7. Die beiden Brüder.

Mündlich aus Halle.


Ein König hatte zwei Söhne, und die waren so wunderschön, wie man noch nie Kinder gesehen hatte. [113] Sie waren Zwillingsbrüder und glichen einander aufs Haar, so daß die Eltern selbst sie nicht hätten unterscheiden können, wenn sie nicht gleich bei der Geburt dem, welcher eine halbe Stunde früher zur Welt gekommen war, ein Band um den linken Arm gebunden hätten. Auch gingen sie immer gleich gekleidet; und als sie herangewachsen waren, gab der Vater jedem ein Roß und einen Jagdhund, und die Rosse und Hunde glichen sich so vollkommen wie ihre Herren und waren auch in einer Stunde von einer Mutter geboren.

Nun sprach der ältere Sohn eines Tages »Vater, das Schloß ist mir zu eng; ich muß hinaus ziehen und mir die Welt besehen. Hier im Garten will ich eine Lilie pflanzen, an der kannst du stets sehen wie es mir geht. Wenn sie aufrecht steht, bin ich gesund; wenn sie sich neigt, bin ich in Noth, und wenn sie verwelkt, bin ich todt.« Er pflanzte die Lilie und ritt dann, von seinem Jagdhunde begleitet, manche hundert Meilen, bis er in eine Stadt kam, in der Alles festlich geschmückt war und auf allen Straßen viele stattliche Ritter hin und her zogen. Da kehrte er in einem Gasthause ein und hörte dort daß in einer Stunde ein großes Turnier vor dem Könige und seiner Gemahlin gehalten werden sollte, und wer im Turniere Sieger bleibe, der bekomme des Königs einzige Tochter und das ganze, große Königreich. Und er dachte, hier gelte es seine ritterlichen Künste, die er daheim gelernt hatte, zu versuchen, [114] ritt zum königlichen Schloß und sah auf dem Balkon ein schönes Mädchen stehen. Er schlug sein Visier zurück und grüßte freundlich. Da that das Mädchen einen hellen Schrei und sprang ins Zimmer. Es war aber die Königstochter gewesen und war über seine Schönheit so erschrocken. Sie eilte zu ihrem Vater und bat ihn »Wenn der junge Ritter, der eben in den Hof reitet, mit turnieren will, so thu mirs zu Liebe und weis ihn ab. Der Ritter Wolf tödtet ihn sonst, und er ist so schön! und wenn er todt ist, geh ich ins Kloster und will keine Königin werden.« Der alte König lachte und ging dem Ritter, der unterdeß die Treppe herauf gestiegen war, freundlich entgegen, führte ihn in einen großen Saal, wo sich die Ritter, die an dem Turniere Theil nehmen wollten, alle versammelten; und sie zechten, bis der Herold das Zeichen zum Aufbruch gab. Den jungen, fremden Ritter aber, der noch so zart aussah, und von dem Niemand wußte daß er ein Königssohn war, blickte mancher Alte höhnisch über die Achseln an; und der übermüthige Ritter Wolf, welcher die Perle des Ritterthums hieß und sich im Voraus als des Königs Nachfolger betrachtete, klopfte ihm, als sie die Treppe hinuntergingen, auf die Schulter und sprach lachend »Was ihr für zarte Wänglein habt! Hat eure Frau Mutter euch gestern oder vorgestern das Rößlein geschenkt?« Das hörte der junge Königssohn schweigend an, schwang sich aufs Roß und sprengte auf den Kampfplatz.

[115] Der Ritter Wolf stach alle Gegner im Turniere nieder: wenn er sie nur mit der Lanze berührte, flogen sie, wie vom Winde geweht, weit über das Roß hinaus auf den Sand. Doch als er mit dem Königssohne zusammenritt, zersplitterte die Lanze des einen an des andern Panzer; beide Reiter aber rückten sich nicht im Sattel. Sie stiegen hierauf von den Rossen und gingen mit den Schwertern auf einander los; und sie fochten wohl drei Stunden lang, bis der Königssohn dem Ritter Wolf das Schwert durch den Panzer mitten ins Herz stieß. Da war des Ritters Freude in den Brunnen gefallen, und er konnte sehen ob man ihn im ewigen Leben zum Könige machen wollte.

Die Königstochter trat nun aus der Mitte der Frauen, welche dem Turniere zugeschaut hatten, und der junge Ritter kniete vor ihr nieder: sie aber hob ihn auf und küßte ihn als ihren lieben Bräutigam. Und noch an demselben Tage wurde die Hochzeit gefeiert, und eine ganze Woche lang folgte ein Fest auf das andre. Daheim aber gingen die Eltern des jungen Königs und sein Bruder täglich zur Lilie, und sie freuten sich daß sie immer frischer zu blühen anfing.

