[12] Neoptolemus an Diokles

Anm. Dieses Gedicht ist dem Andenken meines Bruders Carl August Schlegel gewidmet, der i.J. 1782. mit einem hannöverischen Regimente im Dienste der englischen Compagnie nach Ostindien gieng, und daselbst zu Madras am 9. Sept. 1789. im acht und zwanzigsten Jahre seines Alters starb. Er befand sich nicht in der Schlacht bei Calicut, wo sich ein Theil der hannöverischen Truppen auszeichnete, weil er als Adjutant bei'm Stabe des Regiments bleiben mußte. Im Jahre 1786. machte er als Ingenieur mit dem englischen General Sir John Dalling, dem er durch einen Aufsatz über die Festungswerke von Madras bekannt geworden war, eine Reise von 800 engl. Meilen in das Innre des Landes. Im J. 1788. nahm er für sich allein in den Gränzgebirgen von Carnatic zwei Monate hindurch Vermeßungen vor. Eine große von ihm entworfene Karte der diesseitigen Halbinsel von Indien hat er Sr. großbritannischen Majestät übersendet. Eine hauptsächlich militärische Geographie von Indien ist noch in der Handschrift von ihm vorhanden und jetzt im Besitze der göttingischen Bibliothek. Von seinen durch den Tod unterbrochnen Arbeiten über das gesammte Indien ist nichts in meine Hände gelangt. – Die letzten Jahre seines Lebens wurden durch Verdrießlichkeiten verbittert, die sich erst kurz vor seinem Tode zu seiner völligen Genugthuung endigten. Hierauf beziehen sich zum Theil folgende Zeilen zu seinem Andenken von einem Ungenannten, die in den Madrass Courier 21th Oct. 1789. eingerückt worden sind, und hier zum Beweise stehen mögen, daß er sich auch unter den Ausländern Achtung zu erwerben gewußt hat.


Shade of my Friend, if haply thou canst see
The tear, that falls in memory of thee,
Accept the tribute to thy virtues due,
To candor, worth, and all that friendship knew,
Had thy frail frame been as thy spirit strong,
How blest thy ripen'd age! thy life how long!
Firm to the last amidst a baleful strife,
That robb'd thy breast of happiness and life,
Thine was the triumph, envy's the defeat,
And the still grave the happy calm retreat. –
Unkindly pow'r of malice's tainted breath,
Whose looks are poison, and whose words are death!
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Bruder, gedenkst du noch mein, des Fremdlings, welchen sein Trieb erst,
Dann die Länder, das Meer, endlich der Tod dir entfernt!
Indien hegt mein Grab: da wölbt sich auf einsamer Ebne
Bambus über ihm hin, schirmend vor sengendem Strahl.
Aber es wehrt nicht Land, nicht Meer, dem entkörperten Schatten,
Daß er die Heimat oft voriger Wünsche besucht,
Und im Herzen der Freunde mit leisem Geistergelispel
Bei sehnsüchtigem Weh liebliche Schauer bewegt.
Siehe, du lebst und blühst in der Vollkraft männlicher Jahre;
Mich unwilligen riß feindlich die Parce hinweg.
Denn ich strebte nach Thaten und Ruhm: und Thaten und Ruhm sind
Nicht mir geworden, ich gieng in der Vergeßenheit Nacht.
Eitler Ruhm! des Glücks, der Gelegenheit prahlender Herold,
Geht er die schweigende That, innen im Busen, vorbei.
Bruder, was rühm' ich mich dir? Du hast, zwar Knabe noch damals,
Muthig und edel entflammt selber den Jüngling gesehn.
Krieger zu sein gelüstete mich wie die römischen Helden,
Wenn der Lehrer mich hieß merken die Worte des Buchs;
Und bei Kreißen und Winkeln und jeglichem Räthsel Euklidens
Stand Archimedes mir vor, Mauern und künstlich Geschoß.
Tiefer heimischer Friede verschloß den Waffen die Uebung,
Bald ermüdeten mich Spiele vom Lager und Kampf.
Als Brittannien drum, mit Galliens Macht Hyder Aly
Mühsam dämpfend, ein Heer warb für den indischen Strand,
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Lockten mich Krieg und Gefahr, wie gern, Hemisphären hinüber:
Leicht zum Leben geschürzt, knüpft' ich das Bündel mir leicht.
