Nr. 190. Die Kuhkolksklippe und Frau Holle. (I-IV.)

I.

Frau Holle hat auf der Kuhkolksklippe zwischen Klausthal und Lerbach ein Bett stehen. Unweit derselben kömmt sie um zehn Uhr abends aus dem Buchenholze, schauet in das Fenster, wo sie noch Licht siehet, und thut übel. Sie hat glühe Augen und einen roten, ganz feurigen Mund; ihr weißes Gewand schläget sie (wenn es schneiet) weit auseinander. Von zehn bis elf Uhr nachts sitzet sie nun so da und thut übel, von elf bis zwölf Uhr aber träget sie Wasser in zwei hellen Eimern aus dem Bache herauf. Denn sie hat auf der Kuhkolksklippe auch ein Faß ohne Boden stehen; wenn dieses voll ist, wird sie erlöset, darum träget sie das Wasser den steilen Berg hinan. Ein Waldarbeiter ging eines abends spät nach Lerbach heim, da hörete er am Wege etwas winseln. Er glaubet, es heule eine alte Frau dort an der Straße, und fraget, ob sie nicht mit ihm gehen wolle. Er bekömmt keine Antwort, aber es beginnt hinter ihm herzugehen und kömmt richtig in seine Stube. Nun fragt er die Alte, ob sie nicht einen Schnaps mit ihm trinken wolle: denn der Oberharzer liebt den Schnaps gar sehr. Da macht sie sich so groß bis an die Decke und beuget sich so über ihn. Nun will er zu seiner Frau auf die [186] Kammer entfliehen, da fasset sie ihn, und davon hat er lange ein schwarzes Bein gehabt. Es ist aber dies die Frau Holle gewesen und sie sagte ihm: es solle ihm das zur Warnung dienen, daß er sie gehen lasse, wenn er wieder vorbei käme am Frau-Hollen-Abend, wo sie Recht hätte dort im weißen Gewande zu sitzen, und wo sie heulen müßte. Einer Witwe mit vier Kindern, welche noch in der Mitternachtsstunde saß und spann, warf die Frau Holle in dieser Zeit sieben vollgesponnene Rollen in das Fenster.

II.

Am Osterheiligabend fährt die Frau Holle mit dem Teufel in einer Kutsche den Langenberg hinab, wie die alte steile Heerstraße heißet, die früher, hart an der Kuhkolksklippe vorbei, eine Strecke weit von Klausthal nach Osterode benutzt wurde. Auch in Lerbach fuhr Frau Holle oft in der Kutsche heraus. Gingen dann in der Nacht Leute nach Hause, so hielt sie an und erkundigte sich nach dem Wege. Zuletzt reichte sie die Hand aus dem Wagen, und wenn man ihr dann die Hand gab, so wurde sie schwarz gebrannt wie im Feuer: man mußte ihr statt der Hand den Stock hinreichen. Es sind aber in Lerbach damals viele auf diese Art um ihre Hand gekommen.

III.

Am Frau-Hollen-Abend kömmt in Lerbach jemand verkleidet als Frau Holle in einem kreideweißen Laken herein. Der eine Zipfel hänget ihr bis an die Nase, zwei andere Zipfel hat sie um sich herumgeschlagen, der vierte hänget auf den Hacken. Sie sagt dann ihren Spruch, der also lautet:


So manches Haar in der Wocken, So manches Unglück in der Wochen; So manches Haar, So manches böse Jahr.

IV.

Frau Holle kam in Lerbach auch immer in ein Haus und wärmete sich. Einstmals war in dem Hause ein Mann unpäßlich, darum war sehr stark eingeheizet. Da stellete sie sich doch an den Ofen, jener Mann aber drängte die Frau Holle ganz dicht an die glühende Ofenplatte. Da nahm sie den Ofen und ging damit ab, die Leute aber haben ihren Ofen niemals wiedergesehen.

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TextGrid Repository (2012). Pröhle, Heinrich. 190. Die Kuhkolksklippe und Frau Holle. (I-IV.). TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7D75-B