[196] Von Weibern / Alte Lieder

1846

1. Klärchen

Mir glänzen die Augen
Wie der Himmel so klar;
Heran und vorüber,
Du schlanker Husar!
Heran und vorüber,
Und wieder zurück!
Vielleicht kann's geschehen,
Du findest dein Glück!
Was weidet dein Rapp' mir
Den Reseda dort ab?
Soll das nun der Dank sein
Für die Lieb, so ich gab?
Troll nur dich von hinnen
Auf deinem groben Tier
Und laß meine strahlenden
Sternaugen mir!

[197] 2. Regina

Mein Schatz sitzt im Garten,
Kehrt den Rücken dem Tal
Und verbirgt mir ihrer Augen
Himmlischen Strahl.
Ihr goldbrauner Haarwuchs
Weht über den Zaun;
Ihren Mund und ihre Augen
Doch läßt sie nicht schaun.
Sie lässet erklingen
Ihrer Stimme Getön.
O du boshafte Hexe,
Wie klingt es so schön!

3. Therese

Du milchjunger Knabe,
Wie schaust du mich an?
Was haben deine Augen
Für eine Frage getan!
Alle Ratsherrn in der Stadt
Und alle Weisen der Welt
Bleiben stumm auf die Frage,
Die deine Augen gestellt!
[198]
Eine Meermuschel liegt
Auf dem Schrank meiner Bas' –
Da halte dein Ohr dran,
Dann hörst du etwas!

4. Walpurgis

Ich fürcht nicht Gespenster,
Keine Hexen und Feen,
Und lieb's, in ihre tiefen
Glühaugen zu sehn.
Am Wald, in dem grünen
Unheimlichen See,
Da wohnet ein Nachtweib,
Das ist weiß wie der Schnee.
Es haßt meiner Schönheit
Unschuldige Zier;
Wenn ich nächtlich vorbeigeh,
So zankt es mit mir.
Doch der Schein meiner Augen
Und das Rot von meinem Mund
Verscheuchen das Spukweib
Alsbald auf den Grund.
Jüngst, als ich im Mondschein
Am Waldwasser stand,
Fuhr sie auf ohne Schleier,
Ohne alles Gewand!
[199]
Es schwammen ihre Glieder
In der taghellen Nacht;
Der Himmel war trunken
Von der höllischen Pracht.
Aber ich hab entblößet
Meine lebendige Brust;
Da hat sie mit Schande
Versinken gemußt!

5. Ännchen

Drei Liebste will ich nehmen:
Der erste muß ein Kaufmann sein,
Der andere ein Gärtner,
Der dritt ein Betteljung.
Der Kaufmann soll mir bringen
Wohl Perlen, Gold und Edelstein,
Der Gärtner süße Früchte
All für den Betteljung.
Der Kaufmann soll mir bauen
Ein Haus mit einem schönen Saal,
Der Gärtner grüne Reben
Für meinen Betteljung.
Der Kaufmann soll mich kleiden
In Seiden und in blauen Samt,
Mein Haar der Gärtner kränzen
Schön für den Betteljung.
[200]
Der Kaufmann und der Gärtner,
Sie sollen haben keinen Lohn,
Doch viele tausend Küsse
Mein lieber Betteljung.
Und wenn wir sind gestorben
Und schaun die ewige Seligkeit:
Dann sollen sie begraben
Mich und den Betteljung.
Der Kaufmann soll errichten
Von Marmor einen Leichenstein,
Der Gärtner Rosen pflanzen
Mir und dem Betteljung!

