126. Frau Harke.

Mündlich vom Tagelöhner Körte und anderen in Camern.

1.

Vor langen Jahren hat sich in der Gegend der Camernschen Berge Frau Harke aufgehalten und ihren Sitz [109] namentlich auf einem der höchsten derselben, der nach ihr der Frau Harkenberg heißt, gehabt, ist von da auch oft durch den ebenfalls nach ihr benannten Frau Harkengrund nach der Schönfeld'schen See hinabgestiegen, um von da das Waßer, dessen sie bedurfte, zu holen. Sie ist von gewaltiger Größe und Stärke gewesen und hat einmal einen Bauern sammt Ochsen und Pflug, der in der Nähe des Berges ackerte, in ihre Schürze gethan, um damit zu spielen. Als sie aber damit zu ihrem Vater kam, hat der sie geheißen, alles wieder an seinen Ort zu tragen, »denn, hat er gesagt, wenn die Kleinen da unten nicht pflügen, können die Großen hier oben nicht backen.«

2.

Ein ander mal hat Frau Harke eine Schürze voll Erde herbeigetragen, da ist ihr aber das Schürzenband gerißen und die Erde zu Boden gefallen und das ist der Gollenberg bei Stöllen, der weitumher der höchste in der ganzen Gegend ist; auf ihm hat auch der gewaltige Granitblock gelegen, den sie nach dem Havelberger Dom schleudern wollte.

3.

In der Nähe von Kotzen und Landin liegt ebenfalls ein großer Granitblock, mit dem hat Frau Harke die Brandenburger Marienkirche zerschmettern wollen; er ist ihr aber aus den Händen geglitten und an seiner jetzigen Stelle niedergefallen; da ist sie so wüthend geworden, daß sie ihr Waßer darauf gelaßen und davon hat der Stein ein so tiefes Loch bekommen, daß zu jeder Zeit, mag es auch noch so lange nicht geregnet haben, Waßer darin steht.

4.

Mal sind mehrere Hirten am Frau Harkenberg auf [110] den Dachsfang gegangen, denn Dachse gibt's dort in großer Menge, und haben bereits einen solchen im Sack, da hören sie unten im Berge eine Stimme, die ruft:»Quêms, quêms!« Antwortet eine andre: »Was fehlet dir?« entgegnete die erste wieder: »die große einäugige Sau!« Da wirds den Hirten denn doch unheimlich und sie eilen, daß sie mit ihrem Fang nach Hause kommen, und als sie nun da sind und das Thier herausnehmen, hat es wirklich nur ein Auge. Die Stimme aber, die sie dort gehört, ist die der Frau Harke gewesen, denn ihre Schweine sind die Dachse.

5.

Als endlich der Wald auf den Camernschen Bergen immer lichter geworden ist, da die alten Eichen dort immer mehr verschwanden, da hat's der Frau Harke nicht mehr gefallen und sie ist fortgezogen nach Thüringen. Es sind nämlich eines Abends zwei Reiter auf kleinen Pferden zum Fährmann an der Arneburger Fähre gekommen und haben alles angemeldet, sind dann auch bald wieder gekommen, aber außer ihnen ist niemand zu sehen gewesen. Als sie jedoch in die Fähre gestiegen, und der Fährmann hat die größeste nehmen müßen, auf der vier Wagen auf einmal überfahren können, da ist ein gewaltiges Geraßel und Gepolter gewesen, wie wenn ein ganzes Heer einzöge, und dieser Lärmen hat auch fortgewährt, bis sie drüben am Ufer gewesen. Als sie dort gelandet, hat einer der Reiter dem Fährmann als Lohn eine Metze mit alten Scherben hingeschüttet und darauf sind sie fortgeritten. Der Fährmann aber ist über solche Bezahlung ärgerlich gewesen und hat alles in die Elbe geworfen; nur ein paar Stücke sind in der Fähre liegen geblieben, und wie er am andern Morgen in dieselbe gestiegen ist, [111] um sie zu reinigen, hat er statt ihrer ein Paar Goldklumpen gefunden.

6.

Schriftlich durch Herrn Cantor Görnemann in Camern.


