[228] Die Maiblümchen an Adelheid

1. Charade

Bei einem Körbchen mit Maiblumen.

Das Erste.

Wenn mit der Blüthen buntem Kranz geschmückt
So freundlich von des Himmels blauen Höhen
Mein kindlich Bild zu dir herniederblickt,
So wähn' ich stets mein Schwesterchen zu sehen.
Das Zweite.

Ach, wenn nur deine zarte Hand mich pflückt,
Dann will ich gern nach kurzem Blühn vergehen;
Ein Lächeln nur aus deinem Aug' erquickt
Mich freundlicher als alles Frühlingswehen.
Das Ganze.

Rein komm' ich, klar und zart und unzerknickt,
Und doch wirst du vielleicht den Geber schmähen,
Der dir des leichten Räthsels Lösung schickt,
Als sey's so schwer sich selber zu verstehen.

[229] 2.

Wir Blümlein keimen, dumpf und dicht,
Von Wald und Thal umgeben:
Doch eh der Kelch die Hülle bricht,
Schaut hoffnungsvoll zum goldnen Licht
Die Knosp' und grüßt das junge Leben;
Und fern dahin
Geht unser Sinn,
Wir möchten zum Himmel uns heben.
Die Bien' entsummt, das Vöglein flieht
Mit fröhlichem Gefieder:
Uns hält das irdische Gebiet,
Und wenn der frische Kelch entblüht,
So senkt er trauernd sich hernieder;
Der Duft verrinnt
Im Frühlingswind
Und kehret uns nimmer wieder.
Drum laß zu deinem Sonnenschein,
Du zartes Bild, uns fliehen;
Du bist so klar, so mild, so rein,
Du pflegst uns arme Kindelein
Gewiß mit freundlichem Bemühen;
An Liebesbrust
Lebt sich's mit Lust,
Da ist es so süß zu verblühen!

[230] 3.

Wir Blumen groß und klein
Sind freundlich dir gewogen,
Drum kommen wir gezogen
Zu dir aus Wies' und Hain;
Auch sollen wir von allen Quellen
Und Vögelein
Dir einen schönen Gruß bestellen.
Oft auf bethauter Spur
Sahn wir vorbei dich wallen,
Und heit'rer schien's uns Allen
Bei dir als auf der Flur,
Denn nach den Freundlichen und Schönen
Und Keuschen nur
Kann zarter Blümlein Sinn sich sehnen.
Wenn uns der Mai belebt,
Dann wird aus Mondenschimmer,
Aus Thau und Quellgeflimmer
Der Klöcklein Glanz gewebt.
Nichts darf den hellen Kelch entweihen;
Denn leis' umschwebt
Uns stets der Tanz der Blumenfeien.
Doch zarte Liebe schleicht
Uns doch in's Herz allmählig,
Wir suchen minneselig
Ein Liebchen, das uns gleicht.
Dich haben wir uns auserkoren;
Bist du vielleicht
Wie wir aus reinem Glanz geboren?

[231] 4.

Die Sehnsucht schwand mit ihren weichen Träumen,
Schon ist des Lenzes frühster Kuß verglüht,
Ein kräftiger Geschlecht beginnt zu keimen,
Der zarten Kindheit frisches Bild verblüht.
Nur wenn erwacht in's jugendliche Leben
Die duft'ge Welt den blühnden Busen taucht,
Kann ahnungsvoll der reine Kelch sich heben,
Woraus das Wehn der geist'gen Liebe haucht.
Drum wollten wir noch einmal dich begrüßen,
Eh schwüle Gluth die Silberwang' uns trübt;
O denke du, wenn andre Blumen sprießen,
Noch oft an uns, die zärtlich dich geliebt.
Noch lebt's und keimt's auf üppigem Gefilde,
Und Neues beut dir stets der Augenblick:
Doch fruchtlos ruft die früh'sten Traumgebilde
Das weiche Herz verlangend sich zurück.
Gern wären wir mit heiterm Wort gekommen
Und hätten freundlich gern mit dir gekos't:
Doch ach, der Schein kann nie dem Herzen frommen,
Und Schmerz nur ist des Schmerzes einz'ger Trost.
Doch wirst du einst nicht selber zu uns sagen,
Wenn unserm Kelch der letzte Duft entflieht:
Welkt, Blümlein, welkt, ich will euch nicht beklagen,
Ihr habt ja schön, wenn auch nur kurz, geblüht.

[232] 5.

Unsre frühern Schwestern schwanden
Schon im Hain,
Und wir armen Kinder standen
Ganz allein.
Schwarz war unser Thal umzogen
Wie das Grab,
Und es rann in Wetterwogen
Kalt herab.
Ach, da zagten wir im trüben
Sturmesdrohn,
Weinten still, daß alle Lieben
Uns entflohn;
Unsre Klöcklein sanken schmerzlich
Tief in's Grün,
Und wir wünschten heiß und herzlich
Zu verblühn.
Da, du freundliches Gebilde,
Hörten wir,
Mitleid wohn' und Huld und Milde
Stets bei dir;
Ewig heitre Sonne scheine
Um dich her,
Und wenn du ihm lächelst, weine
Keiner mehr.
[233]
Drum sind wir zu dir gekommen,
Retterin!
Nimm die friedlichen, die frommen
Blümlein hin.
Wenn der Kelch bei Sturmesschweben
Auch erliegt,
Lang noch rinnt das duft'ge Leben
Unversiegt.

6.

Stets wollten wir zum letztenmal
Dich grüßen:
Doch deiner Aeuglein holder Strahl
Gönnt uns nicht Ruh noch Rast im Thal;
Laß unsre Kühnheit uns nicht büßen;
Die Lieb' hat keine Wahl.
Ach, singt und säuselt nicht der Mai
Von Liebe?
Schnell flieht das Bienchen uns vorbei,
Kurz ist des Lüftchens Tändelei,
Jetzt lacht der Strahl, jetzt ist er trübe,
Und Blümlein lieben treu.
Drum können wir, du Liebchen schön,
Nicht scheiden.
Ach, sollten wir dir ferne stehn,
Dein freundlich Antlitz nicht mehr sehn,
Wir müßten ja in bittern Leiden,
In Liebesleid vergehn.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schulze, Ernst. Die Maiblümchen an Adelheid. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0498-6