Lieder der Griechen

Die Griechen an die Freunde ihres Alterthums

Sie haben viel geschrieben, gesungen und gesagt,
Gepriesen und bewundert, beneidet und beklagt.
Die Namen unsrer Väter, sie sind von schönem Klang,
Sie passen allen Völkern in ihren Lobgesang;
Und wer erglühen wollte für Freiheit, Ehr' und Ruhm,
Der holte sich das Feuer aus unserm Alterthum,
Das Feuer, welches schlummernd in Aschenhaufen ruht,
Die einst getrunken haben hellenisch Heldenblut.
Was hat euch nun, ihr Völker, so scheu und bang' gemacht?
Der Geist, den ihr beschworen, er steigt aus tiefer Nacht
Empor in alter Größe, und beut euch seine Hand –
Erkennt ihr es nicht wieder, das freie Griechenland?
Die Funken in der Asche, in der ihr oft gewühlt,
Die Funken, deren Gluthen ihr oft in euch gefühlt,
Sie schlagen lustig lodernd zu hohen Flammen aus –
Kleinmüthige, ihr seht es – und euch erfaßt ein Graus!
O weh, so habt ihr, Freunde, mit Namen nur gespielt!
Habt in die leeren Lüfte mit stolzem Pfeil gezielt!
Die Zeit ist abgelaufen, es ist genug gesagt,
Gepriesen und bewundert, beneidet und beklagt.
Was schwärmt ihr in den Fernen der grauen Heldenzeit?
Kehrt heim, ihr Hochentzückten! – der Weg ist gar zu weit.
Das Alt' ist neu geworden, die Fern' ist euch so nah,
Was ihr erträumt so lange, leibhaftig steht es da,
Es klopft an eure Pforte – ihr schließt ihm euer Haus –
Sieht es denn gar so anders, als ihr es träumtet, aus?

[183] Der Phanariot

Meinen Vater, meine Mutter haben sie in's Meer ersäuft,
Haben ihre heil'gen Leichen durch die Straßen hingeschleift;
Meine schöne Schwester haben aus der Kammer sie gejagt,
Haben auf dem freien Markte sie verkauft als eine Magd.
Hör' ich eine Woge rauschen, ist es mir, als ob's mich ruft,
Ja, mich rufen meine Eltern aus der tiefen, weiten Gruft,
Rufen Rache – und ich schleudre Türkenköpfe in die Fluth,
Bis gesättigt ist die Rache, bis die wilde Woge ruht.
Aber wenn die Abendlüfte kühl um meine Schläfe wehn,
Ach, sie seufzen in die Ohren mir wie leises, banges Flehn.
Ach, es sind der Schwester Seufzer in der Schmach der Sklaverei:
Bruder, mache deine Schwester aus den schnöden Banden frei!
Ach, daß ich ein Adler wäre, könnte schweben in den Höhn,
Und mit schnellen, scharfen Blicken durch die Städt' und Lande spähn,
Bis ich meine Schwester fände, und sie aus der Feinde Hand
Frei in meinem Schnabel trüge nach dem freien Griechenland!

Die Jungfrau von Athen

Rosensträuche thät ich pflanzen unter meinem Fensterlein,
Und sie blühen und sie duften in die Kammer mir herein;
Und die Nachtigallen singen in den Zweigen Lieb' und Lust –
Schweigt, ihr Vöglein, noch ein Weilchen! – Ist es euch denn nicht bewußt,
Daß mein Liebster ist gezogen in das Feld mit Lanz' und Schwert,
Für das heil'ge Kreuz zu kämpfen und für einen freien Herd?
Saht ihr nicht, wie ich vom Halse meine Perlenschnüre band,
Und sie gab dem heil'gen Priester für das liebe Vaterland?
Saht ihr nicht, daß meine Haare ich seit Monden nicht geschmückt?
Saht ihr wohl, daß eine Rose ich so lange hier gepflückt?
Schweigt, ihr Vöglein, noch ein Weilchen, bis der Liebste wiederkehrt,
Und uns neue, schöne Weisen zu der Freiheit Preise lehrt.
[184]
Blüht, ihr Rosen, noch ein Weilchen, und ich bind' euch mir zum Kranz,
Wann den Siegern wir entgegen ziehn mit Sang und Spiel und Tanz!
Ach, und kehrtest du, mein Liebster, mit den Andern nicht zurück,
Ach, wo sollt' ich mich verbergen vor der Freude, vor dem Glück?
Bei den Rosensträuchen säß' ich, bände Dornenkränze hier,
Und ein Vöglein aus dem Schwarme blieb' und klagte wohl mit mir.

