[3] An Rosa

Elegie.


Wolgast. 1785.


Eine Rose blühte. Sie war die schönste des Thales.
Ihre schwellende Brust überblitzte der Thau.
Ihre Blätter glühten im hellesten Purpur des Frühroths.
Ihr vollströmender Duft lockte den Wandrer herbei.
Jünglinge liebten die Holde. Des Thales blühendste Töchter
Hingen zärtlich an ihr, staunten erröthend sie an –
Aber sie starb. Ihr Purpur erblaßte. Ihr athmender Duftkelch
[3]
Lechzte, versiegte. Verwelkt wehten die Blätter umher.
Frühlinge wurden geboren, und Frühlinge starben. Der Rose
Uranfänglicher Stoff wallt' im Aether umher.
Da beseelte des Ewigen Hauch den wandelnden Urstoff,
Hauchte Stimm' und Gesang, Leben und Lieben ihm ein.
Eine Nachtigall ward er, die liederreichste des Thales.
Durch die Weiden am Bach scholl ihr schmelzendes Lied.
Liebende wandelten horchend am Bach', und inniger schlang sich,
Wenn die Sängerinn schlug, an den Verlobten die Braut. –
Einen Frühling sang sie. Und nun verwelkte der Frühling,
Und der Sängerinn Lied scholl nicht weiter am Bach.
Mit den sinkenden Blättern entsank sie dem Aste des Baumes,
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Schwebete, wallender Staub, wieder zum Aether empor.
Frühlinge wurden geboren, und Frühlinge welkten. Noch immer
Kreis'te der Sängerinn Staub hoch im Aether umher.
Wieder beseelte des Ewigen Odem den kreisenden Urstoff,
Hauchte lebendigern Hauch, edlere Schönheit ihm ein.
Und er reift' empor zu einer unsterblichen Seele
Hellem Gewande, zu dir, edle Rosa, empor! –
Sieh, ein holdes Mädchen entblühte dem Staube, mit jeder
Herzgewinnenden Huld, jeder Güte begabt.
Traulich, wie Schatten, und züchtig, wie Veilchen, und milde, wie Lenzthau,
Rein, wie der Lilie Kelch, süß, wie Narcissengedüft – –
Unter dem Auge des Himmels, und unter des irdischen Vaters
[5]
Zärtlich schirmendem Blick' knosp'te die Blum' empor.
Sechszehn Frühlinge flohn, und sechszehn Herbste verwelkten.
Jeder kehrende Lenz schwellte den knospenden Keim.
Und nun drängte die Reine in tausendblättriger Schönheit
Hocherröthend hindurch, düfteschauernd hervor.
Ihres Auges Stern umrieselte Bläue des Himmels.
Ihre Wangen umhaucht' leises Morgenroth.
Goldener Locken Geringel umfloß ihr die leuchtende Schläfe.
Leicht, wie Lüftchen des Hains, trat sie schwebend einher.
Jeglichem rührenden Laut der Lippen entbebt' Empfindung,
Und aus jeglichem Blick quoll die Seele hervor,
Ihre noch reine und unentheiligte Seele, des Schöpfers
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Mildester Odemzug, einfach, edel und schlicht,
Unverkrümmt durch Thorheit, und unverdunkelt durch Launen,
Unerniedringt durch Wahn – nein, durch Demuth erhöht,
Durch Empfindung verschönert, veredelt durch Liebe zur Tugend,
Und durch Liebe zu dir, Vater des Lebens und Lichts.
Also blühte das Mädchen, und also wallt' es geräuschlos
Deinen blumigen Pfad, freudige Jugend, hinab.
Zween Abgründe belauern die Pfade des wandelnden Mädchens.
Einer der Eitelkeit, Einer des falschen Gefühls,
Aber sie täuschten sie nicht. Von Gottes Auge geleitet
Mied sie die Lockenden, ging graden sichern Pfad;
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Dachte, doch ohne zu träumen; empfand, doch sonder Empfindelei;
Fühlte, doch handelte mehr; liebte, doch liebelte nicht;
Liebt' und wurde geliebt – O Tropfe der Seligkeit Gottes,
Allgeliebt, und werth, allgeliebt zu seyn!
Was beblümet die Pfade des Wallers? Was kühlet des Lebens
Brennende Schwüle? Was schafft Wetter zu Sonnenschein um?
Selig lächelnde Freundschaft, du thust es, du reichetest Rosen
Deinen goldenen Kelch perlenden Nektars voll.
Tochter des Himmels, du führtest dem Mädchen ein Mädchen entgegen,
Edel und fühlend, wie sie! zärtlich und liebend wie sie!
Und sie gewannen sich lieb mit unvergänglicher Liebe;
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Wandelten Arm in Arm zwischen den Blumen der Flur;
Schmolzen Seel' in Seele bei jedem höhern Gedanken,
Jedem süßeren Bild, jedem regern Gefühl;
