[246] General Glitschinsky.

Es waren einmal drei Schwestern, die waren durch ein Gesetz gezwungen, daß ein sehr häßlicher, kleiner buckliger Mann zwischen ihnen die Wahl haben sollte. Es war dies eine bittre Notwendigkeit, und die drei Schwestern hätten sich gern davon losgemacht, wenn sie nur irgend gewußt hätten auf welche Weise. Endlich sagte der bucklige Kleine, da er merkte, daß von den dreien keine ihn mochte: »Ich will euch etwas sagen: Wenn ihr mich los sein wollt, so suchet herauszubringen, wie ich heiße. Diejenige, die mir meinen Namen nennt, soll mich nicht heiraten dürfen. Drei Wochen geb' ich euch Frist – sind die herum, und ihr könnt mir nicht sagen, wie ich heiße, so muß eine von euch, ohne Gnad' und Barmherzigkeit, mir in die Brautkammer folgen.«

Die Schwestern gingen diesen Vertrag ein. Die erste Woche über waren sie ganz ruhig. Wir werden es [247] schon herausbringen, wie er heißt, dachten sie bei sich und gaben sich keine Mühe; die zweite Woche verging ebenfalls in Sorglosigkeit, beim Beginn der dritten Woche sagte die älteste, die sich für die klügste hielt, zu ihrer Schwester, die nicht minder stolz und eingebildet war wie sie selbst: »Was meinst du? Wir wollen in die Stadt schreiben, wo er her ist, da wird man uns ja wohl seinen Namen sagen.«

»Ei freilich« – entgegnete die andere. »Nichts leichter als das.«

Und sie setzten sich hin, legten das Papier zurecht, spitzten die Feder, rührten die Tinte um, aber als sie nun die erste Zeile schreiben wollten, fiel ihnen ein, daß sie die Stadt ebenfalls nicht wußten, von der er her war.

Und sie gingen zum Buckligen und sagten: »Wir wünschten den Namen der Stadt oder des Dorfes zu wissen, von wo ihr her seid.«

»Wo werd' ich euch das sagen!« entgegnete er. »Da könntet ihr ja hinschreiben und erfahren, wie ich heiße.«

Die Schwestern gingen, ohne auch nur um ein Wort klüger geworden zu sein, unwillig fort.

Dabei war der dritte Tag von der Woche vergangen.

»Wir werden es schon erfahren!« riefen die beiden[248] Törichten, und ließen auch den vierten und fünften Tag vergehen. Endlich kam der letzte heran, und sie wußten noch immer nicht den Namen. Sie gingen zu der dritten Schwester und sagten zu dieser: »Wenn du uns den Namen dieses widrigen Zudringlichen herausbringen hilfst, so will ich dir mein gelbstoffenes Kleid mit den kleinen Silberblumen schenken,« »und ich dir meinen Fächer von Sandelholz mit den kostbaren, eingelegten Figuren in Gold.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann«, entgegnete die jüngste, die sehr bescheiden und demütig war.

Sie hatte schon längst sich um das Geheimnis Mühe gegeben und war zur Enthüllung desselben bereits auf eine Spur geraten, welche sie ihren beiden hochmütigen Schwestern jedoch sorglich verbarg. Diese Spur bestand in der Entdeckung, die sie gemacht, daß der Bucklige manchmal einsame Spaziergänge unternahm, und daß er bei dieser Gelegenheit oft mit sich selber sprach, so als wäre ein guter Freund zugegen. Sie konnte nur niemals recht deutlich hören, was er sagte. In der letzten Nacht, die noch übrig von der Frist, schlich sie ihm wieder nach und bemerkte, wie er auf einem Hügel im hellen Mondenschein stehenblieb, sein rechtes Bein in die linke Hand nahm, und auf dem linken Beine hüpfend, die Worte sang:


[249]
»O wie gut, daß niemand weiß,
Daß ich General Glitschinsky heiß'!«

Dies sang er noch zwei- oder dreimal und ging dann vom Hügel herab.

Die jüngste lief jetzt zu ihren Schwestern und sagte ihnen den Namen. Am andern Morgen kam der Bucklige und wartete im Vorzimmer, daß eine nach der an dern hervorkommen sollte, und daß keine den Namen würde sagen können. In dem Fall hatte er seine Wahl schon getroffen und alle Anstalten zur Vermählung schon gestellt.

