dazumal ward sie Starrsinn und Bitterkeit. Ich fand nun keine Wärme mehr im Herzen für die Handlung, wegen der ich gegenwärtig war, kalt verglich ich sie mit den Liebesmalen der ersten Christen und mit dem erhabenen Zauber der katholischen Kirche, und sehnte mich aus einer Welt hinweg, wo nur Alles die Seele verletzte.

Bei meiner Rückkehr in's Palais fand ich einen großen Cirkel, der mich mit Glückwünschen überhäufte, meine Mutter überreichte mir einige sehr schöne Geschenke und sagte mir einige schmeichelhafte Reden über die Rechte, die ich nun, als erwachsene Tochter, erlangt hätte. Ich hörte Alles mit halber Betäubung an. Der Zustand war unnatürlich, ich hoffe es! denn ein junges Geschöpf, das an diesem Tage vernünftelt, vergleicht, beobachtet, statt hingerissen zu werden, wäre gewiß auf einem gefährlichen Wege. Unter den herzutretenden Gästen war auch Großmaniev. Er sprach von der geistigen Verwandtschaft zwischen uns halb frömmelnd, halb zärtlich – ich wies ihn mit einer erstarrenden Kälte zurück und suchte mich Mortan zu nähern, um, wenn zur Tafel gerufen würde, ihm meine Hand zu geben, da ich Großmaniev's Nachbarschaft verabscheute. Mortan sah sehr ernst aus. »Sie haben heute ein Gelübde abgelegt, sagte er mit einer Art Kälte, bei dem ein junges Herz lebhaft empfinden, ein reifer Geist ernsthaft nachdenken muß. – Sie haben Beides; die Wolke, die ich auf Ihrer Stirn sehe, wundert mich nicht.« – Statt mich zu beruhigen, spannten mich diese Worte [209] nur noch mehr; ich erwiederte übereilt: »Das Herz kommt wenig in's Spiel, wenn der Geist früher nachdenkt, als jenes empfindet.« – Mortan sah mich beunruhigt an. – »Ich verstehe Ihre Worte nicht, theures Fräulein; was ich aber in jedem Falle wünschte, das wäre, Ihr Herz mit Ihrem Kopfe so viel wie möglich in's Einverständniß zu bringen.« – Mir war nur der Gedanke, in ein Kloster zu gehen, gegenwärtig, ich antwortete, ohne zu bedenken, wie fremd mein Ideengang Mortan sein müßte, mit jugendlicher Festigkeit: »Die sind einig, die sind es!« – Man rief jetzt zur Tafel, und ich reichte Mortan, der mich befremdet betrachtete, die Hand. Wie sehr war ich aber bestürzt, als mich meine Mutter im Tafelzimmer aufrief, mir den Ehrenplatz anwies und Großmaniev an meine Seite setzte. Meine Fassung bei der Tafel war peinlich, sie kam aber den Anwesenden wahrscheinlich nachdenkend und gesammelt vor. Nachdem wir in den Salon zurückgekehrt waren, foderte man mich auf, Musik zu machen. Ich setzte mich unmuthig an den Flügel – plötzlich fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf, vor dem ich mich jetzt schäme, denn er bewies meinen Mangel an Fassung, an Anstand, an Geschmack. Ich warf die Noten, welche auf dem Pulte lagen, bei Seite, flog auf mein Zimmer und brachte eine Messe zurück, die ich schon lange konnte und unzählige Male in meiner Einsamkeit gesungen hatte. Von einer sonderbaren Spannung, an der Furcht den größten Antheil hatte, begeistert, rief ich Mortan an den Flügel und reichte ihm die Geige, die er sehr fertig spielte; ein junger Verwandter, [210] der mir oft accompagnirte, spielte die Flöte. – »Welch ein Einfall!« rief meine Stiefmutter, indem sie die Musik erkannte und die Hand danach ausstreckte. – »Sie haben mich heute durch die ehrenvollste Auszeichnung emancipirt, gnädige Frau, sagte ich, und zog die Noten zu mir, erlauben Sie mir, zur Unterhaltung Ihrer Gäste meinem Caprice zu folgen.« Mit Zorn in den Blicken ging sie zu meinem Vater, der schon am Pharaotische saß, und sprach lebhaft mit ihm, indeß unser Concert schon anging. Es schien der Geist der Tonkunst auf uns niedergestiegen zu sein. Die Spannung meines gequälten Gemüthes ging in Andacht über, ich wußte nicht mehr, was um mich vorging; der Trotz, der mich zu der Wahl dieses Gesanges bestimmt hatte, war verschwunden. Ich bemerkte nicht die zunehmende Stille um mich her, nicht die Thränen, die meine Wangen benetzten; wie aber der letzte Ton verhallte und Mortan mir zuflüsterte: »Um eine Cäcilia in Ihnen zu sehen, fehlt's unsern Augen nur an der Fähigkeit, die Engel, die mit uns horchten, zu erblicken« – bei diesen Worten kam ich zu mir selber, alle Fassung, aller Trotz war dahin, mir war's, als hätte man mir meinen Gott genommen, und mit zerrissenem Herzen eilte ich auf mein Zimmer, das ich, ungeachtet der Auffoderung meiner Eltern, nicht mehr verließ.

Den folgenden Morgen machte mich mein Vater mit seinem Entschlusse, mir Großmaniev zum Gatten zu geben, bekannt. Ich hatte, während der langen Nacht, Zeit gehabt, alle Möglichkeiten, so weit mein armer junger Kopf meine Lage fassen konnte, zu überlegen; [211] mir war dieser Vorschlag also gar nicht unerwartet, aber noch begreif' ich nicht, warum bei meines Vaters Antrage mein Stolz zuerst sich empörte. Ich rief mit einer Geringschätzung, in welcher alle die empörten Gefühle, welche mich bestürmten, zusammengepreßt waren: »Wie, mein Vater! Ihrer Gemahlin Tochter, die Enkelin der Silberstadt, einem Abenteurer, den Hofschranzenbiegsamkeit zum Glückspilz machte?« – Hohe Zornröthe flammte auf meines Vaters Gesichte auf. Furcht ergriff mein Herz, und ich glaubte nun Alles wagen zu müssen, da mir das Ärgste zu drohen schien. »Einem Menschen wollten Sie Ihr Kind geben, fing ich wieder an, der gestern den Lutheraner zur Schau trug, um meine reichen Güter in Schlesien wegzuhaschen ......« Hier unterbrach mich mein Vater, indem er mit unseliger Heftigkeit den Besitz dieser Güter als den einzigen Grund darstellte, warum er mit meinem Stolze, meiner Verkehrtheit Geduld habe; er redete sich selbst in immer größere Heftigkeit hinein und erklärte, daß er mich ohne diese Herrschaften, welche ich besitzen sollte, und wenn mein ewiges Wohl darum zu Grunde ginge, schon bei meiner Mutter Tode in ein Kloster gesteckt hätte, wo ich meine Visionen ein langes Leben durch hätte verfolgen können. Bei diesen Reden schien plötzlich meine Seele entfesselt, eine Himmelsstimme schien zu mir zu sprechen, ich stürzte zu meines Vaters Füßen und flehte ihn, noch jetzt diese Drohung zu vollführen. Wie sich die Reden weiter in einander fügten, weiß ich nicht, aber ich erklärte meinen festen und bestimmten Entschluß, den Schleier zu nehmen.[212] In ungeheurer Angst findet die Seele gewiß Kräfte, deren sie sich vorher nicht bewußt war, diese kommen ihr von Gott! wie viel mehr muß sie ein hülfloses Kind finden, wie ich damals war, dem Gott stets näher stehen muß, weil es hülflos ist Ich ward ruhiger und ruhiger, obschon ich jetzt weiß, daß mein körperlicher Zustand nicht natürlich war, ich versicherte meinen Vater, daß kein Zwang möglich sei, denn ich würde immer einen Augenblick finden, meinen Übertritt zur katholischen Kirche öffentlich zu erklären, und ob ich dann auf Schutz rechnen könne, wisse er am besten; lasse er mir aber meine Freiheit, würde er mir Großmaniev's verächtlichen Namen nie mehr nennen, so verspräche ich ihm, den Schleier erst nach meiner Mündigkeit, also in meinem fünf und zwanzigsten Jahre, anzunehmen. Bis dahin sollten die Einkünfte meiner reichen Güter zu einem Capital für meine Schwester Aloysa aufgehäuft werden. Meine Mutter, die bei der ganzen Unterredung eine meist stumme Zeugin abgegeben hatte, schien hier wirklich gerührt; sie zog mich in ihre Arme und sagte zu ihrem Gatten: »Versprechen Sie ihr nichts, lassen Sie sie nichts versprechen, Sie werden sie nie in's Kloster gehen lassen, sie wird nie den Fluch ihrer Eltern durch eine öffentliche Empörung auf sich laden wollen. Theofanie ist erst sechzehn Jahr alt, sie muß die Welt erst kennen lernen – lassen Sie ihr Zeit, sich zu besinnen, und mir, auf sie zu wirken!« Ich hörte meines Vaters Reden nicht mehr, die Anstrengung hatte mich der Besinnung fast beraubt, meine Mutter leitete mich aus dem Zimmer, aber meines [213] Vaters Zorn mußte durch den Widerstand meiner Mutter auf's höchste gestiegen sein, denn wie die Kammerfrauen mich auskleideten, um mich zu Bett zu bringen, sagte die Castellanin ein Paar Mal: »Er hätte sie ermorden können – da wäre seine Speculation schön verdorben.«

Ich hütete einige Tage das Zimmer. Meine Spannung ging vorüber, aber mein Entschluß stand fest. Ich fand, daß vor meiner Volljährigheit kein entscheidender Schritt zu thun sei, aber bis dahin gezwungen werden zu können, fiel mir nicht ein, denn ich kannte die Mittel, mich in dem Falle der väterlichen Gewalt und im ärgsten dem Leben zu entziehen. Die Castellanin deutete mir an, daß mein Vater in keinem Stücke von seinem Willen abwiche, aber um meiner Jugend willen meine Heirath noch ein Paar Jahre aufschöbe; Großmaniev habe ich indessen als meinen künftigen Gatten zu betrachten. Ich wiederholte meiner Mutter meinen Entschluß, und versicherte sie, daß ich dem zu Folge jenen Mann nicht als meinen Verlobten behandeln würde.

Wie peinlich nun mein Leben war, können Sie sich denken. Peinlich, aber lohnend. Mein Wesen erstarkte im Drange der Nothwendigkeit; ich glaube, es entwickelte sich, obschon, seit ich Sie kenne, meine Begriffe von mir in eben dem Maße gesunken sind, wie Ihre Güte und Geduld, meinen Geist zu bilden, bestrebt war. Meines Willens, ist er einmal gefaßt, bin ich sicher, aber wie viel meiner Erkenntniß abgeht, um für diesen Willen die beste Wahl zu treffen, das sehe ich immer mehr und mehr ein.

[214] Großmaniev zu behandeln, ward mir nicht schwer. Er ist ein elender, furchtsamer Mensch, mit dem ich meinen Weg gehe. Ich sagte ihm bei seinem ersten Besuche meine Denkungsart und Entschließung, setzte aber hinzu, daß ich dem Willen meines Vaters, ihn als seinen Gast aufzunehmen, nicht widerstreben könnte, daß ich ihn also wie jeden Andern aus der Gesellschaft behandeln würde; zwänge er mich durch Zudringlichkeit zu andern Maßregeln, so trät' ich bei der ersten Messe in des Bischofs Hauskapelle und erklärte mich für eine Convertite. Wolle er dann seine Bewerbung bei dem verarmten Fräulein fortsetzen, so wäre das seine Sache. Der Elende sagte eine Menge platter Dinge, und blieb in den Schranken, die Sie ihn noch beobachten sahen. Mein Vater bewachte mich streng und sprach seitdem kein freundliches Wort mehr mit mir, ich ertrug es stets als etwas Unvermeidliches, ernstlich bemüht, durch keine meiner Handlungen diese Lieblosigkeit zu verdienen. Die Castellanin war freundlicher als je und machte mir bange. Sie überhäufte mich mit Geschenken, zwang mich zu einem Putze, der oft mein Gefühl für Anstand beleidigte, erlaubte mir keine einsame Stunde zu meinen gewohnten Beschäftigungen, war bemüht, meinen Gesang, mein weniges Talent zur Musik überall geltend zu machen. – – – – Geschadet hat sie mir nicht, aber beraubt hat sie mich vieles Glückes. Mir sind so viele Gaben Gottes zur Sünde geworden, weil sie zur Sünde sie gebrauchen wollte – – – Das werde ich wol nie vergessen.

[215] Der Sommer kam heran, und wir gingen nach W–ky, wo man zahlreiche Gäste erwartete. In den neun Monaten meiner Abwesenheit war ich um viel Jahre älter geworden, das Wiedersehen meines Jugendschauplatzes durchdrang mich mit wunderbarem Gefühl. Seit mein Verhältniß mit meinem Vater so gespannt war, hatte ich mich mit einer Kälte bewaffnet, die nicht zu meinen Jahren paßte, ich hatte mein Herz mit einer künstlichen Rinde umzogen – bei dem Anblicke meiner Kindheitsstätten schmolz sie vor dem Strahle der Erinnerung, wie die Eisrinde, die noch vor wenig Tagen meinen Lotus, meine Maiblumen bedeckt hatte, vor dem Strahle der Sonne geschmolzen war. Ich ging umher mit unaussprechlicher Wehmuth! Es war wie ein neues Todtenfest, das mit einer Auferstehungsfeier verschmolz – Frühling und Gräber! – Ich ging zu den Trümmern meines alten Heiligthums, kniete auf die gestürzte Mauer und küßte die Züge der leidenden Mutter, die auf einem unzerbröckelten Stücke des Anwurfs, von Thau und Regen reingewaschen, noch deutlich zu sehen waren. Ich wagt' es, den Platz reinigen zu lassen, das Buschwerk ward aufgebunden, ein Paar Bänke umhergestellt, wohlriechende Pflanzen in artigen Vasen setzte ich vor die Öffnung der Mauer, wo der sanfte Abendstrahl eindrang. Die Wirkung, die eine sonnenhelle, weit ausgebreitete Landschaft machte, die sich durch die verfallene Mauer darstellte, indeß der Zuschauer in dem dichten Schatten der Tannen und blühender Sträuche stand, war überraschend. Die kalte, unverhohlene [216] Weise, wie ich die Anordnung traf, hinterging meine Eltern, so daß sie nichts dagegen einwendeten, wie mir der Fürstbischof anbot, den Durchbruch der Mauer in einen großen Schwibbogen fassen zu lassen. Ich küßte ihm dankbar die Hand. Der Bogen ward gemauert, so wie Sie ihn kennen, und auf meinen Einfall mit den tiefen, schwarzgemalten Wänden versehen, welche den Anblick der Sonnenhelle so zauberisch machen. Daß der Ort einige Tage lang das Ziel platter Neugier sein würde, wußte ich; bei der ersten Klage einer Unpäßlichkeit Eines aus der Gesellschaft gab ich dem feuchten Aufenthalte bei dem Bogenfenster die Schuld, und bald war es wieder mein einsames Eigenthum.

[217]

Zweiter Abschnitt

Am Schlusse der vorhergehenden Erzählung erscheint Theofanie in einer Art von Krisis ihres Charakters und ihrer Lage. Wir sehen ein Mädchen, das über ihre Jahre gebildet ist an Geist und Gefühl, über ihre Jahre fest an Willen und Entschluß, aber ganz so unerfahren über Menschen und Dinge, wie es ihr Geschlecht in dem Alter, worin sie sich befand, mit sich bringen mußte. Die Menschen, unter denen sie sich befand, der Zeitpunkt, in dem sie lebte, waren nicht dazu gemacht, ihre Ansichten zu mildern, ihre Gefühle herabzustimmen. In Theofaniens Vaterlande zeigten sich die Menschen noch in größeren, stärkeren Umrissen, als bei anderen Nationen, denen Cultur und Convenienz weniger Eigenthümliches gelassen hat. Das Laster war dort roher, und die Tugend kühner; ein Volk existirte nicht, und darum war der Adel adeliger, denn er kann nur neben Sklaven bestehen. Wer jenes Land nicht kennt, der wird manches Gemälde grotesk finden, weil er die Verhältnisse seines Volkes hinein versetzt. Die polnische Nation [218] hätte können gebildet, andere müssen neu geschaffen werden. Man beurtheile also Theofaniens Geschichte nach keinem fremden Maßstabe.

Das unkundige Mädchen dachte sich ihre Lage viel gewaltsamer, aber viel weniger gefährlich, als sie war. Der Entschluß, den sie genommen hatte, diente ihr durch seine Einfachheit und Kühnheit zur Stütze; Zwang hatte sie berechnet, aber auf Verführung hatte sie nicht gedacht; die ist einer weiblichen Tugend so fremd, daß sogar eine Clarisse einen unangenehmen Eindruck macht, wenn man sie gegen diese überdachte Vorkehrungen machen sieht. Theofanie unterwarf sich mit Unmuth dem Zwange, der sie an ein stets wechselndes, geräuschvolles Leben fesselte, und nur ihre früh angenommene Gewohnheit, über sich selbst nachzudenken, nur ihr Bedürfniß nach ernster Beschäftigung waffneten sie gegen jeden Eindruck des sie umgebenden Verderbnisses. Bei dem Fürsten fanden sich während seines Aufenthaltes auf dem Lande nur die Personen ein, die durch Privatinteresse oder Parteigeist mit ihm verbunden waren. Unter diesen war keiner der Männer, die ihren Enthusiasmus für das Große und Schöne hätten erwecken können. Großmaniev brachte viel Zeit in W–ky zu, schien aber stets durch Theofaniens Kälte zur Behutsamkeit gegen sie gezwungen zu sein. – Uns fehlen von dem Schlusse der eigenhändig von Theofanien geschriebenen Blätter nähere Details über einen Zeitraum von einem Jahre, während dessen der kurze Krieg in Litthauen stattfand, in welchem Kosziusko die Russen schlug, bis die targowitzer Conföderation jenen beendigte. [219] Die Castellanin hatte diese Zeit mit ihrer Familie in Warschau zugebracht, und wir finden erst wieder nähere Nachrichten von Theofanien nach ihrer Rückkehr nach W–ky, wo ihre Stiefmutter ihr drittes Kindbett hielt.

Theofanie pflegte sie mit einer Sorgfalt, die sie selbst unendlich beglückte; denn sie fühlte ihren innern Beruf, wohlzuthun, erreicht. Selbst das verirrte Gemüth der Castellanin ward auf Momente von so viel Liebe ergriffen, aber sie drückte ihr Gefühl mit einer Heftigkeit aus, die dem jungen Mädchen weh that, denn sie sah wie Gewissensangst aus und erregte in Theofanien eine geheime Scheu gegen Das, was solcher Zärtlichkeit zum Gegensatze stehen könnte. Sie hatte nur zwei Schwestern und einen Bruder, den sie aber auch gern zum Mädchen gemacht hätte, weil sie alsdann alle hätte erziehen können. Ihr Eintritt in's Kloster hätte ihr noch eine lange Reihe von Jahren ihre Bildung erlaubt, denn die reine Weiblichkeit in ihrem Herzen konnte ein wohlthätiges Leben, konnte die Bestimmung ihres Geschlechtes nie von Mutterfreuden trennen. Das Wochenbett, eine darauf folgende lange Unpäßlichkeit hatten den Strom der Gesellschaft auf eine Weile unterbrochen; die ruhige Zeit verfloß aber auch und wechselte mit einer verdoppelten Flut von Zerstreuungen ab. Die russische Fürstin von S–ff, welche auf ihrem Wege nach Warschau einige Tage in W–ky zubringen wollte, veranlaßte die Vorbereitung zu den glänzendsten Festen. Eine Menge Fremder stellte sich dazu ein, und unerwartet erschien unter ihnen Mortan, [220] der Bekannte Theofaniens bei ihrem ersten Eintritte in die große Welt. Ihn begleitete ein Mann, den wir näher kennen lernen müssen, ehe wir Theofaniens Geschichte verfolgen.

Czesinsky's Vater war ein ansehnlicher podolischer Edelmann; er hatte sein ganzes Vermögen, das der Tod seines Vaters erst vor Kurzem in seine Hand gegeben hatte, als eines der eifrigsten Mitglieder der baarer Conföderation, dem Bedürfnisse der öffentlichen Sache geweiht. Seine Güter wurden von den Russen verheert, seine nächsten Verwandten fielen als Opfer ihrer feindseligen Wuth; ihm blieb keine Heimath mehr als das Schlachtfeld, und in diesem Berufe stieß er zu den Haufen, welche der tapfere Franciscus Pulavsky in dem schrecklichsten Zeitpunkte des Krieges, der Stanislaus Thronbesteigung folgte, in Litthauen anführte, und focht an der Seite dieses Helden, als er bei Ulodowa fiel. Blutend lag Czesinsky in einem einzelnen Tannengestrüpp, von einem Schlage mit dem Flintenkolben betäubt, auf einem Haufen von Todten und Sterbenden. Alle Gefallene, die in Uniform, ja die nur in Tuchröcke gekleidet waren, hatte der Feind geplündert, Czesinsky focht in einem Schafspelze, wie die Leibeigenen ihn tragen, denn er besaß schon lange kein Eigenthum mehr als sein Schwert, und seit jener Nacht, wo er seine Mutter und Schwester, die, dem Feinde zu entgehen, in die Wälder geflüchtet waren, nach langem Suchen in einer solchen Kleidung verhungert fand, hatte er einen Schwur abgelegt, nie eine andere als diese Kleidung zu tragen, bis der Tod dieser Unglücklichen [221] mit der letzten Kraft seines Armes gerächt sei. Die Nacht war eingebrochen, ein starker Regenschauer wusch eine leichte Wunde, die Czesinsky an der Stirn erhalten hatte, sie fing von Neuem an zu bluten, und so ward sein Leben gerettet. Mit seiner rückkehrenden Besinnung dämmerte die Ansicht seines Schicksals in ihm auf. Für ihn war nirgends mehr Hoffnung! Nicht im Kampfe – seine Waffenbrüder lagen alle auf der Wahlstatt hingestreckt, oder wurden in russischen Fesseln den asiatischen Wildnissen zugetrieben; nicht in der Heimkehr – sein Vaterhaus lag längst in Trümmern und Asche; nicht im Verbergen, bis bessere Zeiten erschienen – auf weite Strecken war kein Schlupfwinkel für ihn! Der verheerte, blutbegossene Vaterlandsboden hatte für Pulavsky's Waffenbrüder keine Zuflucht. Langsam wankte er über den Sand, um im nahen Walde ruhig zu sterben. Der Mond trat hervor, und die entstellten Todtengesichter seiner Gefährten schienen sich alle zu ihm zu wenden und ihn zur Ruhe, die sie genießen, einzuladen. Seine Kräfte schwanden ihm unversehens, er sank nieder und erwachte erst beim Aufgange der Sonne. Was mit ihm vorgegangen war, blieb ihm ein Räthsel; nur erinnerte er sich, daß er neben den Todten hingesunken war; doch jetzt lag er von dem Arme des Einen umschlungen, sein Kopf ruhte auf einer blutigen Brust. – Schaudernd war er bemüht, sich aufzurichten, als ein schwerer Beutel, der, wie es nachmals sich zeigte, Geld und Juwelen enthielt, neben ihm herabfiel. Sein erster Blick suchte das Gesicht der Todten – es war Hektor Slobasky, sein [222] Jugendgefährte, den sein Vater als Vormund erzogen, und mit dem er seine Liebe und Sorgfalt von Kindheit an getheilt hatte. Die Verwüstung ihrer Heimath hatte sie getrennt. Jeder kämpfte hier und da, wo Tapfere sich versammelten und der Feind verheerte, für die Sache des Vaterlandes; er wußte jetzt nichts von seiner Nähe, denn erst am Morgen des Kampfes war Hektor mit einem kleinen Haufen von Osten her eingetroffen und hatte sich mit Pulavsky, der vom nördlichen Litthauen heraufzog, vereinigt. Auch Hektor focht in Bauerkleidung gehüllt, wie so Viele überall, wo Rache zu hoffen und schreckliche Vergeltung zu zahlen war, und er fiel, wie so Viele, welche die Geschichte nicht nennt und die in jener Zeit kein Auge beweinte, weil Jammer und Haß die Wollust der Thränen längst vertilgt hatte. Wie der Todte mit Czesinsky in diese Stellung ge kommen war, die von Bewußtsein zeugte, bleibt unerklärt. Vielleicht rief ihn die Wärme auf einen Augenblick in's Leben zurück, die ihm Czesinsky mittheilte, der ihn mit seinem Oberleibe bedeckte; vielleicht sammelte allein die Höhe der Mitternacht noch einmal die Kraft des Lebens in seine durchbohrte Brust, daß er seinen Jugendfreund erkannte und mit seinem letzten Willen ihn liebte und für ihn sorgte. Denn gelebt mußte der Todte haben, denn sein Arm hatte Czesinsky umfaßt, und er mußte den Beutel, der sein Eigenthum gewesen war, ihm auf die Brust gelegt haben. Czesinsky legte sein Haupt auf Hektors bleiches Gesicht, das keine Wildheit, kein Schmerz entstellte, er drückte die Hand, die ihn umschlungen hatte, an seine Brust; Verzweiflung und Entschluß [223] zum Tode fachten seine Kräfte an, als die unter seinem Drucke erschlaffende Todtenhand ein kleines Crucifix fallen ließ, das der Sterbende gehalten haben mußte. Dieses Bild – es war dasselbe, vor dem der alte Czesinsky die Knaben jeden Abend hatte beten lassen – war das Bild des für die Menschheit sich Opfernden, vor dem der Alte seine Knaben wiederholt schwören ließ, sich dem Vaterlande zu weihen. Das fromme Symbol war ein Andenken von Hektors Vater, das seit Sobiesky's Kriegen, die sein Ahnherr mitfocht, in der Familie war, und deswegen schenkte es der Alte auf seinem Todbette dem Pflegesohne, und stark und treu sprach seit dem der brave Podolier durch das Organ dieses Holzes mit seinem Gotte. Czesinsky hielt das Kreuz Anfangs in schaudervoller Betäubung fest; in seinem erschütterten Gehirn malte sich das Gemach seines Vaters; ihm däuchte, er knie und bete, er ahnte den Jugendschlaf an seines Hektors Seite, und suchte das harte Bett, und sein Auge fand rund umher Leichen und Blut. Seine Seele durchflog die äußersten Grenzen des Schmerzes, bis gewohnte Empfindungen bei dem gewohnten Bilde ihn beherrschten und ein Gebet, das der Weltgeist verstand, so unthätig in diesem Augenblicke die Vernunft daran Theil nahm, ihm eine Art von Fassung verschaffte.

Mit Anstrengung aller seiner Kräfte trug er Slobasky's Leichnam über einen Theil der Wahlstätte in das dichte Gebüsch; dort bedeckte er ihn mit Moos und Zweigen, bis er ihn vor der Raubgier der Waldthiere hinlänglich gesichert glaubte, dann vertiefte er sich in[224] das Innere des Waldes, der ihm durch vorige Kriegszüge bekannt war. Wilde Beeren nährten ihn, und oft lange vergeblich gesuchte Quellen erquickten den Verschmachtenden. In den ersten Tagen traf er noch hier und da auf Leichname seiner Kampfgenossen, die verwundet ihre Flucht durch diese Wälder gesucht hatten, bald war er ganz allein, denn die Überlebenden hatten sich schneller gegen die südlichen Grenzen gezogen. Diesen Weg nahm auch Czesinsky, aber der Unglückliche fand bald, daß er nicht hoffen durfte, allein dieses Ziel zu erreichen; der Schlag, den er auf den Schädel erhalten hatte, mußte eine bleibende Wirkung auf seine Nerven hervorgebracht haben; nach vier oder fünf Tagen überfiel ihn eine Bewußtlosigkeit, die wie ein banger Schlaf aussah und viele Stunden mußte angehalten haben. Ein unaussprechliches Gefühl von Elend ergriff den Mann, der sich in den Jahren der Kraft, bei dem Jammergeschrei des Vaterlandes, nun gelähmt wußte zu jeder That. Nur der dem Menschen innewohnende Trieb nach Leben trieb ihn in der Richtung fort, in welcher er Rettung finden konnte. Ein zweiter Anfall des hülflosen Zustandes übereilte ihn nahe an dem Orte, wo er wußte, daß eine bewohnte Strecke Landes anfinge. Wollte er nicht wagen, russischen Truppen oder ihren grausamen Genossen in die Hände zu fallen, so mußte er die Gegend in einem weiten Halbcirkel umgehen. Wie seine Sinne zurückkehrten, sah er sich von Männern umgeben, die ihn durchsucht haben mußten, denn er erblickte sein Crucifix in der Hand des Einen, und seine Waffen lagen zerstreut auf dem Boden. [225] Bei der ersten Bewegung, die er machte, zogen die Männer ihre Schwerter. Halt! rief der Eine, der zur Seite stand, als wollte er den Mord wehren, der Mann ist verwundet! – Aber der nächste bei Czesinsky riß ein Pistol vom Gürtel, spannte es auf den Unglücklichen und rief im Tone des Vorwurfs: Baboky, er kann uns verrathen! – Baboky! schrie Czesinsky, vom Triebe der Selbsterhaltung ergriffen, riß dem vor ihm Stehenden das Crucifix aus der Hand und hielt es mit beiden Händen empor; bei dem Bilde des Gekreuzigten, ich bin Euer Bruder und habe bei Uladowa neben Franciscus Pulavsky gefochten. – Die Schwerter sanken, Baboky trat zu ihm und that ihm einige Fragen; Czesinsky beantwortete sie so, daß der Haufen bald überzeugt war, daß der Fremde zu seiner Partei gehörte und ihn und seine Kriegszüge sogar kenne. Baboky's Haufen war flüchtig, so gut wie das unglückliche Heer, das unter Pulavsky gekämpft hatte; sie zogen gegen den Dnieper, wo sie auf Vereinigung mit andern Haufen hofften, um dann zu neuen Angriffen zu schreiten. Czesinsky schlug ihre Hoffnungen grausam nieder, da er ihnen den Untergang der Conföderirten in Litthauen, die neusten Begebenheiten in Warschau und Pulavsky's Tod mittheilte. Nun war auf lange Zeit an keine Vereinigung eines größeren Heeres zu denken; wie gehetztes, dem Jäger mühselig entronnenes Wild lebten sie in diesen Wäldern, um Kunde von ihren Freunden zu erwarten. In der todten Mitternacht sendeten sie Kundschafter an die Grenzen des Waldes, um von den Baumgipfeln herab die Gegend zu erspähen, wo die [226] nahen oder fernen Feuersäulen der brennenden Dörfer den näheren oder ferneren Zug der Russen ankündigten. Nach jedem Brande vermehrte sich die Zahl der Flüchtigen um ein Paar Unglückliche, Rachedürstende mehr, die mit dem Schwerte in der Faust sich durch die Feindeshaufen retteten. Czesinsky fluchte seinem Dasein. – Du sollst es tragen, sagte ihm Baboky; so lange Du einen Säbel führen kannst, sollst Du nicht sterben! – und der Arme ahnete noch einmal ein Gefühl von Kraft, wenn er sich dem Feinde gegenüber dachte. Endlich durften sie es wagen, ihren Weg durch die Wälder fortzusetzen; ihr Haufen wuchs wieder an, sie suchten den Feind wieder auf, aber ohne Feuergewehr, ohne Pulver, vom Hunger in der Wildniß ermattet, wurden sie von der Übermacht niedergedrückt, und nach langen jammervollen Zügen gelangten sie in die Nähe des Flusses, dessen jenseitiges Ufer ihnen eine Freistätte bei den Ungläubigen versprach. Ihr Haufen war nur noch klein, aber den Vaterlandsboden verließen nur Die, deren Namen zu bekannt waren, deren Waffenthaten sich ausgezeichnet hatten; die Übrigen schlichen zu der verheerten Heimath zurück, nothdürftig den Boden zu bauen, den der Feind wieder verheeren sollte, eh' er seine Schätze entwickelt hatte.