Als die Feste zu Ende waren, sprach der junge König »Ich habe nun ein schönes Weib und ein großes Reich gewonnen. So will ich ausziehen das Land zu beschauen, und ich will heut mit den Wäldern anfangen und eine Jagd halten.« Und er zog mit seinen Jägern hinaus in den Wald. Sie trafen [116] viele Hirsche, Rehe, Eber und anderes Wild, doch lange keinen Hasen, bis ihnen endlich einer entgegensprang, der nur drei Beine hatte, aber doch so schnell wie andre Hasen lief. Weil dem jungen Könige dies wunderbar schien, rief er seinen Jagdgesellen zu, er wolle den Hasen allein jagen, und setzte ihm nach durch das Dickicht, bis sich sein Pferd vor einer Felsgrotte zurückbäumte. In die Grotte war der Hase gesprungen, und in demselben Augenblicke hinkte ein altes, gebücktes Mütterchen daraus hervor, das war sehr häßlich, hielt die rechte Hand unter der Schürze und sah keifend an dem Könige empor. »Was? willst du mir meinen Sohn todtstechen?« rief sie, zog schnell die Hand unter der Schürze hervor und gab ihm einen Schlag mit einer Ruthe, die sie in der Hand hielt. Da war er augenblicklich in Stein verwandelt. Dann berührte sie auch das Roß und den Hund mit der Ruthe, und auch diese verwandelten sich in Stein; denn die Ruthe war eine Zauberruthe, die Alte aber war Ritter Wolfs Mutter und war eine Hexe, die so den Tod ihres Sohnes gerächt hatte. Einige sagen, der dreibeinige Hase sei ihr Sohn Wolf gewesen; doch weiß man das nicht genau.

So stand der junge König mit seinem Rosse und Hunde als weißer Alabaster im Walde. Und als seine Eltern daheim am andern Morgen zur Lilie kamen, war sie umgefallen: sie grünte noch, doch ließ sie sich nicht vom Boden aufrichten. Daran sahen sie daß ihrem Sohne in der Fremde ein groß Unglück [117] widerfahren war; und der jüngere Prinz sprach »Ich will ausziehen und meinen Bruder suchen, und will auch eine Lilie pflanzen, an der ihr sehen könnt wie es mir geht.« Er pflanzte die Lilie neben die seines Bruders und zog ins weite Land. Lange suchte er vergeblich eine Spur des Bruders, bis er einst bei einem Wirthe einkehrte, der ihn als einen alten Bekannten empfing und fragte wie es ihm ergangen sei, seit er das erste Mal des Weges gekommen. Da erkannte er daß ihn der Wirth für seinen Bruder hielt, weil er diesem in Allem glich; und er erkundigte sich wohin sein Bruder damals gezogen sei und schlug denselben Weg ein. So verfolgte er die Spur immer weiter, bis er in die Stadt kam, in welcher der Bruder zum Könige gekrönt war. Da ging ihm das Volk mit großem Jubel entge gen und führte ihn zum königlichen Schlosse; und er dachte »Ich will mich nur für meinen Bruder ausgeben, so kann ich ihn vielleicht besser retten« und ließ sich im Schlosse von der jungen Königin mit vielen Küssen empfangen. Und sie machte ihm Vorwürfe, wo er so lange gewesen sei; doch er erzählte ihr, er habe sich im Walde verirrt und nicht eher den Weg wieder gefunden. Am Abend aber legte er sich in voller Rüstung ins Bett, und zwischen sich und sie streckte er ein blankes, zweischneidiges Schwert. Und als sie ihn erschrocken fragte was das bedeuten solle, tröstete er sie, daß er ein Gelübde gethan habe und ihr später Alles erzählen wolle.

