[315] [317]Poetische Fabeln

[317]

1. Fabel/

Uber der Frantzosen und Teutschen Poesie

Budorgis und Pariß bemüthen sich/ den Preiß/
Den edlen Palmen-Zweig einander auszuwinden.
Wo/ sprach Pariß/ wo ist ein Land/ das gleichen Fleiß
Und gleiche Schönheit läßt in den Gedancken finden?
Budorgis gab hierauf: so schön auch euer Geist/
So scheinet Phœbus doch mit gleich geneigten Strahlen
Auf unser Vaterland/ und was ihr selten heist/
Kan unser Reichthum wohl an gleichen Wehrte zahlen.
Wie? welcher Schimpf/ Pariß! ein unbekandtes Land
(So prahlt' es) darf sich wohl zu deiner Sonne wagen?
Wem unsre Adler nicht/ sprach jenes/ wohl bekandt/
Der kan von ihrem Flug auch nichts gescheutes sagen.
Ihr seyd in euch verliebt/ und untersuchet nicht/
Wie retn/ wie schön allhier der Musen Qvellen springen.
Wie wieder die Natur bey uns kein Dichter spricht;
Wie eure Sylben oft und Reimen übel klingen.
Damit so zogen sie die Palmen hin und her/
Als Lindenstadt hierauf sich in das Mittel setzte.
Hier sahe man sich um: es kam von ohngefehr/
Daß Meissen sich zugleich der Palmen würdig schätzte.
Sein Linden-Zweig roch schön/ so kräfftig als beliebt.
Ich aber kan den Streit hier nicht zu Ende führen.
Denn weil es/ sprach Pariß/ bey euch auch Palmen giebt/
So sollen sie mich nur des Alters wegen zieren.

Ausspruch:

Ein junger Adler lernt so wohl als alte fliegen/
Drum bilde dir/ Pariß/ nichts mit dem Alter ein;
Denn Teutschlands Morgenröth ist schon so hoch gestiegen/
Daß weil du untergehst/ so wird sie Sonne seyn.

[318] 2. Fabel

Von der Poesie

Die Poesie gieng einst spatzieren/
Und traf die Lust/ Verstand und Weißheit an/
Sie hörte sie den schärfsten Wort-Streit führen/
Wem wohl die Welt am meisten unterthan.
Die Lust sprach: Ich beseele sie;
Vor meinem Pfeil entflieht ein Hertze nie.
Doch wandte der Verstand hier ein:
Mein Scepter prangt: wo rechte Menschen seyn.
Und ich kan mich verehret sehen/
So gab die Weißheit drauf/
Wo Seelen nach dem Himmel gehen.
Geliebte/ höret auf/
So sprach die Poesie/ kommt/ ich will euch entscheiden:
Mein Reich kan euch zusammen leiden
Doch seyd ihr nicht zusammen wohl vergnügt/
Nun wohl/ so sey es so gefügt:
Zehn Jahre soll das Reich geschickter Lust gebühren/
Und zwantzig der Verstand das kluge Scepter führen/
Die Weißheit trägt der Crone Kostbarkeit
Auch ohngefehr so lange Zeit.
Ach edle Poesie! so sprachen sie zugleich/
So sind wir wohl vergnügt/ drauf theilten sie das Reich
Auch unter sich/ und ohne streiten/
Und zwar in die vier Jahres Zeiten:
Die Sinnen reiche Lust nahm erst den Frühlings-Schein/
Den Sommer der Verstand/ den Herbst die Weißheit ein.
Mein Leser/ fragst du nun/ wo doch der Winter bleibt?
Matz Tasche sitzet da erfroren:
Da herrschen zwey bekandte Thoren:
Der übel von mir spricht/ und üble Verße schreibt.

[319] 3. Fabel

Von zweyen vormals berühmten Chur-Fürsten

Germania gab neunen ihrer Söhnen
Theils Mützen/ theils auch einen Hut/
Worunter fast ein König ruht.
Zwey aber ließ sie krönen/
Zwey Helden/ deren Tapferkeit
Und Tugend in Vollkommenheit/
Ja die ihr Kleinod waren.
Es hatten diß zwey Brüder kaum erfahren/
So trieb der Neid sie an/
Der Ehrgeitz/ der nicht ruhen kan/
Auf ihrem Haupt auch Cronen Gold zu tragen.
Das Werck war schwer;
Die Mutter hatte keine mehr.
Da hieß es denn: man muß was kühnes wagen.
Der Mutter setzten sie den Degen an das Hertz.
Die Crone wolten sie von ihrem Haupte reissen.
Hier rief Gerechtigkeit und Schmertz:
Ihr Freund' und Söhne helft. Da gieng es an ein schmeissen
Die Helden schonten nicht vor sie ihr tapffres Blut.
Germania ließ drauf die Sieges-Fahne fliegen.
Die Brüder konten nicht der Freyheit Crone kriegen/
Verlohren aber noch so Mützen als den Hut.

[320] 4. Fabel

Von einem unglücklichen Bauer

Ein Baur geht in die Stadt/
Und weil er einen Bart von funfzig Ellen hat/
So läßt er sich balbieren.
Ein junger Kerl/ der nicht die Kunst versteht/
Kömt über ihn/ sein Messer zu probiren.
Er schiert/ daß Haar und Haut herunter geht.
Der Baur sang trefflich schön/
Und muste sich zum Gelde doch verstehn.
Er kam hiernechst in einen Streit.
Ein junger Advocat war hier nicht weit/
Sein Handwerck anzubieten.
Ob Kluge schon zu dem Vergleiche riethen:
So war der junge Rabulist
Doch so geschickt/ den Bauren zu betrügen.
Das Urtheil lief sehr schlecht; die Kunst war aus zulügen.
Ich weiß/ daß Hauß und Hoff darauf gegangen ist.
Der arme Baur verfiel in großen Kram/
Daß über ihn ein starckes Fieber kam.
Ein junger Artzt/ der kaum so viele Lachen
Als Krancken je gehabt/ gieng selbst zu ihm ins Hauß/
Er striche seine Pillen raus.
Das Fieber solte gleich vor seinem Pulver weichen.
Darneben war auch eine Gold-Tinctur/
Die aus des Krancken Beutel fuhr.
Die Artzeney schlug trefflich an/
So daß sich ietzt der Baur nicht mehr beklagen kan.
Diß dreyes kanst du nun an einem Weibe haben/
Die jung und feurig ist/ galant, verthut und spielt/
Die erstlich deine Krafft/ denn Gut und Ehre stiehlt/
Und alle Qvaal ersinnt/ dich zeitlich zu begraben.
[321]

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Hunold, Christian Friedrich. Poetische Fabeln. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-86DE-F