Baboky hatte Czesinsky seit ihrem Zusammentreffen nie mehr verlassen; mit Brudertreue hatte er seine Habe geschützt, hatte ihm in den Stunden der Verzweiflung Muth eingesprochen, und wenn sein grauenvoller Schlaf ihn ergriff, wartete er, mit dem Säbel in der Faust, neben ihm die Zeit seines Erwachens ab, ließ die [227] Kameraden voranziehen und leitete den Kranken ihrer Spur nach. Mit ihm und wenig Waffenbrüdern verbarg sich der treue Podolier in den Trümmern eines Klosters bei Borowiça, das die Russen verbrannt hatten. Die überlebenden Einwohner waren in die Wälder geflohen, und die schwarzen Schutthaufen den Raben und Wölfen überlassen. Ein Bote ward jenseits des Flusses gesandt, um den Anführer des nächsten türkischen Postens um Sicherheit für den Übergang des kleinen Haufens zu bitten. Des Tages über verkrochen sich die Unglücklichen, Raubthieren gleich, in das verfallene Gemäuer; zur Nachtzeit bis zu des Morgens Grauen trieb sie das Bedürfniß in die Wälder, um Wildpret für ihre Nahrung zu suchen. Eines Abends, da die Zeit ihrer Streifzüge nahte, fiel Czesinsky in einen betäubenden Schlaf, wie sein treuer Baboky mit einem Theile der Jäger schon vorausgeeilt war. Die Übrigen, gewohnt, nur Baboky für ihn sorgen zu sehen, gingen ihrem Geschäfte nach und überließen ihn seinem Schicksale. Nach einigen Stunden erwachte Czesinsky; der Mond blickte durch die Mauerlöcher, der Wind rüttelte das Buschwerk, mit dem die leeren Fensterkreuze verstopft waren, ein Feuer, das bei der Entfernung der Jäger in dem verfallenen Kamin gebrannt hatte, glimmte noch in feuchtem Holze, das von Zeit zu Zeit knisternd auseinander fiel. – Matt ruhte Czesinsky neben der Glut und hielt sich staunend bei dem Gedanken auf, welche Bahn von Elend der Mensch durchwandern könne! Bald traf ein ferner, dumpfer Klageton sein Ohr; er sprang auf, ergriff seinen Säbel und ging dem Tone [228] nach. Wenn der Mensch bis zur Hülflosigkeit des Thieres gesunken ist, kennt er keine andere Begier mehr als das Leben, auch die Neugier erstirbt in ihm. Die Flüchtigen hatten ihren jetzigen Aufenthalt nie weiter untersucht, als es ihre Sicherheit bedurfte; auch jetzt war es nicht Neugier, was Czesinsky trieb – Anfangs schreckte ihn Selbstvertheidigung auf, und wie er den Jammerton unterschied, der Instinkt des Mannes, dem Schwachen zu helfen. Der Ton verlor sich und fand sich wieder, je nachdem er in dem verfallenen Gebäude umherging. Er befand sich in der Kirche, deren feste Mauern am unbeschädigtsten blieben, als die Klage deutlich sein Ohr berührte, deutlich von den geöffneten und beraubten Todtengrüften her tönte. Mit frommem Schauder zog er sein Crucifix aus dem Busen, und mit dieser Ägide stieg er die Stufen hinab. Ein mattes Licht schimmerte ihm entgegen, er ging dem Gewölbe entlang, schritt über Trümmer von Todtenkästen und Gebeinen, wendete sich in ein Nebengewölbe und fuhr mit Entsetzen zurück. – Ein Weib lag im Tode ausgestreckt auf angehäuftem Laube; neben ihr kniete, eingesunken in Schmerz, ein junges Mädchen; ihre Klagen hatten Czesinsky herbeigerufen. Am Fuße des Sterbelagers stand ein hohes schwarzes Kreuz, an dem ein weißes Gottesbild hing, und vor ihm brannte eine Lampe, deren rother, trüber Schein dieses Schauspiel aus der Nacht hob. Die Todte war die Gattin eines Conföderirten, dessen Güter in dieser Gegend lagen; er war unter den Waffen gefallen, die Feinde hatten seine Heimath verwüstet, sein Weib und seine Tochter hatten [229] sich nach Borowiça geflüchtet, bis auch diese Stadt zerstört ward. Nun irrten sie in den Wäldern, bis die Mutter erkrankte; dann brachte sie Stephanie und der alte Hauskaplan, der sie nie verlassen hatte, in dieses Gewölbe, denn sie glaubten, das Grauen vor den Todten würde die Lebenden schützen. Langsame Krankheit zehrte hier die Mutter auf, der Kaplan brachte ihnen ihre spärliche Nahrung, die er weither bettelte, oft von den Büschen im Walde mühselig zusammenlas; seit vier Tagen kam er nicht mehr, der Vorrath war verzehrt, und heute Nacht hatte der Tod mit sanfter Hand die Leiden der Mutter hinweggehoben. Aber Stephanie bebte ihm entgegen in unaussprechlicher Angst, denn draußen drohte die Wuth der Feinde und drinnen der Hungertod neben der Leiche der Mutter. In diesem Augenblicke erschien ihr Czesinsky wie ein rettender Engel. Er beredete sie, das Todtengewölbe zu verlassen, und zündete in dem Schlupfwinkel seiner Genossen das glimmende Feuer wieder an. Noch hörte er auf ihre Erzählung und harrte auf die Rückkehr seiner Freunde, die mit ihrer Jagdbeute Stephanien laben sollten, als Waffengeklirr und wildes Geschrei auf sie eindrang; er ergriff seinen Säbel, Stephanie sank, von Angst und Hunger entkräftet, zu seinen Füßen nieder, und in wenig Augenblicken sah er sich von zaborower Kosaken umringt, die seinen Widerstand bald unmöglich machten, denn ein Hieb lähmte seinen rechten Arm. Das schöne Mädchen, das ohnmächtig am Boden lag, entging der Aufmerksamkeit der Barbaren nicht, aber Ezesinsky faßte sie in seinen linken Arm und beschwor [230] sie bei ihrem heiligsten Schwure, sein Weib vor dem Hungertode zu retten, da sie schon zwei Tage am Sterbebette ihrer Mutter wache und bete. Die Räuber ließen sich erweichen; Czesinsky hatte in der Nähe ihrer Völkerschaften gelebt, er hatte mit Casimir Polowsky in Chozim gefochten, ihre Sprache war ihm nicht ganz fremd, und die Verzweiflung machte ihn beredt, rettete sein Leben und Stephaniens Ehre. Die Barbaren reichten Stephanien Nahrung; Czesinsky vertraute ihr, welche Rechte er sich über sie angemaßt hätte, beschwor sie, seiner Redlichkeit zu trauen und so Beider Schicksal zu erleichtern. Ihr zweifacher Retter fand einen mächtigen Fürsprecher in ihrer Brust; das Band, was sie mit ihm verknüpfte, war in dem reinen Sinne, den die Natur mit beiden Geschlechtern meinte, zwischen Schwäche und Muth, zwischen Dankbarkeit und Bedürfniß geknüpft. Die Kosaken, welche, die russischen Truppen fürchtend, nur zum Raube über den Fluß setzten, führten ihre Gefangenen noch vor Tagesanbruch auf das jenseitige Ufer, und schickten sie sogleich mit einer Menge auf der Bundesgenossen Boden gemachter Beute tiefer den Fluß hinabwärts. Nach wenigen Tagen, in denen sich Stephanie aus der ersten Tiefe des Schmerzes bis zu dem Leidensgrade erhob, wo das Herz Trost empfangen kann, ward sie sich bewußt, welchen Dank sie Czesinsky schuldig war, und indeß sich dieses Gefühl ihrer Brust bemeisterte, lernte Czesinsky, wie süß es sei, ihren Dank zu verdienen. Wenn die wilde Horde sich um ihre Feuer lagerte, die Pferde, an ihre Pfähle gebunden, den dürren Boden scharrten und [231] der nahe Fluß eintönig seine Wogen an das hohe Ufer wälzte, saß Czesinsky, mit Stephanien zusammengebunden, neben dem Gepäck in der Mitte des Haufens, und sie erzählten sich ihre traurige Vergangenheit. Stephaniens Thränen flossen über ihres Freundes Schicksal, indeß er nur für ihre Leiden Trost suchte. Mir, mir bleibt nur der Tod! rief er dann wieder in finsterem Grame. – Tod? und was würde aus mir? – Kann ich Dich schützen? Bin ich nicht gelähmt durch ein unbesiegbares Übel? Kannst Du nicht in unseliger Stunde mein bedürfen ...... und ich erwachen, um vor Wuth zu vergehen? – Dann sterb' ich, ehe Du erwachst! rief Stephanie und stürzte sich schaudernd in seine Arme, als wolle sie der Zukunft entgehen, und unaussprechlichen Schmerz und unaussprechliche Wonne empfand der Unglückliche, der noch nie ein Weib liebte, der, in den Stürmen des Bürgerkrieges zum Jüngling gereift, noch keine sanften Bande gekannt hatte. Konnten sie aber hoffen, daß ihre Räuber sie vereint lassen würden? Bei dem bleiernen Gange, mit dem diesen Unglücklichen die Zeit hinschlich, ward jede Möglichkeit berechnet, und für den Fall der Trennung beschlossen sie unfehlbaren Tod. Ihr Schicksal war nun bestimmt, und sie waren ruhig.

Ohne die Gründe zu kennen, welche den Zug ihrer Herren bestimmten, sahen sich die beiden Vereinigten mit Schrecken nach einem Wohnorte geführt, der einer Stadt glich. Sie vermutheten, daß man sie dort zum Verkaufe könnte ausbieten, und irrten nicht. Ein griechischer Kaufmann, der, vom türkischen Heere kommend, [232] nach Bialigorod zog, handelte von den Kosaken einen Theil der polnischen Beute ein, und ihm bot man gelegentlich Stephanien zum Kauf an. Athanasius betrachtete die Gefangene und schien von ihrem Liebreize gerührt; er fragte nach dem Preise des Weibes, denn den Mann, der so abgehärmt aussah, konnte er, wie er sagte, nicht brauchen. Der Kosake aber rieth ihm, denselben zugleich zu kaufen, sonst müßten sie ihn niederhauen, denn Gottes Hand liege auf ihm – so bezeichneten sie seine Anfälle von Schlafsucht – und sie hätten ihn schon lange getödtet, wenn sein Weib ihn nicht bis dahin gepflegt hätte. Nun blickte Athanasius aufmerksamer auf Czesinsky, und mit der Begeisterung der Verzweiflung sagte dieser dem Griechen: Du bist ein griechischer Christ wie ich, wir beten Gott Beide nach einer Weise an; bei dem Glauben, der uns Beide selig machen soll, beschwör' ich Dich, trenne mich nicht von meinem Weibe! Du verlörest Dein Geld und unsere Seelen, denn sie lebt nicht ohne mich, und ich tödte mich ohne sie. – Stephanie richtete ihr bleiches Gesicht auf und ergriff eine Reliquie, die sie an ihrem Busen versteckt trug, kniete nieder und erhob ihre Stimme. Bei dem Bilde unserer Frauen zu Kasan schwöre ich, rief sie, den Tod dieses Mannes oder die Trennung von ihm nicht zu überleben! – Der Schwur, den sie mit so viel Fassung ablegte, machte auf den Kaufmann den gewünschten Eindruck, er vereinigte die beiden Unglücklichen in gleiche Fesseln. Der Gesundheitszustand seines neuen Sklaven, der ihm offenbar keine harte Arbeit erlaubte, vermochte ihn sehr bald, [233] sich nach seiner wissenschaftlichen Ausbildung zu erkundigen, und Czesinsky segnete jetzt den Zufall, der ihm in seiner früheren Jugend den Unterricht eines griechischen Mönches gewährte, der Hauskaplan bei seinem Vater war. Dieser lehrte ihn italienisch und brachte ihm eine gründliche Rechenkunst bei. Wenn Du die Frankensprache lernst, sagte der Grieche zu ihm, wie sie in kleinen Tagereisen nach dem schwarzen Meere fortrückten, so verkaufe ich Dich nicht wieder, sondern sende Dich von Bialigorod in mein Haus nach Candia, wo mein Buchhalter starb; ich bedarf eines treuen Dieners, und Dich habe ich aus solchem Elend gerettet, daß Dir Treue gegen mich wol zur Pflicht wird. – Ich lernte bis jetzt nur mein Schwert führen, antwortete Czesinsky finster, mit meinem Arme ward auch meine Seele gelähmt; aber um Dir zu danken, will ich die Frankensprache erlernen.

Einem Polen wird jede Sprache leicht, und in Czesinsky's Seele dämmerte an Stephaniens Seite die Ahnung eines andern Lebens in Candia auf. Indem sie den ganzen Abschnitt ihres bisherigen vergessen wollten – es war ja Alles verloren! – sollten sie nicht hoffen, daß Liebe Ersatz wäre? Ihr Unglück hatte alle ihre Empfindungen auf die einzigen zurückgesetzt – Liebe und Schmerz. Die Heimkehr war ihnen unmöglich, und wäre sie es nicht gewesen, eine Heimath in Trümmern, und Czesinsky verstümmelt, und Stephanie hülflos und arm – in Candia wollten sie Polen beweinen. – Athanasius war gut und fromm. Sitten und Umstände verleiteten ihn, Manches zu thun, das sein wackerer [234] Sinn nicht für recht hielt; seine Frömmigkeit half ihm dann mit guten Werken wieder aus, die sein Gewissen beruhigten. Ein solches gutes Werk wollte er an seinen neuen Sklaven thun, deren Schicksal und innige Liebe ihn freuten. Nach einem ziemlich langen Aufenthalte in Bialigorod bewies Demetri – dem Sklaven ward nur sein Taufname gegeben – daß er die Eigenschaften eines wackern Handelsdieners in einem hinreichenden Grade besitze; sein Herr unterrichtete ihn also von den Geschäften, die er in Candia zu besorgen haben würde, und das heimathlose Paar schiffte sich, nicht bevor ein griechischer Priester seiner Verbindung zu gemeinschaftlichem Unglücke den Segen der Kirche gegeben hatte, nach Candia ein.

Hier war nun der polnische Freiheitsvertheidiger der Buchhalter eines griechischen Handelshauses. Alles, was er gewesen war, was er that, was er gewollt hatte, tönte wie eine alte Sage nur in einsamen Abenden in seinem Ohre noch nach. Die Fremdheit der Umgebungen trug dazu bei, die Vergangenheit von der Gegenwart zu trennen. Für so einfache Gemüther bewahrt aber das Schicksal einfache Wege zum Genuß. Czesinsky ward Vater; sein gütiger Herr schenkte ihm bei seinem Eintritt in die Insel seine Freiheit; ein kleines Eigenthum, das sein Weib mit einer Gehülfin anbaute, ward der Lohn seines Fleißes; er sah Stephanie die Früchte seiner Bäume ernten, er sah seine Kinder auf dem Boden ihres Erbtheils ihre ersten schwachen Schritte thun. Von Zeit zu Zeit erscholl durch Handelsgelegenheit ein verworrenes Gerücht von dem blutenden Vaterlande [235] her, und endlich ward es still über dessen Schicksal, wie die Fluthen nach und nach schwächer über dem Grabe eines gesunkenen Schiffes. Oft blickte Czesinsky nach Norden hinaus, die Rückkehr sank immer tiefer in das Reich der Unmöglichkeit zurück. Nach der Beendigung des Krieges zwischen Rußland und der Pforte kam Athanasius nach Settia, wo Demetri seinen Handel besorgte, um seine Geschäfte zu ordnen. Neue Handelsplane verlängerten den Aufenthalt des verschlagenen Griechen, und da er mit seinem Buchhalter zufrieden war, da die Liebe in Demetri's Hauswesen ihm Freude machte, behandelte er ihn mit Vertraulichkeit und Achtung, so daß die einsame Familie der Fremden mit den Einwohnern von Settia bekannter wurde. Was Candia jetzt ist, hatte Demetri zum Besten seines Geschäftes fleißig geforscht; was Kreta einst war, lernte der unwissende Podolier jetzt in den Gesprächen seines Beschützers und seiner neuen Freunde. Noch immer können die Griechen nicht vergessen, daß sie einst das erste Volk der Welt waren, noch sprechen sie von ihrer Vergangenheit, als sei sie Prophezeihung einer glänzenden Zukunft. Sonderbar dämmerten neue Begriffe in Demetri's Seele auf. Also auf den fetten Ebenen, wo einst seine Heerden weideten, in den dichten Wäldern, wo sein junger Arm die Bären erlegte, wie hier in den duftenden Orangenhainen, wie hier auf den himmelanstrebenden Felsrücken, hatten einst Kraft und Freiheit geherrscht und hatte endlich Tyrannei gesiegt! – Mit Befremdung hörte er die Griechen, die er bis jetzt nur beim Rechnen aufmerksam, nur zum Handel thätig geglaubt [236] hatte, im Innern ihrer Häuser, sicher vor ihren Treibern, den Türken, Gedanken auseinandersetzen, die seine rohe treue Brust von Jugend auf in dunkeln Gefühlen gedrängt hatten. Unter den Kaufleuten, die rastloser Handelsgeist den Archipel, das candische Meer, die Häfen der Levante unaufhörlich zu durchziehen treibt, war keiner, der nicht Erinnerungen vergangener Größe, nicht Durst nach Abschütteln des türkischen Joches im Busen trug. Bei Vielen kochte dieser Trieb nur Rache und Vergeltung, bei Manchen flammte er auf in hohem, schöpferischem Glauben einer besseren Zukunft. Langsam, wie der Gang der Natur, wirkten die neuen Begriffe auf Demetri's Gemüth, das, von keiner Üppigkeit, weder des Wissens noch Genießens, erschöpft, Raum und Klarheit für sie hatte. Wunderbar brannte es in seinem Busen, wenn er nach langer Tagesarbeit in seiner Hütte, von Feigenbäumen gewölbt, saß, und den Reden der feurigen Griechen nachdachte, oder mühselig in ungewohnter Sprache eine der Geschichten las, die von Hellas alter Größe erzählten. Was er um sich sah, waren Trümmer, er selbst Trümmer seiner selbst. Gewaltiger Schmerz ergriff ihn, sein Auge irrte nach Stärkung umher bei diesem Allvergehen; da heftete es sich auf des Ida beschneite Höhen, die einst auf freie Menschen herabblickten, die nun Sklaven um sich sehen und die noch dauern werden, wenn zu kommenden Geschlechtern die Freiheit wiederkehren wird. Nicht mit geordneten Gedanken, aber in dunkler Ahnung belebte diese Zukunft seinen erstorbenen Glauben, daß Freiheit ewig sei wie alle Werke Gottes, und wiederkehren werde [237] wie der Frühling, dessen Lüfte den Schnee des Ida hinweghauchen. Da kam eines Tages sein sechsjähriger Knabe, der braunlockige Demetri, mit selbstverfertigtem Köcher und Bogen gelaufen und rief ihm frohlockend zu: Vater, von zwanzig Pfeilen nur drei gefehlt! bis ich ein Mann bin, treffen sie alle die Moskovier! – – – – Knabe, kennst Du die Moskovier? fragte der Vater, den diese kindische Rede ein Prophetenwort däuchte, kennst Du die Moskovier? – Wohl, sie tödteten Deinen Hektor! antwortete Demetri mit flammendem Blick, und mordeten meine Ahnfrau, sie führten Deine Rosse fort und spalteten Deine Bienenhäuser mit dem Säbel, daß der Honig in das hohe Gras floß, wie keines in Candia wächst. Ich fürchte das Meer nicht, und will selbst das Schiff führen, das mich an ihr feindseliges Gestade bringt. – Czesinsky erfuhr jetzt mit Beschämung, was er im ruhigen Gange der Häuslichkeit vergessen hatte – daß Stephanie nicht nur sein Hausweib sei, daß auch in ihrer Brust eine Flamme lodre, die den ersten Keim des Heldenmuthes in seines Sohnes Busen gelegt hatte. Die Begriffe, die sich durch oft wiederholte Gespräche mit den Männern in ihm entwickelten, hatten durch einzelne Reden, welche die Hausfrau erhorchte, wenn sie ihre Gäste bediente, ihren Busen durchglüht. Ihr schien ihr Volk das größte der Welt, und wenn die Griechen, die schon Jahrhunderte das Sklavenjoch trugen, sich befreien zu können vermeinten, was mußten dann die Polen, die noch nie einem fremden Herrn gehorcht hatten, nicht vermögen? Von nun an nahm die Innigkeit ihres Ehebündnisses [238] noch zu. Eine Welt wunderbarer Schwärmereien entstand in diesen beiden Köpfen, die aus der beschränktesten Gegenwart in eine ungeheure Vergangenheit untertauchten, um aus ihr die Bilder einer glänzenden Zukunft zu holen. Nun spähten sie auf's Neue nach jeder Kunde aus dem fernen Vaterlande, denn sie hatten wieder einen Übergang von der Vergangenheit zur Zukunft gefunden – aber auf welchem unabsehlichen Umwege gelangten sie zu ihnen! in welchen abenteuerlichen Verfälschungen hörten sie nur die letzten Nachklänge von den Schicksalen ihres gemishandelten Volkes, von der Zerstückelung ihres verrathenen Landes. Unter einem Volke, das, mit seiner Lage zufrieden oder seiner Lage gewohnt, dem Rufe seiner Regenten oder seiner Treiber schläfrig folgt, wären solche Sagen bald ganz verhallt, und Czesinsky hätte für sich und seine Kinder bald nach nichts Besserem gestrebt, als dem Erbauen des bequemen Todtenhauses, bürgerlicher Wohlstand genannt. Unter dem Geschlecht aber, wohin ihn das Schicksal geführt hatte, blieb der Trieb nach etwas Besserem lebendig, und trug sich, da für ihn keine Hoffnung mehr lebte, in die Zukunft seiner Söhne über. Sein Weib hatte ihm deren viere, und zwei lieblich blühende Mädchen geschenkt, als der Tod ihn plötzlich dahinraffte, wie der kühne Bogenschütze Demetri kaum noch vierzehn Jahr alt war. Jetzt mußte Stephanie die ganze Kraft ihrer Seele aufbieten, sie wälzte das schreckliche Gefühl des Allverlassenseins von sich, indem sie ihres Gatten Pflichten noch zu den ihrigen hinzufügte und Versorgerin ihrer Waisen ward. Ihre Landsmänninnen haben Geschäftsgeist [239] und Gewohnheit, Geschäfte zu führen; das kam jetzt der Witwe zu statten, sie hatte Sprachen und Rechnungswesen genug erlernt, um den größten Theil von ihres Gatten Geschäften fortzuführen, bis Athanasius den Tod seines Buchhalters erfahren hatte und neue Verfügungen treffen konnte. Der sorgsame Kauf mann eilte von Koron, wo er mit seiner Familie lebte, schnell herbei, um die ansehnlichen Geschäfte, die er in Settia trieb, selbst zu übernehmen, bis er sie treuen Händen anvertrauen könnte. Stephaniens Geschicklichkeit und Einsicht überraschten ihn so sehr, wie das hülflose Schicksal ihrer sechs Waisen ihn dauerte, denn Czesinsky war ihm lieb gewesen, und seine Handelsgenossen sprachen alle mit Theilnahme von des Verstorbenen Eifer und Fleiß. Er richtete es so ein, daß die Witwe einem alten Italiener, welchem er nun das Handlungsgeschäft übergab, im Rechnungswesen an die Hand ging, wies ihr ein anständiges Einkommen an und nahm Demetri, für den er väterlich zu sorgen versprach, mit nach Morea. Er meinte es gut mit dem Knaben, denn sein fester Schritt und sein feuriger, ernster Blick freuten ihn von Herzen. Stephanie fühlte wol tief in der Seele den Schmerz, vom Sohne sich zu trennen; aber sie glaubte, in dieser Trennung den ersten Schritt zu seiner Rückkehr in's Vaterland zu thun; sie hoffte, daß er in Koron leichter Nachrichten von Polen erhalten könnte, leichter sich diesem theuern Lande nähern, den Tag der Rache erleben und mit herbeirufen würde. Ihre ganze Seele entflammte bei diesem Näherrücken der Zukunft und glühte noch mehr durch den Schmerz, [240] ihren Ältesten, den, welcher zunächst ihre Stütze werden konnte, zu verlieren. Täglich unterrichtete sie ihn in dem größten Zusammenhange, dessen sie fähig war, von der Geschichte ihres Landes und ihrer Familie; ihre Thränen und ihre Träume verbanden in des keimenden Jünglings Seele die einzelnen Züge zu einem undeutlichen, aber ergreifenden Ganzen, das sein ganzes Wesen durchdrang. Sie gab ihm als ein Heiligthum das Bildniß unserer Frauen zu Kasan – das einzige Kleinod, das sie aus ihrem Vaterhause rettete, und von dem sie hoffte, da sie es seit ihrer Kindheit am Halse trug, einer ihrer Verwandten würde es wieder erkennen, und es würde ihrem Sohne zum Beglaubigungszeichen dienen. Sie erzählte ihm jeden Umstand von Czesinsky's Jugendgeschichte, sie bezeichneten ihm jeden Zug, den sie von seinen Verwandten wußte, sie beschrieb ihm mit finsterer Phantasie die Wahlstatt von Ulodowa, als sollte er die Ungläubigen an seinen Geburtsrechten dahinführen und sagen: Da blutete mein Vater! – Ihr väterliches Schloß, das sie selbst hatte in Rauch aufgehen sehen, zeichnete sie mit jedem Spielplatz ihrer Kindheit dem Jünglinge vor; in den Trümmern von Borowiça mußte er jetzt den Platz erkennen können, wo seiner Ahnfrau Sterbelager stand, so lebendig war ihr Bericht und seine Empfänglichkeit.

So ausgerüstet verließ Demetri sein schönes Geburtsland, um es nie wiederzusehen, ja um bald keine Spur mehr zu finden von den Menschen, die seine Kindheit liebte, von der Stätte, in der sie aufgeblüht war. Eine pestartige Krankheit raffte nach ein Paar[241] Jahren drei seiner Geschwister hinweg. Die Mutter legte ihres Lebens letzten Werth in die rüstigen Knaben, die ihr noch übrig blieben und schon im zarten Alter kühn, als Fischer die Wellen bekämpfend, einst würdig zu werden versprachen, Demetri ins Vaterland zu folgen. Einst gerieth während dem letzten Kriege der Türken mit Rußland ein russisches Schiff in die Nähe von Candia. Ein Sturm trieb es in den freundlichen Hafen von Settia, und die Mannschaft des Schiffs, von den unbewaffneten Einwohnern friedlich aufgenommen, benutzte die Gelegenheit und plünderte die Stadt. Ein übelberechneter Widerstand von Seiten der Einwohner, die ihre arme Habe zu vertheidigen versuchten, reizte die Räuber, und sie eilten nach einem grausamen Blutbad auf ihr Schiff zurück. Stephaniens muthige Knaben riefen sich beim Anblick der Feinde frohlockend zu – Vaterland und Rache! – mischten sich unter die bewaffneten Settier und fielen, ihrem Schicksal voreilend und es dennoch erringend, denn sie hatten ihre Feinde gesehn. Von Stephanien schweigt die Kunde, aber die gütige Gottheit schenkte der rettungslos Unglücklichen den Tod.