6. Agnes

Ein Schreiner hobelt' spät und früh,
Verliebt in eine Maid;
Doch einen andern liebte sie,
Das schuf dem Holzmann Leid.
Es war gar traurig anzusehn,
Wenn an der Arbeitsbank
Voll Kummer in die Hobelspän'
Sein blondes Haupt versank.
Und hub er aus den Spänen dann
Das gelbe Haar zurück,
Ein Tränenstrom ihm niederrann,
Herzbrechend war sein Blick.
[201]
Da trat sie in die Werkstatt ein,
Erblühend, schön und stolz:
»Schafft mir ein Bett, Herr Schreiner mein!
Von gutem Nußbaumholz!
Soll auf gewundnen Säulen stahn,
Ein Himmel drüber hin,
Den malt mit blauer Farbe an
Und goldnen Sternen drin!
Und eine Wieg', die wie ein Reh
So leicht und munter springt
Und schaukelnd nach dem Takte geh,
Wenn man dem Kindlein singt!«
Betrübt und folgsam hob er nun
Die schwere Arbeit an;
Ich frag: Was konnt er andres tun,
Der blonde Tränenmann?

7. Salome

Singt mein Schatz wie ein Fink,
Sing ich Nachtigallensang;
Ist mein Liebster ein Luchs,
O so bin ich eine Schlang.
O ihr Jungfraun im Land,
Von dem Berg und über See:
Überlaßt mir den Schönsten,
Sonst tut ihr mir weh!
[202]
Er soll sich unterwerfen
Zum Ruhm uns und Preis!
Und er soll sich nicht rühren,
Nicht laut und nicht leis!
O ihr teuren Gespielen!
Überlaßt mir den stolzen Mann!
Er soll sehn, wie die Liebe
Ein feurig Schwert werden kann!

8. Helene

Tretet ein, hoher Krieger,
Der sein Herz mir ergab!
Legt den purpurnen Mantel
Und die Goldsporen ab!
Spannt das Roß in den Pflug,
Meinem Vater zum Gruß!
Die Schabrack mit dem Wappen
Gibt 'nen Teppich meinem Fuß.
Euer Schwertgriff muß lassen
Für mich Gold und Stein,
Und die blitzende Klinge
Wird ein Schüreisen sein.
Und die schneeweiße Feder
Auf dem blutroten Hut
Ist zu 'nem spielenden Wedel
In der Sommerszeit gut.
[203]
Und der Reitknecht muß lernen,
Wie man Lebkuchen backt,
Wie man Wurst und Gefüllsel
Auf die Weihnachtszeit hackt!
Nun befehlt Leib und Seele
Dem heiligen Christ!
Denn ihr seid verkauft,
Wo kein Erlösen mehr ist!
Seid der Liebe verfallen
Und verpfänd't euer Blut!
Müsset leiden und brennen
In ewiger Glut!

9. Röschen

Röschen biß den Apfel an,
Und, zu ihrem Schrecken,
Blieb ein perlengleicher Zahn
In demselben stecken.
Und das gute Kind vergaß
Ihre Morgenlieder!
Tränen ohne Unterlaß
Träufelten ihr nieder!

[204] 10. Gretchen

Das Dirnlein vor dem Gnadenbild
Im trüben Kerzenglanz,
Es flehte heiß, es flehte wild
Um einen Myrtenkranz.
Die Mutter Gottes schaute baß
Herab von dem Gestell;
Es flunkerte der Schmuck von Glas
Auf ihrer Brust so hell.
Die Orgel gab 'nen schönen Klang,
Wie Donnerton im März;
Vor Bangigkeit und Wehmut sprang
Dem Kinde schier das Herz.
Und unter selbem Herzen schwoll
Ein zweites Herzlein an.
Bald stand sie blaß und schandenvoll
Mit Stroh hier angetan!

11. Das rote Bärbchen

Wandl' ich in dem Morgentau
Durch die dufterfüllte Au,
Muß ich schämen mich so sehr
Vor den Blümlein rings umher!
[205]
Täublein auf dem Kirchendach,
Fischlein in dem Mühlenbach
Und das Schlänglein still im Kraut:
Alles nennt und fühlt sich Braut!
Apfelblüt im lichten Schein
Dünkt sich stolz ein Mütterlein,
Dieweil schon mit linder Wucht
Ihr im Schoße keimt die Frucht.
Gott! was hab ich denn getan,
Daß ich ohne Lenzgespan,
Ohne einen süßen Kuß
Ungeliebet sterben muß?

