141. Die Zwerge ziehen aus.

1.

Im Hommerich, einem bewaldeten Berge hinter Stadt-Oldendorf, auf dem die Homburg gestanden hat, haben früher Zwerge gewohnt. Diese sind aber schon vor längerer Zeit von da fortgezogen, weil sie sich, wie sie sagten, vor den Menschen nicht mehr halten konnten. Bei Holzminden ließen sie sich über die Weser fahren. Der Schiffer, welcher sie überschiffte, fuhr mehrere Male hinüber, ohne irgend etwas zu sehen; nur merkte er jedes Mal, daß das Schiff schwer beladen sei. Als er das letzte Mal hinüberfuhr, war der König der Zwerge mit im Schiffe. Dieser nahm seinen Hut ab, wodurch er sichtbar wurde, und setzte ihn dem Schiffer auf; zugleich sprach er zu ihm, er solle nun auch sehen, wen er übergefahren habe. Der Schiffer aber, der jetzt alles sehen konnte, sah das ganze Feld vor sich von dem Volke der Zwerge dicht bedeckt. Schließlich wurde er noch von dem Zwergkönige reich belohnt.

2.

Der Fischer in Beulshausen bei Greene, der die Fischerei in der Leine gepachtet hatte und zu dem Ende auch ein Schiff hielt, ward spät am Abend von einem kleinen Männchen aufgefordert mit ihm zu gehen und über die Leine überzuschiffen. Der Mann folgte der Aufforderung und fuhr die ganze Nacht hindurch über die Leine hinüber, ohne zu sehen, was er überschiffte. Als es nun heller Morgen wurde und er mit dem Ueberfahren fertig war, fragte ihn dasselbe Männchen, ob er nun auch einmal sehen wolle, was er übergeschifft habe, und rief dann, als dieser Ja gesagt hatte, mit lauter Stimme: »nehmt die Hüte ab!« Da erblickte der Fischer die Wiese nach Erzhausen hin ganz mit Zwergen bedeckt. Das Ueberschiffen wurde ihm von dem Zwerge sehr gut bezahlt.

3.

Die Hollemännchen konnten sich vor den Menschen nicht mehr retten und bergen und beschlossen deshalb aus der Gegend ganz fortzuziehen. Da kam eines Tages ein Hollemännchen zu dem Schiffer in Spiekershausen und versprach ihm eine gute Belohnung, wenn er ihn mit den Seinigen über die Fulda fahren wolle. Der Schiffer war dazu bereit und fuhr sie am Enkeberge (?) bei Spiekershausen über die Fulda. Sehr viele stiegen in das Schiff; aber nur der eine, welcher zu dem Schiffer gekommen [117] war, war sichtbar. Das Schiff war so schwer beladen, daß es gar nicht hinüber kommen konnte, und viele feine Stimmen schrieen darin vor Angst, weil es immer zu sinken drohte, doch kam es endlich glücklich hinüber. Als sie drüben waren, fragte das sichtbare Hollemännchen den Schiffer, ob er nun auch einmal sehen wolle, was er übergefahren habe. Der Schiffer sagte Ja, und nun hieß ihn das Hollemännchen über seine linke Schulter schauen: da sah er denn eine große Menge von Hollemännchen vor sich. Dann schenkte ihm das Hollemännchen einen Knäuel Garn und sagte, davon möge er nur immerfort haspeln, es werde niemals zu Ende gehn; nur dürfe er dabei nicht fluchen, sonst sei es mit dem Garne vorbei. Schon hatte der Schiffer lange Zeit von dem Knäuel gehaspelt, ohne daß des Garnes jemals weniger wurde; einst aber haspelte seine Frau und wurde dabei ungeduldig, so daß sie die Worte ausstieß: »der Teufel hin, das bricht auch immer durch«! Sogleich war der Knäuel fort.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 141. Die Zwerge ziehen aus. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BC04-F