Erstes Buch

An Zoe

Auf ihren Geburtstag.


Noch flimmerte mit blassem Schein
Der Morgenstern. Ich floh die Bahre
Des Schlafs: im festlichen Talare
Eilt ich in unsern Lorbeerhayn,
Um deinem Bild, auf dem Altare
Der Freundschaft, einen Kranz zu weihn.
Itzt trat ich auf die heilge Stätte
Und fand das Bild mit einer Kette
Von Himmelsrosen ausgeschmückt,
Die dir des Engels Hand gepflückt,
Der dich, o Freundin, von den Zinnen
Der Sonnenwelt herabgebracht,
Um in der schönsten Winternacht
Den Traum des Daseyns zu beginnen.
Doch, Zoe, nein, es ist kein Traum,
Das Leben im Erziehungshause
Diesseits des Monds. Kurz ist der Raum
[3]
Der Laufbahn oft und eng die Klause
Des Schülers. Doch kurz oder lang,
Ist es kein Traum. Die Saifenblase,
Womit so mancher Bardensang
Es schon verglich, der Silberklang
Der Flöte, der vom bunten Glase
Erzeugte Schatten an der Wand,
So schnell sie auch vorüberfliehen,
Sind keine leere Phantasieen,
Kein Fieberwahn, kein Sinnentand.
Die Rosen, die von deiner Hand
Gepflegt, wie deine Wangen glühen,
Sind, wenn sie gleich noch heut verblühen,
Doch Rosen: oder ist ihr Duft,
Der, wie des Engels Hauch, die Luft
Durchwürzt, ein Unding, eine Grille?
Nein, meine Freundin, zwar wir sehn
Die Dinge, welche vor uns stehn,
Oft mit den Farben unsrer Brille;
Allein auch dieses Phänomen
Ist Wahrheit, nur die fremde Hülle
Ist bald zu häßlich, bald zu schön.
Wohl dem, der keine Brille brauchet
Zu seinem und der Welt Genuß,
Und wenn er eine haben muß,
[4]
Sie stets in helle Farben tauchet!
Sieht jemand auf dem Pilgerzug
Durchs krumme Thal nichts als Chimären
Und dünkt dabey sich groß und klug;
Nun wohl, ich will ihn nicht bekehren,
Allein auch mich bekehrt er nicht.
Mir wars kein eitles Traumgesicht,
Als Doris mir mit heitern Mienen
Vor andern ihre Rechte gab,
Um auf dem dunkeln Pfad ans Grab
Mir zur Begleiterin zu dienen,
Die sie mir itzt noch täglich wird.
Mir ists kein Traum, wenn, gleich den Bienen,
Ein Schwarm von Knaben mich umschwirrt,
Wenn sie an meine Brust sich drängen,
Und ihre Seelen, frey und froh,
Mit meiner Seele sich vermengen.
Ach, meine Zoe, träumt man so,
Wohlan, so möcht ich ewig träumen!
Und als an unsers Damons Hand
Du unter den Cypressenbäumen
Mich fandst; als mich dein Arm umwand,
Um jenen Schmerz mit mir zu tragen,
Der an Elisens Gruft mich band;
War das ein Traum? Ich würde sagen,
[5]
Es war ein himmlisches Gesicht,
Wenn dich, wie Vater Haller spricht,
Nicht allzusehr die Menschheit zierte.
Und als auf jener fremden Flur,
Wo Gottes Heil uns wiederfuhr,
Die Freundschaft uns zusammenführte;
Als ich in ihrem Heiligthum
Mich deines neuen Lebens freute,
Und dort an deines Gatten Seite
Dein Mund mich, der ich wonnestumm
Die Hand dir hielt, zum Bruder weihte:
O Zoe, meine Schwester, wie?
War diese feyerliche Scene,
Die noch mir eine süße Thräne
Entlockt, ein Spiel der Phantasie?
Nein, meine Zoe, nein! so müßten
Die hohen Ahnungen des Christen
Auch Träume seyn. O laß uns nie
Des Lebens goldnen Werth verkennen,
Ihn nie von seiner Kürze trennen,
Und unsere Philosophie
In stillen Wucher mit den Schätzen
Der Weisheit und der Tugend setzen!
Dann wird der Augenblick zum Jahr;
Dann wird ein jeder unsrer Tage,
[6]
Der unsrer Pflicht geweihet war,
Zur Ewigkeit in Gottes Waage;
Und winket uns des Todes Hand,
So stürzen wir die leere Schale
Und eilen satt vom langen Mahle
In unser neues Vaterland.
Der Emir Harum gieng am Strand
Des rothen Meers. Er sah die Wellen
Mit Brausen von der Felsenwand,
In weissem Schaum hinunterprellen,
Und wie der Schaum bey jedem Stoß
Schnell in den Ocean zerfloß.
So, sprach er, schwindet unser Leben!
Er seufzt und ein geheimes Beben
Treibt ihn zurück nach seinem Schloß,
Er tritt ermüdet in die Grotte
Des Dattelhayns. Die Sonne sank.
Hier saß auf einer Rasenbank
Ein hoher Mann, gleich einem Gotte,
In dünnes Abendroth gehüllt:
Bereite dich, nach dreyen Tagen
Wird dich dein Sohn zu Grabe tragen,
Sprach er, und itzt verschwand das Bild.
Der Emir gieng voll stiller Sorgen
Auf sein Gemach. Am ersten Morgen
[7]
Ruft er die Pächter seines Guts
Mit ihren Weibern auf den Söller;
Er speist mit ihnen frohen Muths
Und legt auf eines jeden Teller
Die Quittung für die letzte Pacht.
Den zweyten Tag blieb er verschlossen:
Er schrieb bis in die späte Nacht
An seinen Sohn. Die Thränen flossen
Oft auf das Blatt, indem er ihn
Beschwor, den Müßiggang zu fliehn,
Ihn zur Barmherzigkeit ermahnte,
Und ihm durch seinen letzten Rath
Den sichern Weg zur Tugend bahnte.
Am ganzen dritten Tage that
Der Greis nichts als mit vollen Händen
Von seinem schattichten Altan
Sein Gold den Armen auszuspenden:
Und wirklich brach der Abend an,
Als er in seine Halle kehrte.
Hier stand ein grauer Muselmann
Mit alten Lumpen angethan,
Der auch noch Trost von ihm begehrte.
Sein Geld war alle. Harum zieht
Den Kaftan aus und wirft dem Alten
Ihn um die Lenden. Plötzlich sieht
[8]
Er ihn zum Geist sich umgestalten,
Der vor drey Tagen ihm erschien.
Er staunt. Der Seraph küsset ihn,
Und hob im Küssen seine Seele,
Die er mit Lächeln Schwester hieß,
Aus ihrer eingesunknen Höle
Und flog mit ihr ins Paradies.

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TextGrid Repository (2012). Pfeffel, Gottlieb Konrad. Gedichte. Fabeln und Erzählungen. Dritter Theil. Erstes Buch. An Zoe. An Zoe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-73EE-4