Nr. 165. Der wilde Jäger in der Gegend des Bruchberges. (I-IV.)

I.

Des wilden Jägers Jagdzug wird auf dem Oberharze zumeist in der Gegend der Altenau und des Bruchberges, an den Vorbergen des Brockens erblicket und es scheinet, daß man ihn meist vom Brocken herkommend denket, wo er einen Ausjageplatz hat und sich dort auf dem alten Wetterberge mit Wind und Wetter zu schaffen macht. In Lerbach sagt man, daß der wilde Jäger während des Gewitters umhergehe und rufe: »Wer will Fleisch?« Dann darf ihm aber bei Leibe [162] niemand antworten. – Vor vielen Jahren sind einmal zwei Frauen, eine namens W.... und die andere namens L....., aus der Altenau ins Gras nach dem Ochsenberge, der wohl eine Stunde von der Altenau lieget, gegangen. Weil es nun sehr heiß gewesen ist, so haben sie alles, was sie angehabt haben, bis aufs Hemd und den Rock ausgezogen. Beide haben sich schon ihre Trachten geschnitten und sind eben am Zurechtmachen derselben, als sie auf einmal ein Sausen und Brausen und etwas wie Pferdegewieher in der Luft hören. Schnell laufen sie, Grastracht, Zeug und alles, was sie bei sich gehabt haben, im Stiche lassend, davon, nach Hause. Wie sie aber wohl meinen, daß der wilde Jäger, denn sie haben gedacht, daß derselbe es gewesen, durchgezogen sei, da gehen sie mit Zittern und Beben wieder hin an den Ochsenberg nach ihrer Grastracht, ziehen ihr Zeug geschwind an, hocken ihre Tracht auf und machen sich davon.

II.

Zimmerleute hauten einmal zur Winterszeit am Bruchberge Bauholz. Als sie da des abends in ihrer Köte um das Feuer herumlagen, ihr Abendbrot verzehren und eben den Braten vom Feuer nehmen wollten (es ist ein Hinterzimmer von einem Reh gewesen, das sie gehabt), da gings hinten im Walde: »Hoho! hoho!« und dazwischen klafften die Hunde. Den Zimmerleuten wurde angst und bange, einer aber war keck, fürchtete sich vor nichts und sprach: »Was gilts? Das ist der wilde Jäger! Den muß ich sehen.« Gleich darauf kam auch der wilde Jäger heran mit seiner ganzen Schar. Der kecke Zimmermann ging vor die Köte und als der Jagdzug vorüber war, schrie er spottweise: »Hoho! hoho! hoho!« Im Augenblicke kehrete die Schar wieder um, vor der Köte vorbei, und der Zimmermann bekam eine Ohrfeige, daß er wie tot niederfiel. Zur Thüre herein aber flog eine schwarze Masse und stürzte ins Feuer, daß den Zimmerleuten die Kohlen und die Asche um die Köpfe flogen. Als sie sich erholet hatten und Licht anzündeten, war der Rehbraten verschwunden und statt seiner lag eine Pferdelende auf dem Herde. Der Zimmermann aber, der die Ohrfeige bekam, hat seit der Zeit nie wieder den wilden Jäger nachgekabbelt.

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III.

Den wilden Jäger, so erzählte mir jemand, habe ich zweimal gesehen; das eine mal bewachte ich mit einem Kameraden im Herbste die Kartoffeln. Wir hatten ein Feuer angezündet; als ich das Jauzen wie von einem wilden Schweine oder von einem Eseltreiber: Hoi! hoi! vernahm, ging ich eine Strecke weit vom Feuer weg, um ihn zu erblicken. Doch sah ich ihn später deutlicher, als ich in einer Bucht (Köhlerhütte) war. Da zog er über die Bucht weg, kaum hundert Schritte entfernt. Er kam vom großen Breitenberge und zog in der Waldung durch nach dem Voshai. Tausend Stimmen hörte ich aus der Luft, sah aber nur den wilden Jäger. Er sah ungefähr aus wie ein Förster und hatte an sich viel grünes Kram. Ob er durch die Lüfte ging oder schritt, konnte ich nicht unterscheiden, es war fast als ob er flöge und als ob sich ein Fittig rege, doch kann es auch ein Mantel gewesen sein, den er auseinanderschlug. Sein Aufzug war zu vergleichen, wie wenn die Sonne schnell über einen Ort hinziehet. Deshalb konnte ich ihn auch diesmal noch nicht genau sehen, doch erkannte ich deutlich, daß es derselbe war, den ich, nur noch weniger deutlich, auf dem Felde gesehen hatte. Beide male verhielten wir uns ganz ruhig. Denn den Eseltrei bern, die am Brocken gelagert waren und das Hu! hu! und das Bellen der Hunde nachahmeten, als er vorüberjagete, warf er die Lende von einem toten Pferde zu und rief: weil sie ihm hätten geholfenjagen, sollten sie auch helfen knagen, die Pferdelende solle ihnen zur Weisheit dienen, daß sie ihn künftig nicht wieder nachmachten.

IV.

In Andreasberg erzählt man vom wilden Jäger: er hätte durch den Eber seinen Tod gefunden und sich dabei gewünschet, nicht zu verwesen und zu jagen bis an den jüngsten Tag. Darum verweset der wilde Jäger nicht und muß jagen bis an den jüngsten Tag. Viele haben das Hundebellen und den Jagdruf: Hoi! hoi! in der Luft gehöret. Einstmals hat ihm jemand am Breitenberge unter dem Brocken nachgejagt, d.h. er hat auch Hoi! hoi! gerufen, da hat der wilde Jäger auch gerufen:


Hast du geholfen jagen,

Sollst du auch helfen knagen,


[164] und hat ein totes Pferd heruntergeworfen. Da hat der aber verlangt, er solle ihm Kümmel und Salz dazu bringen, und das hat er nicht gekonnt. Da hat der brauchen das tote Pferde nicht zu essen.


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TextGrid Repository (2012). Pröhle, Heinrich. 165. Der wilde Jäger in der Gegend des Bruchberges. (I-IV.). TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-7E3C-9