Demetri ward seinem Wohlthäter sehr lieb; dieser bemerkte mit Freuden die Anlagen, die bei den ungünstigsten Umständen nicht unentwickelt geblieben waren. Immer brütend über dem Plan eines wieder zu erlangenden Daseins in der Reihe der Völker, waren sich die klügern Griechen wohlbewußt, daß wilder Muth und roher Wille ihnen in dem jetzigen Zustand der Dinge wenig helfen würden, wenn nicht vorzügliche Geister [242] unter ihnen entständen, welche die zerstreute Kraft in ein Ganzes vereinten, und sich nicht Kenntnisse unter ihnen verbreiteten, die sie vor dem Bedürfniß, von Fremden angeführt zu werden, bewahrten. Mehrere Väter schickten um diese Zeit ihre Söhne ins Ausland, ja auf die hohen Schulen deutscher Länder, um dort Unterricht zu suchen. Athanasius hatte keinen Sohn; da er nun in Demetri viele Anlagen zum Kriegsmann beobachtete, schickte er ihn nach Neapel, wo Akton damals, Soldaten zu bilden, eine Kriegsschule unterhielt. Einer seiner Handelsfreunde nahm ihn auf, das Schicksal wollte ihm wohl, denn sein Gastfreund kannte außer seinem Gewinnst noch andere Götter; die Luft, die er athmete, der Boden, auf dem er geboren ward, hatte ihm das Alterthum heilig und die Menschheit ehrwürdig gemacht. Demetri hatte die Heldenwelt der Vorzeit bis jetzt nur aus den verblichnen Gestalten candischer Volkslieder kennen lernen und den Kriegsmuth späterer Geschlechter in einigen einzelnen Bänden alter Geschichten geistlicher Orden, die ihm ein Mönch aus Ariadi mitgetheilt hatte. In diesen hatte er auch die Lust an Kriegswissenschaft und zunächst an ihrer er sten Hülfsquelle, der Mathematik, gesogen. Er fand alte Plane darin von der Belagerung von Rhodus, von mancher Schlacht aus den Zeiten des großen Solimans; er lernte Lisle Adam's frommen Heldenmuth kennen und Lavalette's unsterblichen Ruhm und ahnte, daß der erste der Krieger auch der beste der Menschen sein müßte. Wie ein Mann, der, des Geldes unkundig, dessen gefunden hätte und es, über seinen herrlichen Glanz erfreut, als [243] Spiegel der Sonne, als Darsteller ihres Bildes sorgsam bewahrte, ohne zu wissen, welchen weit vielfältigern Genuß er damit eintauschen könnte, so erstaunte der junge Candier, wie er bei jedem Fortschritt in der Wissenschaft wahrnahm, welchen Schatz er in den Gefühlen seines Busens besitze. Sein Gastfreund verschaffte ihm nicht nur die besten Lehrer, sondern, von des Jünglings Gemüthe, voll Milde und Kühnheit angezogen, freuten sich bald Männer, welche die Wissenschaften zu dem Genuß ihres Lebens gemacht hatten, seinen Geist zu entwickeln. Mit welcher Empfindung Demetri zum ersten Mal Landsleute sah, kann nur Der fassen, der in die Lage unsers Freundes mit Theilnahme einging. Zum Besten seines schönen Enthusiasmus traf er auch Männer seines Landes, die den Glauben, wie werth es eines schönern Schicksals sei, noch in ihm erhöhen mußten. Der Graf P*** war der erste Pole, der ihn als seinen Landsmann erkannte. Ein geistvoller Neapolitaner führte ihn zu diesem edeln Menschen. Der Italiener wußte nichts von Demetri's Geschichte, als daß er ein Pole und auf einer griechischen Insel erzogen sei, alles Andre war die Geschichte von seiner Eltern Unglück und war dem Jüngling zu heilig, um je der Gegenstand seines Gespräches zu sein. Der Italiener hielt die Spannung, mit welcher Demetri vor den Grafen trat, für schüchterne Unbehülflichkeit; er verstand die Frage nicht, die der Graf ihm auf Polnisch that, da er ihm den Jüngling als seinen Landsmann empfahl. Es war der Name seines Vaters, nach welchem der Graf sich erkundigte. Demetri sprach ihn mit Stolz aus, und setzte mit einem [244] Feuerblick, den Thränen bewölkten, hinzu: Er focht mit Franciskus Pulawsky, wie dieser Held bei Ulodova fiel, und weinte, durch seine Wunden gelähmt, in Candia um sein Vaterland, bis der Tod ihn befreite. – Heilig ist sein Grabhügel, und sein Geist ruhe auf Dir! rief P*** und streckte die Arme dem Jüngling entgegen, aber zum Erstaunen des Neapolitaners, der mit Theilnahme dem Mienenspiel der Ausländer zusah, sank Demetri, hingerissen von dem ihn ergreifenden Gefühl zu des Grafen Füßen, drückte seine Stirn auf die ihm dargebotne Hand und sagte durchdrungen: O mein Vaterland! O du Herd meiner Väter – Herr! auch dein Blut floß für die Freiheit – ist sie auf ewig dahin? – Dieses überraschende Feuer legte den edeln noch unbekannten Jüngling an des edeln Patrioten Herz; ihm öffnete Demetri das Heiligthum seines Unglücks, und der Graf ergötzte sich an einem Gemüthe, das, so rein, nur das Reinste aufgefaßt hatte. Dein Zeitalter ist in unserm schmachtenden Vaterlande noch nicht gekommen, sagte er einst zu seinem jungen Freunde, der seine unendliche Begierde, Alles von seinem Vaterlande zu erfahren, in jedem Gespräche zu befriedigen suchte, – Deine Zeit ist noch nicht da, und so theuer mir Deine Gesellschaft ist, sollst Du mir noch nicht in die Heimath folgen. Die reine Entwickelung Deiner Kraft würde in jenem Lande voll Schmach und Verderbniß verkümmert werden. Eine Zeit wird kommen, wo Polen tugendhafter Männer bedarf – bis dahin folge dem Willen Deines Pflegevaters; ich werde Dich rufen, wenn der Augenblick kommt. Es wird ein ernster Augenblick [245] sein! – Aber daß ich dann hier – er legte seine Hand auf Demetri's Stirn, und hier – und er legte sie auf sein Herz, noch die Kraft finde, mit der wir Polen beleben müssen, damit sein Name nicht von der Erde vertilgt werde.

Nicht ohne schmerzlichen Kampf befolgte Demetri des Grafen Rath. Die Zwischenzeit bis zu dem ernsten Rufe, wo Polens Wiedergeburt beginnen sollte, kam ihm wie eine lange Fahrt auf einem Meere vor, bei der kein Stern ihm leuchtete, keine Luft die Segel schwellte, bei der kein Pharus den ersehnten Hafen ihm anzeigte. Dann fühlte er doch ein heimliches Grauen, feindlich, thatenlos unter dem Druck fremden Übermuths in einem Lande zu leben, das ihm nur Thatkraft wieder zum Vaterlande zu erheben vermochte. Der Gedanke: Verstellung, Sklaverei, Schmiegen, Erdulden, empörte jede Nerve in dem freigebornen Sohne der Wellen, der noch kein Joch kannte und stets von Freiheit geträumt hatte. Und den Wohlthäter seiner Familie, den guten Athanasius, sollte er den so unvorbereitet verlassen? – Mit also wechselnden Gedanken sah er den Grafen abreisen, und lange noch kämpften sie in seiner Seele. Die Begierde nach Wissen gab ihr endlich ihr Gleichgewicht zurück. Treu seine Zeit benutzend, besuchte er die Stätten, wo alte Freiheit und Größe sich Denkmale erbauten, die der Zerstörung der Zeit und den Rechten der Eroberer trotzen, und kehrte endlich mit bewahrter Kraft und beherrschtem Willen bereichert nach Koron zurück. Gerade in dieser Zeit brach der letzte Krieg zwischen den Russen und der Pforte aus, [246] alle Seestädte des türkischen Reichs waren in Bewegung gesetzt, – lebhaft drang der Jüngling in seinen Pflegevater, ihn einen Feldzug gegen die Verderber seines Landes machen zu lassen; mit glühenden Farben schilderte er seine Rechte zur Rache. Allein Athanasius sah die Russen aus einem verschiedenen Gesichtspunkte an. – Lange leidend im Joche und sinnend auf Rettung, rechneten die Enkel der griechischen Freistaaten auf Befreiung durch ein Volk, das selbst die Fesseln der Willkür trägt. Nicht um für die Herrschaft der Ottomanen zu kämpfen, hatte er mit Freuden die männlichen Tugenden seines Pflegesohns sich entwickeln sehen, er sollte, vom russischen Zepter beschützt, den erbitterten Griechen helfen, sie von ihren asiatischen Treibern zu befreien. Streng verbot er also seinem Zöglinge jeden Gedanken, sich dem türkischen Heere zu nahen; um seine Pflicht zu binden, beschäftigte er ihn mit Handelsgeschäften, die ihn in alle Häfen der griechischen Meere führten. Demetri's Busen athmete schwer unter diesem Zwange, allein er gehorchte dem väterlichen Befehl und harrte männlich des Rufs seines edeln Landsmanns, der sie aufheben sollte durch eine höhere Laufbahn. Auf einer dieser Reisen befand er sich auf einer kleinen Insel des Archipels, wohin er seine Ladung wegen eines Gerüchtes, als befänden sich russische Kriegsschiffe in diesem Gewässer, geflüchtet hatte. Die Sage erfüllte ihn mit Sorge für seine Mutter, für seine muthigen Brüder. Viele Jahre hatte er nun Settia nicht gesehen, und auch bei dieser Reise hatte ihm Athanasius verboten, diesen Umweg zu machen. Jetzt berechnete er die[247] Möglichkeit, ohne seines Pflegevaters Geschäfte zu versäumen, auf einem Fischerkahn das Meer zu durcheilen und die Lieben noch einmal zu sehen, von denen eine nahe Zukunft ihn vielleicht auf lange, lange Zeit trennen sollte. Sehnsuchtsvoll stand er auf einer Felsenklippe und blickte nach Süden; der feuchte Meeresduft stieg aus den Fluthen empor, die in der Tiefe in mystischem Rhythmus an den Fels schlugen. – Eine, und wieder eine, und die dritte, die ihre Vorgänger mit stärkerm Stoße verschlang und, von der leisen Luft nicht geregt, ihre weißen Tropfen am Fels emporsprützte. Die Seeschwalbe schwebte über seinem Haupte hin und her, die Kähne stießen, sanft vom Wasser gewiegt, in der kleinen Bucht an einander – so hatte er tausend Mal als Knabe gestanden, so die Natur um ihn her ruhig geathmet; aber nach Norden hatte er seine Kinderaugen gerichtet, und hohe, dunkle, blutige Bilder hatte er geträumt. Indeß glitt ein kleines Fahrzeug von Süden daher, erreichte den Hafen, und plötzlich hörte Demetri Rufen, Klagen und Geschrei. Er eilte dahin, und fand Fischer aus Namphio, die einen Mann führten, der, von Insel zu Insel geflüchtet, sich aus Settia gerettet hatte, um nach Smyrna zu eilen und einem reichen Armenier, der in Settia eine Niederlage hatte, das Unglück zu melden, das diese Stadt traf. Ahnend fragte Demetri nach seines Pflegvaters Hause, mit zitternden Lippen nach der Witwe des Franken Demetri. »Das Haus des Athanasius ist geplündert,« sagte der Bote, »und die Knaben sah ich blutend an seiner Thüre liegen, wie die Entfernung der Feinde uns erlaubte, [248] unsre Todten zu begraben – ihre Mutter mochte das Weib sein, die neben ihnen klagte.« – Mit einem Blicke, der die Himmel durchdrang und das Verderben herabrief, stand der Jüngling und hörte die Kunde. – Seine Gefährten riefen: Sohn Demetri, räche Deine Brüder! räche uns! – und der erste Strahl der Sonne sah Demetri und seine Gefährten mit weißem Segel das Labyrinth des Inselmeers durchstreichen. Kundig jeder Bucht, wie die Bewohner jener Ufer es sind, wandten sie sich neben den Küsten hin, wo Gefahr ihnen drohte, warteten Tage lang in dem Geklüfte des Ufers, Binsen um den Schiffsbord hängend, damit das Anschlagen der Wellen ihren Aufenthalt nicht verriethe und sie Untersuchungen aussetzte, zu denen sie nicht vorbereitet waren. Sie führten keine Waaren; so weit von der Heimath entfernt man sich nicht auf dem Fischfange, der mistrauische Türke befragt den Griechen mit Härte, und die Aussage, aus Durst nach Kampf zum Kriegsschauplatz zu eilen, würde dem Muselmann wie eine Fabel vorgekommen sein. Glücklich landeten die Flüchtlinge zur Nachtzeit nicht weit von Enos, von wo einer der Gefährten das Land bis zu der Hauptstadt schon kannte. Demetri wußte, daß ein Franzose, der ihn in Neapel unterrichtet hatte, bei der Stückgießerei des Großherrn die Aufsicht führe. Er fand Mittel, einen Brief an ihn zu verfassen, den er in seinem eignen Namen von Koron aus an Martel, so hieß der Franzose, schrieb und darin um Anstellung bei der Artillerie des Großherrn bat. Seine Gefährten hieß er sich in der Nähe von Pera auf einem Kirchhofe verbergen, [249] und er suchte, in gemeine Fischerkleidung gehüllt, keck den Franken auf. Martel empfing den Brief, ohne seinen ehemaligen Schüler zu erkennen; er las und blickte, da er sich des Schreibers lebhaft erinnerte, fragend über das Blatt hin dem Überbringer ins Gesicht, wie wir bei unerwarteten Botschaften wol thun. Wakkerer Martel, redete ihn Demetri an und warf seinen Turban von sich, ich habe keine Komödie mit Ihnen spielen, sondern ein Mittel suchen wollen, sicher zu Ihnen zu gelangen; es bedarf des Briefes nicht, hier ist der Schreiber selbst. Mit Flammenworten schilderte nun der Jüngling das Schicksal, das seine Geliebten getroffen, schilderte, wie, gleich einem Sturmwinde, der die Asche von der Glut bläst, daß sie verzehrender ausbreche, so der Tod seiner Brüder, die Verzweiflung seiner Mutter alle Rache seiner Brust aufgeregt habe. Seinem dem edeln Grafen P*** gegebnen Worte treu, wollte er nicht planlos nach Polen eilen, aber das Schicksal rufe ihn, nicht thatenlos zu warten. Flehend bat er für sich und seine Gefährten um Dienste in der Armee, bat um Gelegenheit, siegen zu lernen. – Sagen Sie mir, wo ich streiten, wo ich sterben soll, rief er mit heißen Augen, in denen der Schmerz, noch unthätig zu sein, die Thräne fest hielt, ich kann Alles, um meine Brüder zu rächen.

Martel war für diese Gefühle nicht todt. Er fand Mittel, die Flüchtigen für den Dienst der Artillerie zu werben; gelehriger als die Asiaten, von keinem Vorurtheil zurückgehalten wie die Türken, und durch den Kampf mit den Wellen mit dem Tode bekannt, wurden [250] sie schnell geschickter in ihrer Wissenschaft als Martel's älteste Schüler unter den Muselmännern. Ungeduldig erwarteten sie den Zeitpunkt, zur Armee zu stoßen, und er traf bald ein. Bei ihrer Ankunft im Lager des Großveziers wurden die Jünglinge vertheilt, und Demetri, den seine früher erworbenen Kenntnisse viel weiter geführt hatten als seine Gefährten, und dessen Verdienste von den Franzosen, die im türkischen Heere bei der Artillerie dienten, sogleich anerkannt wurden, erhielt den ihm gebührenden Vorzug.

Endlich genoß er nun die lang ersehnte Genugthuung, den Verderbern seines Vaterlandes in die Augen zu sehen. Bei Moczin legte er seine Waffenprobe ab. Er bediente eine Batterie, vor welcher die Russen erstaunten, denn so hatte noch kein türkisches Geschütze gewüthet. Fest und ruhig standen die Krieger des Nordens, ließen sich von des Todes Sichel mähen, im beschränkten ewig heiligen Begriffe der Pflicht. Demetri hatte sterben sehen, bluten und sterben, aber eine Schlacht hatte er noch nicht gesehen. Wenn der Wind auf einen Augenblick den Pulverdampf zerstreute, blickte er auf das Schlachtfeld, so weit er es übersehen konnte, hin und fragte sich: sind das Menschen? – wenn neben ihm hier und dort seine Gefährten sanken, wenn er im Drange der Umstände ihre zerschmetterten Körper von den Stücken, wo sie wie auf ihr Ehrenbette niedergesunken waren, hinwegzog, fragte es ihn dumpf ins Ohr: sind das Deine Brüder? – und wie der schreckliche Kampf vorüber war und das Winseln der Sterbenden auf dem Schlachtfelde von dem Donner [251] des Geschützes, dem Geschrei des Kampfes nicht mehr übertönt wurde, eilte er zu retten Türken und Russen und hob seinen Blick gen Himmel und rief: ich habe keine Feinde!

Auszeichnung und Ruhm konnte der Grieche, und dafür galt Demetri im Heere, nicht hoffen; denn der Türke fürchtet das Volk, das er nur durch steten Druck verhindert, sich seiner Vorzüge zu bedienen, aber den Gewinn, den Erfahrung dem Manne gibt, gewann er in diesem Kriege. Die Fehler der Feinde und die Verworrenheit des Heeres, unter dem er diente, waren seine Lehrer, und er benutzte sie zur Erlangung des Ruhms, der ihm einst auf dem Vaterlandsboden bestimmt war. Diese Zukunft allein gab seinem Leben den Werth, und Alles, was vorging in der Nähe und Ferne, verband er mit diesem Zwecke seines Daseins. So ward er im Kriege dennoch Mensch. Sehnsuchtsvoller wie je sah er seines Landsmanns Winke entgegen, aber nicht mehr Rache von Mensch zu Menschen war ihm der Krieg, er war ihm heiliges Mittel zum heiligen Endzweck, und mit Erstaunen gedachte er der wilden Begier nach Wiedervergeltung, die ihn so oft entflammt hatte, ehe die in seine Hand gegebne Gelegenheit zur Rache ihn Menschlichkeit lehrte.

Während dem Laufe des Krieges waren durch die Franzosen, welche in der türkischen Armee dienten, einzelne Nachrichten von den Vorfällen zu Demetri gelangt, die den ungeheuern Begebenheiten, die seitdem Europa zerrissen, zum Vorspiel gedient haben. Was man an den Ufern des Pruth und auf den Ebenen der Donau [252] erfuhr, konnte kein deutliches Bild von der Umwälzung geben, deren Beginnen eine Morgenröthe des Völkerglücks schien und seine Morgenröthe war! – nicht in dem Sinne, der damals manche schöne Seele entflammte, aber in einem höhern, herrlichern Sinne, für den die Edlern des jetzigen Geschlechtes gern leiden, und dem weder Selbstsucht noch Beschränktheit Schranken zu setzen im Stande sein werden – Demetri begriff nicht, wohin die Tage des 14. Julius führten; aber ihre Losung war Freiheit, und konnte dieses anders als laut jauchzend aus seiner Brust zurückschallen? konnte er anders als hoffen, daß das Volk, das so kühn seine Fesseln zerbrach, werde seinen Brüdern im Unglück, seinen Vorgängern in der Unabhängigkeit die Hand bieten? Hoffnungsvoll sah er dem Bruderbunde entgegen. Ehre hielt ihn im türkischen Heere, und der Befehl seines Freundes entfernte ihn noch von Polen, denn P*** hatte ihm mit Strenge seinen übereilten Schritt, zu einer Zeit den Ottomanen zu dienen, wo sein Vaterland seinen Arm nöthig haben könnte, verwiesen. Freudig überraschte ihn also eines Tages der Befehl seines Obern, sich zu Martel nach Konstantinopel zu begeben. Der Franke empfing ihn mit herzlicher Freundschaft, nahm sich aber nicht Zeit, seine Fragen nach den Vorgängen in Frankreich zu beantworten, sondern erzählte ihm die Revolution, welche vor wenigen Wochen in Polen ausgebrochen war. Wie ein elektrischer Funke belebte diese Nachricht Demetri's ahnende Seele, er flog zu dem französischen Gesandten, an den ihn Martel verwies, und empfing dort Briefe von seinem edeln [253] Freunde aus Warschau, die seinen sehnlichen Wunsch endlich erfüllten. Er berief ihn nach Polen; Demetri sollte mit Empfehlungen versehen als polnischer Offizier, zu welchem Zweck P*** ihm die Ausfertigung als Hauptmann eines zu errichtenden Jägercorps beigelegt hatte, die südlichen Gegenden des Landes durchreisen, um ein Volk, das er noch nicht kannte, einen Vaterlandsboden, der ihm fremd war, kennen zu lernen, und erst nach einer bestimmten Zeit seinen väterlichen Freund in der Hauptstadt aufsuchen. Sein Austritt aus dem türkischen Heere ward durch seine Beschützer bald erhalten, und er begab sich auf den Weg, um in der Nähe von seines Vaters Geburtsstätte das Land der Polen zum ersten Mal zu betreten.

Der Ernst des nun beginnenden Lebens wechselte wunderbar in seiner Brust mit dem Leben der Vergangenheit, das diesem Jünglinge so heilig sein mußte. Er hatte dem wohlthätigen Athanasius, der ihm längst seine Flucht nach Konstantinopel verziehen hatte, vor seiner Abreise nach Polen die Bestimmung seiner Zukunft gemeldet; ihm war wie einem Menschen, der in ein neues Leben zu treten im Begriff ist: die irdischen Ansichten schwinden ihm, Alles ist nur Vorhof der Zukunft. Er schrieb seinem griechischen Pflegevater im Seherton, in dem er ein goldnes Zeitalter verhieß, Griechenland wieder ein Bundesstaat glücklicher Menschen – – Armes Seherauge! du brachst und sahest dein schönes Bild verbleichen, ehe du brachst, aber dort blickt es wieder auf und erkennt, daß die Glaubensstimme in der sehnsüchtigen Brust wahrhaftig war.

[254] Demetri ward von der Familie seines Vaters, von den Verwandten seiner Mutter anerkannt, und durch Empfehlungen, die sein Beschützer ihm verschafft hatte, überall mit Achtung aufgenommen. Tief erschüttert ward er, wie der Älteste seines Hauses ihm Papiere zustellte, die ihn in den Besitz der Güter setzten, die bei den Verheerungen der Russen, in dem Zeitpunkt, der seine Eltern unter die Türken trieb, seines Vaters Eigenthum waren. Sein Freund wollte ihm den Vaterlandsboden durch das Band des Besitzthums theuer machen und hatte sie für Demetri von dem jetzigen Besitzer gekauft, damit kein Rechtsstreit, der sein Erbrecht beweisen müßte, ihm die Liebe seiner Blutsfreunde entzöge. Nun wallfahrtete Demetri zu dem Wohnorte seiner Ahnherrn. Trümmer waren Alles, was er fand! schwarze Mauern, halbaufgebaute Hütten um sie her, deren armselige Einwohner noch scheu und schaudernd die Geschichten des Schreckens erzählten, die ihre Väter erlebten und sie der Armuth zur Beute gaben. Armuth auf diesen reichen Triften! in diesem Lande, das mit zehnfacher Milde seine Kinder ernähren würde, wenn ihr Haupt, von keinem Joche gedrückt, sich erhöbe und Gesetze ihnen den Erwerb ihres Fleißes versicherten. Er fand ein Paar Bewohner des Dorfes, die in ihrer Jugend, ihrer größern Gewandheit wegen, bei ihren Leibdiensten im Innern des Herrenhofes waren gebraucht worden. Sie foderte er auf, ihm jede Stätte zu zeigen, wo sein Ahnherr lebte, wo sein Vater jung war. Diese armen starren Menschen verstanden sein Verlangen nicht. Liebesandenken kennt der Elende nicht, der ohne Eigenthum [255] und Rechte kein väterliches Erbe je erhalten hat und nur Alles dem Herrn verdankt. In dem Zimmer seines Großvaters fand sich noch die Erhöhung, wo das Ehebett seiner Vorfahren stand, dieses Prunkstück, welches eins der wenigen Luxusgeräthe ist, welches jener Adel der Prachtliebe unsrer alten Barone nachgeahmt hat. Noch sah man oben an der verfallnen Decke einzelne Schnörkel von Schnitzwerk, von dem die scharlachrothen Umhänge herabgehangen waren. Demetri fragte seine Begleiter bewegt nach der Stelle, wo der Schutzpatron ehemals gehangen. – Kopfschüttelnd zeigten sie eine kleine Vertiefung in der Mauer, wo ehemals ein Bild des heiligen Romanus verehrt ward. Demetri ahnete hier den Ort, wo sein Vater und sein Waffenbruder Hektor auf das Kreuz schwören mußten, sich dem Vaterlande zu weihen. Er sank auf den durchwühlten Fußboden, zog dasselbe Kreuz aus dem Busen, das Hektors Todtenhand hielt, das er von seines Vaters kalter Brust genommen hatte, und wiederholte den Schwur. Die dumpfen Menschen um ihn her verstanden nichts von diesem Betragen, sie gaben sich bedeutende Blicke unter einander, und führten ihn weiter zu dem Ort, wo sein Vater auf einem Platze, von Vogelbeerbäumen beschattet, als Knabe mit Flinte und Pistol nach dem Ziele schießen lernte. – Der Blick der ihn begleitenden Leibeignen ward immer mistrauischer – er schritt nun über einen Weideplatz zur nahen Kirche, um die Grabstätte seiner Voreltern zu sehen. Ein kleiner Pfad führte ihn durch hohes blumiges Gras, das in unendlichem Umkreis eine Fläche bildete, auf der leichte[256] Lüfte wie auf grünen Wellen sich wiegten; Bienen summten geschäftig über den Blumen und verjagten den müßigen Schmetterling, dessen bunte Farben mit den Blumen wetteiferten. Demetri stand lange und sah dem wogenden Meere zu. Das waren nicht die grünen Wellen des Inselmeeres! Diese fetten Weiden, die weit umgebenden dunkeln Wälder in neblichter Ferne, die westwärts den Nedoborschetz krönen, bewiesen ihm, wie weit er von der Wiege seiner Kindheit entfernt sei, und die Trümmer, die er eben verließ, die Gräber, die er zu suchen ging, riefen ihm zu, daß seine Kindheit entflohen sei, daß statt süßer Träume der Vergangenheit eine ernste Zukunft ihn rufe.

Die Gegenwart seiner finstern Gefährten drückte ihn je mehr und mehr. Sie ward ihm unleidlich an der heiligen Stätte. Hier, wo so viele seiner Ahnen einfältig und treu zu dem Herrn des Schicksals um Segen gebeten hatten, für sich und ihre Nachkommen, hier, wo Alles ihr Gebet, nach Menschenansicht, betrogen hatte, und ihre Habe geraubt, ihr Enkel verjagt, ihre Gräber zerstört wurden, der letzte ihrer Söhne, als Fremdling in seiner Heimath an ihrer entweihten Ruhestätte betete. Demetri ging zu dem Popen, der ihm eine Lagerstatt in seiner Hütte versprochen hatte, zu rück; wie er aber um Mitternacht das ganze Dorf in Schlaf versenkt glaubte, schlich er sich aus dem Hause, um, vom Mondesstrahl geleitet, den Ort noch einmal zu besuchen, der ihn so schwermuthvoll anzog. Wie er sich unter den Schatten einiger Linden der Kirche nahte, hörte er eilende Schritte vor sich her fliehen, und bei der verfallnen [257] Kirche schien es ihm, als sähe er neben der Pforte am Hochaltar einige Gestalten verschwinden. Unbesorgt nahte er sich dem Grabgewölbe; hier und überall konnte er nur von guten Geistern umgeben sein, deren sichtbares Kundwerden er oft mit Sehnsucht gewünscht hatte; was er jetzt zu sehen glaubte, war Täuschung, oder Menschen, die er nicht fürchtete. Wie er an die Gräber trat, schien ihm der Boden unebner wie am vergangnen Tage, die Breter, die Steine lagen ihm anders im Wege. Er sann darüber nicht nach, sondern kniete an den beraubten Altar, um zu denken – – – denn denken ist das Gebet des Mannes, der, mit Kraft gerüstet, das Beste thun will. Ruhiger stand er auf, wie der erste Hahnenruf ihm die Nachtscheide verkündigte, und ging auf das Haus seiner Eltern zu, um es noch einmal zu begrüßen. Bei seiner Annäherung hörte er ein Geräusch wie die Schläge einer Haue im weichen Boden, – er stutzte, und erinnerte sich der Gestalten am Hochaltare der Kirche, trat leise durch die Gemächer, die keine Thür mehr verwahrte, in das Zimmer seiner Eltern, wo er ein Paar Männer erblickte, die beim Schein der brennenden Kienspäne den Boden und die Mauer unter der Heiligenblende des ehemaligen Betaltars durchsuchten. Elende, was sucht ihr? rief er ihnen zu und zog unwillkürlich den Säbel – sie fuhren erschrocken aus einander, stürzten zu seinen Füßen und sagten flehend: Herr! wir hätten Dir gewiß Alles gebracht, aber die Moskowier ließen nichts zurück, und hätte es Dein Ahnherr im Grunde der Erde verborgen – Demetri fing jetzt an, den Wahn dieser Menschen [258] zu verstehen; sie hatten seinen Eifer, die Stätten, wo seine Väter lebten, zu sehen, für eine Anzeige gehalten, daß er einen verborgnen Schatz zu heben gekommen sei. Seine Handlung an dem Orte, wo der Betaltar stand, noch mehr sein schnelles Verlassen des Begräbnißgewölbes hatte sie in diesem Glauben bestärkt; sie meinten, er werde nächstens mit Gehülfen zurückkehren und den Schatz heben. Ihm zuvorzukommen, hatten sie noch in dieser Nacht die Gräber durchsucht und die Mauer unter dem ehemaligen Betaltar geöffnet.