Da öffnete sich die Türe des ersten Kabinetts und die älteste trat hervor, machte eine tiefe Verbeugung und rief: »Guten Morgen, General Glitschinsky!«

Der Bucklige fuhr ganz erstaunt zurück, in dem Augenblick öffnete sich auch die Türe des zweiten Kabinetts und heraus trat die mittlere Schwester, machte eine tiefe Verbeugung und rief: »Guten Morgen, General Glitschinsky!«

Nun kam die jüngste. Da freute sich der Bucklige und dachte bei sich: Die weiß den Namen nicht. Aber die jüngste rief ebenfalls, indem sie eine noch tiefere Verbeugung, als ihre Schwestern, machte: »Guten Morgen, General Glitschinsky!«

Da ging der Bucklige von dannen, und kam nicht[250] wieder. – Die jüngste aber kam zu ihren Schwestern und bat sich das Kleid und den Fächer aus.

»Wir werden nicht so einfältig sein, dir Wort zu halten, dumme Trine!« riefen beide einstimmig. »Geh' uns aus den Augen! So klug wie du hätten wir auch sein können, wenn wir uns nur irgend Mühe gegeben. Wie das alberne Mädchen nun großtut! O ja, mein gelbstoffenes Kleid, das sollte dir schon hübsch sitzen! und der Fächer von Sandelholz dazu! hahaha! Geh uns aus den Augen, blödsinniges Geschöpf!«

»Ihr Undankbaren!« rief die jüngste und weinte bitterlich. Die Schwestern ruhten nicht eher, als bis die Arme das Haus verließ und in die Fremde zog. Aber da die Schwestern nichts von guter Ordnung und Wirtschaft verstanden, ging alles bald drunter und drüber in ihrem Hause, so daß sie selbst die jüngste wieder herbeirufen mußten, damit nicht ihr Eigentum vollends zugrunde gehe. Sie kam gutwillig, und trug den törichten Schwestern ihre Übeltat nicht nach.

Fünf Jahre waren vergangen, da kam ein wunderschöner Prinz ins Land, der da erklärte, daß er eine Frau suche, die mit ihm seinen Thron teilen und gemeinschaftlich mit ihm über sein Land herrschen sollte. Man kann sich denken, daß sehr viele sich fanden, die den Prinzen zu heiraten sich rasch entschlossen, allein [251] es war eine Bedingung an die Wahl geknüpft, die nicht so leicht zu lösen war. Der schöne Königssohn gab nämlich vier Rätselfragen auf, und welche ihm diese beantworten konnte, sollte die Erwählte sein. Die erste dieser Fragen war: Wie groß war ich vor fünf Jahren? Dann: Welch einen Panzer trug ich schon als Kind, und legte ihn nie ab weder Tag noch Nacht? Mit wem sprach ich, als ich einst nachts auf einem Hügel stand, und was hatte ich damals in meiner linken Hand? und endlich: Wer wird dadurch bekleidet, daß man ihm die Kleider auszieht?

Diese Fragen konnte keine der jungen Damen, die sich täglich zu ganzen Scharen im Palast einfanden, beantworten. Die zwei Schwestern ließen erst den gar zu stürmischen Andrang etwas sich verlaufen, ehe sie sich aufmachten, um in dem Palast zu erscheinen, denn sie waren ihrer Sache gewiß, daß sie siegen würden. Sie hatten sich die Beantwortung gemeinschaftlich ausgedacht und waren dabei übereingekommen, daß die älteste den Prinzen heiraten, und die zweite als erste Hofdame ihr zur Seite bleiben sollte. Als sie vorgelassen worden waren, hub die älteste an: »Mein Prinz, wie groß Sie waren vor fünf Jahren, ist leicht zu beantworten. Wir sind so ziemlich von einem Alter und ich weiß sehr genau, daß ich vor fünf Jahren bereits [252] ebenso groß und schön war, wie ich jetzt bin. – Welchen Panzer Sie als Kind schon getragen haben? Nun, was kann dies anders für ein Panzer gewesen sein, als ein Ihrem hohen Range angemessener, nämlich von Silber, reich vergoldet, und mit purpurroter Seide gefüttert. Dann: Mit wem Sie sprachen nachts auf dem Hügel? Das will ich Ihnen sagen, teurer Prinz. Sie nahmen von Ihrer Frau Mutter, der regierenden Königin Abschied, um in die Ferne zu ziehen, und in Ihrer Linken hielten Sie die Hand ihrer Majestät, und besagte Hand bedeckten Sie mit ehrerbietigen Abschiedsküssen. Was die vierte Frage betrifft, so erlauben Eure königliche Hoheit, daß ich darüber errötend schweige. Noch niemand ist dadurch, daß man ihm die Kleider nahm, bekleidet worden. Ich habe zuviel Verstand, um nicht einzusehen, daß diese letzte Frage nur aufgeworfen worden ist, um zum Scherz zu dienen und uns arme Damen in Verlegenheit zu setzen.«