Spiegelten jegliche sich in ihrer Lieblinginn Antlitz;
Uebten in jeglicher Kraft, jeglicher Thätigkeit sich.
Also wallen auf himmlischen Fluren zwo ähnliche Seelen,
Trinken einerlei Kelch, athmen einerlei Duft.
Also wandelte Rosa an ihrer Amalia Armen.
Bis sie ein heißerer Arm ihrer Umarmung entriß,
Bis die Mitte des Bundes die goldenen Locken ihr kränzte,
Und das spätere Band Trennung dem frühern gebot.
Frühlinge blühten, und Sommer verreiften, und Herbste verwelkten,
Und auf Flügeln des Sturms stöberten Winter vorbei.
[9]
Und noch wallte, wie eine Erscheinung aus besseren Welten,
Reich an Tugend und That, Rosa auf irdischer Flur.
Hochauf wallte der Duft von ihrer Tugend. Zum Himmel
Rauschte die wogende Saat ihrer Thaten empor.
Aehre du neigst dein Haupt, von Segen Gottes belastet.
Reifende Frucht du entsinkst deinem Mutterast.
Also neigte sich Rosa, gereift zu besseren Welten,
Senkte öfter den Blick grabverlangend hinab.
Einen schimmernden Jüngling – es war der Engel des Mädchens,
Reiner und liebender hat keinen der Himmel gezeugt –
Sandte der Vater der Geister, die Tochter zu holen. Er schwebte
Um die Schlummernde her, flüsterte zärtlich ihr zu:
»Schwester, komm hinweg!« Da verronnen, wie rauschende Wogen,
[10]
Ihr die Sinnen. Ihr schwand Himmel und Erde hinweg.
Dichteres Dunkel umdämmert' ihr Auge. Festerer Schlummer
Ueberwältigte sie. Träume umwallten ihr Haupt,
Goldene Träume von Perlen und Kränzen und wehenden Palmen,
Von edenischer Ruh, von der Himmel Genuß.
Mit dem grauenden Morgen entfloh die entfesselte Seele,
Und ihr trümmernd Gewand ward in die Erde gesä't.
Blumen sprossen empor auf ihrem Rasen. Es klagten
Trauerharfen umher. Thränen thauten hinab – –
Und wenn meine Harfe nicht dann auf ewig verstummt ist,
Wenn das Licht des Gesangs meiner Seele noch glänzt,
Siehe, so raff' ich mich auf in meinen silbernen Locken,
[11]
Sing' ein heiliges Lied über der heiligen Gruft,
Daß ein Schauer des ewigen Lebens den Rasen umrausche,
Daß den schlummernden Staub süßerer Schlummer umfah.
Frühlinge welken zu hundert, und Herbste verrinnen zu tausend.
Reißend, donnernd und wild strudeln die Zeiten dahin –
Immer noch schlummert im Busen der Erde die heilige Asche,
Schwimmt im Sonnenstrahl, wiegt sich in wogender Luft. –
Aber nun hebt aus dem Schooße der Nacht sich ein ewiger Morgen,
Röthlich, feierlich, ernst, schön und schrecklich und hehr.
Gräber schwellen, und Urnen gebähren; aus rauschenden Feldern
[12]
Keimt unsterbliche Saat, flutet himmelempor – –
Welche himmlische Bildung, welch ein seliger Seraf
Steigt aus jener Gruft schimmernd und lächelnd hervor? –
Rosa, sey mir gegrüßt in deiner unsterblichen Schönheit.
Deinem Aug' entblitzt mehr denn sterblicher Glanz.
Mehr denn Röthe des Morgens bestrahlt dir die leuchtende Wange.
Mehr denn Westgeweh ringelt dein goldenes Haar!
Rosa, wo schwebest du hin? Durch welche Himmelreviere
Trägt dich dein Sonnenflug, leuchtender Seraf, empor?
Willst du baden im Strome des Lebens? des himmlischen Lichtes
Urquell trinken? Des Borns, welcher Vollendete tränkt?
[13]
Willst du suchen den Hain voll silberrieselnder Quellen,
Wo ins Quellengeräusch jubelt der Seligen Chor?
Willst du mengen dein jubelndes Lied in die Chöre der Feirer,
Weil, wie ihnen, auch dir Fülle der Seligkeit ward?
Fahre wohl, Geliebte! – Nun sind der Endlichkeit Fluten
Alle verflutet. Verrollt ist der Vergänglichkeit Bach.
Alle Zeit ist verschlungen, und alles Ende geendet.
Jedes Ziel ist errannt, jegliches Kleinod ersiegt.
Droben ist alles bleibend und alles dauernd, und alles
Fleucht geraden Flugs Adlerbahnen empor.
Droben wachsen die Töchter der Tugend von Schöne zu Schöne,
[14]
Klimmen von Kraft zu Kraft, reifen von Heil zu Heil,
Strömen alle vollendet zuletzt in der höchsten Schönheit
Allumarmenden Schooß allbeseligt zurück.

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TextGrid Repository (2012). Kosegarten, Gotthard Ludwig. Gedichte. Gedichte. An Rosa. An Rosa. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B761-7