Dieser Vorgang verletzte sein Inneres! Die Menschen, für die er sein Blut zu vergießen seit seinem ersten deutlichen Bewußtsein geglüht hatte, diese Menschen, unter die er, als unter das Vermächtniß seines Vaters getreten war, fand er jetzt als Räuber, als Entweiher der Gebeine seiner Todten. Mit trübem Sinne durchreiste er das südliche Kiow, eilte zu den Trümmern von Borowiça und erkannte jede Stelle, welche seiner Mutter schrecklichen Abschied aus dem Vaterlande bezeichnete. Endlich kam er mit einem Herzen voll Trauer bei seinem Wohlthäter in Warschau an. Der Graf empfing ihn wie ein Kind seines Hauses. Er fand ihn von Geschäften, von Staatsmännern, von Kriegsleuten umringt, und nicht den Augenblick, sich ihm vertraulich zu nähern. Dieser kam endlich, und der edle P*** sagte ihm zum Eingange des Gesprächs: Du sahst nun Dein Land, Du sahst Dein Volk, Du sahst hier die Männer, mit denen Du handeln sollst, es ist Zeit, daß Deine Laufbahn als Bürger beginne. – Demetri's Gemüth war bestürmt – die lang ersehnte einsame Gegenwart [259] seines Wohlthäters überwältigte die Fassung des jungen Mannes, er warf sich an seine Brust und rief schmerzhaft: O Vater! einen Vaterlandsboden fand ich, aber keine Mitbürger! elende Sklaven und geputzte Gecken, unter denen ich mit meiner Jugend und meinen Narben und meinem Schwerte wie ein Wilder dastehe und weinen möchte wie ein Kind. – Und Thränen der Scham und des Schmerzes drangen aus seinen Augen, wie er das sagte. Es bedurfte lange Zeit, ehe dieses Jünglings gerades Gemüthe den Gesichtspunkt fassen konnte, aus dem er die damalige Lage Polens betrachten mußte. Nur in dem Grade, wie er die unvertilgbare Würde der Menschheit reiner erkannte, wie ihm in seinem Landsmann der Mensch heiliger ward, wuchs sein Glaube, daß dieses Volk nicht ewig zur Schmach bestimmt sein könnte. Sein Beschützer verhehlte ihm nichts, verschönerte ihm nichts und gab ihm alle Gelegenheit, die Hoffnungen und die Kräfte beider Parteien kennen zu lernen. Demetri arbeitete in des Grafen Cabinete, ward von ihm zu wichtigen Sendungen gebraucht und lernte alle Häupter der Parteien kennen. Konnte es anders sein, als daß er, das Kind der Natur und des Schicksals, welchen nicht berechneter Menschenwille, auch nicht der beste, aber der Kampf mit Unglück und Streben nach Einem Größten gebildet hatte, daß er den Mann sogleich erkannte, zu ihm sich hinstellte, mit ihm sich verband – den Mann, dessen Heldengeist seine Nation zum Kampf um die Freiheit beseelte, und dessen Seelenreinheit ihn fähig machte, die Vernichtung dieser Nation zu überleben?

[260] Unter Kosziusko's Fahnen focht Demetri gegen die Russen, bei Dubienka theilte er seinen Ruhm, und als jener genöthiget war, sein Vaterland zu verlassen, begleitete er ihn nach Dresden; dort fand er seinen Beschützer, der ihm schon früher dahin vorausgeeilt war, wieder, und neue Plane zu der Befreiung ihres Vaterlandes beschäftigten ihr Gemüth.

Indeß hier Begebenheiten von sehr ernster Art vorbereitet wurden, willigte Demetri in einen Schritt, dessen Wichtigkeit er in diesem Zeitpunkte nur als Staatsbürger, nicht als Mensch zu beurtheilen vermochte. Im Schoße der Natur, unter einfachen Sitten erzogen, früh durch ein thätiges Leben, durch bekämpfte Gefahren, durch Entsagung und Arbeit vor Weichlichkeit geschützt, von einem großen, schönen Enthusiasmus vor allem Gemeinen bewahrt, hatte der Jüngling Wollust nie und die Macht der Schönheit mehr in der Kunst als in der Wirklichkeit gekannt. An Liebe und Ehe hatte er noch nicht gedacht, aber er war sich – wenn die Hoffnung gelungner Thaten ihm am Ziele ein freies Vaterland zeigte – der süßen Pflicht bewußt, in ihm Gatte und Vater werden zu sollen. Wie bestürzte ihn daher der Antrag des Grafen, die Hand seiner Nichte Elisabeth W * na anzunehmen, eines schönen Mädchens, die ein reiches Heirathsgut von seiner verstorbenen Schwester besaß. Ihr Vater hatte sie und seine zweite Frau, um sie den bürgerlichen Unruhen zu entziehen, schon vor einigen Jahren nach Dresden gesandt und sich jetzt daselbst mit seiner Familie vereinigt. Durch persönliche Hintansetzung zur Rache aufgefordert, trat er der Partei[261] der Vertriebenen bei. P*** kannte den Mann, er wußte, daß Persönlichkeit, nicht reine Anerkennung des Bessern ihn leite und sann auf ein Mittel, wie seine lebhafteste Persönlichkeit, seine Vaterliebe zum Bande an die Sache genutzt werden könnte. Elisabeth vereinigte mit allem Liebreiz ihrer Landsmänninnen auch ihre heftigen Leidenschaften und nichts achtenden Leichtsinn. Der Anblick des jungen Czesinsky hatte den lebhaftesten Eindruck auf sie gemacht, seine Schicksale verliehen ihrer Begehrlichkeit so viele gefühlvolle, heroische Farben, daß sie bald zu einer großen Leidenschaft ausstaffirt war. Ihrem scharfsehenden Oheim entgingen ihre Bewegungen nicht, er berechnete, welches Gewicht ihre reichen Güter in Lithauen seinem jungen Freunde geben mußten, und aus diesem Gesichtspunkt allein stellte er ihm seinen Antrag dar. Einen jungen Mann reißt der Gesichtspunkt, aus welchem er ein Mädchen betrachtet, leicht zu Empfindungen hin, die ihm sonst fremd geblieben wären. Die Art von Elisabeths Bildung, ihre laute Munterkeit, ihr glänzender Witz, ihre unverhüllten Ansprüche an Bewunderung hatten Demetri bis jetzt in einer kalten Entfernung gehalten. Das war nicht das Bild des Weibes, wie es seine Ansichten von ihrem Geschlecht, in Beziehung auf sein Land sein mußte. Der Antrag des Grafen empörte ihn, und er stellte ihm alle seine Gründe und sein Misfallen mit Offenheit vor. Mein Freund, antwortete ihm sein Wohlthäter: Alles, was Du von dem eigentlichen Beruf jenes Geschlechtes und von den Verhältnissen in der Ehe sagst, ist richtig; aber unser gesellschaftlicher Zustand ist nicht da, [262] wo diese Verhältnisse stattfinden, sondern wir wollen Umstände herbeiführen, unter denen sie sich wieder bilden können. Was Dich jetzt ruft, ist nicht häusliches Glück, es ist Wiedergeburt des Vaterlandes. Diese Ehe soll nicht Zweck für Dich sein, sondern Mittel; sie soll nicht Lohn sein, sondern Opfer. – Und wenn es Dir dabei gelänge, ein Geschöpf voll herrlicher Anlagen zu etwas Besserem zu bilden, als sie es an jedes andern Mannes Hand werden könnte? – Elisabeth betet Dich an; sie ist eine Polin, also schon durch ihre Geburt zu einer freiern Wirksamkeit berufen, als die Sitte den Weibern anderer Nationen erlaubt – Liebe und Nationalgeist bilden sie vielleicht noch zu dem Weibe, das Deiner werth und dem nächsten Geschlechte ein Vorbild ist.

Nach diesem Gespräch sah Demetri Elisabeth mit andern Augen an. Er glaubte, sie nun beobachten zu müssen – der Arme! er wollte beobachten und ward geblendet! Sein männliches Gefühl, sein richtiger Verstand machte ihn keinen Augenblick unempfindlich gegen die Verkehrtheiten des bezaubernden Mädchens; aber da er stets ihren Ursprung aufsuchte, fand er ihn in Quellen, aus denen sich ebenso gut die schönsten Tugenden ableiten ließen. Bald gestand er seinem Wohlthäter, daß er bereit sei, sich seinen Verfügungen zu unterwerfen, aber nicht mehr im Stande, über die Bewegungsgründe zu seinem Entschlusse zu richten. Der Graf lächelte, und aller Widerwille des Vaters, seinen Liebling einem verarmten Edelmann zu geben, ward durch die Hoffnung besiegt, in diesem Schwiegersohn einen Rächer [263] seiner Demüthigungen gefunden zu haben. Sobald Demetri einmal seinem Herzen erlaubt hatte, sich in die Entscheidung seines Schicksals zu mischen, nahm es über alle andre Rücksichten die Oberhand und bediente sich jetzt der Vernunft als eines mächtigen Bundesgenossen zu seinem Endzweck. Demetri entwarf schöne Pläne, auf Elisabeths Bildung zu wirken, ihrer Thätigkeit ernstere Zwecke, ihrer Gewalt über die Herzen ein schöneres Ziel aufzustellen. – Die kurze Bekanntschaft mit ihr gab ihm nicht die Rechte des Freundes; aber er hoffte sie von der Innigkeit der Ehe. Diese Irrthümer waren wol der einzige Weg, daß er zu einem Schritte vermocht werden konnte, welcher der vollendeten Ausbildung des Mannes als Gatte und Vater unerreichbare Schranken in Weg stellte. Das Gesetz erlaubt die Trennung einer unglücklichen Ehe, aber die Eindrücke, welche das unglückliche Band in uns zurückläßt, kann kein Gesetz vertilgen. Der von Fesseln Befreite, fände er auch das schönste Glück, sieht an den Narben noch die Spur der Kette, die er trug. Demetri ahnte das und trug das selbstgewählte Joch. Seine schönen Träume wurden bald zerstört. Leidenschaft, wo er Kraft gehofft hatte; Sinnlichkeit, wo er Innigkeit ahnte; herzlose Härte, die er für Entschlossenheit hielt; Selbstsucht, in der er edeln Stolz gesucht hatte – lehrten ihn, daß er der Politik das Glück seines Herzens zum Opfer brachte. Sein Wohlthäter hatte ihm nicht geschmeichelt, seine Unerfahrenheit hatte ihn hintergangen. Er war weit entfernt, zu klagen, weit entfernt, mit eigensinniger Schwäche Anspruch an Tugenden zu machen, die Elisabeth gar [264] nicht verstand. Er räumte ihr alle Rechte ein, die er ihrem Vermögen schuldig war und die seine Ehre erlaubte, und jeder Hoffnung persönlichen Glückes beraubt, lebte er ganz dem Wohle seines Landes.

Der neue Plan, mit gewaffneter Hand die russische Macht in Polen zu zerstören, nahte sich seiner Reife. Um alle Genossen zu befeuern und neue zu gewinnen, besuchte Demetri die Güter seiner Frau in dem Norden von Lithauen. Dieser Vorwand erlaubte ihm viele kleine Reisen in der Gegend; wir finden ihn in dem Augenblick in W – ky, wo bei dem Taumel von Gästen und Festen geheime Verabredungen und verabredete Zusammenkünfte den Augen der Wachsamsten entgingen.

Wie Mortan, Theofaniens alter Bekannter, mit Demetri zusammentraf, wissen wir nicht. In Dresden hatten sie sich gekannt. Sie kamen gerade in einem Zeitpunkt an, wo Theofaniens Gemüth unter einer ungewöhnlichen Spannung litt. Bei dem Eingange von Demetri's Geschichte erzählten wir, daß des Fürsten Begierde, dem russischen Hofe zu gefallen, ihn vermochte, zu Ehren der jungen Fürstin W – na, welche bei ihrer Reise nach Warschau ihn besuchte, glänzende Feste zu geben. Bei einem vorgeschlagnen Maskenball sollte ein Charaktertanz eine vorzügliche Stelle einnehmen. Als ein Mädchen von Kreta sollte Theofanie mit Großmaniev einen Tanz idealisiren, von dem mehrere griechische Reisebeschreiber erzählen. Er ward zum Andenken Ariadnens bei den Volksfesten des alten Kreta getanzt, und noch jetzt soll man in dem Tanze der Jugend in Candia einige Züge von ihm erkennen. Alte und neue Nachrichten [265] wurden zu Rathe gezogen, der Balletmeister der Hauptstadt befragt, griechische Kaufleute beauftragt, die passendsten Stoffe zu liefern, und Geschmack und Pracht riefen Alles auf, das Schauspiel zu verschönern. Großmaniev's Gestalt wäre in frühern Zeiten zu dem Charakter dieses Tanzes, da er als Theseus Kraft und Schlauheit erfordert, wol geschickt gewesen; jetzt sank sie vor den Blicken voll Hoheit und kalten Stolzes, mit denen Theofanie auf ihn herabsah, zusammen. Mit edler Grazie, ernst und ruhig, verschlang sie ihre Arme mit denen der Gespielinnen, die sie anführte; wenn aber der Tanz sie ihrem Mittänzer nahe brachte, schien ein Schauder sie zu fesseln; man hätte glauben sollen, auf des Tänzers leichtem Schilde habe sie das Haupt der Gorgo erblickt. Vergeblich predigte der Balletmeister über den Geist des Tanzes, dessen labyrinthische Verschlingungen Ariadnens Geschichte darstellten, vergebens bat die Castellanin Theofanie, sie möchte ihres Vaters Zorn nicht reizen durch diese sichtliche Geringschätzung des Mannes, den er mit ihrer Hand zu ehren gedächte – des Mädchens Inneres widerstrebte, diesen Menschen in dieser Rolle sich gegenüber zu sehen. Dennoch mußte der Tanz geübt werden, und eben, wie Czesinsky mit Mortan hereintrat, versammelten sich zu diesem Endzweck die Tänzer.

Der wichtige Gegenstand, der die Gesellschaft so eben beschäftigte, ward den Neuangekommenen vorgetragen. Das ist herrlich, rief Mortan, und deutete auf Demetri, den er so eben eingeführt hatte – da ist ein Theseus gefunden, der diesen Tanz wahrscheinlich auf dem [266] Boden des Labyrinthes selbst tanzen sah. Mein junger Freund ist ein Candier ... Ein Candier! erscholl es aus dem Cirkel – ein Pole und in Kreta geboren, und gerade jetzt, da man den kretischen Tanz aufführt, nach W – ky gekommen! Welche pikante Begebenheit für den Alltagsgang des vornehmen Lebens! Die Damen drängten sich um den Fremdling, die jüngern bestürmten ihn mit Fragen, die den Tanz betrafen, noch mehr die Kleidung und Schönheit der Weiber in Kreta; einige ältere interessirte es mehr, in conventioneller Rücksicht, Aufschluß über seine wunderbare Abkunft zu haben, und Mortan, an den sie sich wandten, setzte seines jungen Freundes Verhältnisse gegen die Gesellschaft sogleich fest, indem er ihn als Pflegesohn und Neffen des Grafen P*** bekannt machte. Bei der politischen Verfassung von Polen, wo die Nation aus dem Adel bestand, unter diesen aber einige große Familien die Macht der Parteien in sich vereinigten, glichen alle Vereinigungen Familienverbindungen; aller Haß war aber auch Vetterschaftshaß, das heißt: Persönlichkeit war sein Grund und sein Hülfsmittel. Daher waren Klatscherei und Politik innig verwebt; jede Familienanekdote ward von einem Ende des Reichs zum andern erzählt, und Czesinsky's Schicksal, so entstellt es bei dergleichen Überlieferungen nur immer möglich ist, war mehreren der Anwesenden bekannt. Nur ein Zug zeichnete die polnische Klatschsucht aus: – der Nachhall großer Thaten, die von nahen Zeiten jede Familie von ihren Vätern erzählte, hatte sie noch vor dem Bedürfniß geschützt, jede persönliche Größe zu verleumden, um sich den Contrast mit [267] ihrer Nichtsbedeutendheit zu erleichtern. Die Söhne und Enkel der Mokranovsky, Malakusky, Krasinsky und Rzewusky fühlten sich durch eines Landsmanns Größe, auch wenn er ihr Feind war, noch groß.

Auf Theofanien und Großmaniev hatte Demetri's Erscheinung einen wunderbaren Eindruck gemacht. Indeß die ganze Gesellschaft mit den eingetretnen Fremden beschäftigt war, hatte sich Theofanie an ein Fenster zurückgezogen, von wo sie mit ernstem, nachsinnendem Blick bald Mortan, bald den Fremden betrachtete. Großmaniev war mit sichtlicher Verlegenheit zu ihr getreten und horchte besorglich auf das lebhafte Gespräch der Gesellschaft. Er suchte seine Braut zu unterhalten, aber so zerstreut, daß er ihre einsylbigen Antworten nicht einmal vernahm. Mortan hatte sich während der Fragen der alten Damen immer Theofanien zu nähern gesucht, ließ jene endlich höflich stehen und eilte, seine ehemalige Schülerin, wie sie sich genannt hatte, zu begrüßen. Der Ausdruck ihrer Freude war unverholen, sie war achtungsvoll, aber besonnener als ihr ehemaliges Betragen gegen ihn. Indeß rief man von allen Seiten, die Tanzübung sollte beginnen, Czesinsky sollte urtheilen, ob ihre Figuren einen nationellen Charakter ausdrückten, ob sie ihn an das alte Reich Minos' erinnerten? Mit Widerwillen ließ sich Theofanie von ihrem Tänzer an ihren Platz führen, und dieser sah wirklich nicht wie ein Ungeheuerbezwinger aus; man hätte vielmehr glauben sollen, er würde dem Minotaur nicht entgehen. Czesinsky schien der Auffoderung, hier als Richter und Lehrer aufzutreten, sehr ungern zu folgen, er blieb in[268] der Entfernung stehen und unterhielt sich mit den Umstehenden, bis sein Blick auf das vortanzende Paar fiel. Nun trat er näher; mit einem getheilten Ausdruck von Bewunderung und Unwillen heftete er seinen Blick bald auf den demüthigen Theseus, bald auf die hohe Ariadne, die kalt, wie eine Vestalin, und stolz, wie eine Juno, den Anfang des Tanzes erwartete. Der Balletmeister, dem die Dazwischenkunft eines Kenners aus fremden Landen gar nicht gelegen war, näherte sich und klagte: daß das Fräulein, ganz ihrer Rolle zuwider, mehr Würde in ihren Anstand legte als Zärtlichkeit – die denn doch der Charakter Ariadnens sein müßte. Denn, mein Herr, fuhr der biegsame Franzose gegen den Fremden fort, wie sehr ich begierig bin, aus Ihren Bemerkungen Unterricht zu schöpfen, über den Charakter der Rollen können wir nicht streiten. Und nun setzte er die allvergessende Zärtlichkeit der Tochter Minos' und den Heldenmuth des atheniensischen Heros ganz im Tone der Vertrauten im französischen Trauerspiel auseinander und erregte in Czesinsky sonderbare Reminiscenzen, wie er mit wirklicher Gelehrsamkeit Theseus' Züge in dem griechischen Inselmeere bis zu der Einsetzung des dädalischen Tanzes zur Ehre der beweinten Ariadne verfolgte. Immer in Anwendung seiner Klagen über Ariadnens Kaltsinn, leitete er unwillkürlich seines Zuhöres Blicke auf das Mädchen, die, von dem Interesse des Gesprächs zerstreut, ihm zuhörte und, als eine Pause entstand, lachend sagte: Sie verderben sich selbst Ihre Sache, denn je länger Sie reden, je lächerlicher finde ich unsre Farce gegen jene großen, einfachen Züge der Geschichte. Wollen wir [269] Bacchus Ankunft auf Naxos und die Vergötterung der Ariadne nicht auch mit Rigodons und Entrechats darstellen? – Halb empfindlich wollte der Franzose seine Kunst vertheidigen, als Mortan ausrief: Herrlich! herrlich! Da wäre diese stolze Ariadne an ihrem Platze, und ich schlage meinen werthen Freund, sowie er jetzt nachsinnend dasteht, zum Bachus vor. O die Gruppe wäre unnachahmlich! Ich bitte Sie, Herr Delormes, benutzen Sie die Idee, ich will fußfällig die Einwilligung der schönen Ariadne erflehen. – Der Einfall gab dem Gespräch eine lustige Wendung, aber endlich mußte der Tanz doch beginnen. Er gerieth schlechter wie je! – Großmaniev schien allen Muth verloren zu haben, und so belebt Theofanie durch die verschlungenen Reihen der Tanzenden schlüpfte, so lieblich sie lächelte, wenn sie den Knäuel, den ihr Delormes in die Hand gegeben hatte, mit leichten Schwingungen emporwarf, so kalt und leblos blieb sie vor dem unseligen Theseus stehen. Czesinsky verfolgte sie mit nachdenkendem Blick; endlich näherte er sich ihrem Mittänzer, um ihm über die Haltung seines Schildes, über das Schwingen seines Speers eine Bemerkung zu machen. Er äußerte die Nothwendigkeit, den Gebrauch dieser Waffen zu kennen, um sie mit Leichtigkeit im Tanze zu halten, und zur Erläuterung einiger Zurechtweisungen, die er sich im verbindlichsten Tone erlaubte, faßte er selbst Schild und Wurfspieß und warf sich damit in einige Stellungen, die der Tanz vorschrieb. Die Weiber brachen in einen allgemeinen Ausdruck von Bewunderung aus bei dem Anblick der herrlichen Gestalt, vom Gebrauch jener einfachen [270] Waffen bis zum Ideale verschönert. Der Balletmeister, von wahrem Kunstgefühl ergriffen, rief: Das ist göttlich! das ist eine Gestalt, die einen Vestris verdunkelt! – Die jungen Männer interessirten sich für den Gebrauch dieser Waffen, die ihnen von einigen kosakischen Stämmen nicht ganz fremd waren; der Tanz ward beendigt, und die Waffenübung nach Art der Kretenser und der Bergbewohner der griechischen Halbinsel kam für heute an die Tagesordnung.

Theofanie war sonderbar bewegt, nach einem Zeitraume, in dem ihre Entwickelung große Fortschritte gemacht hatte, ihren Mentor, wie sie Mortan oft nannte, wiederzusehen. Seit jenem Auftritte an ihrem Confirmationstage hatte sie ihn vermißt, denn ehe sie wieder den Gesellschaftssaal besuchte, hatte er unvermuthet W... verlassen. Auch er nahm jeder Gelegenheit, sich mit ihr zu unterhalten, wahr. Er fragte sie mit lebhaftem Interesse nach dem Schicksale ihrer Familie, während den Unruhen des vergangenen Jahres, nach ihrem Aufenthalt in Warschau und ihrer jetzigen Beschäftigung und den Mitteln zur Geistesbildung. Der ungewöhnliche Genuß, Ideen auszutauschen und der Theilnahme eines gebildten Wesens gewiß zu sein, gab Theofanien einen Ausdruck von Kindlichkeit und Hingebung, die ihr sonst fremd waren. Sie fragte nun auch bei der nächsten Veranlassung nach Mortan's Begleiter, und ein kurzer Abriß seiner Schicksale, die Mortan ihr mittheilte, erfüllte sie mit Bewunderung und Mitleid, wie ihr schwärmender Blick es verrieth. Wohl ihm, fuhr Mortan fort, daß er in einer Zeit lebt, wo die Anfoderungen [271] seiner Nation ihm nach seinen Grundsätzen die Pflicht auflegen, sich über das Ganze zu vergessen! er wird so den Mangel an eignem Glück weniger empfinden. Eine unglückliche Ehe beraubt ihn jeder häuslichen Freude; er ward durch sie das Opfer seiner Partei. – – – Und nun erzählte er seine Verhältnisse gegen Elisabeth und von ihrer Individualität mehr traurige Züge, als ihrem edeln Onkel bekannt waren, da er sie seinem Lieblinge vermählte. Theofanie verurtheilte mit Härte den Mann, der seine Hand ohne sein Herz hinweggab, oder der sein Herz bethören ließ, ohne seine Vernunft zu befragen. Mortan sah ihr lächelnd und lauernd ins Auge und sagte dann lebhaft: das ist ein Gegenstand, über den man ohne Erfahrung stets am zuverlässigsten spricht. Mir ist's indessen lieb, daß dieser schöne Zorn meine liebenswürdige junge Freundin vor allen Discussionen zwischen Herz und Vernunft bewahrt. Ohne die stoische Fassung, mit der mein Freund seine Fesseln trägt, und diesen edeln Zorn, wär' ich sehr, sehr besorgt gewesen, daß Ihre beiderseitige Bekanntschaft die Urabsicht des Schicksals, eine neue Portia mit einem neuen Brutus zu vereinen, trotz der ungünstigen äußeren Umstände begünstiget hätte. Diese Rede zog von Seiten Theofaniens einen lebhaften Wortwechsel herbei, in welchem sie durch den eigensinnigen Tadel von Czesinsky's Heirath immer deutlicher zeigte, wie lebhaft sein Schicksal sie beschäftigte. Der junge Mann schien indessen die Gesellschaft der Damen überhaupt nicht zu suchen, er hielt sich an das Gespräch der Männer, die er durch seine vielfachen Kenntnisse [272] fremder Länder und ihrer Kriegskunst sehr anzuziehen wußte.

Noch an demselben Abend erfuhr der Fürst den Antheil, welchen Czesinsky an der Tanzübung genommen hatte, und kaum war die Messe am folgenden Morgen beendigt, so erhielt der Fremde eine Einladung, ihn in seinem Cabinete zu besuchen. Czesinsky hatte seit seiner Ankunft in W – ky eine Stimmung kennen lernen, die ihm bis jetzt noch fremd war. Theofaniens Bild schwebte seit ihrem ersten Anblick vor seiner Seele, er hatte die Empfindung, welche der erste Anblick eines Kunstwerks uns gibt: eine heiße Sehnsucht, es ganz zu verstehen, zu erkennen, von allen Seiten, in jedem Lichte es zu sehen. Ihm war es, als sei in ihr das Ideal des Weibes vor ihm aufgestanden – so, schien es ihm, hatte er sich die höchste Reinheit gedacht, wie Theofanie dem elenden Großmaniev ins Auge sah; so die jungfräuliche Freude, wie sie, mit dem schönen Arm den Knäuel hebend, unter den verschlungnen Händen der Gespielinnen dahinschlüpfte, so das Bild der Mutterliebe, wie er sie, da er sie lange in der Gesellschaft vermißt hatte, in einem entfernten Theile des Gartens, unter Blumenbeeten spielend mit ihren kleinen Geschwistern zufällig erblickte. Wie er des Bischofs Einladung erhielt, erröthete er vor sich selbst, daß er seit seinem Hiersein der Absicht seines Aufenthaltes in W – ky nicht mehr gedacht hatte. Zweifelnd, ob der Fürst seinem Auftrage, ihn für die Sache der Patrioten zu gewinnen, nicht selbst entgegenkäme, eilte er, seinem Rufe zu folgen. Er fand ihn von dem Balletmeister, Großmaniev [273] und dem Castellan umgeben und ward mit der dringenden Bitte von Seiten des Fürsten empfangen: die Rolle des Theseus bei dem kretischen Tanz zu übernehmen. Seine Überraschung war höchst beschämend für ihn selbst, sie war mehr, sie war ihm ein grelles Bild von dem Charakter der Menschen, in deren Händen das Schicksal der Nation lag. Er war hierher gekommen, um durch Gründe der Ehre und des Vortheils einen der mächtigsten Herren des Landes für die Sache der Freiheit zu gewinnen, und ein Mädchen hatte ihn seit seiner Ankunft zum schwärmenden Schäfer gemacht. – Der Fürst wußte, daß in diesem Augenblicke seine Entschließungen das Urtheil der Nachwelt über ihn bestimmten, und hatte nichts Dringenderes, als den Abgeordneten des bessern Theils seiner Nation um ein Carnevalsstückchen zu bitten; und um diese elende Verkehrtheit zu krönen, sah sich Czesinsky genöthigt, allen edeln Empfindungen, die ihn beseelten, allen edeln Zwecken, die er vorhatte, die Schellenkappe aufzusetzen und in des Bischofs Foderung zu willigen. Anfangs entschuldigte er sich mit dem Unrecht, welches Großmaniev geschähe, wenn man ihn seiner Tänzerin beraubte, aber das Hinderniß war sogleich aus dem Wege geräumt, weil Großmaniev bei der gestrigen Waffenübung mit Schild und Lanze den rechten Arm verstaucht hatte, also auf mehrere Tage zu seiner Rolle unfähig sei. Da der Balletmeister mit dem Auftrage, die Tanzübung noch am selbigen Nachmittage zu veranstalten, entlassen war, fand es Demetri recht im Charakter der Menschen, mit denen er zu thun hatte, nun, da das Fastnachtsspiel mit [274] gebührendem Ernste gesichert sei, ein Wort über die Mittel zur Rettung des Vaterlandes zu erwähnen. So erbittert seine Meinung von dem Fürsten war, so hatte er doch schon genug mit Menschen verkehrt, um ihre Zustimmung oder ihren Beifall nicht dadurch zu bezwekken, daß er ihnen die Ansicht ihrer Elendigkeit aufdrang. Wir können ihn also ruhig mit dem Fürsten unterhandeln lassen, wir wissen, daß ein Mensch, wie dieser, überall, wo er seine Treulosigkeit hinbringt, sich und seine Sache unausbleiblichem Verderben übergibt. Das Schicksal, das ihn endlich traf, kann uns nicht überraschen.

Der Tanz ward indessen vorgenommen, und eine auffallende Vertauschung der Rollen schien eingetreten zu sein. Ariadne drückte die süße Verwirrung aus, welche die erste Ahnung, ihren Sieger zu erblicken, in der Jungfrau erregt. Der schüchterne Wunsch, zu gefallen, mit dem die Natur die strenge Züchtigkeit bekämpfte, und diese Züchtigkeit, die vor dem Neuen, Unbekannten, das in ihrer Seele aufsteigt, wie vor einer drohenden Erscheinung flieht – Demetri hingegen mit fliegendem Helmbusch, mit nervigem Arm den Schild hoch über dem Haupte, bald die Brust mit ihm deckend, bald den Speer schwingend, stand Ariadnen gegenüber, wie der junge Mars, als er Aphrodite erblickte. Der Balletmeister sah dem Gang der Dinge mit halb betrübter Verwunderung zu; endlich sank, dem Tanze gemäß, Ariadne in Theseus' Arme, indeß zwei Flötenspieler in schmelzenden Tönen den Sieg des Heroen über die Enkelin des Donnergottes feierten, – und nun rief der [275] entzückte Künstler: Ach! das ist nicht, was ich gelehrt habe, aber es ist tausend mal schöner!