Sag, lebt noch im Gemüth dir jener Morgen des Abschieds?
Rüstiger Trommeln Getön weckte die Gaßen der Stadt;
Jeder regte sich frisch, das Gepäck und die Waffen ergreifend,
Lagergetümmel und Lärm füllte den friedlichen Ort.
Wo die ziehenden Haufen sich sammelten, rief's überall nach:
»Glückliche Fahrt! lebt wohl! kehret gesund uns zurück!«
Hier versorgte das herzliche Weib den Krieger mit Labung,
Reichte den Säugling hin noch zu dem bärtigen Kuß,
Und er gelobt' ihr rauh, für beid' in der Fremde zu sorgen,
Alles erbeutete Gut treulich zu senden nach Haus.
Jener verhieß wohl prahlend der mohrischen Säbel Demanten,
Rief: »es lebe« bei'm Trunk, »Asiens reichster Monarch!«
Mancher mit Leichtsinn auch verließ das weinende Mädchen,
Das zu willig dem Schwur flüchtiger Liebe getraut.
Aber ich stürmte hinein, den letzten Moment zu verkürzen,
Heiß geschäftig, wo schon alle sie meiner geharrt.
Brünstig segnete mich der fromm ehrwürdige Vater,
Schwestern hiengen an mir, Brüder umarmten mich fest.
Aber vor allen die Mutter, die liebende Mutter! an ihrem
Herzen zerfloß ich, und wand, kaum noch besonnen, mich los.
Wie ich mich innerlich schalt, mir sagte die ahndende Seele:
Nie mehr soll ich mit euch tauschen den innigen Gruß.
Doch die Mutter ergriff ein unwiderstehliches Drängen,
Einmal ihn nur, den Sohn, noch den geliebten zu sehn.
Und sie machte sich auf, von bangenden Töchtern begleitet,
Schaute vom Fenster am Platz, wo sich die Schaaren gereiht.
Bei den Gefährten stand ich, und, ob ich gleich sie bemerkte,
Hob ich den Blick nicht auf, mich zu erweichen besorgt.
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Viel durchlief ich die Reih'n beschleunigend, brachte Befehle
Hin vom Führer und her, auf das Geschäft nur bedacht.
Schwang dann schnell mich zu Pferd, voreilend dem Zug, der begonnen,
Und erst außen am Thor wandt' ich die Blicke noch heim.
Alles Trauren erstickte das muntere Spiel der Hoboen,
Und der Morgengesang männlicher Kehlen darein.
Bald nun war ich zu Schiff, bald sah ich entfliehende Küsten,
Wogend an Helgolands nackenden Klippen entlang.
Sprach, wehmüthig erzürnt: »Deutschland, unzärtliche Mutter,
Immer dem Ausland hold, immer nicht achtend was dein!
Habe noch Dank für alles, was Gutes an mir du gepfleget:
Fern, vergeßen von dir, bleib' ich ein Deutscher doch stets.
Bald wohl nahet die Zeit, da wirst du der Männer bedürfen,
Die du um Sold, fühllos, sendest die wackern hinweg.«
Albions grünende Hügel erhoben sich; noch in der Seefahrt
Mühen wenig geübt, war uns der Hafen erwünscht.
Dort empfiengen uns Schiffe, zur längeren Reise gerüstet,
Räumliche Häuser, gelenkt von des Bewohnenden Wink.
Und so fuhren wir aus im Walde besegelter Masten,
Herkuls trotzendem Fels Hülfe zu bringen bestimmt.
Als wir lange geirrt, von widrigen Winden geschaukelt,
Wo Biscaja's Bucht thürmende Wellen erhebt,
Glitten wir leichter dahin am Duft glückseliger Inseln,
Vom liebkosenden Hauch milderer Zonen umweht.
Sanct Salvador, dich grüßten wir erst jenseitig am Weltmeer,
Früchte verheißend stieg schön dein Theater empor,
Dunkel bekränzt mit Orangen, mit Aloe, Palmen und Kokos;
Jeder durstige Blick trank das erquickende Grün.
O wie lag ich entzückt am Busen der heiligen Freundin,
Pflegerin, Mutter, Natur! wechselte Wunsch so wie Blick!
