[253] Reime aus den Inseln des Archipelagus

(Zum Theil freie Bearbeitung neugriechischer Originale.)

Das Verhör

Thu' auf die Thür, du holde Maid, thu' auf und laß mich ein! –
Wer klopft, wer ruft in stiller Nacht? Ein Türke wird es sein. –
Es ist kein Türk', es ist ein Christ, es ist ein guter Christ,
Der deinen purpurrothen Mund viel tausendmal geküßt. –
Ich sehe dich im Dunkel nicht, so sag' ein Zeichen mir
Von Hof und Haus und Kämmerlein, damit ich traue dir. –
Im Hofe springt ein Silberquell, und wie der Wind auch weht,
Er springt nach deinem Fenster nur, wenn eines offen steht.
Am Hause rankt die Rebe sich hinauf von Stein zu Stein,
Bis mit den nassen Augen sie kann sehn zu dir hinein.
Du trocknest ihre Thränen ab, sie brechen auf zumal,
Und goldne Nektartrauben glühn in deiner Sterne Strahl.
In deiner Kammer an der Wand ist ein verhängter Schrein,
Es blickt kein Mond, es blinkt kein Stern, kein Lämpchen flimmt hinein:
Darinnen liegt die Lilie auf einem Rosenbeet –
Ich komme schon, ich öffne schon! Herein, wer draußen steht!

Verwünschung

Möge dessen böse Zunge stets mit Blasen sein geplagt,
Der dir, daß ich treulos wäre, selber treulos hat gesagt!
[254]
Ist's ein Stern, fall' er vom Himmel, ist's der Mond, er müss' erblinden,
Ist's ein heirathsfrohes Mädchen, müsse keinen Mann sie finden.

Wer hat's verrathen?

Als wir uns küßten, war es Nacht. Wer hat es denn gesehn?
Ein kleiner Stern hat uns belauscht, den sahen wir nicht stehn.
Der Stern stieg zu dem Meer herab und sagt' es diesem an,
Das Meer verriet dem Ruder es, das Ruder seinem Mann;
Und ach des schwätzigen Verraths! so ist es nun geschehn,
Daß jeder Schiffer singt von dem, was keiner hat gesehn.

An den Mond

Bleicher Mond, geh' nicht zu Bette, geh' für mich erst einen Gang,
Geh' zu meinem Ungetreuen, sag' ihm, daß ich todeskrank.
Gestern hat er mir geschworen, mein zu sein vor aller Welt,
Heute hat er mich verlassen, wie ein abgemähtes Feld,
Wie ein Kirchlein, das der Priester hat mit einem Bann belegt,
Wie ein Städtlein, das der Pascha hat mit Eisen ausgefegt.
Und so wünsch' ihm denn, dem Argen, wünsch' ihm Arges dies und das,
Daß er schmelze, gleich dem Wachse, daß er breche, wie ein Glas.
Durch der Türken Säbel soll er in der Franken Dolche gehn –
Fünf Chirurgen, ihn zu halten, ihn zu heilen, mehr als zehn!

Der kleine Schreiber

Kleiner Schreiber, kleiner Schreiber, hör' und laß dein Werfen sein!
Warfst mir heut' ein Stückchen Zucker in den Busen grad' hinein.
[255]
Wenn du wirst noch einmal werfen, zeig' ich es dem Bischof an,
Und er läßt das Haar dir scheeren, und er thut dich in den Bann.
»Kleines Mädchen, kleines Mädchen, hör' und laß dein Schießen sein!
Alle Pfeile deiner Augen treffen in mein Herz hinein.
Wenn du wirst noch einmal schießen, zeig' ich es dem Herrgott an,
Und er spricht: Das kleine Mädchen nehme sich den kleinen Mann.«

Venus am Himmel

Tritt an's Fenster, meine Liebe, sieh den hellen Himmel an,
Wie der Mond, der keusche Freier, mit der Venus scherzen kann,
Wie sie sich so nahe rücken, und die kleinen Sterne sehn
Lüstern nach dem schönen Paare und vergessen fort zu gehn.
Tritt an's Fenster, meine Liebe, neige nieder dich, mein Stern!
Venus herrscht am Himmel heute, und die Erde folgt ihm gern.

Frühlingsahnung

Die Schwalbe kömmt, die Schwalbe kömmt, sie kömmt vom weißen Meer,
Sie fliegt heran, sie sieht sich um, als ob's nicht sicher wär'.
O März, o März, mein schöner Freund, ich fühl's, du bist mir nah!
O Februar, o Februar, wie lange bleibst du da?
Magst regnen, reifen, schneien auch, ich spreche doch dir Hohn:
Du riechst in deinen Schauern mir nach meinem Frühling schon.

