225. Die gespenstische Leuchte.

1.

Ein Kärrner hatte das Unglück in dunkeler Nacht etwas an seinem Wagen zu zerbrechen. Er war nicht im Stande mit Hülfe seines Knechtes, der ihn begleitete, den Schaden zu bessern, namentlich das zerbrochene Rad wieder herzustellen, um so weniger, da seine Laterne ebenfalls verloren gegangen war. Zufällig befand er sich gerade an einem Orte, an welchem, wie er wuste, eine gespenstische Leuchte umgehn sollte. Da sprach er denn in seiner Verzweiflung: »ach, ich wollte, daß die Leuchte, die hier umgeht, käme und mir leuchtete!« Kaum hatte er das Wort gesprochen, so war auch schon die Leuchte bei ihm. Nun brachte er mit Hülfe des Knechtes den zerbrochenen Wagen wieder in Ordnung, band das Rad so gut wie möglich zusammen und besserte alles, was sonst noch zu bessern war, wobei ihm die Leuchte getreulich Licht gab. Dann begleitete sie ihn noch über die schwierigsten Stellen des Weges. Als er sie nicht mehr nöthig hatte, sprach er zu ihr: »ich habe gefleht, daß du kommen und mir leuchten möchtest, und du hast meinen Wunsch erhört; nun gehe auch du durch Gottes Gnade zu dem Orte der Ruhe, wohin du gehörst!« Alsbald hörte er eine Stimme, die jubelte vor Freude, dankte ihm herzlich und sprach, er habe sie mit diesem Worte erlöst, worauf sie schon seit zweitausend Jahren immer vergebens gewartet habe; so oft sie sich auch den Menschen zutraulich genähert habe, so wären diese doch immer scheu vor ihr geflohen, und keiner habe je das Wort gesprochen, wodurch sie hätte erlöst werden können, bis er es endlich ausgesprochen habe.

2.

Ein Bäcker in Gelliehausen hatte in Benniehausen gemahlen. Als er Abends spät zurückkehrte, sah er eine Leuchte vor [213] sich auf dem Wege. Er wollte gern mit derselben gehn, rief also, sie möchte warten und ging zugleich rascher, konnte sie aber doch nicht einholen. Indem er ihr so immer folgte, wurde er zuletzt so matt, daß er sich vor Erschöpfung an einen Rauhzeughaufen legte und da bis zum Morgen liegen blieb, wo er sich dann dicht vor Gelliehausen befand.

3.

Ein Mann aus Sebexen war nach einem benachbarten Dorfe gegangen und kehrte in der Dunkelheit nach Hause zurück. Als er in den sogen. Küler (ein zu Sebexen gehöriges Holz) kam, sah er im Gebüsch eine Leuchte gehn. Er dachte, seine Frau wäre ihm mit der Leuchte entgegen gegangen, und rief: »komm und leuchte mir hier!« Da sprang ihm mit einem Male das Ding auf den Rücken, und lenkte ihn mit Gewalt vom rechten Wege ab in die Helgenholtgrund. Als er endlich ganz in der Nähe des Dorfes in den sog.Krüzhôligen weg (ein Hohlweg, worin sich zwei Wege kreuzen) gekommen war, da verließ es ihn. Jetzt faßte er darnach, griff aber nur Moos, welches er noch lange aufbewahrte.

4.

Ein Fischer aus Wulften hatte bei seinen Lebzeiten häufig auf dem Lindauer und Hattorfer Gebiete gefischt. Dafür muß er nach seinem Tode umgehn. Er kommt an der Rothenberger Waldecke zum Vorschein, geht dann auf dem Anger hin und an der Oder hinauf über die Grenze. Er trägt eine Laterne in der Hand und einen rothen Rock, der nur einen Schooß hat, weil ihm der andere einst von dem Lindauer Fischer abgerissen wurde, als er auf dessen Gebiete fischte. Man nennt den Geist deshalb Einschooß; auch giebt man ihm wohl den Spottnamen Fränzchen.

Der Feldhüter aus Wulften sah einst, als er vor der Hausthür stand, den Geist in Gestalt eines Lichtes an der Oder herunter kommen. Um ihn zu necken, rief er: »Fränzchen!« Alsbald kam das Licht vor die Thür, worauf der Feldhüter sich schnell in die Stube flüchtete. Dahin konnte der Geist ihm nicht folgen, doch sah man ihn vor dem Fenster und bemerkte, wie sein Licht das ganze Zimmer erhellte. – Bald darauf begleitete der Feldhüter einen Reisenden nach Bilshausen und kehrte Nachts zwischen elf und zwölf Uhr nach Hause zurück. Da kam Einschooß plötzlich herbei und warf ihn, um sich zu rächen, in einen Sumpf, aus welchem er nur mit Mühe wieder herauskam.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schambach, Georg. 225. Die gespenstische Leuchte. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-BD63-B