[16]
Blühende Landschaft hier, dort unergründliche Meere:
Stilles Gnügen und Ruh, Streben in's Weite hinaus.
Als wir die See von Neuem, gestärkt und gesundet, befuhren,
Winkte mich schon von fern still Trinidada herbei,
Traulich übergelehnt uralte Stirnen der Felsen.
Hinter der zackigen Wand zog sich, umgränzet, ein Thal,
Friedlich mit wenigen Hütten bestreut, die Menschen erbauten,
Hier gestrandet, und nun wieder zu Menschen entführt.
Ich verlor mich im Traum, einsiedlerisch dort zu verweilen,
In die Natur, in mich, geistig beschauend, versenkt.
Ach, ich wäre dem herbsten Verdruß und Kummer entwichen!
Meiner harrte ja doch keine befreundete Welt.
Doch Trinidada verschwand: kein Eiland, keine Gestade
Bis zu der Schiffahrt Ziel; alles nur Himmel und Meer.
Weit erst schweiften wir um in des Erdballs südlichen Kreißen,
Dann in der Monsoons Reich lenkten wir wieder die Bahn.
Endlich langten wir an, des Feinds Geschwadern entkommen,
Allen Gefahren, womit Feuer und Fluten gedroht,
Oder der tückische Wind, der von heiterem Himmel herabstürmt;
Und es bewillkommt' uns, kriegerisch donnernd Madraß.
Schnell nun ward in das Feld ein Theil der Gefährten gerufen.
Drüben im Land Malabar maßen sie rühmlich sich noch,
Siegend im letzten Gefechte, mit Tippo's Heeren und Frankreichs;
Denn von Europa scholl Friede nach Asien hin.
Mich verfehlte das Looß, mich schienen die Schlachten zu fliehen:
Kaum mit des Forschens Genuß täuscht' ich den strebenden Geist.
Bald durchspäht' ich von Neuem der zirkelnden Maße Geheimniß,
Bald Jahrbücher des Kriegs, stolzer Eroberer Kunst;
Labte mich dann bei Dichtern, den ewigen, mächtig des Zaubers,
Der Zeitalter hindurch, Zonen hinüber auch, gilt.
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Ferner die Sitten des Volks, die Rechte gesonderter Stämme,
Jeglicher Zeit Denkmal war ich zu kennen bemüht.
Dunkel lockte mich nach der Braminen würdige Weisheit,
Welche Europa's Sucht, trügenden Handels Verkehr,
Menschenscheu und verwildert in Felsenhöhlen gebannt hat,
Wo ihr Sibyllenton, leis' überredend, verhallt.
Ahndend deutet' ich mir die begeisternde Seele des Weltalls,
Tief in der heil'gen Sanskrit Göttergeschichten verwebt.
Ernster betrachtend folgt' ich dem Leichenzug des Braminen,
Der zum Wandel den Geist haucht in den Schooß der Natur.
Manchmal flochten mir wohl anmuthigen Tanz Bajaderen,
Nicht von der Ziererei modiger Schönen entstellt.
So verdrängt' ich die Zeit; es kamen trübere Tage.
Nur in der Freundschaft Arm fühlt' ich so fern mich daheim:
Und mir starben die Freunde dahin; geblendet vom Wahnsinn
Zückte wider sein Haupt einer den tödtenden Strahl.
Mir auch tobte gewaltig die glühende Sonn' in den Adern,
Wölkt' im verworrnen Gehirn oft melancholischen Dunst.
Uebel des Leibes, sie gehn, die heftigsten, über, und spurlos;
Welchem die Ehr' erkrankt, nimmer geneset sie dem.
O dieß Härteste noch, wie nenn' ich's oder verschweig' es?
Daß die Verläumdung mich, lauschend auf Worte, bestrickt,
Schuld auf Schuld mir gehäuft, entstellend zum Frevel den Muthwill!
Zwar ich duldet' es nicht: stark in dem reinen Gefühl,
Rief ich das Vaterland um Recht an, rief um Befreiung;
Leider! das zögernde Recht hielten die Meere noch auf.
Ich entriß mich indeß dem falschen Gewühle der Städte:
Ländliche Zuflucht nur labte balsamisch die Brust.