12. Kunigunde

Das Köhlerweib ist trunken
Und singt im Wald;
Hört ihr, wie ihre Stimme
Im Grünen hallt?
Ruht auf der roten Nase
Der Abendstrahl:
Glüht sie, wie wilde Rosen
Im dunklen Tal.
Sie war die feinste Blume,
Berühmt im Land;
Es warben Reich' und Arme
Um ihre Hand.
[206]
Sie trat in Gürtelketten
So stolz einher;
Den Bräutigam zu wählen
Fiel ihr zu schwer!
Da hat sie überlistet
Der rote Wein –
Wie müssen alle Dinge
Vergänglich sein!
Das Köhlerweib ist trunken
Und singt im Wald;
Wie durch die Dämmrung gellend
Ihr Lied erschallt!

13. Sabine

Du hast wohl dicht verschlossen
Dein Gärtlein, frommes Kind,
Da diese Heckensprossen
So eng verwachsen sind?
Doch blüht die Unschuld immer
Darin, soviel ich seh;
Sonst war es Lilienschimmer:
Nun ist es weißer Schnee!

[207] 14. Sibylla

Die alten Jungfern bleichen
Ihr Tuch am Sternenschein,
Da wird dann ohnegleichen
Das Linnen zart und rein.
Bei Tage an der Sonnen
Tut's fast den Augen weh;
Im Himmel wird's gesponnen,
Das ist der weiße Schnee.
Und Wiese, Feld und Garten
Hast du schon vollgespannt?
Willst du so bald erwarten
Des Bräutigames Hand,
Der an der Kirchenpforte
Dich sanft vorüber trägt,
Mit kühlem Liebesworte
Dich in die Erde legt?

15. Creszenz

Wie glänzt der weiße Mond so kalt und fern,
Doch ferner schimmert meiner Schönheit Stern!
Wohl rauschet weit von mir des Meeres Strand;
Ach, weiterhin liegt meiner Jugend Land!
Tief ab liegt des Gebirges Kluft und Schlund,
Noch tiefer schwindet meines Glückes Grund!
[208]
Und alle Morgen muß ich niederschaun
In diesen Abgrund, wo die Nebel graun!
Und alle Nacht rück höher ich hinauf,
Zuletzt tut sich der kalte Himmel auf.
Da sitzt Maria auf dem goldnen Thron,
Auf ihrem Schoße schläft ihr sel'ger Sohn.
Da sitzt Gott Vater, der den Heil'gen Geist
Aus hohler Hand mit Himmelskörnern speist.
In einem Silberschleier sitz ich dann
Und schaue meine weißen Hände an,
Bis irgend eine Harfensaite springt
Und mir erschreckend durch die Seele klingt.

16. Die schöne Wirtin

Alle meine Weisheit hing in meinen Haaren,
Und all mein Wissen lag auf meinem roten Mund,
Alle meine Macht saß auf dem sternenklaren,
Ach, auf meiner Augen blauem, blauem Grund!
Hundert Schüler hingen an meinem weisen Munde
Und ließen sich von meinen klugen Locken fahn,
Hundert Knechte spähten nach meiner Augen Grunde
Und waren ihrem Winken und Blinken untertan.
Nun hängt totenstill das Haar mir armem Weibe,
Wie auf dem Meer ein Segel, wenn keine Luft sich regt!
Und einsam klopft mein Herz in dem verlaßnen Leibe,
Wie eine Uhr vom Schwarzwald in leerer Stube schlägt!

Notes
Zyklus entstanden 1846. Erstdruck 1851.
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TextGrid Repository (2012). Keller, Gottfried. Von Weibern - Alte Lieder. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-9F66-3