Die Mainottin

Ich habe sieben Söhne aus meiner Brust gesäugt,
Ich habe sieben Söhnen das heil'ge Schwert gereicht,
Das Schwert für unsern Glauben, für Freiheit, Ehr' und Recht –
Heil mir, von meinen Söhnen ist Keiner mehr ein Knecht!
Sie sind zur Schlacht gezogen mit freudig wildem Muth –
Heil mir, in ihren Adern fließt noch spartanisch Blut!
Und als sie von mir schieden, das Herz ward mir nicht schwer,
Ich sprach: Frei kehrt ihr wieder, frei oder nimmermehr!
Ihr Mütter der Mainotten, kommt, laßt uns suchen gehn,
Ob nicht von Sparta's Trümmern wir eine Spur erspähn;
Da woll'n wir Steine sammeln, für unsre Hand gerecht,
Mit hartem Gruß zu grüßen den ersten feigen Knecht,
Der ohne Blut und Wunde besiegt nach Hause kehrt,
Und keinen Kranz gewonnen für seiner Mutter Herd!

Der Greis auf Hydra

Ich stand auf hohem Felsen, tief unter mir die Fluth:
Da schwang sich meine Seele empor in freiem Muth.
Ich ließ die Blicke schweifen weit über Land und Meer:
So weit, so weit sie reichen, klirrt keine Kette mehr.
So weit, so weit sie reichen, kein halber Mond zu sehn,
Auf Bergen, Thürmen, Masten, die heil'gen Kreuze wehn.
[185]
So weit, so weit sie reichen, es hebt sich jede Brust
In eines Glaubens Flamme, in einer Lieb' und Lust;
Und Alles was uns fesselt, und Alles was uns drückt,
Was Einen nur bekümmert, was Einen nur entzückt,
Wir werfen's in das Feuer, wir senken's in die Fluth,
Die wogt durch alle Herzen in einer heil'gen Gluth.
Ich sehe Schiffe fahren – die stolze Woge braust –
Ist es der Sturm der Freiheit, der in die Segel saust?
Heil euch und eurer Reise! Heil eurer schönen Last!
Heil eurem ganzen Baue vom Kiele bis zum Mast!
Ihr steuert durch die Fluthen nach einem edlen Gut,
Ihr holt des Sieges Blume, die wächst in Heldenblut.
Es donnert aus der Ferne – ist es der Gruß der Schlacht?
Ist es der Wogen Brandung, die an die Felsen kracht?
Das Herz will mir zerspringen bei dieses Donners Ton –
Ich bin zu alt zum Kampfe und habe keinen Sohn.

Die heilige Schaar

Eine Geisterstimme


Freundes Herz an Freundes Herzen, Freundes Hand in Freundes Hand,
Unverrückt in Glied und Reihe, hielten wir dem Tode Stand,
Liegen alle auf dem Rücken, himmelwärts den Blick gekehrt,
In der Brust die Todeswunden, in der Faust das rothe Schwert.
Nennt uns nicht die letzten Griechen – Sollen wir die letzten sein?
Die dem Vaterlande freudig Blut und Leib und Leben weihn?
Nennt uns nicht die letzten Griechen – Reißender als Stahl und Erz
Dringt der schnöde Ehrentitel ein in unser wundes Herz.
Nennt uns nicht die letzten Griechen – Weh euch, macht ihr uns dazu!
Nimmer fänden unsre Leiber unter Sklavenerde Ruh'.
Brüder, wollt ihr uns im Grabe ehren, wie es uns gefällt?
Keine Lobschrift ausgesonnen! Keine Säulen aufgestellt!
Fechtet, so wie wir gefochten, grüßt mit festem Blick den Tod –
Und es färbt mit unserm Blute sich der Freiheit Morgenroth!

[186] Die Griechen an den Österreichischen Beobachter

Du nanntest uns Empörer – So nenn' uns immerfort!
Empor! Empor! so heißt es, der Griechen Losungswort.
Empor zu deinem Gotte, empor zu deinem Recht,
Empor zu deinen Vätern, entwürdigtes Geschlecht!
Empor aus Sklavenketten, aus dumpfem Kerkerduft,
Empor mit vollen Schwingen in freie Lebensluft!
Empor, empor, ihr Schläfer, aus tiefer Todesnacht!
Der Auferstehungsmorgen ist rosenroth erwacht.
Du nanntest uns Empörer – So nenn' uns immerfort!
Empor, so heiß' es ewig, der Griechen Losungswort!
Dir aber töne nimmer in's Herz der hohe Klang:
Beobacht' aus dem Staube die Welt dein Lebelang!

