[203] Auf Veranlaßung des Briefwechsels zwischen Goethe und Schiller

1. Der erste Eintritt

Viel kratzfüßelnde Bücklinge macht dem gewaltigen Goethe
Schiller; dem schwächlichen nickt Goethes olympisches Haupt.

2. Gegenseitige Bewirthung

Erst brachte seinem Schiller Goethe
Das derb materiell Concrete:
Das sollt' ihm stärken Leib und Seele;
Doch würgt' es hart ihn in der Kehle,
Was Niemand leichtlich wohl vermeidet,
Wenn er die Krebs' in Viertel schneidet.
Dann brachte Schiller das Abstracte,
Auch das Verzwickte, das Vertrakte.
Da schnitt nun Goethe viel Grimassen:
Doch wußt' er sich ein Herz zu faßen.
Konnt' es dem Gaumen nicht behagen,
Verdaut' er's doch mit tapferm Magen.
[204]
So lebten sie, in solchem Handel,
Friedlich beisammen ohne Wandel:
Nie sah man zu der Welt Gedeihen
Sich edle Geister so casteien.
Laß, Publicum, dich's nicht verdrießen!
Du mußt die Qual nun mitgenießen.

3. Der bleibende Gegensatz

Sie dachten die Naturen auszuwechseln,
Und wechselten nur fruchtlos manchen Brief.
Originales will der Eine künstlich drechseln;
Der Andre spinnewebt speculativ.
Kaum kennt man noch den Zauberer der Geister,
Wenn er bei'm Grübler dort in dumpfer Kammer haust.
Doch jeder bleibt er selbst: der Famulus, der Meister,
Der blaße Wagner und der kräft'ge Faust.

4. Schiller im Spiegel seiner Theorie

Weil kein frisches Gefühl dem vertrockneten Herzen entströmte,
Alles in Röhren gepumpt, nannt' er sich sentimental.
Weil er die Nacht in Toboso vergeblich gesucht die Prinzessin,
Auch Windmühlen bekämpft, nannt' er sich Idealist.

[205] 5. Uebermuth der Verbündeten

Vielfach strebte die Welt: euch schien's, ihr wäret allein da;
Euch hieß jeder so gern Pfuscher und Naturalist.
Eure Hexameter sind der natürlichste Naturalismus:
Nimmer begriff eu'r Ohr jenes hellenische Maß.
Was ihr Fremdes verdeutscht, Shakspeare, Euripides, Maro,
Voltaire oder Racine, Alles gepfuschertes Werk!

6. An Ludwig Tieck

Freund, sei stolz! Der Erhab'ne, der Genius spendet ein Lob dir!
Goethe bezeugt, du sei'st wirklich ein leidlicher Mensch.

7. An Schiller

Unwißend darfst du Friedrich Schlegel schelten?
Wie? meinst du selber für gelehrt zu gelten?
Du warst verblendet, daß es Gott erbarm'!
Der Bettler Irus schilt den Krösus arm.

[206] 8. Wichtige Belehrung für die Küchenpost

Ja, weiser Goethe! Du hast wahrlich Recht!
Den Caviar muß man bei'm Frost versenden.
Vom feuchten Wetter wird das Salz geschwächt;
Die Eier faulen dann, und schmecken schlecht.
Doch dünngesalz'ne Brief' in sechs geräum'gen Bänden,
Die laßen sich in jeder Jahrszeit spenden
Und sind dem stumpfen Leser immer recht.

9. Familien-Leben

Gar schön grüßt Goethe Schillers liebe Frau;
Die Gute grüßt; sie grüßt, und hört nicht auf zu grüßen,
Dreihundertsechzigmal! Ich zählt' es ganz genau:
Vier Bogen füllt es an, der Käufer muß es büßen.

10. Dichterischer Briefwechsel

Morgenbillet.

Damit mein Freund bequem in's Schauspiel rutsche,
So steht ihm heut zu Diensten meine Kutsche.
Antwort.

Ich zweifle, daß ich heut in's Schauspiel geh';
Mein liebes Fritzchen hat die Diarrhee.

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Auf Veranlaßung des Briefwechsels zwischen Goethe und Schiller. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D15E-E