Frau Harke hielt sich ehmals auf den Camernschen Bergen auf und einer der höchsten Punkte derselben war ihr Wohnsitz; ihre Wohnung war jedoch mehr in, als über der Erde, daher führt der Berg noch heute den Namen Frau Harkenberg. Nach einigen soll sie hier allein, nach andern mit ihrem Manne, nach noch andern ohne Mann, aber mit zwei Töchtern gewohnt haben. Sie gehörte zum Geschlechte der Riesen und ihre Existenz fällt in die Zeit der Heidenbekehrung. Sie lebte meistens zurückgezogen und verließ ihren Berg nur selten. Ihren Waßerbedarf holte sie aus dem unweit Camern gelegenen See, zu dem sie immer ein und denselben Weg nahm, der auch so ausgetreten ist, daß er noch jetzt unter dem Namen Frau Harkengrund oder -stieg gezeigt wird. Auf diesem Wege traf sie auf der Schönfeldschen Seite einmal einen mit vier Ochsen bespannten Pflug, den sie, verwundert über diese Erscheinung, mit Pflüger und Thieren in die Schürze raffte und mit nach ihrer Wohnung nahm. Nach andern waren es ihre Töchter, die dies Gespann Ochsen ihrer Mutter mit der Aeußerung brachten: »sieh! was für kleine Thierchen wir gefunden haben.« Diese ihre Töchter sollen auch Theile der Berge spielend zusammengetragen haben. – Wollte Frau Harke zur Abkehr von Thieren und namentlich der Schweine einen Stock in der Hand haben, so erfaßte sie eine der Eichen und hob sie mit Wurzeln und Aesten auf. Zum Gesäß oder Stuhl bediente sie sich eines großen Steines, der in der Nähe ihrer Wohnung lag. Den Bau der Dome zu Stendal und Havelberg, die von ihrem Berge [112] aus gesehen werden, suchte sie dadurch zu verhindern, daß sie große Steine dahin schleuderte; doch gelang ihr keiner dieser Würfe, denn ein Stein, der nach Stendal gezielt war, fiel auf den Arneburger Galgenberg; zur Vernichtung des Havelberger Doms nahm sie den großen Stein, der ihr bisher zum Sitze diente, wobei nach Sage einiger auch ihr Mann behülflich war; allein derselbe zerbrach in drei Stücke, wovon sie das eine in der Hand behielt und sodann zu ihren Füßen niederfallen ließ, ein zweites flog nach Rehberg und das dritte auf die Stöllenschen Berge. – Schaden fügte Frau Harke niemand zu, und sie soll sogar wohlthätig dadurch geworden sein, daß sie die kleinen märkischen Rüben in die Umgegend verpflanzte. Endlich soll sie durch die Elbe gewatet und so verschwunden sein.

7.

Schriftlich von Herrn Assessor Ernst.


Auf den Camernschen und Stöllenschen Bergen wohnte Frau Harke oder Frau Harfe, eine gewaltige Riesin. Es war ihr nur ein Schritt von diesen zu jenen Bergen; dort hat sie auch eine Höhle gehabt, die ist jetzt verschüttet. In dieser Höhle hat sie wilde Schweine, Hirsche, Rehe, Hasen und andere Thiere gehabt, die hat sie des Nachts hinein und Morgens hinaus auf die Weide getrieben und dann hat sie sich große Bäume aus der Erde gerissen und sich damit gegen die Schürze geschlagen, um sie zusammenzuhalten. Man hat oft gehört, wie sie gelockt hat: »Pickel, Pickel!« und wenn Jäger gekommen sind, ist sie mit den sThieren bei ihnen vorbeigehuscht wie eine wilde Jagd. Niemand konnte Nachts Wild schießen, weil sie es immer in ihrer Höhle hatte, und nur bei Tage konnten somit die Jäger auf die Jagd gehn.

[113] Einst hatte einer einen Hasen mit einem Klumpfuß geschoßen, da hat man gehört, wie sie am Abend beim Eintreiben ihres Wildes rief: »Se sind nich all, se sind nich all, klûtfôt fehlt noch.«

Einmal stand Frau Harfe mit einem Bein auf den Camernschen, mit dem andern auf den Rhinowschen Bergen und wollte mit einem gewaltigen Stein nach dem Havelberger Dom werfen, er entglitt aber ihren Händen und fiel vor ihr auf die Erde, doch blieben die Spuren der fünf Finger deutlich darauf zu sehen. Vor Wuth pißte sie auf den Stein und ihr Waßer ließ lange Streifen auf demselben zurück; der Stein hat noch lange dagelegen, jetzt aber ist er verschwunden. Andre sagen, sie habe nach dem Dom zu Stendal werfen wollen, der Stein sei aber auf dem Arneburger Galgenberge niedergefallen und habe noch lange dort gelegen. Wieder andre sagen, der Stein sei ihr seitwärts nach den Stöllenschen Bergen hin entglitten, wo er noch liege und auch Friedrich dem Großen gezeigt worden sei. Wo der Stein ursprünglich gelegen hat, da ist der Frau Harfengrund, dabei der Frau Harfenberg und die Frau Harfengrube, ein sehr tiefer langer Abgrund. Auch wächst dort der Frau Harfenbart, auch Flunkerbart oder Straußgras genannt.


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TextGrid Repository (2012). Kuhn, Adalbert. 126. Frau Harke. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-CAE4-6