[241] 270. Zwergsagen.

Mündlich aus der Umgegend von Rinteln.

1.

Zu dem Fährmann in Groß-Wieden an der Weser, oberhalb Rinteln, ist einmal vor vielen Jahren ein kleiner Unterirdischer gekommen, der hat ihn gefragt, ob er wohl gegen guten Lohn die Nacht hindurch überfahren wolle; der Fährmann hat natürlich nicht nein gesagt und da ist denn am Abend der Kleine wiedergekommen, ist in den Kahn gestiegen und hat gesagt, er solle nur abstoßen. Das hat der Fährmann auch gethan, ist aber verwundert gewesen, daß der Kahn so schwer und tief ging, als wäre er ganz voll, und noch mehr hat er sich gewundert, als ihm der Kleine, nachdem sie drüben angekommen, gesagt, nun solle er wieder zurückfahren, dabei im Kahn geblieben und so bis zum frühen Morgen immer hin und wieder gefahren ist. Endlich ist er denn ausgestiegen und hat den Fährmann gefragt: »nun möchtest du auch wohl gern wißen, was du übergefahren?« und als der es bejaht, hat er gesagt: »so sieh mir über die rechte Schulter!« Das hat der Fährmann gethan und Tausende und aber Tausende von Unterirdischen im bunten Gewimmel erblickt, die er alle in der Nacht übergefahren; der Kleine aber ist drauf abgegangen und hat dem Schiffer gesagt, das Fährgeld liege bereits im Kahn. Aber als der hinkommt, um sein sauer verdientes Geld einzustecken, liegt da ein großer Haufen Pferdemist. »Pfui! sagt er, das ist mir auch ein schöner Lohn!« nimmt seine Schippe und wirft Alles in die Weser; dabei aber fällt ihm ein Klumpen in den Stiefel. Als er darnach heimkommt, sagt seine Frau: »nun, heut hast du wohl brav was verdient, du hast ja die ganze Nacht übergefahren?« aber [242] er ist so mürrisch, daß er ihr kaum antwortet; wie er jedoch die großen Stiefel auszieht, da geht's auf einmal kling! und es fallen die blanken Pistolen eine nach der andern heraus. Da ist er geschwind nach der Weser hinabgelaufen und hat den andern Mist auch holen wollen, der ist aber Pferdemist geblieben nach wie vor; allein er hat auch so schon genug gehabt, und ist ein reicher Mann geworden und seine Nachkommen sind's bis auf diesen Tag.

2.

Mal ist wo eine Hochzeit, da wird Eßen aufgetragen die Hülle und Fülle, aber kaum ist's aufgetragen, so ist's auch schon wieder fort, so daß Braut und Bräutigam sich verwundert einander ansehen, und die Köpfe zusammenstecken. Aber sie beschließen, so lange sie nur irgend etwas haben, es den Gästen vorzusetzen, denn die dürfen doch nicht mit hungrigem Magen davongehn. So thun sie denn auch und setzen vor, was sie haben. Als es nun aber zur Gifte geht, da nahmen die Zwerge, denn die hatten die Mahlzeit verzehren helfen, ihre Hüte ab, und da zeigte sich's denn wohl, warum das Eßen immer, sobald es nur aufgetragen war, verschwunden war, denn die ganze Stube war voll. Aber hatten sie helfen eßen, so halfen sie nun auch giften, jeder legte ein Goldstück in den Korb, und der war kaum groß genug, sie alle zu faßen.

3.

Mal kömmt ein Zwerg zu einem Mädchen und schenkt ihr einen Wocken voll Flachs, daran würde sie ihr Leben genug haben, aber sie solle ihn nie ganz abspinnen. Das hat sie denn auch gethan, hat gesponnen jahrein jahraus und immer war der Wocken voll und sie bekam soviel [243] Garn, daß sie immer ein Stück vom schönsten Linnen zum andern legte. Endlich dachte sie aber doch einmal, »möchtest doch gern wißen, was wohl unter dem Flachse sitzen mag, daß du ihn nie ganz abspinnen sollst«, und ihre Neugierde ward immer größer und größer und dabei spann sie immer schneller und schneller und hatte zuletzt das Ende des Fadens zwischen den Fingern. Aber unter dem Flachs saß nichts am Wocken und soviel sie den auch rund umdrehte, der ewige Flachs war und blieb fort.

4.

Ein Bauer hatte ein schönes Erbsenfeld, aber als es zur Aernte ging, wurden die Schoten leerer und leerer, und wenn er sich auf die Wacht stellte, um den Dieb zu fangen, hörte er's rascheln, sah aber niemand. Da nahm er denn einmal seinen Knecht mit hinaus, den ließ er das eine Ende eines Strickes faßen, er aber nahm das andre in die Hand und so liefen sie das Erbsenfeld auf und nieder und rißen den Zwergen die Nebelkappen ab. Da waren sie gefangen und haben dem Bauer die Erbsen theuer bezahlt, daß sie nur ihre Nebelkappen wiederbekamen, und sowie sie die hatten, hui! waren sie fort.

5.

Mal kommt ein Zwerg zu einem Bauer, sagt ihm, er solle ihm täglich eine Gerstenähre schneiden, es werde sein Schade nicht sein. Da thut's auch der Bauer, geht täglich selber hin und schneidet die Aehre; der Zwerg aber kommt Tag für Tag, nimmt seine Aehre auf den Rücken und anket damit von dannen; das Vieh des Bauern wird aber von Tage zu Tage größer und fetter und dabei füttert er es kaum. Mal indeßen hat der Bauer keine Zeit, und da schickt er seinen Knecht, der [244] schneidet auch die Aehre; wie er jedoch den Zwerg so unter derselben dahinanken sieht, lacht er ihn aus und sagt, es sei ja nur eine Aehre, unter der brauche er doch nicht so zu anken. Das hat der Zwerg übel genommen und ist nicht wiedergekommen, das Vieh des Bauern ist aber zusehends magrer geworden, und soviel Futter er ihm auch gegeben, es hat alles nichts geholfen und man hat den Thieren fast die Rippen im Leibe zählen können.


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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. 270. Zwergsagen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-BF9A-D