Die Fürstin W – er langte an, und der längst bereitete Tag des Festes kam endlich herbei. An einem Orte, wo der Fluß an beiden Seiten von den schönsten Wäldern umgeben ist, befindet sich eine Insel, ihr Ufer ist mit einzelnen Baumgruppen besetzt, außerdem macht ein herrlicher Rasenteppich ihren ganzen Schmuck aus. Hier war ein geräumiger Saal in Form eines Tempels von lauter Tannenzweigen erbaut, die grünen Wände, die grüne Kuppel mit Blumengewinden geziert, mit tausend bunten Lampen erleuchtet, deren Licht durch tausend kleine, in das Buschwerk versteckte Spiegel vermehrt ward, stellte den Anblick eines Feenpalastes dar. Von dem Eingange führte ein Säulengang von beiden Seiten in Form eines Halbzirkels bis an den Fluß, er war aus eben dem angenehmen Gemisch von Blumen und Laubwerk gebildet, und in der Mitte des Platzes, den er umschloß, war ein phantastischer Altar, von wunderbar verschlungnen Widderhörnern erbaut, um welchen, wol nicht nach der treusten Befolgung archäologischer Nachrichten, der dädalische Tanz der Kreter beginnen sollte.

Das Fest entsprach der Zubereitung, die es gekostet hatte, es übertraf selbst die ungemäßigten Ansprüche mancher Gäste, die ihre Schaulust in den größten Städten übersättiget hatten. Die Königin des Festes, die russische Fürstin, konnte kaum das Ende des Tanzes erwarten, um die reizende Ariadne mit dem Ausdruck der exaltirtesten Bewunderung in die Arme zu schließen; [276] allgemeiner Beifallsruf umgab die Gruppe der Tänzer, und frohe Hoboen tönten ihn wie Echo aus den nahen Wäldern zurück. Die ganze Gesellschaft, in die mannichfaltigsten Masken gekleidet, vertheilte sich jetzt zu Spiel und Tanz. Nach der Abendtafel, die in dem Feenpalast eingenommen ward, rief ein zauberisch zunehmender Glanz die Gäste an die Fenster. Der ganze Wald schien in duftigen, farbigen Flammen zu wogen, die Wellen des stillen Stromes waren stralend wie blinkende Edelsteine und eilten flüsternd in das ferne Dunkel, als wollten sie dort das neue Wunder verkünden. Alles verließ die Tafel; man stieg in Gondeln, um aus verschiednen Punkten die Wirkung des Ganzen zu sehen. Verschiedne Musikchöre luden in die Gänge des Waldes ein. Großmaniev hatte an Theofaniens Seite gesessen, indeß ihr Mittänzer ernst hinter ihrem Stuhle verweilte. Allein bei dem Aufbruch von der Tafel verlor er sich in dem Gedränge und berechtigte Demetri, ihr den Arm zum Spaziergang zu bieten. Sie verweigerte die Fahrt auf dem Wasser und ließ sich in zahlreicher Gesellschaft auf der fliegenden Brücke ans Land hinübersetzen. Stillschweigend saß sie neben ihrem Begleiter, den tausendfarbigen Glanz nicht achtend, blickte sie zum Himmel empor, an dem Tausende von Sternen still und klar auf das Kinderspiel herabsahen. »Diese Sterne,« sagte Demetri, der sie eine Zeit lang beobachtete, »scheinen Ihre Aufmerksamkeit mehr zu fesseln wie der Glanz um sie her, mehr als die Bewunderung, die Ihnen gezollt wird.« Des Mädchens Blick sank von dem Sternenhimmel herab auf das Gesicht des Mannes, [277] der ihr noch mit keinem Worte Theilnahme bezeugte – sie sah sein Auge feucht, sie sah statt des kalten Stolzes sanften Schmerz in seinen edeln Zügen; ihr Blick strahlte rein und sanft wie die himmlischen Lichter da oben, und sie sagte, von Wehmuth überrascht: »kann uns denn eine andere Aussicht als die nach jenem heiligen Dunkel über diesen unwürdigen Glanz erheben?« – Wär' es möglich! rief Czesinsky, dieser edle Ernst hätte sich bei diesen Umgebungen gebildet? – »Was verwundert Sie? soll ich von Ihren Umgebungen auf Sie schließen? ich war billig genug, um Ihr Thun für eine Maske zu halten, – war es doch auch mit List, daß Theseus sein Volk von dem schimpflichen Tribute befreite.« – Und ich konnte Sie verkennen? sagte Demetri leise und heftig ergriffen; o Mortan, deswegen sollte die Zeit mich dieses Kleinod kennen lehren, damit ich nun die verflossenen Tage beweine ..... Die Brücke stieß ans Ufer und brach ihr Gespräch ab; in demselben Augenblick entstand ein Geschrei: ein Mensch fiel ins Wasser, er sei verloren! – – Demetri übergab seine Dame einem neben ihm stehenden Paare aus der Gesellschaft und eilte zu helfen; Alles strömte an das Ufer, die Männer suchten ihre Damen aus dem Gewühle zu bringen; man entfernte sich vom Wasser, und mitten im Gedränge sah Theofanie ihren Begleiter wieder neben sich stehen. Er zog sie fort, sie befand sich im Gehölz, sie gerieth in eine dunkle Gegend des Waldes, und noch schien ihr Führer mit ihr fortzueilen. Ein Schauder ergriff sie – die ganze Gestalt schien ihr fremd, dennoch erkannte sie jedes Stück seines Anzugs, [278] sie beugte sich vor, um sein Gesicht zu sehen, als er sie in den Arm faßte und trotzig rief: Die Komödie kann schon hier enden. Im Tanze mochte mich der gewandte Kreter übertreffen, aber auf die Rolle des Theseus versteh' ich mich besser wie er! – Kommen Sie! unser Naxos ist bald erreicht. – Es war Großmaniev, der in Czesinsky's Maske oder einer ganz ähnlichen sie fortzutragen versuchte. Im ersten Schreck hatte sie sich in seinem Arme gesträubt, ihre Geistesgegenwart lehrte sie aber schnell ihre Lage übersehen, und sie sagte, ihn mit besonnener Stärke abwehrend: Lassen Sie mich los und sagen Sie, was Ihr Anschlag ist? – Ihren Stolz zu strafen, rief er höhnisch, und Ihres Vaters Plane zu befördern ... Kommen Sie, meine schöne Ariadne, ich habe den Knäuel aus diesem Labyrinth. – Lassen Sie mich los, ich will freiwillig gehen, sagte Theofanie entschlossen, lassen Sie mich los, oder ich schreie so lange, bis Menschen mich hören. – Der feige Bösewicht ließ sie frei, und sie ging, wenngleich sehr langsam, nach der Richtung hin, die er sie führte. Ihr Auge, von dem lange gewohnten Glanze verblendet, hatte bis jetzt nichts unterscheiden können, nun fing es an die Gegenstände zu erkennen; sie fand sich nahe am Ausgange des Waldes, und seitwärts schlüpfte eine weiße Gestalt in das Gebüsch zurück. Hülfe! rief sie plötzlich, um der heiligen Jungfrau willen, Hülfe! – Hier, gnädiger Herr, schallte auf der andern Seite eine Stimme, nur zwanzig Schritte, so finden Sie den Wagen. – Indem erschien die im Gebüsch verschwundne Gestalt von neuem, Theofanie sträubte sich gegen Großmaniev, der [279] sie auf die Seite des Wagens hinzog, aber eine kräftige Hand packte ihn am Halskragen, und Theofanie erkannte Demetri's Stimme, der ruhig sagte: es ist genug, mein Herr, ich kann meine Rolle jetzt selbst wieder übernehmen. Elender, setzte er noch hinzu, und schüttelte die Schreckensgestalt, die keine Bewegung zur Gegenwehr machte, kräftig und ließ ihn dann so derb los, daß er taumelte. Czesinsky führte die schöne Beute, das Gebüsch durchschneidend, in den erleuchteten Theil des Waldes zurück. Sie folgte ihm wankend, er mußte sie unterstützen; er leitete sie zu der ersten Bank, wo Menschen waren, und setzte sich neben sie nieder. Verstehen Sie diesen Auftritt? fragte er unruhig das zitternde Mädchen. – Diesen Auftritt will ich nicht verstehen, antwortete sie rasch, nur Gott danken, der mich errettete! Aber seinen Fingerzeig will ich verstehen. Versprechen Sie mir, morgen in der bischöflichen Messe zu erscheinen. Dieser Zufall wirft einen Schein auf mich, den Sie zuerst sollen schwinden sehen. Demetri stand sinnend, um das Räthselhafte dieser Worte zu errathen, als die Castellanin in Gesellschaft der Fürstin herankam. Sie schien beim Anblick ihrer Tochter betreten; Du hier, rief sie, ohne alle Begleitung, – und sah suchend umher. Demetri unterbrach sie und bemerkte ihr, daß Theofanie nicht wohl sei. Man versammelte sich um sie, man schickte nach einer Chaise, und die Castellanin warf einen zornigen, aber noch mehr erschrocknen Blick auf Czesinsky, wie er, nach Theofanien in den Wagen steigend, bedeutend versicherte: daß er sie erst an der Thüre ihres Zimmers verlassen würde. Eine junge Verwandte [280] des Hauses begleitete sie. Czesinsky durfte also um keine Erklärung bitten; er war in der heftigsten Unruhe. Auf den Gängen des Schlosses fragte er endlich: ob er nicht vor der Messe sich nach ihrer Gesundheit erkundigen dürfte? Nein, antwortete Theofanie, ich bedarf der Einsamkeit; bitten Sie Mortan, sie in die Capelle zu begleiten. Leben Sie wohl! Sie sind heute mehr wie mein Retter gewesen, Sie haben mein Schicksal bestimmt. – Und sie trat in ihr Zimmer.

Wird es nöthig sein, diese letzten Auftritte zu erklären? Czesinsky, der schnell die alberne Theseusmaske von sich warf, eilte, in einen Ueberrock gehüllt, Mortan aufzusuchen, der das bunte Menschengewühl benutzt hatte, um an einer bezeichneten Stelle des Waldes sich mit mehreren Edelleuten des Herzogthums zu unterreden. Sie gingen so eben auseinander, und was Mortan, nachdem er die Erzählung seines Freundes angehört hatte, muthmaßte, wollen wir nicht verhehlen. Die Castellanin kannte Theofanien zu wohl, um mit Zwang und Strenge auf sie wirken zu wollen, sie wollte Alles von der Zeit erwarten. Theofaniens Grundsätze, ihre Begriffe von Tugend hielt sie für die Folge einer fast herrenhutischen Erziehung und war überzeugt, daß der Umgang mit der Welt, der Beifall der Männer, die Gewohnheit des Beispiels, sie von diesem Allen heilen würde. Nach dieser Ansicht ließ sie die Umstände wirken, ohne sich weiter einzumischen. Allein Gewohnheit der Intrigue erlaubte ihr nicht lange diese Passivität, sie half der Zeit nach durch Putz, aufgedrungene Lecture, verdoppelte Zerstreuung jeder Art, durch strenges Verbot [281] ihrer wissenschaftlichen Beschäftigung und sogar Spott über das Andenken ihrer Mutter und ihres Lehrers. Die Wirkung dieses Betragens war ihrer Erwartung ganz entgegen. Theofaniens ruhiger Anstand in Gesellschaft, ihre zunehmende Sorgfalt für ihre Stiefgeschwister, je nachdem ihr Alter sie für ihre Bemühung empfänglicher machte, ihr beharrlicher Widerwille gegen Großmaniev bewiesen ihr die Zwecklosigkeit Dessen, was sie Nachsicht nannte und Geduld.

Die öffentlichen Angelegenheiten nahmen indeß eine Wendung, die es sehr nothwendig machte, sich Theofaniens Vermögen zu versichern. Des Castellans Schicksal war mit dem des Fürsten zu sehr verwickelt, um nicht mit ihm einerlei Partei zu nehmen und einerlei Fortgang zu erwarten. Diese Partei sah zwar einem unfehlbaren Siege entgegen, ja endlich hatte sie Abtrünnigkeit und falsche Eide noch immer als letzte Rettung im Hinterhalte, wenn das Unmögliche geschehen und die Conföderirten siegen sollten; aber eine sichere Zuflucht außer Landes war für die Castellanin doch das Wünschenswürdigste, diese konnte ihr, wenn Großmaniev ihrer Tochter Gemahl ward, auf Theofaniens Gütern nicht entgehen; sie dachte also auf Mittel, die Heirath zu erzwingen. Worin der mislungene Entführungsplan eigentlich bestand, ist nicht zu beurtheilen. Wahrscheinlich hatte die Stiefmutter sehr tief in Theofaniens Herz geblickt, aber auf richtige Beobachtung falsche Folgerungen gebaut. Die vorgebliche Verrenkung von Großmaniev's Arm, welche Czesinsky seine Rolle in dem verführerischen Tanze gab, der angelegte Schrecken beim Aussteigen[282] aus der Fähre, die Verkleidung, in welcher der unwürdige Mensch sich zu ihr drängte: Alles macht glauben, daß diese listige Frau darauf gerechnet hatte, Großmaniev sollte von dem Eindrucke Vortheil ziehen, den Czesinsky auf ihre Stieftochter gemacht hatte, und die Schande der Entführung allein, oder die Folgen dieser Entführung sollten Theofanien zu einer schnellen Heirath zwingen. Czesinsky hörte dieser Erörterung seines Freundes mit dem lebhaftesten Abscheu zu und fragte dann ungeduldig: was bedeutet aber ihre Einladung zur Messe, welche Wichtigkeit setzt sie in diese Handlung, in einem Augenblicke, wo ich geglaubt hätte, meine Sorge um sie würde sie rühren? – Mortan war bei dem Worte: Messe, stillgestanden und hatte Czesinsky lebhaft und unruhig angeblickt; Theofanie will in die Messe? rief er aus; hat uns in die Messe geladen? Mein Freund, dann ist's Zeit, daß wir uns ins Mittel legen. Ich errathe die edle Schwärmerin – O ich errathe sie ganz. Schon, wie ich sie kennen lernte, sprach man von ihrer Neigung zu unsrer Kirche, und in dem Zeitpunkte, wo sie in der ihrigen öffentlich bekennen mußte, derselbe Zeitpunkt, wo man ihr diesen elenden Großmaniev zum Bräutigam aufdrang, hörte ich und errieth ich aus einigen Vorgängen, daß sie noch mehr wünschte, als katholisch zu werden, daß sie nach dem Schleier trachtete. – Theofanie in das Kloster? sagte Czesinsky betroffen; unmöglich! Diese Tugenden gehören der Welt. – Gut dann, nahm Mortan das Wort, eilen wir diesen morgenden Schritt zu verhindern. Ich ahne, daß sie eine Drohung, die sie vor drei Jahren [283] wagte, wirklich machen will. Sie sind ein Mann, Czesinsky, Ihnen muthe ich die Gefahr zu, morgen früh mit Theofanien zu sprechen, indeß ich Mittel finde, die bischöfliche Messe so weit als möglich hinauszuschieben. – Ich? bedenken Sie Mortan – – – Ahnen Sie Gefahr? fragte dieser spöttisch – Ich verstehe Sie ... die Unmöglichkeit waffnet mich. Aber ich bin ihr fremd – – Seit heute nicht mehr ... vom ersten Augenblick an nicht. Mein Freund, ich liebe die Bemäntelungen nicht, ich blicke Freund und Feind gern ins Auge – möchtet ihr Alle in Polen so denken! – Also gerade heraus, Ihr liebt Euch, und Ihr könnt Euch nie besitzen; aber wenn verfluchte Welthändel die Absicht der Natur, die Euch einander bestimmte, verhinderten, so folge ihr Euer Wille, dessen Ihr immer Herr bleibt, wie Menschenbande Euch auch drängen – – – Mortan, in politischen Angelegenheiten muß ich leider nur das Ziel im Auge behalten, denn ich bin nicht Herr der Mittel, dahin zu gelangen, aber hier. – – – Ruhig, ruhig, mein junger Freund, dieses Misverständniß beweist mir nur, wie nöthig es ist, dem Feinde ins Auge zu sehen. Meiner Ansicht nach sollt Ihr reiner vollenden, was die Natur wollte, als Menschenbande es vermocht hätten. Czesinsky, werden Sie Theofaniens Freund, halten Sie sie vom Kloster ab, bereden Sie sie, ihrem Vater nach Schlesien auf ihre Güter zu entfliehen! Mortan hatte hier Czesinsky's Hand gefaßt und sah ihm ernst in die Augen. Diese Wendung hatte der junge Mann nicht erwartet, diese Theilnahme nicht in einem Menschen, den er für einen humoristischen Sonderling [284] oder doch für einen Egoisten gehalten hatte. Mortan kannte das weibliche und kannte Theofaniens Herz, er sah, daß ihre Empfindungen für seinen jungen Freund, so tief sie in ihrem Herzen verborgen lagen, ihr diesen Entschluß: sich jetzt in den Schutz der katholischen Kirche zu begeben und so die Erlangung des Schleiers zu erzwingen eingeflößt hatten; diesen Heldenmuth mußte ein Andrer bekämpfen; – Freundschaft für den Mann, den sie liebte, und Theilnahme an dem Schicksale der Republik. Der Plan konnte Czesinsky nicht misfallen, denn er wußte, daß Theofanie, so warm für das Vaterland fühlend, so stolz über die Verderbniß ihres Geschlechtes erhaben, wie Mortan sie ihm schilderte, daß Theofanie, die Heldin, nur seine Bewunderung, nie seine Leidenschaft würde erregen.

So früh es die wenig strenge Etikette in des Castellans Hause erlaubte, stellte er sich in Theofaniens Vorzimmer ein und bat, in der Angelegenheit, welche heute sollte vorgenommen werden, einige Worte mit ihr sprechen zu dürfen. Theofanie hatte Entschlossenheit und hatte Muth; aber Mortan hatte sie durchblickt: ihr heutiger Entschluß, so fest er war, war nicht leidenschaftslos. Warum hätte sie sonst Czesinsky in die Messe beschieden? An Zeugen fehlte es nicht. Wollte sie nicht den süßen Schmerz haben, ihm zu zeigen, daß ihr Herz nur Gott geweiht sei? Eine durchwachte Nacht hatte ihr den Riß, den sie jetzt zwischen sich und ihrem Vater machen wollte, diesen Abschied aus der tröstlichen Abhängigkeit des kindlichen Gehorsams mit lebhaften Farben vor Augen gestellt. Erschüttert war sie nicht, aber [285] sie gefiel sich in ihrem Schmerze, und aus Schwäche gelüstete es ihr, ihre Kraft zu üben gegen Czesinsky's Gegenwart, von dem sie seit der gestrigen Abendtheilnahme erwartete, ohne zu ahnen, wie schlecht das Geheimniß ihres Vorsatzes versteckt geblieben war; denn daß das seine Absicht sei, schien sie zu vermuthen. Ihre Kleidung hatte etwas Feierliches, das ihre nächste Zukunft gleichsam darstellte. Ein schwarzes Gewand mit niederer weißer Halskrause, ein weißer Schleier, der ihre Stirn beschattete, ein großes einfaches diamantnes Kreuz, das ihre Mutter ihr als eine längst veraltete Mode hinterließ, welche dieses fromme Symbol unter einem sehr weltlichen Namen zu tragen geboten hatte 1, gab ihr ein wirkliches Novizenansehen. Der Mensch hängt an äußern Zeichen und reißt sich nur mit Gefahr seines moralischen Gefühls ganz davon los; Theofanie möchte sich vielleicht in einer charakterlosen Kleidung mit weniger Muthe dem Bischof zu nahen gewagt haben als in dieser, die ihren innern Sinn gleichsam aussprach. Man kennte das menschliche Herz schlecht, wenn man Theofanie in Verdacht hätte, sie habe ihre Kleidung zu ihrem Vorhaben gewählt, – ihr Vorhaben durchdrang sie so tief, daß sie es auch in ihrer Kleidung aussprach. Czesinsky war über den Anblick betroffen; aber er hob die Verlegenheit, vor welcher er sich gefürchtet hatte: den Anfang des Gesprächs zu finden. Diese Kleidung, [286] sagte er, sobald die Kammerfrau sich entfernt hatte, sagt mir, daß die Bemerkungen meines Freundes gegründet sind. Sie wollen einen Entschluß ausführen, der Sie Ihrer wahren reinen Bestimmung entzieht; und das Dringende Ihrer Lage, die wunderbare Fügung, daß ich, ein Fremder, mich berechtiget fühle, alle Hindernisse der Convenienz zu beseitigen, um Sie vor späten Vorwürfen zu retten, gebietet mir auch, jeden Umweg zu vermeiden. Theofanie trat voll Bestürzung zurück; in diesem Augenblick fühlte sie zuvörderst eine Art von Unwillen, sich errathen zu sehen, sie sagte also mit Stolz: Ihre Theilnahme ist sehr gütig, aber meine Angelegenheiten sind durchaus nicht so wichtig, daß sie Ihre Aufmerksamkeit bedürfen. – Recht, mein Fräulein, in jeder andern Zeit, gegen jeden andern Mann war das die geziemende Sprache. Jetzt nicht, gegen mich nicht. Jetzt bedarf das Vaterland Sie und alle Edle Ihres Geschlechts sowie des unsern in dem thätigen Leben, nicht hinter Klostergitter, und ich bin berufen, Ihr Freund zu sein, weil ich der anspruchloseste der Menschen – selbst Ihnen gegenüber sein muß. Mein ganzes Dasein gehört dem Vaterlande, meine Hand einer Gattin, der ich Dank schuldig bin, weil sie mir Mittel gab, dem Vaterlande zu dienen ... Er schwieg einen Augenblick mit glühendem Angesicht, indem sein Blick am Boden haftete, jetzt aber blitzend sich zu Theofanien hob, die zitternd vor ihm stand. Das Schicksal erzog mich hart, hub er wieder an; hinter mir, neben mir seh' ich nichts wie Trümmer. O Theofanie – und er faßte ihre Hand – lassen Sie zwei Herzen sich vereinen, [287] die, Jeder auf seinem Wege, nur in der Hoffnung sich entwickelten für Andere, aus diesem Chaos eine neue, wär' es auch nur die kleinste Schöpfung aufblühen zu sehen.

Diesem Zauber widerstand des Mädchens Gefühl nicht, aber sie blieb ihrem Charakter treu und trat jetzt Czesinsky mit aller Offenheit eines Gemüths entgegen, das keines Verhehlens bedarf. Sie hatte in sich selbst, in der Reinheit ihres Herzens den Grundsatz gefunden, den Mortan durch Erfahrung erlangte: sie faßte auch den Feind scharf ins Auge. Was sie bis jetzt nicht hatte wahrnehmen wollen, weil der Vorsatz, den Schleier zu nehmen, diese und alle Banden, die sie an die Welt knüpften, ohnehin auflösten, ihre Empfindung für Czesinsky, rief sie kühn an das Licht ihrer Vernunft und drückte ihr das Siegel des reinen Willens auf, der Alles heiligt. Heute wollte Czesinsky nur Aufschub von ihr, denn die Zeit war nicht günstig, ihm eine längere Unterredung zu gönnen. Hätte das gestrige Fest nicht die Stunden sowol der Castellanin als der Besuche verspätet, so würden ihnen diese Augenblicke nicht vergönnt gewesen sein.

In Czesinsky's Gemüth sah es bei dem Anfange dieser Unterredung gewiß noch nicht klar aus. Er hatte Theofanien unter sehr widrigen Eindrücken kennen lernen; als des Castellans Tochter, als die Braut des elenden Großmaniev fand er sie in den Vorbereitungen zu jenem Feste, das sein Gefühl ohnehin schon empörte. Es sprach die ganze Verderbniß, die ganze Verweichlichung, das schamlose Wohlgefallen in der Knechtschaft aus. [288] Unter Menschen, die sich für oder wider den Kampf rüsteten, der Polens Dasein entschied, übte man griechische Tänze; um die Ankunft einer Russin zu feiern, deren Gemahl in Waffen gegen die Republik stand, verschwendete man Summen, die den Vertheidigern der Nation hätten Waffen und Brot verschafft. Dennoch war er bei ihrem ersten Anblick überrascht worden; diese Hoheit, diese Ruhe war ihm noch in keiner weiblichen Gestalt vorgekommen. Wer in Polen gelebt hat, ist an den Anblick schöner Weiber gewöhnt; Czesinsky kannte die herrlichen Gestalten des griechischen Himmelsstrichs, er hatte unzählige Male schönere Züge gesehen; aber dieses Gesicht, diese Haltung lehrte ihn, wie ein irdisches Weib einer Minerva von Velletri zum Muster dienen konnte. Des Eindrucks wahrnehmend, den er damals empfing, und durch die Umstände vermocht, an dem läppischen Interesse des Festes mit Theil zu nehmen, erhielt sein Wesen den Ausdruck, welcher ihn mehr dem Hippolyt als einem Theseus ähnlich machte. Bei Theofanien wirkte seine Nähe auf ihren Kunstsinn wie auf ihr Herz, mit diesem noch sehr unbekannt, setzte sie Alles auf Rechnung von jenem und ward die reizende Ariadne, die alle Zuschauer entzückte. Wie späterhin sie mit Czesinsky an das Land überschiffte, strömte das Gefühl in ihr über, das junge feurige Gemüther so leicht in einem stillen Moment während rauschender Freude ergreift. Eben jetzt fühlt das sehnende Herz am lebhaftesten, daß diese Freuden ihm nicht genügen, und nicht die ganze Welt. Bei Theofanien nahm dieses allgemeine Sehnen eine bestimmtere Form; sie floh nicht [289] allein vor den Nichtigkeiten dieses Festes, sie floh vor allem Lebensschmerz, den sie so früh im Herzen trug, unter die Sterne. Dieser Augenblick drang Czesinsky die schon lange dämmernde Ahnung auf: daß dieses Mädchen nicht in ihre Umgebungen gehöre. Wie er den Ungrund des Lärms, als sei jemand ins Wasser gefallen – der wahrscheinlich zu Großmaniev's Entführungsplan gehörte, wahrgenommen und seine Tänzerin vergeblich am Ufer gesucht hatte, wollte er, dem Geräusche entfliehend, sich in das Dickicht des Waldes verlieren, als er nicht wenig betroffen ward, sich selbst, das heißt, seine, wie er glaubte, nur ihm eigne Kleidung neben seiner Ariadne zu erblicken. Ihm schien Theofaniens Betragen kein Widerstreben zu verrathen, und da er Großmaniev's Stimme erkannte, entfernte er sich voll schmerzhaftem Abscheu, das schöne Ideal, das in ihm aufzudämmern begann, so schnell, so schimpflich verbleichen zu sehen. Doch plötzlich bewies ihm ihr Rufen, daß, welches auch ihre Schuld sei, sie Beistand bedürfe. Vielleicht gibt es keinen Augenblick, wo die Reinheit eines Weibes so strahlend erscheint, als in der Art, wie sie Ungebühr abwehrt. Dieser Widerstand, der nicht in Aufwand der Kraft, sondern in selbstbewußter Würde, im Gefühl von Unverletzlichkeit besteht. Theofaniens Ruf um Hülfe hatte den Ton einer Zauberformel, die nur gesprochen zu werden bedarf, um den mächtigen Geist herbeizuziehen. Er erschien und ward der Schutzgeist ihres Lebens.

Mortan's Nachrichten von Theofaniens frühern Jahren schienen jetzt für Czesinsky nur Belege ihres schon [290] erkannten Verdienstes. Er wollte dieses Geschöpf der Gefahr, Großmaniev's Gattin zu werden und der Herrschaft eines elenden Klosters entreißen, weiter gingen seine Absichten nicht; und was der ersten Unterredung mit ihr folgte, und der Bund, der diese Beide bald auf ewig verband, wär' ein Unding gewesen, war er die Folge eines Plans.

Nach geendigter Messe begab sich Czesinsky zu dem ministrirenden Priester, welcher gewissermaßen der geistliche Führer des Bischofs war; ein Mann, der ein Paar Jahrhunderte früher mit seiner Consequenz des Fürsten Gewissenlosigkeit sehr wichtig hätte machen können; jetzt brachte sie in den schwachen Charakter des Fürsten nur eine Inconsequenz mehr hervor. Czesinsky, der die äußern Religionshandlungen mit dem Anstand behandelte, die ein gesundes Gemüth ihnen nie versagen kann, war von diesem strengen Mann in jedem Hochamt bemerkt worden; seine Bitte, ihn in einem Geschäft, was seinen geistlichen Beruf anging, zu dem Castellan zu begleiten, fand also ein geneigtes Gehör. Sie foderten eine geheime Unterredung, und indem er den geistlichen Herrn zum Zeugen auffoderte, erzählte Czesinsky Großmaniev's katholisches Religionsbekenntniß in Mähren, für welches er die glaubwürdigsten Zeugnisse herbeizuschaffen versprach. Er setzte kaltblütig hinzu: meine Theilnahme an dem Schicksal ihrer Tochter kann dieser jungen Dame keinen Tadel zuziehen. Ich bin verheirathet, meine Denkart in Rücksicht des Geschlechtes ist bekannt, und meine nahe Abreise von hier überhebt mich jedes Verdachts. Betrug zu entlarven und vor Elend [291] zu schützen, wäre meine Pflicht, wenn Fräulein Theofanie die verwahrlosetste ihres Geschlechts und ich ein Greis wäre. Mit diesen Worten verließ er das Zimmer, denn er sah an des Priesters funkelnden Blicken, daß er zu seiner Freundin Sicherheit gegen Großmaniev genug gesagt hatte.