Doch mir schmeichelten auch entferntere Bilder der Hoffnung,
Krieg und That und Gefahr würde bewähren den Mann.
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Drum bedacht' ich, da kaum untreuer Friede mit Tippo
Noch bestand, wie ein Heer zöge die Berge hindurch.
Ich durchritt und erspähte, bis Vaniambaddy hinüber
Weit vom Velore her, Mulecats mächtigen Wald.
Wo noch kein europäischer Fuß betreten die Wildniß,
Maß ich Thäler und Höhn, jegliche Schluft des Gebirgs.
Treue indische Führer verscheuchten Tags mir die Tiger,
Schlagend an's dichte Gebüsch; stiegen die Sterne herauf,
Dann im Freien gebettet, umringt von bewachenden Feuern,
Lag ich und schlief sorglos unter dem fernen Gebrüll.
Drohend erhebt die Klaue zum offenen Kampfe das Raubthier,
Aber lächelnd bestellt Gifte der heuchelnde Freund.
Arg vergalten sie mir's, ich liebte die Menschen wie Brüder,
Bot oft tröstlich die Hand, lechzender Paria! dir.
Endlich erschien der Tag rechtfertigend, wo ich den Ausspruch
Richtender Krieger, gelöst jedes Verdachtes, empfing.
Gnügen konnt' ich nun erst dem Gesetz der befehdeten Ehre:
Längst erlittene Schmach rächte, geübt, mir die Hand.
War's mir doch, als wollte beinah noch Freude sich regen,
Träume des Glücks noch bau'n weit in das Leben hinaus.
Aber es war umsonst: die früh entkräfteten Glieder,
Mehr das gebrochene Herz, neigten sich still in die Gruft,
Hat kein segnender Vater an meinem Lager gebetet,
Keine Mutter zur Ruh sanft mir die Augen gedrückt:
O so schied ich doch nicht von Allen erkannt und verlaßen,
Redlicher Freunde Gespräch heiterte Stunden mir noch.
Jenseit wandelt' ich schon, wie lang', am stygischen Ufer
Eh ihr Liebenden dort traurig die Kunde vernahmt.
Nicht wehklag' ich, o Bruder! die irdische Lust und die Jugend;
Mein unrühmlich Geschick und die verschwendete Kraft.
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So ergießt sich der Strom, aufsprudelnd aus kühlem Geklüfte,
Namenlos gehemmt bald in dem freudigen Lauf.
Auen hätt' er getränkt, er hätte Masten getragen,
Schlürft' ihn tückisch der Sand dorrender Wüste nicht ein.
Andere Zeiten nun wälzen sich um; zwar wechseln sie uns nicht,
Doch in den Orkus auch dringt die Geschichte des Tags.
Schauernd erfuhr ich es drunten, die Welt will neu sich gestalten,
Aber in's Chaos erst droht sie verderblichen Fall.
Alte geheiligte Sitt' und Gesetz, und erträumte Verbeß'rung
Kämpfen auf Leben und Tod unter dem Menschengeschlecht.
Zahllos kommen die Opfer herab des berauschenden Irrwahns,
In der Parteiung Krieg blöde, wie Heerden, gedrängt;
Während tyrannische Geisel sie züchtigte, trotzend auf Freiheit,
Wie sie des Niedrigen Haß gegen das Hohe genannt.
Andere drängen sich nach mit wilder entflammten Geberden,
Welche der Bürgerwuth blutige Beile gerafft.
Alle vermengt sie die Nacht: die unerklimmbare Mauer
Eh'rner Verhängnisse läßt keinen in's Leben zurück.
Doch wer schaffend und wirkend sein Dasein droben bewährt hat,
Weidet an Träumen sich noch rüstig verwendeter Kraft.
Drum verzeih', o Bruder! den klagenden Laut von der Gruft her,
Der kalt athmend sich dir hat um den Busen gelegt,
Bring dem verbrüderten Geist ein Todtenopfer von Thränen
Und von Gesang; und so lebe denn, lebe mir wohl!

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TextGrid Repository (2012). Schlegel, August Wilhelm. Gedichte. Rhythmische Gedichte. Neoptolemus an Diokles. Neoptolemus an Diokles. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D23F-C