[93] In der Stadt

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Wo sich drei Gassen kreuzen, krumm und enge,
Drei Züge wallen plötzlich sich entgegen
Und schlingen sich, gehemmt auf ihren Wegen,
Zu einem Knäul und lärmendem Gedränge.
Die Wachtparad' mit gellen Trommelschlägen,
Ein Brautzug kommt mit Geigen und Gepränge,
Ein Leichenzug klagt seine Grabgesänge:
Das alles stockt, es kann kein Glied sich regen.
Verstummt sind Geiger, Pfaff und Trommelschläger;
Der dicke Hauptmann flucht, daß niemand weiche,
Gelächter schallet aus dem Freudenzug.
Doch oben, auf den Schultern schwarzer Träger
Starrt in der Mitte kalt und still die Leiche
Mit blinden Augen in den Wolkenflug.

Notes
Aus der Sammlung »Gedichte« (1846).
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. 1. [Wo sich drei Gassen kreuzen, krumm und enge]. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-98C4-1