Für Theofanien begann nun ein neuer Lebensabschnitt. Von ihrer Mutter Tode bis zu ihrer Confirmation hatten sich ihre Gefühle und Begriffe in wogenden Massen formlos aber kräftig gemehrt und eines aus dem andern entwickelt. Von da an bildeten sich bestimmtere Formen in ihrem Kopfe; aber die Heftigkeit der Lage, in welcher sie sich befand, war ihrem jungen Gemüthe zu angreifend; Geist und Herz wurden aufgehalten in ihrer Entfaltung durch die Anstrengung, mit der sie die Wirklichkeit ertrugen. Die Welt erschien ihr in verzerrten Gestalten, weil ihr der Übergang entschlüpfte, der sie an das Ganze band. Eugeniens Bekanntschaft hatte wohlthätig auf sie gewirkt; sie belebte die stete Betrachtung ihrer selbst und der nächsten Welt um sie her durch den Genius der Kunst; sie gab ihr Dichter in die Hände, die Theofaniens Mutter nicht kannte, denn die Literatur ihres Vaterlandes, die bei ihrer Heirath noch in der Kindheit stand, war ihr fremd geworden in dem rauhen Lande. – Theofanie lernte nun Ideale kennen, der Schönheit, der Größe, des Leidens, und ihr eignes Ich trat zurück vor den erhabnen Bildern, die vor ihr aufstiegen. Bei allen diesen Wechseln und Übergängen hatte sie einen Talisman, der sie vor aller Unnatur hütete – die Kinder [292] ihrer Stiefmutter, die ihr Herz und ihre Thätigkeit wach erhielten. Mochte sie in der lächelnden Aloysia die mystischen Bilder ihrer Heiligenlegenden erblicken, oder in den Kreis der liebenden Kleinen aus einer Welt sich retten, die ihre Phantasie mit Ungeheuern anfüllte, oder hier allein Spuren des Ideals finden, welches ihre Dichter ihr aufstellten: hier war sie Weib, liebend, sorgend, sich vergessend für Andere, die ihre Opfer nahmen und deren Dank blos Liebe war. Diese vielfach erregten Kräfte in einem weiblichen Gemüthe, eine Lage, die zu so viel Muth und Widerstand aufrief, hätte Theofanien zu einem unweiblichen Heroismus verleiten, oder im weiblichen Bedürfniß nach einer Stütze sie endlich doch ins Kloster treiben können. – Da fand sie ihren Freund, und Jedes fühlte nun, sich in dem Andern verlierend, daß es selbst nun vollendet sei.

Mortan sah dem so schnell geknüpften Bunde einige Tage lang schweigend zu. Beide Freunde suchten seine Gesellschaft auf, und er nahm wahr, daß ihr Verhältniß nicht die Unruhe der Liebe, aber das ernste Vertrauen geprüfter Freundschaft hatte. Wie sie einst Czesinsky nach einem sehr lebhaften Gespräch über die Lage verließ, in welche Lithauen und die Familie des Castellans in dem nächsten Frühjahr kommen könnte, sagte er nach einigem Nachsinnen: meine schöne Freundin, Sie haben eine Zauberformel über diesen wilden Sohn des Meeres ausgesprochen, deren Wirkung ich mit Erstaunen wahrnehme. – Theofanie erröthete und antwortete zögernd: der Zauber liegt wol nur in der Natur der Sache. – Das sagen Sie so ruhig, mein Fräulein? – [293] Darin muß meine Ruhe begründet sein. – Und wenn dieser Zauber nicht mehr mächtig genug ist? – Theofanie lächelte. – Er liegt ja in der Natur der Sache, er kann also nur mit ihr aufhören. – Ach, Sie kennen diese Natur nicht! mein armer Demetri kennt sie ebenso wenig – die Natur will, daß Liebe nach Vereinigung strebe, und sie sucht diese Vereinigung in etwas Anderm als der edeln Täuschung, die ich mit Schmerz und Bewunderung wahrnehme. – Theofaniens Wangen färbte der glühendste Purpur, – Mein Herr, wenn Sie an Demetri's Stelle wären .... Ach! verlassen Sie sich auf nichts, rief Mortan lachend. – Es scheint, daß mir dann wenig geholfen wäre, unterbrach ihn Theofanie mit heiterm Scherz; – doch ernsthaft ... Kannten Sie in Ihrer Jugend kein weibliches Geschöpf, das Ihnen jetzt Freundin, Vertraute, Gefährtin sein könnte, ohne daß Sie dabei an einen Zauber dächten oder das Aufhören fürchten müßten? – Mortan's Gesicht veränderte sich wie seine Stimme; er sagte mit beherrschtem Schmerz: Ich kannte ein solches, und ihr Tod trieb mich seit sechs Jahren zu dem heimlosen Leben, das Ihnen so oft misfiel. – Theofaniens Augen füllten sich mit Thränen, sie reichte dem alten Manne ihre Hand mit einem Ausdruck ehrender Theilnahme. – Nun sehen Sie, mein theurer Herr, das Schicksal hat unsre Liebe, wie Sie es nennen, schnell entwickelt, ihren Frühling, ihren Sommer raubte es uns durch unabänderliche Gesetze, des Schicksals Zauber versetzte uns in den Herbst des Lebens, in den Zeitpunkt, den der Tod für Sie endete. Auch für uns endet ihn nur [294] der Tod. Verstehen Sie nun die Natur der Sache? – Unter stillen Thränen lächelnd, blickte sie Mortan jetzt an. – Das ist sehr kühn und sehr schön, rief dieser entzückt und setzte, die Hand betheuernd auf die Brust legend, hinzu: und ich kann trotz meiner grauen Haare noch an so einen Bund glauben.

Die Verhältnisse dieser edeln Menschen sind uns wichtiger als die Elendigkeiten, in welchen Großmaniev, der Castellan und Theofaniens Stiefmutter sich umherdrehten. Die Entdeckung von des Erstern unanständigem Religionsmisbrauch machte es unmöglich, ihn der Familie seiner ersten Gemahlin als Theofaniens Gatten vorzustellen. Da er nun alles Interesse verloren hatte, ward er als ein gemeiner Schurke verabschiedet. Die Castellanin hatte von den politischen Planen und Befürchtungen so viel vernommen, daß sie es selbst für viel vortheilhafter hielt, Theofanien zu keiner Heirath zu vermögen, da die Liebe dieses edeln Mädchens für ihre Kinder ihnen unter Umständen eine rettende Zuflucht werden konnte. Theofanie untersuchte die Ursachen gar nicht, die sie so plötzlich von den Verfolgungen ihres aufgedrungenen Bräutigams befreit hatten, sondern genoß das Glück ihres neuen Lebens in ungetrübter Ruhe, die sie sogar dann nicht verließ, als Mortan und Demetri nach wenigen Wochen durch den Gang der Begebenheiten abgerufen wurden.

Wie Theofanie von ihrem Freunde beredet ward, ihren Plan des Klosterlebens aufzugeben, versprach sie nur Aufschub. Er hatte sie überzeugt, daß die Masse des Guten noch groß sei in der Welt, und wie gern [295] mußte sie es glauben, da er und alle Edeln seiner Nation für die Hoffnung, das Gute siegend zu erheben, ihr Leben jetzt wagen wollten. Er hatte ihr deutlich gemacht, daß sie zu dieser Masse des Guten reichlicher beitragen würde, wenn sie, das Böse nicht scheuend, die freie Willkür ihrer Handlungen durch keine Klosterregel einschränkte. Es war kein mystischer Enthusiasmus, der Theofanien zum Gelübde rief, die Vernunft fand also Eingang, aber der lieben de Enthusiasmus mußte seine Rechte behaupten, und dieser bedurfte das Kloster als endliches Ziel eines Lebens, das nie dem Geliebten gehören durfte. Sie ahnte dunkel, daß die Stürme des allgemeinen Schicksals ihre Entsagung erleichtern würden; für die Zeit der zurückkehrenden Ruhe bereitete sie sich aber eine neue Nothwendigkeit in dem ewig fesselnden Schwur des Klosterzwanges. Die nächste Zeit bewährte Demetri's oft wiederholte Worte: daß ihr Beruf, dem Wohle Anderer zu leben, sie an die Welt und nicht ins Kloster wies. Der Fürst begab sich nach Warschau, wo die Übermacht russischen Einflusses alle seine Anhänger versammelte. Theofaniens Vater ward zu mancherlei Sendungen gebraucht und schien von seines Patrons Lage zu beschäftigt, um seine Familienangelegenheiten zu beachten. Die Castellanin verließ das Land frühzeitig und bezog ihres Vaters Palast, der jetzt einen Posten bekleidete, welcher ihm den bedeutendsten Einfluß über die ganze Provinz verschaffte. Die Natur begann jetzt eine strenge Rechenschaft von dieser einst so schönen Frau über den Misbrauch so vieler ihr verliehenen Gaben zu fordern. Eitelkeit und Leidenschaft [296] hatten ihre Jugend früh zerstört; eine langsame Zehrung gab ihr Zeit, die festen Ketten, die sie an die Erde knüpften, – ach, nur an die Erde! denn der heilige Ring, welcher hinüber ins Unendliche leitet, war ihrem Blick nie sichtbar geworden – diese festen Ketten, Faser nach Faser, langsam lösen zu sehen. In dem großen Palaste ihres Vaters bewohnte sie ferne Zimmer, weil das unruhige Treiben der Intrigue, der Geschäfte, der Freude sie schmerzlich an eine Welt mahnte, der sie nicht mehr gehören sollte. Wenn der Mensch die Welt flieht, muß er, den Himmel zu finden, gewiß sein, sonst geräth er in die schreckliche Öde, für deren bange Qual die Einbildungskraft keines Volkes ein erschöpfendes Bild fand. Und den Himmel fand die Unglückliche nicht, obschon er in Theofaniens milder Liebe und unermüdlicher Sorge ihr in einer seiner schönsten Erscheinungen nahe war. Mit schwankender Sehnsucht nach einem Retter, versuchte es die Arme mit Diesem und Jenem, was sie wol gehört hatte, daß es des Menschen Herz erfülle. Sie wollte Mutterliebe genießen und berief ihre Kinder zu sich. Aloysia blieb schweigend und ernst von ferne stehen und beantwortete ihre Liebkosungen mit ängstlichen Blicken. Die beiden jüngern wandten sich von ihr zu der Stiefschwester, hingen furchtsam an ihren Kleidern und faßten, sie nach der Thüre ziehend, ihre Hände. Theofanie wußte mit herzlichem Kosen ihre Fremdheit zu bezwingen, machte ihnen Freude und verleitete sie zu ihrem gewohnten Spiele. – Nun griff das muntere Toben des wilden Kasimir, das laute Gelächter der leichtsinnigen Natalie die schwache Kranke an, die Kleinern [297] mußten das Zim mer räumen, indeß Aloysia zu bleiben Befehl erhielt. Das Kind saß nun bange an der Seite des Bettes; Theofanie, mit diesem schicksalsvollen Auftritt beschäftigt, unterbrach die Stille nicht, in welcher die Kranke Zeit hatte, einen schrecklichen Blick in ihre Vergangenheit zu werfen. Die Stille ward ihr endlich unleidlich; Theofanie! rief sie mit Anstrengung, mir däucht, ich liege schon im Grabe, und Niemand weint um mich, und meine Kinder sagen: wir hatten keine Mutter! Gott aber wird fragen: Weib, wo sind deine Kinder? und ich muß ihm sagen: ich weiß es nicht ... Theofanie war an das Bett getreten und hielt die Kranke umfaßt; ihre letzten Worte, die Schmerz und Heftigkeit undeutlich machten, sprach sie an ihrer Brust verborgen aus, indeß das Kind laut weinend ihre Schwester umfaßte und flehend bat, sie in ihr Zimmer zu führen. – Wie tröstend auch Theofanie ihr zusprach, so hatte dieser Versuch zu schmerzlich gewirkt, um wiederholt werden zu können, und in dem verwahrlosten Herzen der Kranken ließ er nur einen Wechsel zwischen wahrer Bitterkeit gegen die Kinder und drückender Gewissensangst zurück. Nun wandte sie sich zu dem Trost der Religion. Ein gefälliger Priester gab ihr leichte Mittel an, ihr Heil zu sichern. Das Kloster zu Radzoskowice ward mit neuen Altargewanden beschenkt, unsrer lieben Frau zu Miedinke eine Messe gestiftet und die Armen des Kirchspiels alle Wochen an einem bestimmten Tage gespeist. Vielleicht wirkte die Seele auf den Körper, vielleicht trat ein Stillstand der Zerstörung im Laufe der Krankheit ein, genug, daß eine Rückkehr [298] zur Welt die nahen Schauder der Ewigkeit verscheuchten. Das Geräusch, die blendende Erleuchtung des Salons waren der scheinbar Genesenden nicht erlaubt; aber es ist eine feine, sehr befriedigende Eitelkeit in der Decoration eines Krankenzimmers. Der nachlässigere Putz, die Stille, die jedes sanfte Wort wichtig macht, das Bemühen, die Kranke zu erheitern, ihr Gefühl, der Mittelpunkt aller Bewegung um sie her zu sein, erregt eine Reihe von Äußerungen, wenn auch nicht von Gefühlen, die das todte Meer des Weltlebens auf Momente belebt. Ja, in der Gegenwart einer dem Tode Geweihten, wie die zierliche Gesellschaft die Castellanin nun einmal, trotz der um sie verbreiteten Lebensflittern, ansah, fühlen die abgestumpftesten Seelen ein Wohlgefallen an frommer Theilnahme, die ihnen die nahe aufgehobene Sichel versöhnen könnte – denn für sie ist der Tod stets nur das grinsende, niedermähende Gerippe. – Theofanien gab dieser Zeitpunkt eine Freiheit, die sie als eine Himmelsgabe annahm, denn eben jetzt kehrte Czesinsky mit seinem Heerhaufen in die Stadt ein, wohin der Oberfeldherr alle Truppen versammelte, um sie, den Foderungen Rußlands gemäß, zu verabschieden. Theofaniens Verhältnisse gegen ihre Stiefmutter waren jetzt so günstig für ihre Unabhängigkeit, daß sie die Zeit, die nicht ihre Pflege erfoderte, dem Umgange mit ihrem Freunde widmen konnte. Eine schöne Schwärmerei verbarg den Liebenden die Strenge ihres Schicksals. Durch die kühne Annahme des Gesetzes gelang es ihnen, seinem Drucke zu entgehen; durch frühe, freie Entsagung kamen sie jedem Wunsche zuvor. Sie lebten [299] in der Welt ihrer Willkür und waren glücklich. Ihr Beisammensein hatte etwas Befremdliches für die Sitte jener Nation, für die Gewohnheit eines großen Hauses. Sie waren häuslich beisammen – ein Glück, das die Paläste flieht. Der Haufe der Clienten und Leibeigenen, welcher sich um den Vater der Castellanin drängte, hatte mit dem Theile des Hauses, den diese mit ihrer Familie bewohnte, keine Gemeinschaft; die Domestiken dieser Familie wurden aber in den Taumel jenes großen Haufens mit hineingezogen, und Aloysia wäre mit ihren Geschwistern sehr vernachlässigt gewesen, hätte nicht Theofanie eine süße Befriedigung darin gefunden, selbst für sie zu sorgen. In den Stunden, wo ein ausgesuchter Zirkel sich bei ihrer Mutter versammelte, brachte man ihr die Kleinen auf ihr Zimmer, und in schöner Übereinstimmung mit Demetri schufen sie sich eine selige Täuschung von friedlichem Glück. Diese Stille, diese Beschränktheit, diese Welt mit zween liebenden Armen zu umfassen, das war das höchste Ziel des Lebens. – Wenn das Vaterland gerettet und seine Pflicht als Bürger erfüllt sein würde, dann war so ein Abend der Lohn des Kampfes. Und Theofanie fühlte hier das Räthsel des Lebens erklärt – aus einer Welt, die so viel Seligkeit gab, war die Tugend nicht entflohen. Den frohen Dank, den diese Kindergesichter ihr zulächelten, zu verdienen, bedurfte es keines Klostergelübdes.

Eines Tages erhielt Demetri die längst erwartete Nachricht, daß seine Gattin ihr erstes Kindbett überstanden habe. Der Kampf, der hier in seinem Innern entstand, mahnte ihn an Mortan's Grundsatz: den Feind [300] kühn ins Auge zu fassen. Er erkannte die Unnatur, sich der Vaterwürde nicht zu erfreuen, weil er das Weib nicht liebte, die sie ihm gab, und das Weib, das er liebte, nie als Mutter seiner Kinder zu sehen. Alles reine Glück, das ihm Theofaniens Umgang gewährte, kam ihm jetzt wie ein Rosenschleier vor, der ein Gebilde des Todes verhüllte. Er sann mit schrecklicher Spannung auf die Lösung dieses Räthsels, das aus den Bedürfnissen der Gesellschaft und den Rechten des Herzens entstanden war. Er hatte nie mit Theofanien von seiner Heirath gesprochen, sie hatte auch seine Aussicht, Vater zu werden, nicht gekannt; jetzt bedurfte er aber ihrer Liebe für sein Kind, als des einzigen Ersatzes von Rechten, die sie nie auf seine Kinder haben sollte. Die Art, wie er sie heute fand, war nicht geeignet, seine Gefühle zu beruhigen. Das jüngste ihrer Geschwister war durch eine kleine Unpäßlichkeit genöthigt, eine Arznei zu nehmen; um seine Weigerung abzuwenden, zerstreute sie die Kleine durch muntere Spiele, und jetzt am Boden knieend, erlaubte sie ihr, ein Band aufzulösen, das ihr langes Haar festhielt. Wie Demetri eintrat, wallte es rund um Schultern und Rücken herab, und sie glich fast der rührenden Magdalena von le Sueur, indeß sie ihren liebenden Blick auf das Kind geheftet, das einen Theil ihrer Locken um seinen kleinen Arm schlang, an die jungfräuliche Gottesmutter erinnerte. Vielleicht um dem Zauber dieses Bildes einen andern entgegenzusetzen, fragte Czesinsky nach einigen Augenblicken hastig: wenn ich sie einst bäte, mein Kind aufzuziehen, – wollten Sie seine gütige Pflegemutter [301] sein? – Hoch erröthend drückte sie die kleine Muthwillige an die Brust, um Ruhe vor ihr zu haben, und wendete sich mit freudiger Überraschung zu ihrem Freunde. – Wie? gab Ihnen Ihre Gattin schon Kinder? wollen Sie mir ihre Kinder anvertrauen? O Gott, Demetri, wenn ich Ihre Kinder erziehen dürfte, dann wäre mir ja Alles gewährt, dann wäre ja mein Leben vollendet. – Sie war bei diesen Worten aufgestanden und mit dem Kinde auf dem Arm vor ihn getreten; ihre Stirn, die von dem nun zurückgestrichenen Haar ganz entblößt war, glänzte von himmlischer Liebe, und ihr Blick sprach ein Gefühl, in welchem die reinste Weiblichkeit jedes Sinnenband zum Seelenverein erhoben hatte. – Engel von einem Weibe, rief Demetri in der heftigsten Bewegung, gib mir Dein Kinderherz – dieser Erhabenheit ist der Mann nicht fähig. – Theofanie schlug die Augen nieder, indeß ihr armer Freund mit heftigen Schritten im Zimmer umherging. Wie er, die Hand vor der Stirn, in der Stellung eines vergeblich Sinnenden stehen blieb, ging sie zu ihm und sagte mit ruhiger Stimme: – Sie nennen's Reinheit, Kindersinn – ich nenne es Liebe. Ich dachte oft über das höchste Glück des Weibes nach und fand, das zweite sei: die Kinder des Geliebten zu erziehen. Ich täusche mich nicht ... Sehen Sie, mein Freund, wenn einst diese Locken grau sind – sie hob ihr schönes Haar auf – dann soll das Andenken an unsere Jugend einen neuen Frühling hervorzaubern.

Das schöne Leben dauerte nicht lange. Die täuschende Genesung der Castellanin ging bald in eine beschleunigende [302] Zerstörung über, und unfähig, sich noch mit dem Leben zu schmeicheln, fand sie nun ihre Kraft darin, die Rolle der Sterbenden durch alle Abstufungen durchzuspielen. Die Natur, die ihren Geschöpfen überall so wohlthätig die Hand bietet, die unsere Schwäche selbst zum Werkzeuge ihrer Wohlthaten macht, hatte ihre Heftigkeit abgestumpft, ihre umherschweifende Phantasie beschäftigte sich jetzt mit den Erfodernissen zum Sterben wie mit denen zu jeder andern Feierlichkeit. Daneben war kein Ideengang, der ihrer Todesfurcht besser begegnete, denn auf keinem andern Wege hörte sie so viel Widerspruch ihrer nahen Todesahnung, auf keinem so viel Ermunterung zum Leben. Theofanie sah mit unendlichem Schmerz die kleinliche Täuschung, mit der ihre Mutter die große Annäherung des heiligsten Augenblicks entweihte. Mit kaltem Schauder sang sie ihr auf ihr Geheiß das Requiem, das die Kranke selbst für ihre Seelenmesse ausgesucht hatte; mit Angstgefühl sah sie die unglückselige Frau jeden Abend eine zahllose Menge Wachskerzen anzünden, sah sie ängstlich bemüht, stets eine hinreichende Anzahl Menschen im Zimmer zu haben, die durch munteres Betragen den Anschein eines Krankenzimmers so viel möglich entfernen mußten, und die ganze Nacht mußten die Bedienten einer um den andern im Vorzimmer Musik machen und die Wärterinnen zusammen schwatzen. Es schien, als meine sie durch dieses laute Leben den Tod zurückscheuchen zu wollen. An einem dieser Abende brachte ihr die Putzmacherin eine große Schachtel, um welche sich neugierig die Gesellschaft versammelte. Mit Anstrengung richtete [303] sich die Kranke vom Sopha auf und breitete ein weißes atlaßnes Gewand aus, reich mit Blonden und Bändern besetzt, dessen befremdliche Form die Zuschauer mit plötzlichem Schauer übergoß. Mein Sterbekleid, sagte die Castellanin mit anscheinender Ruhe. Da ich dessen nun bald bedarf, habe ich es selbst besorgen wollen. Entsetzen ergriff die leichtsinnigen kalten Menschen, sie kleideten alle ihre Todesfurcht in die Zusicherung, daß diese Anstalten übereilt seien, daß dieses Kleid noch lange ungebraucht liegen würde. Theofanie allein hielt die Kranke still weinend umfaßt, ohne ihre Stimme unter die müßigen Tröster zu mischen. Jetzt bemühte sich die Castellanin aufzustehen, sie ließ, so sehr ihre Tochter es ihr abrieth, das weite Gewand über ihre Nachtkleidung werfen; die Schleifen mußten gebunden, die Fraise umgelegt werden, und nun wankte sie, auf Theofanie und eine Kammerfrau gestützt, in den anstoßenden Salon, an dessen Ende ein ungeheurer Spiegel ihre ganze Gestalt darstellte. Schaudernd sah Theofanie die farbenlose Leichengestalt stumm in den Spiegel blicken, dann einen Moment wie in leichtem Frost zusammenschütteln, und jetzt, mit einer Bewegung gegen ihre Seite, sank sie ihr leblos in die Arme. – Ihre Rolle war ausgespielt, und die Zuschauer gingen nun hin, diese schaudervolle Posse in die flache Komödie ihres Lebens zu verflechten.

Theofanie hatte noch nie sterben sehen. Dieser Tod vereinigte Alles, was die Natur Wohlthätiges hat, mit der ganzen Verkehrtheit des Menschen. Ist Das Sterben? fragte sie sich wiederholt, indem sie mit ehrerbietiger Scheu den Leichnam keiner Miethlingshand anvertrauen [304] wollte und es ihr ahnend schien, als versöhne ihr Liebesdienst den kindischen Empfang, welchen der ernste Zerstörer gefunden hatte. Ist das todt sein? fragte sie sich schaudernd, wie das rohe Gesinde lärmend und kalt um den Sarg herumlief. Mit unendlicher Wehmuth theilte sie ihre Gedanken ihrem Freunde mit. Seit vielen Wochen sah sie ihn zum ersten Mal länger als auf Augenblicke, denn sein Beruf schenkte seiner Liebe nicht mehr als diese. Er hörte ihr theilnehmend zu und bemühte sich nicht, ihren Ernst zu zerstreuen; wie sie sich ruhiger gesprochen hatte, sagte er ihr, daß dieser Tod ihn von vielen Sorgen befreie; denn nun sei der Augenblick gekommen, der ihre Abreise nach Schlesien dringend machte. Er meldete ihr dann die Bewegungen, welche in diesen Tagen der Befehl des Reichstags, die Truppen aufzulösen, in ganz Polen veranlaßt hatte, daß mehrere Brigaden den Gehorsam verweigerten und nach Krakau zu eilten, wo Kosciusko das Panier der Freiheit aufgerichtet hatte; er beschwor sie, mit ihren Geschwistern sogleich eine sichere Freistätte zu suchen, da nach einer kurzen Zeit ganz Polen der Schauplatz eines blutigen Kampfes sein müßte. Theofaniens Augen belebten sich mit dem Ausdruck der erhabensten Freude: und da soll ich fliehen? nun die Freiheit, die Würde der Menschheit, die Wahrheit endlich ihr Haupt erheben, da soll ich fliehen? – Nicht fliehen, antwortete er, fast mit Tadel im Blicke, aber sich und Ihre Schutzbefohlnen in einer sichern Zuflucht der Ausübung schöner Tugend aufbewahren. – Und Sie, mein Freund, wohin ruft Sie Ihre Pflicht? – Zuerst diese Stadt zu[305] befreien, dann den Feind aufzusuchen, wo er sich zeigt. – Nun, so lange Sie in diesen Mauern sind, ist meine sichre Zuflucht hier, dann geh' ich durch unsere siegenden Heerhaufen, wohin Ihre Vorsorge mich hinweist. Es kostete dem treuen Freunde viele Mühe, das heldenmüthige Mädchen zu einer andern Ansicht ihrer Lage zu bewegen. Sie achtete endlich mehr auf seine dringenden Bitten als auf die Gründe, die er ihr darlegte, und versprach, ihre Abreise zu beschleunigen. Das Schicksal führte die guten Seelen auf einem andern Wege zum Ziel. Noch an demselben Abend zeigte Aloysia die Spuren einer heftigen Krankheit, und mit Schmerz erfuhr Czesinsky nach wenig Tagen, daß die Kinderblattern bei ihr ausgebrochen wären. Eine höhere Hand vereitelt also meine Bemühungen, Sie vor Unheil zu hüten, sagte er bei dieser Nachricht. Jetzt darf ich das Kind keiner Reise aussetzen und darf Sie nicht bereden, es zu verlassen .... Ja, mein Freund, unterbrach ihn Theofanie mit wehmüthigem Lächeln, eine höhere Hand erfüllt meine Wünsche, ich bleibe in dem Lande, wo Sie kämpfen, und diese Wendung meines Schicksals ist mir ein Pfand, daß alle meine Wünsche – nein, nicht Wünsche! – daß alles mein heiliges Vertrauen erfüllt werden wird. Czesinsky sah mit ernstem, Unglück ahnendem Blick in der Freundin betendes Auge und überließ sie der treuen Pflege ihrer kleinen Kranken.

Die Begebenheiten schritten nun mit längst ersehnter Eile vorwärts. Kosciusko hatte das große Wort der Freiheit ausgesprochen; bei Praklawice hatte sie den ersten Sieg erfochten; alle Seelen, in denen das Andenken [306] vergangner Zeiten noch eine Ahnung von Vaterlandsliebe, von Nationalehre, von Unabhängigkeit erhalten hatte, flammten auf in Sehnsucht, Hoffnung und Entschluß. Warschau zerbrach, wie durch ein Zauberwort belebt, seine Fesseln, und der Pole erstaunte über die Möglichkeit, der Sklaverei zu entgehen. Alle diese großen schicksalsvollen Nachrichten empfing Theofanie in der tiefen Einsamkeit des Krankenzimmers; denn Aloysia verzehrte noch ein zerstörendes Fieber, als das zweite Kind schon darniederlag und durch die Sorge für sein Leben ihr Entzücken über die Siege der Freiheit dämpfte. Selten sah sie wenige Augenblicke ihren Freund, sein Beruf führte ihn in die benachbarten Cantonnements, oder beschäftigte ihn mit den Vorkehrungen, welche die nahe Katastrophe erfoderte. Der Vater der Castellanin hatte Theofaniens unabhängigen Geist nie geliebt; ihre Verbindung mit Czesinsky hatte er schon ein Paar Mal mit beißendem Spotte getadelt; aber mit der Gefahr seiner Lage, als Haupt der russischen Partei, und den gewagten Hülfsmitteln, die er ihr entgegensetzte, ganz beschäftigt, wußte er es ihr vielen Dank, daß sie die Aufsicht über seine Enkel übernahm; denn der Castellan, der dem Fürsten gefolgt war, hatte noch nichts über das Schicksal seiner Kinder verfügt. Bald lernte Theofanie an Aloysiens Heimkehr ins bessere Leben den Tod in einer neuen Gestalt kennen, sie sah die zarte Blume dahinschwinden und sanft vom Tode gepflückt – nein! nur in einen andern Boden verpflanzt werden. Das kränkelnde Kind hatte die Blattern überstanden, aber ihre Lebenskraft war gebrochen; liebend schied sie von der [307] Schwester, wie sie in Liebe für sie gelebt hatte. Am Tage, da ihr kleiner Leichnam in die stolze Familiengruft seiner mütterlichen Ahnen gelegt werden sollte, folgte W...a dem großen Beispiel der Hauptstadt nach und brach seine Fesseln. Die Todtenhymne der kleinen Leiche ward von dem Freiheitrufen der ganzen Stadt unterbrochen. Die Glocken, die ihr zu Grabe lauten sollten, tönten der Befreiungsfeier, und Theofaniens Thränen um ihren Tod wurden mit den Freudenthränen vermischt, mit denen sie ihren Freund an dem Tage empfing, da sein Arm die Sklavenketten seiner Mitbürger sprengte. Czesinsky's feierlicher Ernst befremdete das entzückte Mädchen, und ungern zog er ihr Gefühl zur Wirklichkeit herab. Sie nahm bald wahr, daß diese schöne Beute nicht mit reinen Händen erhalten werden konnte.