Der Rausch vor dem Trunke

O Wunderbecher ihrer rothen Lippen!
Gedenk' ich nur daran, aus dir zu nippen,
[256]
So ist es mir, als hätt' ich Wein getrunken
Und wär' berauscht auf Rosen hingesunken.

Die Schwalbe

Eine Schwalbe möcht' ich werden, fliegen grad' in deine Kammer,
Und auf deines Hauptes Kissen baun ein Nest für meinen Jammer.

Warnung

Weißt du wohl, daß schwarze Augen nicht bei Tage schlafen müssen?
Kommen sonst die Sonnenstrahlen, um sie wieder wach zu küssen.

Geduld der Liebe

Von dem harten Riff zerschlagen, kehrt die Welle dennoch wieder:
Schiltst du heut' mich weg vom Fenster, sing' ich morgen aus die Lieder.

Die Himmelfahrt

Dank deinem Kusse ganz allein, nun flieg' ich in den Himmel,
Und hasche mit den Engeln mich im seligen Gewimmel.
Sie jagen mich, sie greifen mich, sie wollen gern mich fangen,
Ich reiß' mich los und laufe heim, zu küssen deine Wangen.

Das zersprungene Herz

Wenn ich dein im Herzen denke, wie ein Glas zerspringt es mir,
Und wie Spreu aus einer Tenne fliegt es splitterweis zu dir.

[257] Das erste Liebeszeichen

Dein Herz von Eisen wird sich nicht, bis daß ich sterb', erweichen:
Dann nähe mir ein Todtenhemd als erstes Liebeszeichen.

Die Augen

Schwarze Augen, das Haus zu erhellen,
Blaue, an's offene Fenster zu stellen,
Graue bewachen das Pförtchen zu Nacht,
Braune betrügen die treueste Wacht.

Der Morgenstern

Wenn die Sonne sich verdunkelt, wiss', es ist von meinen Augen,
Deren Thränen ihre Strahlen mit dem Thau der Frühe saugen.
Aber du bist immer helle, gleich dem kalten Morgensterne,
Der sich in der Perlen Spiegel nur beguckt aus eitler Ferne.

Spielzeug der Liebe

Als ein stummes Kindlein ward meine Liebe jüngst geboren,
Schreien hat es bald gelernt und betäubt dir nun die Ohren.
O so stopf' ihm doch den Mund mit dem Zucker deiner Küsse,
Und zum Spielen gieb ihm hin deines Köpfchens harte Nüsse.

Wer kann die Liebe ausschreiben?

Wären Flüss' und Meere Tinte, wär' der Himmel mein Papier,
Wüchsen Federn wie die Ähren auf der weiten Erde mir,
Hülfen mir die Engel schreiben um die Wette Tag und Nacht,
Sag', wann wär' es ausgeschrieben, was die Lieb' in mir gedacht?

[258] Das Ruhekissen der Verlassenen

An des Meeres Klippenstrande such' ich nach dem harten Stein,
Den dein Fuß zuletzt betreten, als du stiegst in's Boot hinein.
Will ihn als ein Ruhekissen legen auf mein krankes Herz,
Daß kein weicher Traum der Liebe es betrüg' um seinen Schmerz.

Tagesanbruch

Um Luft zu schöpfen stand ich auf in schwarzer Mitternacht,
Da sah ich deine weiße Brust und dacht', der Tag erwacht.

Die Brust von Glas

Ich wollt' von Glas wär' meine Brust, daß du mein Herze sähest,
Wie das so trauerfarben ist, weil du es ganz verschmähest.

Der Goldschmied

Ein Goldschmied will ich werden, will goldne Ringe schmieden
Für deine schwarzen Augen, damit wir haben Frieden.

Schwarz in Weiß

Augen, Augen groß und schwarz lieb' ich gar zu sehr,
Schwimmen sie in weißer Milch, wie auf tiefem Meer.

Der Kuß

Wie der Pfeffer auf der Zunge, also brennt dein Kuß im Herzen,
Darum suchen in den Bergen kühle Quellen meine Schmerzen.

[259] Endlich!

Als du klein warst, liebt' ich dich,
Als du groß wardst, fopptest mich;
Sollst du jemals werden mein,
Wird es wohl als Witwe sein.

Nur noch Einen!

O daß deine Mutter brächte noch ein Kind zur Welt, wie dich,
Daß es doch noch Einen gäbe, welcher litte, so wie ich!

Hinüber!

O wenn das Meer von Glase wär', das uns hat trennen wollen!
Ein goldnes Ringlein möcht' ich dir so gern hinüber rollen.

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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Reime aus den Inseln des Archipelagus. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-584D-4