Zwei Legenden nach Hans Sachs

Gleich und Ungleich

Der Herr, als er auf Erden noch einherging,
Kam mit Sankt Peter einst an einen Scheideweg,
Und fragte, unbekannt des Landes,
Das er durchstreifte, einen Bauersknecht,
Der faul, da, wo der Rain sich spaltete, gestreckt
In eines Birnbaums Schatten lag:
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Was für ein Weg nach Jericho ihn führe?
Der Kerl, die Männer nicht beachtend,
Verdrießlich, sich zu regen, hob ein Bein,
Zeigt' auf ein Haus im Feld, und gähnt' und sprach: da unten!
Zerrt sich die Mütze übers Ohr zurecht,
Kehrt sich, und schnarcht schon wieder ein.
Die Männer drauf, wohin das Bein gewiesen,
Gehn ihre Straße fort; jedoch nicht lange währts,
Von Menschen leer, wie sie das Haus befinden,
Sind sie im Land schon wieder irr.
Da steht, im heißen Strahl der Mittagssonne,
Bedeckt von Ähren, eine Magd,
Die schneidet, frisch und wacker, Korn,
Der Schweiß rollt ihr vom Angesicht herab.
Der Herr, nachdem er sich gefällig drob ergangen,
Kehrt also sich mit Freundlichkeit zu ihr:
»Mein Töchterchen, gehn wir auch recht,
So wie wir stehn, den Weg nach Jericho?«
Die Magd antwortet flink: »Ei, Herr!
Da seid ihr weit vom Wege irr gegangen;
Dort hinterm Walde liegt der Turm von Jericho,
Kommt her, ich will den Weg euch zeigen.«
Und legt die Sichel weg, und führt, geschickt und emsig,
Durch Äcker die der Rain durchschneidet,
Die Männer auf die rechte Straße hin,
Zeigt noch, wo schon der Turm von Jericho erglänzet,
Grüßt sie und eilt zurücke wieder,
Auf daß sie schneid, in Rüstigkeit, und raffe,
Von Schweiß betrieft, im Weizenfelde,
So nach wie vor.
Sankt Peter spricht: »O Meister mein!
Ich bitte dich, um deiner Güte willen,
Du wollest dieser Maid die Tat der Liebe lohnen,
Und, flink und wacker, wie sie ist,
Ihr einen Mann, flink auch und wacker, schenken.«
»Die Maid«, versetzt der Herr voll Ernst,
»Die soll den faulen Schelmen nehmen,
Den wir am Scheideweg im Birnbaumsschatten trafen;
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Also beschloß ichs gleich im Herzen,
Als ich im Weizenfeld sie sah.«
Sankt Peter spricht: »Nein Herr, das wolle Gott verhüten.
Das wär ja ewig schad um sie,
Müßt all ihr Schweiß und Müh verloren gehn.
Laß einen Mann, ihr ähnlicher sie finden,
Auf daß sich, wie sie wünscht, hoch bis zum Giebel ihr
Der Reichtum in der Tenne fülle.«
Der Herr antwortet, mild den Sanktus strafend:
»O Petre, das verstehst du nicht.
Der Schelm, der kann doch nicht zur Höllen fahren.
Die Maid auch, frischen Lebens voll,
Die könnte leicht zu stolz und üppig werden.
Drum, wo die Schwinge sich ihr allzuflüchtig regt,
Henk ich ihr ein Gewichtlein an,
Auf daß sies beide im Maße treffen,
Und fröhlich, wenn es ruft, hinkommen, er wie sie,
Wo ich sie alle gern versammeln möchte.«

