[116] Die Primeln

So seh' ich auch euch jetzt,
Ihr sonnigen Blumenaugen des Lenzes,
In zierliche Töpfe verpflanzt
Und in japanischen Vasen;
Seh' euch mit leisem Schmerz
Kunstvoll zum Strauße gereiht,
Und als schimmernden Brust- und Lockenschmuck
Erhöhen buhlender Schönheit Reiz.
Mehr stets liebt' ich euch
Als die ersten Veilchen
Und die thaufrischen Hagerosen.
Denn jene, ob auch verborgen dem Aug',
Locken dringenden Duft's Pflücker heran –
Und diese, fesselnd mit scharfem Dorn,
Drängen berückend am Strauch sich entgegen.
Ihr aber,
Keusch und unentweiht,
Selig des eig'nen Lichts,
Blühtet
Und verblühtet ihr,
An der Erde heilige Mutterbrust
Dicht geschmiegt.
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Höchstens, daß fröhlich euch
Ein ländliches Kind dem braunen Haar gesellt,
Oder der sinnende Dichter
Andächtig euch losgelös't
Von der wurzelumhüllenden Scholle,
Damit ihr, im schlichten Glase getränkt,
Erhelltet seiner düsteren Stube Einsamkeit.
Und doch! Wo immer
Euer sanfter Glanz auch leuchtet –
Selbst in menschenvoller Gassen Kehricht noch:
Wehen um euch,
Unschuldvoll,
Die ersten,
Die reinsten Hauche der Schöpfung!

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TextGrid Repository (2012). Saar, Ferdinand von. Gedichte. Gedichte. Zweites Buch. Freie Rhythmen. Die Primeln. Die Primeln. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-AF23-C