Am folgenden Morgen stand er heimlich auf, als die junge Königin noch schlief, nahm ein stattliches[118] Jagdgefolge mit und zog hinaus in den Zauberwald, aus dem sein Bruder, wie er gehört hatte, nicht heimgekehrt war. Und im Walde war Alles wieder eben so wie damals, als sein Bruder darin gejagt hatte. Lange stöberten die Hunde vergeblich nach einem Hasen, bis endlich der dreibeinige daher hupfte. Und der junge Prinz bekam wie sein Bruder Lust ihn allein zu jagen und hetzte ihn durch Gehege und Bruch, bis sein Rößlein vor der Grotte im Felsen zurückschnob, und das gebückte Mütterchen, die rechte Hand unter der Schürze, heran hinkte. »Was?« keifte sie wieder, »willst du meinen lieben Sohn ermorden?« und zog eilig die Ruthe hervor und schwang sie auf den Prinzen. Er aber hatte schon das steinerne Bild seines Bruders gesehen und hieb ihr mit einem Streich den Arm bis zum Ellenbogen ab, trat mit dem einen Fuß auf die Ruthe und mit dem andern stieß er die Alte nieder und drohte sie mit dem Schwerte zu erstechen, wenn sie seinem Bruder nicht gleich das Leben wieder gebe. Da zog sie eine Büchse aus ihrem Busen und sagte, dies sei die Salbe des Lebens; er solle sie nur aufstehen lassen, so wolle sie seinen Bruder wieder lebendig machen. Er ließ sie frei, und sie trippelte zu dem steinernen Hunde, sah sich aber immer nach der Ruthe um, ob sie die nicht noch bekommen könnte; doch der junge Prinz ließ kein Auge von ihr. Da nahm sie etwas Salbe aus dem Büchschen und bestrich dem Hunde beide Schläfe damit, und sogleich sprang er fröhlich herum [119] und bellte und spielte mit seinem Bruder, dem Jagdhunde des Prinzen. Dann bestrich sie die Schläfe des Pferdes und zuletzt die des Reiters; und auch das Pferd und der Reiter begannen sich lustig zu regen und waren frisch und gesund wie zuvor.

Da umarmten und küßten sich die beiden Brüder; die Hexe aber stachen sie todt, damit sie Niemand mehr ein Leid anthun könne. Der ältere Bruder fragte nun den jüngern wie er es angefangen habe ihn zu erlösen. Und der junge Prinz erzählte Alles, wie es geschehen war; wie die alte Hexe mit der Salbe des Lebens die Steine bestrichen habe, und auch wie er in der Stadt von Allen für den König gehalten worden sei, und wie er mit der jungen Königin in einem Bette geschlafen. Wie das sein Bruder hörte, gerieth er in Zorn und stach ihm das Schwert mitten durchs Herz. Und damit das Pferd und der Jagdhund nicht verriethen wo ihr Herr geblieben sei, stach er sie auch todt. Er ritt nun heim und wurde von der Königin aufs Lieblichste empfangen, und als er sich Abends auskleidete, lachte sie und sprach »Gott sei Dank, das dein Gelübde zu Ende ist. Gestern gingst du in der Rüstung zu Bett und legtest ein Schwert zwischen uns, daß ich glaubte, du würdest mich in der Nacht erstechen; doch heut bist du wieder so lieb und gut wie zuvor.« Da war es dem Könige als ob auch ihm Jemand ein Schwert durchs Herz stieße; denn er erkannte wohl wie ehrlich sein Bruder an ihm gehandelt hatte, und er bereute [120] seinen Mord herzlich und weinte die ganze Nacht. Als die Eltern aber am Morgen darauf zu den Lilien gingen, stand die des ältern Bruders wieder aufrecht und blühte frisch, doch die des jüngern war verwelkt.

Am Morgen, als sich der junge König recht ausgeweint hatte, fiel ihm die Erzählung seines Bruders ein, daß die Hexe mit der Salbe des Lebens ihm und den Thieren die Schläfe bestrichen habe. »Vielleicht« dachte er »hilft es bei deinem Bruder auch« und ritt in den Wald hinaus, suchte das Salbenbüchschen und bestrich zuerst dem Hunde des Bruders die Schläfe, und der Hund sprang auf und war gesund. Nun bestrich er sie eilig auch dem Pferde und dem Prinzen, und beide regten sich und schauten ihn fröhlich und gesund an. Da bat er seinen Bruder um Vergebung daß er ihn ermordet hatte, und sie versöhnten sich und ritten zusammen in die Stadt. Alles Volk aber und die Königin selbst staunte, als sie kamen, und Niemand wußte wer der König sei und wer der fremde Prinz, bis sich der König zu erkennen gab. Es wurde nun für seine Errettung ein großes Fest gefeiert, und der Prinz blieb ein ganzes Jahr bei dem Könige. Dann zog er heim und erzählte seinen Eltern Alles; und sie freuten sich sehr und schenkten ihm ihr Königreich.

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TextGrid Repository (2012). Sommer, Emil. Märchen und Sagen. Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen. Märchen. 7. Die beiden Brüder. 7. Die beiden Brüder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-108C-3