Der alte Graf war, während die polnischen Brigaden die russischen Truppen entwaffneten, in seinem eignen Palaste gefangen genommen und wurde jetzt hier bewacht. Theofanie hatte ihn zu sprechen verlangt; er hatte sie mit finsterer Härte von sich gewiesen. Sie hatte ihn um seinen Segen für seine Enkel gebeten, und schreckliche Verwünschungen waren seine Antwort. In den wenigen Momenten, in welchen sie ihren Freund in den nächsten Tagen sah, beruhigte sie seine Fassung, aber nicht zur Hoffnung, sondern zu stiller Erwartung einer dunkeln Zukunft. Nach wenig Tagen, in welchen die Gefahr der beiden Kinder (denn Natalie lag jetzt auch danieder) und die allgemeine Zerstörung des Hauses jede Nachricht von außen her von ihr abhielt, kam [308] Czesinsky in feierlicher Stimmung zu ihr. Er bat sie, ihre Zimmer nicht zu verlassen und, was auch geschehen möchte, seinen nächsten Besuch zu erwarten. Noch versprach sie Fassung und Kraft und bat, ihr mehr von dem finstern Geheimniß zu vertrauen, das seine Stirne umwölkte, als ein Adjutant ihn abrief. Bang und sinnend folgte sie ihm in das Vorzimmer nach, als wilder Lärm aus dem vordern Theile des Palastes ihr entgegentönte. Der Großvater ihrer Geschwister ist ihr erster Gedanke, und sie eilt in die Zimmer, wo er bewacht ward. Alles ist leer – Kriegsmusik tönt ihr von dem Marktplatze unter den Fenstern entgegen; sie hofft, ihren Freund an der Spitze seiner Tapfern zu sehen und wagt sich an das Fenster – der weite Platz ist mit Soldaten umgeben, unruhig wogt die Menge; plötzlich erschüttern einzelne Glockenschläge die Luft, alle Köpfe wenden sich gegen den Palast, aus dessen obern Fenstern sie herausblickte; zugleich erkennt sie an der entgegengesetzten Seite Czesinsky, der langsam von der Fronte hervorreitet. Eine schaudervolle Stille breitet sich über die zahllose Menge; sie kann den langsamen Hufschlag des Pferdes hören, das unwillig dem Zaume gehorchen muß, der ihm einen feierlichen Schritt aufdringt. Jetzt folgt sie dem Fingerzeig der Menge; ein Haufen Soldaten tritt aus dem Palaste; zwei Männer wanken in ihrer Mitte, – der eine von ihnen ist der alte Graf. – – Mit einem unnennbaren Gefühl tritt sie zurück, schreitet sie langsam durch die verödeten Gänge zu ihren Pfleglingen zurück. Sie sitzt stumm – weit von dem schrecklichen Schauplatze entfernt, sah sie dennoch [309] den Todespfahl vor sich, hörte noch die fürchterliche Stille; nicht Schrecken, nicht Klage, nicht Schmerz sprach sich in ihrer Seele aus – sie hatte ein Gottesurtheil vollziehen sehen, aus dunkeln Wolken hatte das Verhängniß den Schuldigen getroffen; mit Entsetzen ahnte sie, wohin diese Macht auch den reinsten Willen führen konnte; denn Czesinsky war als Vollzieher ihres Urtheils erschienen. – – – –

W...a war nun frei, aber die Freiheit war nicht errungen, der Unterdrücker war nur in die Schranken geladen und der Kampf erst zu beginnen. Theofanie war mit in den Strom der Begebenheiten hineingezogen. Des Grafen gänzliches Eigenthum war von dem Staate in Beschlag genommen, und die Klugheit erfoderte sowol wie Theofaniens Sicherheit, den Palast zu verlassen, denn in jedem Augenblick konnte der Parteigeist, oder die Nothwendigkeit zu allgemeinen Bedürfnissen über ihn verfügen. Noch war er unberührt; Czesinsky's Maßregeln hatten ihn vor Plünderung geschützt; die eignen Hausgenossen des Verurtheilten hatten sich aber zu keiner Schonung verpflichtet gefunden; ein jeder trug seine Beute davon, und Theofanie befand sich in dem fast ausgeraubten Hause mit dem treuen Franzuszek allein, wie ihr das Criminalgericht anzeigte, eine andere Wohnung zu suchen. Bei einem deutschen Kaufmann in der Nähe des Doms fand sie eine Wohnung, die ihr die persönlichen Rücksichten der Gesetzesvollzieher mit allen den Bequemlichkeiten zu versehen erlaubten, die ihr des Grafen Hinterlassenschaft noch anbot. Sie ahnete, daß diese neue Wohnung sie [310] noch lange beherbergen müsse und verschaffte sich alle Bequemlichkeit die, ihrer Geschwister Pflege bedurfte. Ihrer Reise nach Schlesien stand jetzt Alles im Wege. Die Gesundheit der Kinder verbot sie in diesem Augenblick, und die Stellung der russischen Truppen, die Ungewißheit, in welcher man über die Gesinnung des preußischen Hofs schwebte, zwang sie jetzt, alle Aussichten dazu aufzugeben. Nun war die Zeit gekommen, wo sie den Sinn von mancher frühern Ahnung ihres Gemüthes und die Anwendung der innern Kraft ihres Geistes kennen lernte. Eine Welt voll Kampf und Schrekken zeigte ihr ihren Beruf, den sie in ihrer Sehnsucht nach Wirksamkeit hinter Klostermauern gesucht hatte. Alle Bande der Convenienz waren zerrissen, die Würde ihres Geschlechtes leitete sie allein; an die Stelle besonnener Höflichkeit, der letzten Modification, in welcher sich Menschenliebe zeigen kann', hatte wieder die werkthätigste Aufopferung für Andere Platz genommen. Wie die Gesundheit ihrer Kleinen ihr wieder Zeit ließ, arbeitete sie für das Leinengeräthe der Feldhospitäler; sie besuchte die Kranken der Nachbarschaft, die bei dem allgemeinen Umsturz ihre wenigen Wohlthäter großentheils verloren hatten. – Alles, was sie that, war für Menschen einer schönern Zukunft gethan, denn diese, verstanden in ihrer Dumpfheit selten, welchen wichtigen Augenblick sie jetzt verlebten; aber jeder Tag bildete dennoch ein schönes Ganze; denn welche Form auch die Zukunft der Denkart dieser Leidenden aufdrückte, Theofaniens Einwirkung auf ihr Schicksal war wohlthätig gewesen, und so war der Werth jedes Tages für die [311] Ewigkeit bestimmt. Czesinsky beobachtete sie mit einer Bewunderung, die in Anbetung ausgeschweift wäre, wenn ihn nicht auf seinem Wege derselbe reine Geist der Liebe und des Friedens belebt hätte wie sie. Selten ließ ihm seine Lage zu, sie zu besuchen; aber nie sah er sie, ohne ihre Stärke, ihre Kindlichkeit durch die Nachrichten, die er ihr brachte, auf neue Proben setzen zu müssen. Wenn die Fortschritte der republikanischen Waffen ihre Hoffnungen belebten, so mußten die Opfer, welche die Volkswuth in Warschau den Gesetzen entriß, sie mit Entsetzen erfüllen. An dem Tage, da der provisorische Rath in Großpolen zum ersten Mal seiner gesetzlichen Gewalt von dem Volke trotzen ließ, ward der Fürst, in dessen Diensten Theofaniens Vater gelebt hatte, ein Opfer seiner Wuth. Sie konnte in dem schmachvollen Tode dieses Greises nur die waltende Hand der Nemesis anbeten, die spät, aber furchtbar ein langes Leben voll Ungerechtigkeit rächte. Aber wie still ihr Herz auch die unentfliehbare Göttin feierte, so konnte ihre Phantasie sich doch nicht gegen das Bild dieses Mannes waffnen, den sie von Kindheit an als den Gegenstand der Verehrung einer ganzen Provinz sah, und der jetzt unter allgemeinen Flüchen seinen Hals dem Stricke darbieten mußte. Ihre Einbildungskraft sah ihn in dem Glanze seines erhabenen Berufs, wie er bei dem schönsten Feste seiner Kirche, bei der Feier des heiligen Leibes in vollem Glanze seines Priesterthums unter dem Volke daherschritt; in einer Jahreszeit, wo jene Gegend mit einer verschwenderischen Fülle von Blumen überschüttet ist, trat sein Fuß auf dem langen Umgange überall [312] auf einen Teppich duftender Blüten. Der Purpurhimmel, den die geschmückten Diakonen über ihm trugen, strahlte in der heitern Sonne; Weihrauchwolken stiegen um ihn auf aus Rauchfässern, die von Edelsteinen blitzten; wohin sein Auge blickte, lag die Menge, ohne Ausnahme des Standes, auf den Knien und betete das Heiligthum an, das seine Hände emporhielten – der Priester theilte mit seinem Gotte die Ehre! – – Und wie sah sie jetzt diesen gefeierten Menschen? Eine blasse erstorbne Gestalt, das graue Haar sträubend und verwirrt, die heiligen Gewande ohne Anstand über die zitternden Glieder gehangen. – Jetzt zerreißt eine ungeweihte Hand die mystische Binde; das geschorne Haupt beweist die vertilgte Würde, der entweihte Priester stürzt in Todesfurcht zusammen, die gaffende Menge jauchzt in glühendem Genuß befriedigter Rache .... O Menschheit! wiederholten vergebens dir Jahrhunderte nach Jahrhunderten, wie unerbittlich das Unrecht sich selbst lohnt? soll auch diese schreckliche Lehre an dir verloren gehen? ..... In stiller Hingebung erwartete das einsame Mädchen, was die Zukunft ihr drohte. Die Sache, der so gräßliche Opfer gebracht werden mußten, ward ihr stets größer und heiliger; aber mit weiblichem Gemüthe wand sich ihr Blick von ihren Mitteln ab und heftete sich gläubig an den kleinen Kreis ihrer täglichen Sorgen, schwindelnd vor der Verantwortlichkeit ihres Freundes, der in das Schicksal der Nation mit kühner Hand eingriff. Ihre Liebe entwand sich allen Erdenbanden immer mehr und mehr. Der Mann gehörte keinem Weibe mehr, nicht der Welt mehr, er war ein erwähltes Werkzeug [313] der Gottheit, und ihr schönes Loos war es, ihn mit sanften Banden für die weichern Gefühle des Menschen wach zu erhalten. So schwanden je mehr und mehr Wünsche bei ihr und Furcht, und ihr inneres Leben ward ergebnes Gebet.

In dieser Stimmung erhielt sie die Nachricht von ihres Vaters Tode. Seit der Staatsumwälzung in Warschau hatte sie keine Kunde von ihm, und seit dem fürchterlichen Tode seines Beschützers, des Fürsten ***, hatte sie gezittert, etwas von ihm zu hören. Auf welchen Wegen er zu dem russischen Corps gekommen war, das bei Zagorow von den Patrioten geschlagen wurde, erfuhr sie niemals; aber die Thränen, die sie um seinen Tod weinte, waren sehr süß. Nach einem Leben, so voll von verworrenen Leidenschaften, in einem Zeitpunkte so gewaltsamer Thaten war der Tod auf dem Schlachtfelde ein sanfter Tod, und der seine war noch von Umständen begleitet, die seiner Tochter Herzen wohlthaten. Er ward auf der Wahlstätte vor Zagorow von einem polnischen Offizier erkannt, der sein Verwandter und früherer Gastfreund war. Der Kampf für das Vaterland hatte in ihm jede Persönlichkeit verwischt, und der niedergeworfene Feind foderte darum noch lauter sein Mitleid auf, weil er sein persönlicher Freund war. Er ließ den Sterbenden in das nächste Dorf bringen und eilte nach dem Gefecht zu ihm, um seinen letzten Willen zu vernehmen. Er fand ihn im Gebet mit einem Priester, in der gleichgültigen Erwartung des Todes, welche die letzten Momente abgestumpfter Menschen oft zu einem Räthsel machen. Bei seines Siegers Frage [314] nach seinen Verfügungen über seine Kinder, sagte er mit dumpfer Ruhe: ich weiß, daß sie bei ihrer ältern Schwester sind – ihre Frömmigkeit wird sie schützen, und ihr Edelmuth für sie sorgen. Wollen Sie meiner Seele Frieden verschaffen, so melden Sie ihr meinen Tod, und ich bäte, daß sie für mich beten lasse; sie ist katholisch im Herzen und thut es gewiß. Sonst habe ich nichts zu sagen. Ihre tolle Unternehmung tilgt meine Schulden, denn Ihr neuer Staat wird meine Schuldbriefe nicht ehren. Hier belebte seine schlaffen Züge eine flüchtige Bitterkeit, und er setzte hinzu: Ihre Menschenliebe erkenne ich, aber Ihres Sieges lache ich; wie könnt' Ihr Schwärmer doch glauben, aus solchen verkauften und feilen Elenden, wie wir sind, eine freie Nation zu bilden? – – Hinweg von dieser Scene! – Theofanie schloß ihre beiden Geschwister feurig an ihren Busen: nun seid Ihr ganz mein! rief sie; arme Verlaßne! Euch gab mir das Zutrauen eines Unglücklichen, der an keinen Menschen mehr glaubte als an mich. Euer Leben soll Gebet sein für seinen Frieden, Eure Tugend Versöhnung seines Irrthums.

Ihre häusliche Lage war beschränkt; aus Schlesien hatte sie keine Gelder gefodert, weil sie von einem Augenblicke zum andern hoffte, den Weg dahin antreten zu können, und der Verkehr jetzt durch die feindlichen Armeen unsicher war; der provisorische Rath hatte ihr für ihre Geschwister eine Summe aus des Grafen Verlassenschaft verabfolgen lassen, weil er wünschte, diese Verwaisten die Schuld ihres Großvaters so wenig wie möglich tragen zu lassen. Mit frommer Gewissenhaftigkeit [315] verwaltete sie diesen kleinen Schatz für die geliebten Pfleglinge und eilte dagegen, bereitwillig ihres unglücklichen Vaters Wünsche zu befriedigen, einen Ring von dem Schmuck ihrer Mutter zu verkaufen und von dem Erlöß Messen für den Verstorbenen zu stiften. Theofanie ging vor dem ersten Strahl der Sonne in den hohen Dom; – diese Stunde hatte sie zum Gebete bestimmt; – die ganze Stadt ruhte noch in tiefem Schlummer, die Wellen des Flusses spielten um den Steindamm, und in ihr Plätschern tönte vom nahen Hügel der Frühgesang einzelner Vögel, die in dem wilden Gesträuche nisteten, das aus dem alten Gemäuer des Jagellonenschlosses emporwuchs. Mit dem tiefen Gefühl von der erhabnen Dauer der Schöpfung und des ewigen Wandels des Geschaffnen blickte Theofanie von jenen Trümmern zu der Glut der aufsteigenden Morgenröthe und trat in die Stille des Tempels. Einzelne Betende, welche frühe Sorge aufgeweckt haben mochte, lagen vor dem Altar auf ihrem Angesicht. Allerfüllend wie das Licht, das, stets mittheilend, nie verarmt, gewährte ihnen das göttliche Geheimniß den Trost, den sie bedurften, ohne unwirksamer zu werden für die Leiden, die es zu mildern ausgesprochen ward. In diesem hohen Dome, bei diesem Kerzenschein, der, im Glanze des ersten Sonnenstrahls demüthig erlöschend, die Majestät Gottes durch seine Nichtigkeit pries, zwischen diesen Betenden, die sie nicht kannte, vor diesem Priester, der nicht wußte, daß es ihr Vater sei, für dessen unsterblichen Theil er betete, fühlte sie ihre Vereinzelung verschwinden – sie war vor Gott und unter Brüdern.

[316] Die Gefahr für die treue Hauptstadt der Provinz kam immer näher. Czesinsky entbehrte der nächtlichen Ruhe, um, nach beendigten Geschäften im Lager, ein Paar Stunden der Nacht seiner Freundin zu weihen. Die weiten Sonnenbogen gaben jetzt jener Gegend die langen Tage, die der Süden nicht kennt, die Abenddämmerung, die sich mit der Morgenröthe vermählt. Wenn Theofanie ihren Freund empfing, hatte sie ihre Kleinen schon zur Ruhe gelegt; sie hatte ihre kleine Haushaltung bestellt, ihre Anordnungen auf den nächsten Tag gemacht und eilte nun unter das Sternengezelt, um dort in dem Anblicke des Unermeßlichen den kleinen Raum voll Tod und Leiden, durch den ihr Pfad führte, im Lichte der Wahrheit zu sehen. Weder Theofanie noch ihr Freund waren auf dem Wege der Wissenschaft zu der Ansicht der Welt gekommen, die ihnen wahr und trostvoll schien. Wie das Thier der Einöde den Trieb, den die Natur ihm gab, unirrend erkennt und bei dem sengenden Strahl der Sonnenhöhe die erfrischenden Blätter saurer Pflanzen aufsucht, wie die wilde Taube ihren Jungen die weichsten Körner ins Nest trägt, schöpften sie Erkenntniß aus den Händen der guten Pflegerin, die sie in jedem ihrer herrlichen Werke den Menschen darbietet, daß er gedeihe und empor sich richte zum Himmel. Theofanie unter den Fesseln herzloser Convenienz, und Demetri auf den stürmischen Wogen des Unglücks, waren Beide durch das Gefühl zu der Liebe Gottes gekommen, welche höher ist als alle Vernunft, – so drückt ein frommer Spruch sich aus, und reinere Erkenntniß geht noch weiter und [317] findet, daß die wahre Liebe und die wahre Vernunft nur Eins ist.

Längs den Ufern des schönen Flusses, wo er die Stadt bespült hat, führte der abendliche Gang die Freunde durch die halbverfallnen Mauern des königlichen Schlosses, das die letzten Kriege zerstörten, und das seitdem, wie das ganze Reich und das ganze Volk, als ein Denkmal gesunkener Größe dasteht. Zwischen den mächtigen Strebepfeilern der ungeheuern Mauern haben heimlose Arme eine Wand von lockeren Steinen errichtet, die Ritzen mit Moos verstopft und so ihre elende Wohnung gegründet. Der Rauch ihres Herdes schwärzt die hohen Fensterkreuze, beschmuzt die geschnitzten Friese und sticht widrig gegen die zarten Moose ab, mit der die allbelebende Natur die langsame Zerstörung der Zeit auf allen Gesteinen bekleidet. Auf den großen öden Höfen weiden die Kühe der neuen Bewohner das spärliche Gras ab, bis die sinkende Sonne über ihnen ein Heer froher Schwalben in ihre Heimath zurückruft, die einige Ellen höher ihre Nester gleich den sorgenvollern Erdensöhnen an die Mauern geklebt haben. Bald verbirgt sich das Gestirn des Tages, der arme Mensch verschließt sich in den schweren Dunst seiner Hütte, die freie Schwalbe schläft ihren leichten Schlummer im luftigen Bettchen, und nun flattert aus den obersten Zinnen ein Heer von Dohlen hervor, das mit heiserm Geschrei auf den ekeln Raub ausgeht. Schweigend gingen die Freunde über den steinigen Weg durch die öden Hallen, durch die verwachsenen hohen Einfahrten auf den Hügel zu, wo die alten Fürsten des [318] Landes, die großen Jagellonen einst hausten. Einzeln stehen hier noch zwei runde Thürme, die eine verfallne Mauer verbindet; weiterhin bezeichnen dürre Erdhügel, auf denen blaue Cichorien und blasse Scabiosen in der Abendluft nickten, ihre weitere Richtung den Fluß hinab; jenseits lag die große Stadt zu ihren Füßen; – die weißen Mauern der kalvinischen Kirche, die im letzten Kriege verwüstet ward, standen wie große Gespenster aus dem grauen Dufte empor, der die Dächer umwallte; ihnen gegenüber, wo der Fluß aus dem schönen Thal herströmt, schimmerte die letzte Abendröthe durch die verfallnen Fenster des Radzivil'schen Palastes. Theofanie setzte sich unter Eibischbüschen auf die verfallne Mauer und blickte in dieses ahnungsvolle Schauspiel, wo vergangne Zerstörung den künftigen Untergang weissagte. Demetri ging gegen die Ostseite des Hügels und blickte sinnend in die Ferne, in der Theofanie bei zunehmender Dämmerung mehrere Feuer auflodern sah. Was ist das? rief sie bestürzt; sind das Hülfstruppen? – »Es sind russische Vorposten,« antwortete Demetri und trat zu ihr, wie Einer, der nun den Eingang seiner schweren Rede gefunden hat, »unser Schicksal muß sich in wenigen Tagen entscheiden, und dieses ist wahrscheinlich das letzte Mal, daß Ihr Freund Sie vor diesem großen Zeitpunkte sieht.« Er hielt ihre Hand und erwartete sorgend die Wirkung, welche diese Nachricht auf die Geliebte machen würde. Theofanie blickte ernst in sein Angesicht; eine merkliche Blässe schlich über ihre Züge, sie athmete schwerer; – jetzt schaute sie aber gen Himmel, wo das Siebengestirn in Osten im reinen Glanze [319] über den mühevollen Erdball hinglitt; eine heilige Freude glänzte in ihrem Auge, und sie sprach: so kämpfe für Freiheit und Recht hier – sie streckte ihre Hand über das Schattenbild der Erde – oder dort – ihr Arm hob sich zu dem Himmelsgewölbe auf – wirst du Freiheit finden, und hier und dort – – hier am Grabesrande, hier auf den Trümmern der Vergangenheit spreche ich das Wort zum ersten und letzten Mal aus – hier und dort bleibt Dir meine Liebe. – Demetri sank auf seine Knie und drückte seine Lippen auf ihre Hand; Beide schwiegen. Dann stand der starke Mann auf und sprach: ich habe mich Dir und dem Vaterlande und der Tugend nochmals geweiht, alle drei sind Eines, sind ewig, und mein Dasein stirbt nicht.

Nun redeten sie ab, was Theofanie für ihre persönliche Sicherheit thun sollte. Ihre muthige Liebe vergaß sogar nicht, das Schrecklichste zu berechnen. Die Seite der Stadt, wo Theofanie wohnte, war der Lage nach die unbedrohteste; sollte das Geschütz der Belagerer dennoch dahin reichen, so sollte sie mit ihren Geschwistern ein kleines Gewölbe in den untern Ruinen beziehen, das Demetri schon lange kannte und für sie in Bereitschaft zu setzen, ins geheim veranstaltet hatte. Wenn die nächsten Tage Demetri's Laufbahn endigten, sollte sie, sobald die Stadt durch Sieg oder Übergabe offen sei, mit ihren Geschwistern nach Schlesien abgehen; er versprach ihr, den folgenden Morgen einen alten Priester zu senden, der ihm herzlich zugethan sei, weil er ihn vor zwei Jahren bei Dubienka vor der Wuth der Russen gerettet hatte. Der Mann war in [320] frühern Jahren in Deutschland gereist; sein Alter, sein Stand eigneten ihn zum Begleiter eines jungen Mädchens. – Sie saßen Hand in Hand; ihre Reden waren kurz, ihre Stimme leise und ohne Ausdruck; es waren zwei Geister, die jenseits der Hoffnung und des Schmerzes, – die über einem allgemeinen Grabe sich besprachen; ihre verschlungnen Hände wurden kälter und kälter; ihre Herzen schlugen bänger und bänger, – sie schwiegen, – denn die Rede ist menschlich und hätte mit dem nächsten Worte ihre übermenschliche Fassung niedergestürzt. Nach einer langen Pause zog Czesinsky einen Brief aus dem Busen: er ist an meines Kindes Mutter, sagte er fester, ich glaube, sie wird Ihnen meine Tochter zur Erziehung geben. Dieses Bild, – er löste die goldne Kette vom Halse, an der das Bild unsrer Frau zu Kasan hing, das seine Mutter aus ihrem Vaterlande mitnahm und ihm gab, als er Candia verließ, – dieses Bild kann nur an Deiner Brust ruhen, wenn diese kalt ist, – laß es einst meiner Tochter und sag' ihr, woher es kam. – – Hier brach Theofaniens Herz, sie verhüllte das Gesicht, der Schmerz überwältigte sie. Czesinsky faßte sie sanft, aber gefaßt in die Arme und richtete ihr Gesicht mit seiner Hand auf: Hoffst Du nicht mehr, süße Freundin? ist uns denn nicht Freiheit gewiß, hier oder dort? sind wir nicht vereint hier und dort? Sieh diesen Augenblick des Lebens; – in diesem Moment sank ein glänzendes Meteor mit Blitzesschnelle von einem Stern herab, wie in warmen Sommernächten oft geschieht; Czesinsky's Auge, das auf den Himmel gerichtet war, erblickte es ... Sieh [321] dieses Nichts! dort sank vielleicht eben eine Welt in den Schoos ihres Gottes, – er nimmt uns ja auch auf! Theofanie ermannte sich, – ich hoffe, rief sie, und hob ihre Hände betend empor, geh, wohin das Vaterland Dich ruft, ich will Deiner würdig sein.

Sie gingen nun schweigend zurück. An der Thüre faßte Czesinsky noch einmal die Hand seiner Freundin und blickte in ihr Auge; er schien sprechen zu wollen; er schien mit sich zu kämpfen; dann legte er seine Hand auf ihr Haupt und sagte, wie zu sich selbst redend: Nein! in jener Welt! – Theofanie zitterte; so segnete mich Amadeus, rief sie schaudernd und zog des Freundes Hand von ihrer Stirne weg. – Er ging aber nicht zum schönen lebendigen Kampf um Freiheit und Recht. Hoffe und liebe! – und mit diesen Worten schwang sich Demetri auf sein Pferd und verschwand.

Theofanie brachte die Nacht schlaflos, aber auch thränenlos neben dem Lager ihrer sanft schlummernden Kinder zu. Noch vor Tage kam Iwan, der alte Priester. Sein klares blaues Auge, seine hohe offne Stirn sprachen Ruhe und Güte aus. »Ich wär' lieber bei meinem Sohne Demetri geblieben,« sagte er und begrüßte sie mit dem Zeichen des Kreuzes; »aber sein Befehl, Ihnen anzugehören, ist mir heilig.« Auf Theofaniens Frage: was man von dem heutigen Tage hoffe; antwortete er mit Zuversicht: den Sieg der gerechten Sache! Was aber geschehe, meine Tochter, wir wollen die Fügung Gottes darin finden.

Der Donner des Geschützes begann und dauerte den ganzen Tag; die Gassen waren leer, oder mit ängstlicher [322] Eile flohen schweigend die Bürger in die Kirchen, um zu beten oder in dem Hause des Herrn der Schlachten Gefahr weniger zu fürchten. Einzelne Abtheilungen von Soldaten zogen vorbei, um die Posten der Festungswerke zu besetzen. Gegen Mittag kam eine Procession von der Kirche des heiligen Casimir; sie trug das Bild dieses Schutzheiligen der Stadt in feierlichem Zuge; die Priester folgten; die Magie des Glaubens gab den Furchtsamsten Muth; die Mütter drückten ihre Säuglinge an ihre Brust und folgten nach; die Greise ergriffen ihren Rosenkranz und beteten laut – doch jetzt tönte das fürchterliche Geschrei der Kämpfenden lauter als vorher; das Geschütz übertäubte die Hymnen der Priester; ein Paar Kanonenkugeln verirrten sich bis in die Nähe dieses Quartiers, das am weitesten vom Kampfplatz entfernt war. Die erschrockenen Priester retteten ihr Heiligthum in den nahen Dom, die Betenden entflohen, und Theofanie, die dieses Alles vom Fenster mit angesehen hatte, konnte nun wieder, von nichts Äußerm gestört, auf jeden Schuß horchen und mit jedem Schuß ihres Freundes Brust bluten sehen. Gegen den Abend liefen einzelne Soldaten mit dem Geschrei, daß die Verschanzungen gestürmt würden, über die Straßen. Theofanie erblaßte. Den ganzen Tag hatte sie die Kinder mit schweigender Sorgfalt beschäftigt, gepflegt, geliebkos't. Man sah, daß in ihr eine zweite Seele stets sann, Alles um sich zu erfreuen, aber ihre eigentliche Lebensseele war abwesend, denn sie hörte nicht; ihre Vorsorge, ihre Liebesdienste waren mit den äußern Umständen nicht im Einklange. Sie war blaß; ihr ganzes [323] Gesicht drückte nur das Geschäft ihres Gehörs aus, das dem Gefecht folgte; sie war kalt wie eine Todte und schien es nicht zu fühlen, wie der kleine Casimir ihre Hände an seine Brust versteckte und rief. Du frierst, ich will Dich wärmen wie meinen Vogel, der vor dem Sperber zitterte. – Zittre nicht, sagte sie mit leiser Stimme, Gott wird ihn schützen; bete für ihn. – Der Knabe sah sie befremdend an, – für wen soll ich beten, Vater? fragte er Iwan, der ihn mitleidig zu sich zog. – Für alle die armen Vögelchen, denen heute ihr Nestchen und ihr Hort genommen wird, – komm, Knabe, und bete! – So sprach der alte Mann, und Thränen zitterten in seiner grauen Wimper. – Ja, das ist es! rief Theofanie, die wahrnahm, daß er sich in einem Winkel des Zimmers auf die Knie niederlassen wollte, – das ist's! Fort zum Dom! Sie ergriff Casimirs Hand, nahm Natalie auf den Arm und verließ das Haus. Der ehrwürdige Geistliche ging vor ihnen her; er wehrte mit sanften Bitten zur Rechten und Linken die Wehklagenden ab, welche die Angst jetzt aus den Häusern trieb, sowie sie dieselbe vorher darin gefesselt hatte. Kommt, meine Kinder, betet mit uns! rief er ihnen zu, und sie folgten ihm, als habe der Entschluß allein, ihr Weh an des Höchsten Thron niederzulegen, ihren Pfad erhellt.

