1. Nacht-Glükk

1.
Lyeus hatte mir den Sinn
durch seines Safftes Zug benommen/
ich gieng und wuste nicht/ wohin/
indehm war ich zuweit gekommen.
2.
Der bleiche Monden hatte zwar
sein silbern Licht hell angestekket/
doch wust' ich recht nicht/ wo ich war/
so hatte mich der Rausch bedekket.
3.
Ihr Götter/ habet Dank/ daß ihr
mich bracht zu diesem schönen Kinde/
(dacht ich) als in der Kammer-tühr
ich sach die himmlische Dorinde.
[142] 4.
Sie hätt' ihr auffgelöstes Haubt
unachtsam auff dem Arme liegen/
das Haar/ das meinen Sinn geraubt
sach ich um ihre Wangen fliegen.
5.
Sie zog den süssen Zimmet-Geist
bald ein/ bald haucht sie ihn zurükke/
was schön und liebwehrt ist und heist
sach ich in diesem Augen-blikke.
6.
So mein' ich/ war Andromede
Als Perseus ihr zu Hülffe kahme
So die entblößte Zyprie
als sie den göldnen Apfel nahme.
7.
Diane hatte selbsten Lust
mit dieser Schönheit beyzuschlaffen/
sie küßte die geballte Brust/
die auch das Helffenbein kan straffen.
8.
Hie stritte bey mir die Begier/
die Schaam und brünstiges Verlangen:
sonst hätt' ich diese Götter-Zier
so/ wie sie lag/ entblößt umfangen.
9.
Der hohe Geist und Ernstligkeit/
die schlaffend auch nicht von ihr schieden/
die machten/ daß ich lange Zeit
allein mit Ansehn war zufrieden.
[143] 10.
Nicht Argus gab so eben acht
auff die ihm anvertrauten Kuhe/
die er mit hundert Augen wacht':
als ich auff ihre süsse Ruhe.
11.
Wie offt scholt' ich den Traum-Gott auß
wenn sie ließ einen Seuffzer hören/
beförchtend daß durch einen Grauß
er ihre Ruhe möchte stören.
12.
Doch liesse mich die Liebe nicht
den guten Vorteil so verseumen/
daß ich ihr Liljen Angesicht
nicht rühren solt' in ihren Träumen.
13.
Dann öffnet' ich den Busen ihr
und weil der Schlaff sie noch umschlossen/
hab' ich ein Küßchen oder vier
in solcher stillen Nacht genossen.
14.
Diß sach der Eyffer-volle Mohn
und ward entrüst ob meinen Freuden.
So schöner Liebe reicher Lohn
macht auch die Sterne selber neiden.
15.
Er schoß' ihr einen Demant-straal
in die verschloßnen Augen-lieder/
darob erseuffzte sie einmahl
und rühret' ihre Marmor-glieder.
[144] 16.
Sie schlug die müden Lichter auff/
die auch die Sonne können hönen/
Ich dachte schon auff Flucht und Lauff
besorgt des Zornes dieser Schönen.
17.
Hab' Amor Dank und Venus/ du
daß ihr mir damahls Gunst erworben/
ich were sonst in selbem nu
für ihrer Lager-stadt gestorben.
18.
Ihr habt es nur allein gemacht/
daß Sie mich freundlich angenommen/
daß sie mich lieblich angelacht/
und hiesse zu dem Bette kommen.
19.
Zwar sprach sie: durffstu diese Zeit
dich/ mich zusprechen/ unterwinden?
hastu nicht satt Gelegenheit
bey Tage dich bey mir zu finden.
20.
Doch drukkte sie mich sanfft an sich
und küßte mich zu vielen mahlen:
da dacht' ich/ Elend/ nicht an dich/
noch meiner ersten Liebes-Qwaalen.
21.
Halt/ Bette du nur reinen Mund/
und sey/ gleich wie du pflegst/ verschwiegen/
so soll dein Pfiel sein Blumen-bunt
und mitten in den Rosen liegen.
[145] 22.
Ich und Dorinde/ schweigen auch.
Wirst aber du ein Wort bekennen/
so sollstu sein ein Schwefel-rauch
und ganz zu Staub und Pulver brennen.
23.
Wenn einer fragt/ was mehr geschach:
so sprich/ wie ich/ ich sey geschieden
So bald Dorinde wurde wach
weil sie mit mir nicht war zufrieden.

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TextGrid Repository (2012). Stieler, Kaspar. Gedichte. Die geharnschte Venus. Filidors Geharnschter Venus lezteres Zehen. 1. Nacht-Glükk. 1. Nacht-Glükk. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-17BD-1