Liebeslied

Dem Fremden gilt dein Evoe,
Du möchtest ihn tausendmal segnen.
Deine Augen sind ein gefrorner See,
Wenn sie den meinen begegnen.
Der fremde Mann ist kein Don Juan.
Er liebt dich zu sentimentalisch,
Und weil er dich nicht heirathen kann,
So denkt er viel zu moralisch.
Mein schönes Kind, du thust mir leid,
Doch das soll anders werden.
Ich liebe dich, und es kommt eine Zeit,
Dann vergessen wir Himmel und Erden.
Glaubst du, daß ich wie ein junger Fant
Stumm will und kläglich verzichten?
Ich bin deiner Hoheit kein Trabant,
Mit nichten, Madonna, mit nichten.
Ob kühn, ob bedachtsam, ich weiß es noch nicht,
Wie den Angriff ich soll planen.
Doch ehe der Herbststurm die Zweige bricht,
Verneigen sich tief deine Fahnen.
[42]
Dann schwenk' ich die Mütze hoch um die Stirn,
Seh' ich den Rauch deines Herdes.
Du horchst, dir entfallen Nadel und Zwirn,
Hörst du den Huf meines Pferdes.
Und klappert vor deiner Thüre mein Gaul,
Du wartest schon an der Treppe.
In der Eile haben sich Faden und Knaul
Verwickelt in deine Schleppe.
Vor Wonne jauchzt deine junge Brust,
Vor Wonne dein Herz, das ich raubte.
Unsre Küsse geben süßere Lust
Als trauscheinlich erlaubte.
Du weiß nicht, Mädchen, was Leidenschaft ist,
Sie klingt nicht aus Engelchören.
Nicht allzulange laß ich dir Frist,
Du sollst, du wirst mich erhören.
Heut hat noch der Fremde dein Herz in Pacht,
Mich behandelst du recht eintönig.
Doch ehe die Sichel rauscht, nimm dich in Acht,
Bin ich dein Herr und König.

Glückes genug

Wenn sanft du mir im Arme schliefst,
Ich deinen Athem hören konnte,
Im Traum du meinen Namen riefst,
Um deinen Mund ein Lächeln sonnte –
Glückes genug.
[43]
Und wenn nach heißem, ernstem Tag
Du mir verscheuchtest schwere Sorgen,
Wenn ich an deinem Herzen lag,
Und nicht mehr dachte an ein Morgen –
Glückes genug.

Ich liebe dich

Vier adlige Rosse
Voran unserm Wagen.
Wir wohnen im Schlosse
In stolzem Behagen.
Die Frühlichterwellen,
Und nächtens der Blitz,
Was All' sie erhellen,
Ist unser Besitz.
Und irrst du verlassen,
Verbannt durch die Lande,
Mit dir durch die Gassen
In Armuth und Schande.
Es bluten die Hände,
Die Füße sind wund.
Vier trostlose Wände,
Es kennt uns kein Hund.
Steht silberbeschlagen
Dein Sarg am Altare,
Sie sollen mich tragen
Zu dir auf die Bahre.
Und fern auf der Heide,
Und stirbst du in Not,
Den Dolch aus der Scheide,
Dir nach in den Tod!

[44] Dorfkirche im Sommer

Schläfrig singt der Küster vor,
Schläfrig singt auch die Gemeinde,
Auf der Kanzel der Pastor
Betet still für seine Feinde.
Dann die Predigt, wunderbar,
Eine Predigt ohne Gleichen.
Die Baronin weint sogar
Im Gestühl, dem wappenreichen.
Amen, Segen, Thüren weit,
Orgelton und letzter Psalter.
Durch die Sommerherrlichkeit
Schwirren Schwalben, flattern Falter.

Tiefe Sehnsucht

Maienkätzchen, erster Gruß,
Ich breche euch und stecke euch
An meinen alten Hut.
Maienkätzchen, erster Gruß,
Einst brach ich euch und steckte euch
Der Liebsten an den Hut.

Vergänglichkeit

Ich stehe auf der einen,
Auf der andern Seite stehst du.
Das alte Heck liegt dazwischen,
Ein seliges Rendez-vous.
[45]
Viel Jahre sind vergangen,
Das Heck geht noch auf und zu.
Ich stehe auf der einen,
Auf der andern die alte Kuh.

License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Liliencron, Detlev von. Liebeslied. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-ED69-2