Die Fei

Mondnacht und Flut. Sie hangt am Kiel,
Umklammert mit den Armen ihn,
Sie treibt ein grausam lüstern Spiel,
Den Nachen in den Grund zu ziehn.
Der Ferge stöhnt: »In Seegesträuch
Reißt nieder uns der blanke Leib!
Rasch, Herr! Von Sünde reinigt Euch,
Begehrt Ihr heim zu Kind und Weib!«
Der Ritter hält den Schwertesgriff
Sich als das heil'ge Zeichen vor –
Aus dunkeln Haaren lauscht am Schiff
Ein schmerzlich bleiches Haupt empor.
»Herr Christ! ich beichte Rittertat,
Streit, Flammenschein und strömend Blut,
Doch nichts von Frevel und Verrat,
Denn Treu und Glauben hielt ich gut.«
Er küßt das Kreuz. Gell schreit die Fee!
Auflangen sieht er eine Hand
Am Steuer, blendend weiß wie Schnee,
Und starrt darauf, von Graun gebannt.
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»Herr Christ! Ich beichte Missetat!
Ich brach den Glauben und die Treu,
Ich übt an einem Lieb Verrat.
Es starb. Ich tue Leid und Reu!«
Sie löst die Arme. Sie versinkt.
Das Ruder schlägt. Der Nachen fliegt.
Vom Strand das Licht des Erkers winkt,
Wo Weib und Kind ihm schlummernd liegt.

Notizen
Entstanden wohl 1879, Erstdruck 1882.
Lizenz
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Meyer, Conrad Ferdinand. Die Fei. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3512-9