Der Dom war voller Menschen; die Menge betete; die Priester sangen die Vesper; aber das Rollen des Geschützes war lauter als ihre Stimmen. Theofanie lag am Boden vor dem ersten Altar neben der Pforte, wo ein Gemälde die Mutter des Herrn darstellt, der[324] Nikodemus nach der Grablegung die Dornenkrone bringt; sie hatte Nataliens kleine Hände in die ihrigen gefaltet, und das Kind lächelte vertrauensvoll in ihr betendes Auge. Ein neues Geschrei von außen traf ihr Ohr; einzelne Soldaten traten vom Flusse her in die Kirchpforte; ihnen folgte ein Haufen, der eine Bahre trug, von kreuzweis gelegten Flinten gebildet; ein Officier lag, dem Anschein nach entseelt, halb auf ihr, halb in den Armen seiner Gefährten. Theofanie sah sein Gesicht nicht, aber eine furchtbare Gewißheit bemächtigte sich ihres Geistes; sie stand langsam von den Altarstufen auf und schritt auf den Zug zu, der zwischen den beiden Kirchenthüren, die ihnen den nächsten Weg darboten, ausruhend still stand. Jetzt erblickte das Mädchen ihres Freundes Antlitz, wie es über die Schulter eines Soldaten zurücklehnte; sie schrie nicht, sie sank nicht; ein Seufzer, den erstickt und doch allergreifend ihre Brust ausstieß, rollte wie eines Sterbenden Ächzen über die Häupter der Menge, die sich herzudrängte. Sie legte beide Hände über ihre Stirn, als wollte sie ihr Auge dem fürchterlichen Schauspiel verschließen. Indeß hatte sich Iwan genaht; – in dem Greise sprach nur menschlicher Schmerz, er rief laut: O mein Wohlthäter! und sank neben Czesinsky auf die Kniee. Alles schwieg. – – Keiner fragte nach der Bedeutung, Jeder verstand den Jammer. Franzuszeck war seiner Herrschaft gefolgt; er hielt Casimir an der Hand, der auf die Zehen trat, um des todten Mannes Gesicht zu sehen; ein fremder Bürger hatte Natalie auf den Arm genommen, die ängstlich nach der Schwester verlangte, [325] und jetzt ihre kleinen Arme um Theofaniens Hals legte. Diese Berührung brachte sie zu sich. Als bemühe sie sich, Wirklichkeit von Täuschung zu unterscheiden, durchlief ihr Blick die Scene um sie her; – indem machten die Soldaten eine Bewegung, weiter zu gehen; – schnell nahm sie Natalie dem Fremden ab und schritt neben der Bahre her; an der Kirchthüre schienen die Träger gegen ihre Wohnung zu gehen, sie winkte ihnen aber mit starrer weißer Hand und führte sie auf das zerstörte Schloß zu. Ein kleiner Haufe folgte ihnen, über dieses befremdliche Schauspiel die draußen überhandnehmende Gefahr vergessend. Iwan und Franzuszeck blieben ihr zur Seite. Am Eingange des kleinen verschloßnen Gewölbes stand sie betroffen still; aber der alte Knecht zog einen Schlüssel hervor, und der Verwundete fand in diesem dunkeln Zufluchtsorte ein Lager und anderes nothwendiges Hausgeräthe, das seine Sorgfalt für seine Freundin hatte dahin schaffen lassen. Iwan drängte sich nun heran; seine Muthlosigkeit schien einer sonderbaren Ruhe Platz gemacht zu haben; er half mit geschickter Vorsicht den Verwundeten auf das Ruhebett legen; ein Wundarzt war von einem der Begleiter herbeigerufen und wandte nun die erfoderlichen Mittel gegen die Ohnmacht des Leidenden an. Iwan hatte Theofanien mit Bitten und Winken entfernen wollen; sie schien aber gar nicht auf ihn zu achten, sondern hielt ihres Freundes Nacken umfaßt, und sein schweres Haupt ruhte auf ihrer Brust. Der Wundarzt hatte alle müßigen Zuschauer fortgewiesen; Franzuszeck saß weinend in einem Winkel und hatte den beiden Kindern [326] seinen Rosenkranz und Amulet zum Spielen gegeben, indeß er, den Rosenkranz noch immer haltend, leise betete.

Jetzt kehrte Czesinsky's Leben zurück. Seine Blicke irrten langsam und träumend umher, bis Theofaniens gewaltsam bekämpfter Schmerz seine Aufmerksamkeit bestimmte, und sein schweres Auge sie erkannte, die bei der Rückkehr seines Lebens Thränen für ihr Unglück gefunden hatte. Ein sanftes Lächeln, wie bei eines Engels Erscheinung, flatterte über sein blasses Gesicht; er suchte seine Hand auf ihren unterstützenden Arm zu legen und sagte leise: mir sollte jene Freiheit werden, – mögen meine Brüder sich die andere erkämpfen! –

Der Wundarzt that, was möglich war, um seine Leiden zu lindern, denn sein Leben war verwirkt; eine tiefe Bajonnetwunde in der Brust machte jede Hülfe unmöglich. Czesinsky wußte es und bat ihn, alle seine Kunst nur dahin anzuwenden, ihm die wenigen Stunden seines Lebens einen heitern Geist zu erhalten. Theofanie hatte die Nothwendigkeit nun in ihrem ganzen grausenvollen Umfange aufgefaßt; sie erblickte noch nirgends Zusammenhang mit der Möglichkeit, sie zu ertragen; aber durch der Qualen Sturm in ihrer Seele tönte eine leise Stimme: Glaube, bis du Gott verstehst.

Indeß verkündigte das Schweigen des Geschützes, daß der Kampf in dem Lager beendigt sei. Czesinsky nahm es wahr und bat um Nachricht. Der Stadtcommandant erschien sogleich selbst; er bezeugte seinen Schmerz über des tapfern Obersten Zustand und meldete, daß die polnischen Truppen glücklich durch die[327] Feinde gebrochen und auf einem ruhigen Rückzuge nach Solenike begriffen wären; daß die Stadt aber schon allenthalben eingeschossen, und, wie Überläufer meldeten, morgen ein Bombardement zu erwarten sei. Czesinsky sammelte alle seine Kräfte, um durch seinen Rath seiner Sache noch zu dienen, und die Todesschwäche, die auf ihm lastete, machte einige Augenblicke einer himmlischen Zuversicht Platz, mit welcher er Sieg versprach, Sieg in diesem Kampfe, und Sieg der Freiheit und des Rechts. Sein Geist theilte sich den wackern Kriegern mit, die um ihn standen; sie verließen ihn mit Zuversicht, der Mutter des Gelingens. Der Commandant ließ eine Wache an dem Eingange des Gewölbes, die bei dem Drange der folgenden Tage sehr nothwendig war, um den Freunden ihre Zuflucht ungetheilt zu erhalten.

Ein furchtbarer Contrast der Außenwelt und des kleinen Raums, den dieses Gewölbe einschloß, fand nun statt. Gleich nach dem Abzuge der polnischen Armee aus dem verschanzten Lager, welches mit gleichem Muth und Hartnäckigkeit vertheidigt und angegriffen ward, hatten die Russen die Stadt eingeschlossen und griffen sie mit Lebhaftigkeit an. Schon in der ersten Nacht loderten die Vorstädte in Flammen auf. Heulend retteten sich die elenden Einwohner in die Stadt und suchten in den halb verfallnen Palästen, voriger Zerstörungen Denkmal, ein Obdach. Der Dom, alle Gewölbe, alle Keller des verwüsteten Schlosses wurden von Flüchtlingen und Habseligkeiten angefüllt. Das Geschrei der Menschen, das Zischen der Flammen, die der Morgenwind [328] weit umhertrieb, ward bald von dem Donner der Kanonen übertäubt und trieb vom Morgen an jedes lebende Wesen zu einem Schlupfwinkel hin. Nur noch Krieger sah man von Posten zu Posten eilen, und Verwundete, die winselnd den Kugeln aus dem Wege getragen wurden. Der Muth der Belagerten vernichtete die Angriffe der Feinde, und dem schreckensvollen Tage, der nichts entschied, folgte eine grauenvolle Nacht. Jetzt schwieg das feindliche Geschütz und ließ dem Jammer seine Stimme, der laut an das stille Himmelszelt schlug. Klar und glänzend rollten die hohen Gestirne über die Welt voll Elend, gleich als wenn sie von ihrer Höhe den Zusammenhang der Dinge überschauten, indeß unser Herz über ihre Verwirrung bluten muß. Muthig gingen die Belagerten den neuen Angriffen entgegen; der Bürger empfahl Weib und Kind seinem Heiligen und drang auf die Wälle zum gefährlichsten Dienst; selbst die Menschen, denen Jahrhunderte grausamer Erniedrigung die Seele geknickt hatten, die verachteten Juden selbst ahnten eine Wiedergeburt und ergriffen das Schwert. Mit unerhörter Wuth drangen die Russen aufs neue heran; die alten Gebäude wankten unter den zerschmetternden Kugeln; in den morschen, leicht zusammenstürzenden Holzhütten machte sich die verwüstende Flamme des ärmlichen Herdes bald Luft, und Rauchwolken dampften aus dem schwarzen Schutte empor.

Mitten in diesem Gräuel herrschte Stille des Todes in dem kleinen Gewölbe, in dem Czesinsky die ernste Stunde erwartete. Zwischen mattem Schlummer und lichten Momenten, in denen seine Seele, schon dem[329] Staube entnommen, in prophetischer Begeisterung sprach, ging die Zeit hin. Er schien sein Schicksal zu genießen, denn es hatte ihn mit seiner Freundin vereint. Ich kaufte diese Seligkeit theuer, sagte er, als Theofanie, seine Hand an ihren Mund gedrückt, an seinem Lager kniete; aber sie ward mir! ich kannte jedes größte Glück ... Sieg und Liebe! mein Vaterland wird meiner gedenken, und in Deinem Herzen werde ich leben. – Ein anderes Mal fragte er seine Freundin nach einer Verfügung, die Casimirs Erziehung betraf. Er bat sie, ihn in den Jahren, die Männeraufsicht erfoderten, wo möglich in Polen erziehen zu lassen. Er unterrichtete sie noch von den Wegen, die sie nehmen müsse, um dem Knaben seiner Mutter Erbtheil zu sichern; und als öffnete sich eine späte Zukunft seinem Blick, sprach er von der Zeit, wo Casimir als Bürger eines wiedergebornen Volkes in seinem Vaterlande leben würde. So lange seine Kindheit dauert, verlaß Dein Landleben nicht! Dich umfängt eine schöne Natur, und überall in dieser Natur bin ich. – Theofanie sank überwältigt an seine Brust; sein Mund fand den ihrigen, und er drückte sie zum ersten Mal in diesem Leben mit der letzten Kraft dieses Lebens an seine Brust. Ihre Besinnung kehrte zurück; aber er war ohnmächtig niedergesunken. O meine süße Freundin! sagte er ermattet, wie sein Bewußtsein zurückkehrte, wär' ich doch jetzt hinübergeschwunden! diese Seligkeit hatte ich mir im Leben versagt; ich fürchtete, meine Sinne würden sie nicht ertragen. – Ich hatte recht! meine Sinne erstarben in dem nahen Tode, und so überwältigte sie fast das irdische Leben.

[330] Am zweiten Tage schlummerte er viel. Iwan, der in sich die Sorgfalt mehrerer Menschen zu vereinigen schien, um die Kinder zu pflegen und den Kranken mit allen Bedürfnissen zu versehen, hatte jeden freien Augenblick benutzt, um zu den Füßen seines Wohlthäters zu beten. Jetzt bemerkte er, daß Czesinsky die Berichte über den Fortgang der Belagerung, die ihm der Commandant von Stunde zu Stunde abstatten ließ, kaum mehr vernahm, und eine schmerzliche Unruhe schien sich feiner zu bemächtigen. Eine Arznei hatte eben den Kranken ermuntert; er bat Theofanien, die Kinder an sein Bett zu führen, und küßte sie beide, fragte nach seinem Schwert, das sich auch vorfand, und schenkte es dem Knaben; dann nahm er Theofaniens Hand und legte sie auf Nataliens Haupt, dann auf ihre Brust, ohne zu sprechen. Nun konnte sich Iwan nicht länger halten, er fiel auf seine Knie und flehte: sein Herr möchte die Wohlthaten der Kirche nicht verschmähen! – Kannst Du das von mir denken, guter Vater? sprach Czesinsky freundlich, indem er den Kindern fortwinkte; komm! ich rettete Dir einst ein kurzes, mühevolles Leben, weihe Du mich in ein schöneres ein. – Theofaniens Fassung ward je mehr und mehr gespannt; sie erhielt mühsam ihre Ruhe, so lange die heilige Handlung dauerte, während welcher alle Anwesende, von Wehmuth niedergeworfen, laut klagten. Iwan hatte jetzt den Sterbenden gesegnet; er wand sich zu den Kindern hin und sprach feierlich: diesen weihte ich zum Tode ein, dem schönen, den er kämpfte für Vaterland und Freiheit; Euch weih' ich zum Kampfe. Geht und streitet,[331] wie er, und Ihr werdet im Tode lächeln, wie er lächelt. In diesem Augenblick trat ein Officier ins Zimmer und rief: Sieg! Sieg! Wielhursky's Reiter sind in der Stadt, die Russen fliehen gegen Saly, wir sind frei! – Theofanie legte entzückt ihren Arm um Czesinsky's Hals, sein Haupt sank auf ihre Brust, und mit dem Gedanken an Sieg überschritt seine Seele die Grenzen des Lebens.

Den folgenden Morgen waren die Thore offen, und die Westseite des Landes von feindlichen Truppen befreit. Theofaniens Schmerz war zu unendlich, um im Endlichen sich auszusprechen; sie war still wie das Grab, das ihren Freund empfing; aber, wie in dem Grabe, wirkte in ihr die allbelebende Natur fort – auf seinem Hügel keimten Blumen, und aus ihrem Schmerz sproßten schöne Thaten empor. Sie war bald zur Abreise nach Schlesien bereitet. Iwan und der treue Franzuszeck begleiteten sie. Bei Demetri's Tode hatte sie geschwiegen; an seinem Grabe hatte sie gebetet; wie sie aber diese Stadt verließ, in der sie alle Tiefen des Elends erschöpft hatte, diese Gegend, für die Demetri's Blut geflossen war, da erlag sie einen Augenblick der menschlichen Schwäche. Ihre Reise war ohne feindselige Zufälle. Ein Weib mit Kindern, ein Greis – der Geist der Menschlichkeit schützt sie mit seinem Schilde; auch der Barbar wird ihr Vertheidiger. Nicht weit von Wartenberg ließ sich Theofanie die polnische Grenze zeigen. Sie stieg aus und ging in den Wald hinein – die kindische Schranke, die des Menschen Willkür setzt! Theofanie badete den Rasen mit ihren Thränen und [332] betrat jetzt zum ersten Mal das Vaterland ihrer Mutter. Bei den Wegen, die sie nach Czesinsky's Rath, der den Geschäftsgang im Auslande bei mancherlei Sendungen sattsam kennen gelernt hatte, beobachtete, bei den Empfehlungen, die er ihr durch seinen Beschützer, den Grafen ***, an Mitglieder der Landesregierung verschafft hatte, ward es ihr sehr leicht, ihre Geschäfte in Ordnung zu bringen. Sie fand an ihren Verwandten beschränkte, aber gute Menschen, die ihrer Liebenswürdigkeit nicht widerstehen konnten, und die durch ihr Unglück, wovon ihre Gestalt ein redendes Bild war, und das Iwan mit der, seinen Landsleuten eignen Beredsamkeit schilderte, zur Schonung aufgerufen wurden.

Sobald sie in ihre Güter eingeführt war, bezeigte sie durch die Achtung und Pünktlichkeit, mit der sie die lutherischen Kirchengebräuche erfüllte, die Verkehrtheit der über sie verbreiteten Gerüchte. Die Anstalten, die sie zum Besten der Armen machte, die Großmuth, mit der sie ihren Vortheil aufopferte, um das Schulwesen zu verbessern, gewannen ihr die Herzen, und die liebevolle Kindlichkeit in Casimirs und Nataliens Betragen wurden zwischen dem Landvolk und seiner Herrschaft ein Band des Vertrauens.

Der gute Iwan war anfangs sehr betroffen, wie er wahrnahm, daß Theofanie, die er immer für eine heimliche Rechtgläubige gehalten hatte, jetzt, nun sie ihr eigner Herr war, alle Abzeichen der römischen Kirche vermied. Bei den ersten Äußerungen, die der Alte darüber wagte, legte sie ihm bestimmt ihre Verpflichtung gegen den Willen ihrer Eltern dar, setzte ihm den Gang, den [333] sie sich vorgeschrieben hatte, auseinander und stellte es ihm frei, in weltlicher Kleidung bei ihr zu leben, wozu sie ihm von seinen geistlichen Obern alle Dispensationen verschaffen würde, oder einen hinreichenden Jahrgehalt in seinem Vaterlande zu verzehren. Bliebe er auf ihren Gütern, so sollte er ihr Armenpfleger werden; und da er den Werth der guten Werke wisse, würde er in diesem Geschäft seinen ersten evangelischen Beruf finden; gehe er aber nach W...a zurück, so solle er dort eine tägliche Messe lesen, die sie dem Andenken ihres Freundes stiften werde. Soweit hatte Theofanie mit Fassung, sogar mit einer Art von Trockenheit gesprochen; Iwan hatte unruhig, aber halb mürrisch, zugehört; jetzt erstarb Theofaniens Stimme in Thränen, und der Alte konnte kaum sein lautes Weinen verbergen. Er kniete vor dem Mädchen nieder und schluchzte: O meine Wohlthäterin! behaltet mich bei Euch! Czesinsky hat des Himmels Freuden ohne mein Gebet; und fern von Euch, und bei der heiligen Opferung selbst, würde ich fühlen, daß ich meines Herrn letzten Willen brach, indem ich Euch verließ. – Nun blieb er ohne Unruh' und Gewissensfurcht. Jeden Sonntag sandte sie ihn mit Casimir in Franzuszeck's Begleitung in ein zwei Stunden entferntes katholisches Dorf, die Messe zu lesen, gab aber über die Zeit ihres Außenbleibens so gemeßne Befehle, daß diese Religionsübung nicht die geringste Gemeinschaft mit den Geistlichen jenes Ortes nach sich zog.

Sogleich nach ihrer Ankunft auf ihren Gütern hatte sie den Brief, den ihr Freund ihr für seine Gemahlin hinterließ, seinem Beschützer, dem Grafen ***, gesandt. [334] Ihr Herz foderte sie auf, diesem Mann, den Demetri kindlich geliebt hatte, die äußern Umrisse ihres Verhältnisses mit seinem Pflegesohne zu schildern. Demetri hatte ihr gesagt: dieser Mann lebe in einer Welt, die mit unsern Herzen nichts zu thun hat. Er würde unsre Verbindung voll Enthusiasmus auffassen, denn seine schöne Seele ist für alles Gute und Große geschaffen; aber glauben würde er sie nicht, so lange noch ein Morgen wäre für unsre Liebe! Nun war kein Morgen mehr für diese Liebe, als der große, dem kein Abend mehr folgt; und Theofanie erzählte dem Grafen ihre Geschichte wie eine Sage längst vergangner Zeiten, deren Wahrheit nur Der bezweifelt, dem ihr Sinn zum Vorwurf seiner selbst wird. Vielleicht hatte Demetri seinen Pflegevater doch nicht ganz gekannt. Der feurige junge Mann hatte nur kurze Zeit mit dem verworrnen Willen der Menschen in dem verrätherischen Bande ihres gesellschaftlichen Vereins gekämpft, seine Kraft stand von Jugend auf im offnen Kriege gegen Macht und Unterdrückung. Er hatte nicht ganz erkannt, wie viel kraftvoller ein Herz sein muß, das selten frei schlagend, dennoch seine Schnellkraft erhält. Der Graf hatte seinen Liebling nicht aus den Augen verloren; auch seine Verbindung mit Theofanien war ihm bekannt, aber freilich setzte er nicht den Geist voraus, der sie wirklich geknüpft hatte. Demetri's Tod hatte ihn tief gerührt, und der glückliche Fortgang der republikanischen Waffen in Großpolen schien ihm damals eine große Todtenfeier für seinen Frühgefallnen und alle Edeln, die den Tag der Rache nicht erlebten. Die Antwort, welche Theofanie [335] erhielt, gab ihr das süße Gefühl, daß Demetri's Geist von höhern Sphären aus noch für sie thätig sei, und seine Hand Bande zwischen ihr und der bessern Menschheit knüpfe.

Der Graf hatte wenig Mühe, seines Pflegesohns Wünsche, in Rücksicht seiner Tochter, zu erfüllen. Elisabeths Vater suchte bei der unglücklichen Wendung, welche die Angelegenheiten der Republik sehr bald nahmen, den kürzesten Weg, sich mit Rußland zu versöhnen; der Tod seines Schwiegersohns war für diesen Plan ein sehr günstiger Umstand, denn die Hand der schönen Elisabeth verschaffte ihm nun einen Beschützer am russischen Hofe, sowie er ehemals durch sie Einfluß in die Volksführung hatte gewinnen wollen. Czesinsky's Tochter blieb eine unangenehme Erinnerung an einen Zeitpunkt, der seine Treue gegen Rußland stets ins Gedränge brachte; es wurden also des Vaters letztem Willen, sie im Auslande erziehen zu lassen, gar keine Hindernisse in den Weg gelegt.

Mit welchen Empfindungen schloß Theofanie dieses Kind in ihre Arme! Dieses Wiederaufleben in einem zweiten Wesen, dieses stete Leben in der Zukunft um seinetwillen, indeß sie ganz allein nur der Vergangenheit gehörte; dieses immer mehr zunehmende Umfangen der ganzen Natur, der ganzen Menschheit, weil das Selbst ganz vernichtet ist, – es ruht ja in des Geliebten Grabe! – Es ist eine geistige Wiedergeburt, aber der Wiedergeborne lebt nicht sich, er lebt nur Andern; es ist auch kein Erdenleben mehr, was er lebt, nur der Weg zu der Pforte, die ihn wieder mit der Vergangenheit verbindet.

[336] Das Alles ist nicht die Geschichte von wenigen Wochen, es ist die allmälige Ausbildung von Theofaniens Gemüthe und ihrer Lage, die einen unbestimmten Zeitraum einnimmt. Ja, die ersten Monate waren die Fortschritte auf dieser Bahn sehr gestört, denn das Schicksal von Polen war ein Band, das sie noch an Wünsche und Hoffnungen fesselte. Polen ward aus der Reihe der Nationen vertilgt, und Theofanien schien es, als wenn Demetri's Grabhügel nun ganz Polen bedeckte. Nur langsam konnte die zerrissene Pflanze ihres Lebens die Ranken wieder aufrichten, mühselig Stützen suchen für ihre zarten Schlingfäden; aber der Thau des Himmels und der Strahl der Sonne war ihr gegeben wie jedem Gottesgeschöpf; und je höher sie stieg, je belebender genoß sie der himmlischen Stärkung.


So fand Eugenie die edle Polin, als die bairischen Truppen im Jahre 1807 in Schlesien lagen. Seit Theofanie Demetri kennen lernte, hatte sie nie mehr an der Geschichte ihres Lebens geschrieben; ihr selbst unbewußt, war es ihr vom ersten Augenblick an nicht mehr möglich, von sich zu sprechen, und bald hatte das Verhältniß, in welches sie zu ihm trat, jedes Bedürfniß nach Mittheilung gestillt. Eugenie erinnerte sich stets mit Theilnahme der kalten Schwärmerin, wie sie sie damals nannte; bei der großen Entfernung und dem Einfluß, den die, seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts dauernden Kriege auf sie hatten, setzte sie keinen Verkehr mit dem Lande fort, wo sie nur als Fremde gelebt hatte. Jetzt erlaubte die Ruhe, welche [337] die Truppen in ihren Standquartieren in Schlesien genossen, manchem Officier, seine Gattin zu sich zu berufen, und Eugenie eilte in die Arme ihres Gemahls.

Nachdem sie eine Zeit lang in Breslau zugebracht hatte, nöthigten Dienstgeschäfte ihren Gatten zu einer Bereisung verschiedener Cantonnements; und so kamen sie eines Abends in ein schönes Dorf, wo sie der Wirth sogleich auf das Schloß wies, weil es der Befehl der Herrschaft sei, solche Gäste ihr zuzusenden. Diese zuvorkommende Gastfreiheit oder großmüthige Schonung der Unterthanen flößte Eugenie eine Art Neugier ein, ihre Wirthin kennen zu lernen. Die Leute in der Schenke sprachen mit enthusiastischer Liebe von ihr. Bei ihrer Ankunft auf dem Schlosse wurden sie in einen Garten geführt, wo ein alter Mann sie empfing, der zwei Mädchen, in der ersten Jugendblüte, Unterricht im Zeichnen zu geben schien. Mit dem Anstande eines Hausfreundes entschuldigte er die Abwesenheit der Frau vom Hause, deren Rückkehr man jeden Augenblick erwartete, und lud sie nach eingenommenen Erfrischungen zu einem Spaziergang ein. Die Gegend war reizend, und das Betragen der jungen Mädchen machte Eugenien ungeduldig, die Mutter solcher holden Kinder zu sehen. Unvermerkt kamen sie in einen dunkeln Gang, an dessen äußerstem Ende eine wunderbar hervortretende Aussicht über den Fluß, das gegenüberliegende Dorf und eine lachende Gegend sie überraschte. Rund umher waren Sitze angebracht, und Blumentöpfe mit den schönsten Pflanzen fingen den hellen Strahl der untergehenden Sonne auf, die gerade zu der in Bogen gewölbten [338] Öffnung der Mauer hereinfiel. Eugenie ward von einer sonderbaren Empfindung ergriffen; wie Jemand, in dem eine dunkle Erinnerung lebendig wird. Sie besann sich auf den Geruch sehr schöner Nelken, die vor ihr standen, und blickte nach den scharfen Strahlen, die durch die wilden Weinranken auf den Boden fielen. Jetzt betrachtete sie das älteste der beiden Mädchen, das sich durch einen erhabnen Wuchs und ernste sinnvolle Züge auszeichnete. Das ist der Lieblingsplatz unsrer Mutter, sagte dieses Mädchen, bei dem jede Rede über ihre ernsten Züge den liebevollsten Geist aussprach, – er scheint Sie auch anzuziehen? Eugenie wollte eben antworten, als die Jüngere den Gang hinunterflatterte und durch ihren Ausruf die Ankunft der Frau vom Hause verkündigte. Natürlich richtete jetzt Eugenie ihre Augen dahin. Mit verbindlicher Eile kam eine noch sehr schöne Frau auf sie zu, neben ihr ein Jüngling in der Uniform der polnischen Freiwilligen, mit dem Zeichen der Ehrenlegion decorirt. – Jetzt standen sie einander gegenüber; aber Eugenie beantwortete die Begrüßung sehr schlecht; eine wunderbare Ahnung zerstreute sie. Ihr Gatte fing ein gleichgültiges Gespräch an, an dem auch die Frau vom Hause wenig Theil nahm, sondern nachsinnend Eugenien betrachtete. Die Spannung dauerte nicht lange; Eugenie nahte sich ihrer Wirthin und sprach, ihre Hand herzlich ergreifend: ich muß auf die Gefahr, ungereimt und zudringlich zu scheinen, eine Frage thun: kannten Sie in früheren Jahren eine Baierin, Eugenie von **? – Sie sind es! rief Theofanie, – denn zu ihr hatte der Zufall Eugenien [339] geführt, – und sank an ihren Busen, wo sie lange schweigend ruhte, dann aber in sanfter Rührung aufblickte, – jenseits des Lethe sehen wir uns wieder! Sehen Sie! ich bin von lieben Geistern umgeben, setzte sie mit wehmüthigem Lächeln hinzu; hier meinen alten Freund Mortan, – denn da Sie mich nicht vergessen haben, kennen Sie ihn auch noch, – und hier meinen braven Casimir, der sich das Bürgerrecht in seinem Vaterlande von neuem erkämpft hat, und diese Geliebten, – – sie hatte dem Jünglinge ihre eine Hand gereicht, die er mit liebeglänzenden Blicken an seine Lippen drückte; die Mädchen flogen, da sie ihnen die andere bot, an ihren Hals, – mehr Aufschluß gab sie nicht; aber von diesem Augenblick an schienen die Neuangekommenen zur Familie zu gehören. Eine kindliche Fröhlichkeit belebte die jungen Leute, zu denen sich der Greis Mortan und der muntere Baier als Kameraden oder Anführer gesellten. Elisabeth, die jüngste der Töchter, die den Bruder zu vergöttern schien, erzählte Eugenien noch am ersten Abend, daß er, trotz seiner großen Jugend, die man ihm bei einer wirklichen Heroengestalt doch nicht ansah, unter dem edeln Grafen *** den Feldzug mitgemacht habe und erst seit zwei Tagen zurückgekehrt sei. Das holde Kind hatte von seiner Abreise mit lieblicher Begeisterung gesprochen; wie sie aber die Freude bei seiner Rückkehr schildern wollte, brach sie in einen Strom von Thränen aus, die sie verschämt an Eugeniens Busen verbarg. Diese hielt ihre Wirthin für Witwe und die liebenswürdigen jungen Leute für ihre Kinder; sie hatte Theofaniens schmerzvollen [340] Ausdruck, der sie ganz in das Land der Abgeschiednen versetzte, auch nur in Rücksicht ihrer Witwentrauer verstanden; sie war also sehr betroffen, wie das holde Kind, das sie in ihren Armen hielt, sie vertraulich ansah und sagte: Sie sind ja eine alte Bekannte von meiner Schwester, nicht wahr? Sie lachen mich nicht aus, weil ich vor Freuden weine? – Lebhaft fragte jetzt Eugenie: ob denn die Dame nicht ihre Mutter sei? Die Antwort des verwunderten Mädchens erregte ihre höchste Neugier; aber Theofaniens Würde und Heiterkeit legte ihr eine zarte Scheu auf, die Vergangenheit zu berühren. Ihre Seele schien wie ein krystallklarer See, auf dem das blumige Ufer und der Reihentanz der ewigen Sterne sich spiegeln, aber seine Tiefe ver birgt die Trümmern einer untergegangenen Welt; wenn seine Wellen am ruhigsten sind, nimmt der aufmerksame Beobachter heilige Ruinen am deutlichsten wahr. Nur spät, und mehr durch Mortan's Mund und des alten Iwans beredte Dankbarkeit gegen seine Wohlthäterin als von Theofanien selbst, erfuhr sie den Gang eines Schicksals, dessen Hand, durch alle Saiten der Seele rauschend, endlich mit einem langen, sanften Accord in die Harmonie des Weltalls einstimmte.

Fußnoten

1 Vor beiläufig dreißig Jahren nannte man große goldne, zuletzt auch mit Perlen oder Diamanten verzierte Kreuze: Adelaide.

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TextGrid Repository (2012). Huber, Therese. Erzählungen. Klosterberuf. Klosterberuf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-84CE-1