Die Geister der alten Helden am Tage der Auferstehung

Wir haben tief geschlafen, wir haben schwer geträumt –
O Tag der Auferstehung, wie lang' du hast gesäumt!
Wir haben schwer geträumet von Joch und Kett' und Band;
Da haben unsre Wunden uns bis in's Herz gebrannt.
Wir sahn die Burgen fallen, die Tempel untergehn,
Wir sahen fremde Fahnen auf ihren Trümmern wehn;
Barbarentritt zerstampfte den Rasen unsrer Gruft,
Die Klänge unsrer Sprache verhallten in die Luft;
Und was auf unsren Hügeln beschwur des Jünglings Herz,
Was uns die Jungfrau klagte von ihrem heißen Schmerz,
Wir konnten's nicht verstehen – doch zu vernehmlich drang
Durch unsre Erdendecke der Sklavenketten Klang.
Heil uns! Es ist vorüber. Heil uns! Wir träumten nur:
Der Freiheit Lieder schallen hell über Berg und Flur;
Bekränzt sind unsre Hügel, die Erd' ist federleicht,
Des Schlafes wirrer Nebel vor unsren Blicken weicht;
Die Wunden sind geheilet, die Glieder sind beschwingt –
Auf, Brüder, auf zum Kampfe! Die Schlachttrompete klingt.

Die Ruinen von Athen an England

Laß dir unsern Dank gefallen, Hort der Freiheit, Engeland!
Hast zum Herrn der hohen Pforte einen edlen Lord gesandt,
Daß er sich für uns verwende; und er that es ritterlich –
Griechen, hört, was er errungen hat mit scharfem Federstrich!
[187]
Wenn der jungen Freiheit Blume wird getreten in den Staub,
Wenn die heil'ge Stadt Athene's wird des rohen Heiden Raub,
Dann, auch dann, – begreift es, Griechen, – sollen wir doch unversehrt
Stehn, beschirmt im Sturm der Waffen durch des wilden Feindes Schwert.
Laß dir unsern Dank gefallen, Hort der Freiheit, Engeland!
Schade, schade, hast vergebens deinen edlen Lord gesandt.
Keine Bittschrift kann uns retten – die Ruinen von Athen
Werden mit den freien Griechen wanken, stürzen, untergehn.
Lange haben wir gestanden unter Schmach und Schimpf und Leid,
Mochten kaum uns aufrecht halten in der jammervollen Zeit.
Fremde kamen hergewandert, staunten uns verwundert an,
Und wir ließen es geschehen, aber's lag uns wenig dran;
Ließen messen sie und malen – Keiner malt und mißt den Geist –
Und sie geben sich zufrieden, wissen sie, wie Jedes heißt.
Auch ein großer Lord ist kommen, hat von unserm morschen Haupt
Im Entzücken der Bewunderung uns der Bilder Schmuck geraubt.
Mag er ziehen mit der Beute! – Heil uns, daß wir fest noch stehn,
Um der Freiheit Morgenröthe nach so langer Nacht zu sehn!
Statt der Götterbilder tragen wir das Banner in die Luft,
Das zum Kampf mit den Barbaren Hellas tapfre Söhne ruft.
Ach, wenn diese unterliegen, wozu sollen wir denn stehn?
Habt sie ja in euren Büchern, die Ruinen von Athen.
Mit der Freiheit letztem Schlage stürzen unsre Mauern ein,
Und auf jedes Helden Hügel werfen wir noch einen Stein.

Griechenlands Hoffnung

Brüder, schaut nicht in die Ferne nach der Fremden Schutz hinaus,
Schaut, wenn ihr wollt sicher schauen, nur in euer Herz und Haus.
Findet ihr für eure Freiheit da nicht heilige Gewähr,
[188]
Nun und nimmer, Brüder, nimmer kömmt sie euch von außen her.
Selber hast du aufgeladen dir der Knechtschaft schweres Joch,
Selber hast du es getragen, und du trügst es heute noch,
Hättest du darauf gewartet, hochgelobtes Griechenland,
Daß es dir vom Nacken sollte heben eine fremde Hand.
Selber mußt du für dich kämpfen, wie du selber dich befreit,
Dein die Schuld und dein die Buße, dein die Palme nach dem Streit.
Viele werden dich beklagen, Viele dir Gebete weihn,
Viele sich für dich verwenden, Viele deine Rather sein –
Hoffst du mehr? Bau' aus die Hoffnung deiner Freiheit Veste nicht,
Daß der Grund, auf dem sie ruhet, nicht den Bau zu Trümmern bricht.
Deiner alten Freiheit Ehre ist der neuen Welt gerecht,
Denn der Freie schläft im Grabe so geduldig, wie der Knecht.
Lege reuig deine Waffen nieder vor des Türken Thron,
Beuge friedlich deinen Nacken zu dem alten Sklavenfrohn:
Dann, dann magst du sicher bauen auf die Macht der Christenheit,
Dann, dann magst du sicher hoffen, daß der Türke dir verzeiht.
Ruh' und Friede will Europa – Warum hast du sie gestört?
Warum mit dem Wahn der Freiheit eigenmächtig dich bethört?
Hoff' auf keines Herren Hülfe gegen eines Herren Frohn,
Auch des Türkenkaisers Polster nennt Europa einen Thron.
Hellas, wohin schaut dein Auge? – Sohn, ich schau' empor zu Gott –
Gott, mein Trost in Schuld und Buße, Gott, mein Hort in Kampf und Tod!

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TextGrid Repository (2012). Müller, Wilhelm. Lieder der Griechen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-59D8-4