Kränze

Erster

Wie süße Unschuld kindlich sich erfreue,
Das soll der Blümchen helles Bunt bedeuten,
Die ach! so gern dein gelbes Haar umstreuten,
Und demutsvoll dir weih'n die Kindestreue.
Die Rose nur errötet hold vor Reue,
Weil sie, da ältre Knospen noch sich scheuten,
Den Kelch geöffnet schon gleich andern Bräuten,
Daß lieber Hauch den ihren sanft erneue.
Und wie sie schüchtern blüht so bunt umkränzet,
So strebt dein junger Sinn in heil'ger Demut,
Die innern Reiz' entfaltend auszuhauchen.
Drum überrascht dich oft so süße Wehmut;
Wo solches Aug' in solchen Perlen glänzet,
Wird sich ein andres bald in Wonne tauchen.

[201] Zweiter

Wie Morgensonne dunkelm Fels enthoben,
Im Strahlentau erfrischt die braunen Saaten,
So glüh'n auf schwarz umlocktem Haupt Granaten,
Zu feuerschönem Liebeskranz gewoben.
Es muß solch heilig Rot der Seher loben,
Der, was die Farbe glänzt, in Lieb' erraten;
Auf schwarzem Grunde flammende Granaten,
In Trauernacht das Morgenrot von oben.
Dir leuchten dunkel ernst die hohen Augen
Vom Schmerz, der dich ergriff im Heiligtume,
Sich laut ergießt in heiße Klagetöne.
Wie immer reiner brennt die zarte Blume,
Je tiefer den harmon'schen Glanz wir saugen,
So glühe, liebe, traur' in dunkler Schöne.

Dritter

Laß weiße Rosen dir die Stirn umkränzen,
Zum schönen Zeichen, das die Freund' erfreue;
Wie in dem milden Herzen reine Treue
Nie Farbe wechselt vor der Täuschung Glänzen.
So schwebe heiter mit in unsern Tänzen,
Daß sich an deiner, unsre Freud' erneue,
Erhalte du sie rein und fern von Reue,
Bis Engel dich mit hellern Rosen kränzen.
Denn wie der weiße Schmuck der Seele Zeichen,
Die gern das Wort verhüllt in stillen Bildern,
Von treuer Lieb' und Unschuld nie zu weichen;
So soll, daß wir ungläubig nicht verwildern,
Uns deine Treue, was wir nie erreichen,
Das Urbild aller Treu' im Abglanz schildern.

Vierter

Wen hat dein Lächeln reizend wohl getroffen,
Der nicht zu kühn zu hoffen sich erkühne?
[202]
Schreckst du ihn gleich, so sieht er bald zur Sühne
Im süßen Augenspiel die Himmel offen.
Wer wollte da nicht froh und freier hoffen,
Wenn froh die Hoffnung schwebt auf heitrer Bühne,
So hold umkränzt von leichter Myrten Grüne,
Daß ihn, nur ihn der süße Blitz getroffen?
Wo noch nicht ganz der Unschuld Reich zerronnen,
Darf leichter Reiz wohl leicht das Auge reizen,
Das schöner Hoffnung frisches Grün erquicket;
Wer endlich dann die schöne Braut gewonnen,
Läßt andre gern mit leichten Blitzen reizen,
Beglückt, wenn er der Unschuld Blum' erblicket.

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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Schlegel, Friedrich. Kränze. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D799-7