Der Welt Lauf

Der Herr und Petrus oft, in ihrer Liebe beide,
Begegneten im Streite sich,
Wenn von der Menschen Heil die Rede war;
Und dieser nannte zwar die Gnade Gottes groß,
Doch wär er Herr der Welt, meint' er,
Würd er sich ihrer mehr erbarmen.
Da trat, zu einer Zeit, als längst, in beider Herzen,
Der Streit vergessen schien, und just,
Um welcher Ursach weiß ich nicht,
Der Himmel oben auch voll Wolken hing,
Der Sanktus, mißgestimmt, den Heiland an, und sprach:
»Herr, laß, auf eine Handvoll Zeit,
Mich, aus dem Himmelreich, auf Erden niederfahren,
Daß ich des Unmuts, der mich griff,
Vergeß und mich einmal, von Sorgen frei, ergötze,
Weil es jetzt grad vor Fastnacht ist.«
Der Herr, des Streits noch sinnig eingedenk,
Spricht: »Gut; acht Tag geb ich dir Zeit,
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Der Feier, die mir dort beginnt, dich beizumischen;
Jedoch, sobald das Fest vorbei,
Kommst du mir zur gesetzten Stunde wieder.«
Acht volle Tage doch, zwei Wochen schon, und mehr,
Ein abgezählter Mond vergeht,
Bevor der Sankt zum Himmel wiederkehrt.
»Ei, Petre«, spricht der Herr, »wo weiltest du so lange?
Gefiels auch nieden dir so wohl?«
Der Sanktus, mit noch schwerem Kopfe, spricht:
»Ach, Herr! Das war ein Jubel unten –!
Der Himmel selbst beseliget nicht besser.
Die Ernte, reich, du weißt, wie keine je gewesen,
Gab alles was das Herz nur wünscht,
Getreide, weiß und süß, Most, sag ich dir, wie Honig,
Fleisch fett, dem Speck gleich, von der Brust des Rindes;
Kurz, von der Erde jeglichem Erzeugnis
Zum Brechen alle Tafeln voll.
Da ließ ichs, schier, zu wohl mir sein,
Und hätte bald des Himmels gar vergessen.«
Der Herr erwidert: »Gut! Doch Petre sag mir an,
Bei soviel Segen, den ich ausgeschüttet,
Hat man auch dankbar mein gedacht?
Sahst du die Kirchen auch von Menschen voll?« –
Der Sankt, bestürzt hierauf, nachdem er sich besonnen,
»O Herr«, spricht er, »bei meiner Liebe,
Den ganzen Fastmond durch, wo ich mich hingewendet,
Nicht deinen Namen hört ich nennen.
Ein einzger Mann saß murmelnd in der Kirche:
Der aber war ein Wucherer,
Und hatte Korn, im Herbst erstanden,
Für Mäus und Ratzen hungrig aufgeschüttet.« –
»Wohlan denn«, spricht der Herr, und läßt die Rede fallen,
»Petre, so geh; und künftges Jahr
Kannst du die Fastnacht wiederum besuchen.«
Doch diesmal war das Fest des Herrn kaum eingeläutet,
Da kömmt der Sanktus schleichend schon zurück.
Der Herr begegnet ihm am Himmelstor und ruft:
»Ei, Petre! Sieh! Warum so traurig?
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Hats dir auf Erden denn danieden nicht gefallen?«
»Ach, Herr«, versetzt der Sankt, »seit ich sie nicht gesehn,
Hat sich die Erde ganz verändert.
Da ists kurzweilig nicht mehr, wie vordem,
Rings sieht das Auge nichts, als Not und Jammer.
Die Ernte, ascheweiß versengt auf allen Feldern,
Gab für den Hunger nicht, um Brot zu backen,
Viel wen'ger Kuchen, für die Lust, und Stritzeln.
Und weil der Herbstwind früh der Berge Hang durchreift,
War auch an Wein und Most nicht zu gedenken.
Da dacht ich: was auch sollst du hier?
Und kehrt' ins Himmelreich nur wieder heim.« –
»So!« spricht der Herr. »Fürwahr! Das tut mir leid!
Doch, sag mir an: gedacht man mein?«
»Herr, ob man dein gedacht? – Die Wahrheit dir zu sagen,
Als ich durch eine Hauptstadt kam,
Fand ich, zur Zeit der Mitternacht,
Vom Altarkerzenglanz, durch die Portäle strahlend,
Dir alle Märkt und Straßen hell;
Die Glöckner zogen, daß die Stränge rissen;
Hoch an den Säulen hingen Knaben,
Und hielten ihre Mützen in der Hand.
Kein Mensch, versichr' ich dich, im Weichbild rings zu sehn,
Als einer nur, der eine Schar
Lastträger keuchend von dem Hafen führte:
Der aber war ein Wucherer,
Und häufte Korn auf lächelnd, fern erkauft,
Um von des Landes Hunger sich zu mästen.«
»Nun denn, o Petre«, spricht der Herr,
»Erschaust du jetzo doch den Lauf der Welt!
Jetzt siehst du doch was du jüngsthin nicht glauben wolltest,
Daß Güter nicht das Gut des Menschen sind;
Daß mir ihr Heil am Herzen liegt wie dir:
Und daß ich, wenn ich sie mit Not zuweilen plage,
Mich, meiner Liebe treu und meiner Sendung,
Nur ihrer höhren Not erbarme.«

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TextGrid Repository (2012). Kleist, Heinrich von. Zwei Legenden nach Hans Sachs. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B0A4-D