Hiermit machte sie eine tiefe und anmutige Verneigung und erwartete nun, daß der Prinz ihr um den Hals fallen und sie als Braut begrüßen werde. Allein dies geschah nicht, sondern er sagte, indem er die Verneigung mit einem ebenso ehrfurchtsvollen Gruße erwiderte: »Es tut mir leid, meine Schöne, daß ich Ihnen sagen muß: keine der Beantwortungen ist die[253] richtige. In Betracht Ihrer Jugend und Schönheit und Ihres ungewöhnlichen Verstandes will ich Ihnen jedoch – gegen das Gesetz, das ich selbst gegeben – noch drei Tage zugestehen, während welcher Sie sich auf eine andre Lösung meiner Fragen besinnen mögen.«

Die zwei Schwestern gingen wütend von dannen. »Was bildet sich der Mensch ein?« rief die zweite, »wenn wir uns herablassen, über seine albernen Rätsel nachzudenken und sie ihm richtig beantworten, macht er Schwierigkeiten, uns den Preis, den wir gewannen, auszuliefern. Welche Sorte von Prinzen ist das? Hat man je einen Kavalier und Königssohn so handeln sehn gegen schöne und kluge Damen. Wir wollen ihn aufgeben und ihn vergessen, Schwester.« –

Allein dies war nicht so leicht getan. Der schöne Prinz und noch mehr der Thron, den er anbot, kam ihnen Tag und Nacht nicht aus den Gedanken. Sie fingen jetzt die jüngste zu plagen an, sie solle, wie damals, die Sache ins Klare zu bringen suchen.

»Daß ich eine Närrin wäre!« antwortete diese, »ihr würdet mich dann wieder, nachdem ihr erreicht, was ihr gewollt, zum Hause hinausjagen.«

»O meine Liebe, im Gegenteil!« riefen beide. »Wir würden dich mit Gold belohnen, dir Kleider und Schmuck [254] geben, soviel du dessen wolltest und du solltest bei uns wohnen alle Tage deines Lebens hindurch.«

»Wenn ich dessen ganz gewiß wäre?«

»Du kannst dessen so gewiß sein, als mein rabenschwarzes Haar nicht rot ist,« »und« – setzte die zweite hinzu – »mein klares Augenpaar keine häßlichen Triefaugen sind.«

»Nun gut, ich will noch einmal auf euer Wort bauen,« sagte die jüngste, und nun gab sie den Schwestern die einzig richtige Beantwortung der Fragen. Am andern Morgen ließen die zwei sich anmelden und die älteste hub mit einer stolzen und zuversichtlichen Miene an: »Mein Prinz, wenn wir Ihnen neulich nicht die volle Wahrheit sagten, so geschah es, weil der ganze Hofstaat zuhörte, und ich, wie billig, Anstand nahm, die Dinge, die ich recht gut wußte, Ihnen so laut ins Gesicht zu sagen. Da Sie aber darauf bestehen, so tue ich's jetzt. Wohlan denn, vor fünf Jahren waren sie verehrter Herr, nur halb so groß wie jetzt, denn Sie waren ein Zwerg! Als Kind trugen Sie schon den häßlichen Buckel, den Sie vor fünf Jahren auch noch hatten, und es ist natürlich, daß man einen solchen Panzer weder Tag und Nacht ablegt. Auf dem Hügel, nachts, sprachen Sie mit sich selber, und in der linken Hand hatten Sie Ihren rechten Fuß; und endlich, indem Sie [255] die bucklige Zwerggestalt ablegten, wurden Sie erst anständig und Ihnen angemessen bekleidet, nämlich mit Jugend und Schönheit und dem Adel und der Würde, die Sie jetzt zieren. Dies, Eure königliche Hoheit, wird wohl ein befriedigender Bescheid auf Ihre Fragen sein.«

Der Prinz war im höchsten Grade erstaunt und rief: »In der Tat, schöne Dame, meine Rätsel sind alle gelöst; allein, darf ich fragen, ob Sie diese Kenntnis ganz allein aus sich geschöpft haben?«

»Diese Frage,« entgegnete die älteste entrüstet, »ist gelind beurteilt, zum mindesten unbescheiden. Mein Prinz, wer soll mir geholfen haben? Hier steht meine Schwester, und die wird mir bezeugen, daß mein Scharfsinn ohne die mindeste Beihilfe anderer die Lösung gefunden hat.«

»Ich kann dies bezeugen!« setzte die zweite hinzu.

»Und haben Sie keine zweite Schwester?« fragte der Prinz.

»Ich hatte eine, allein die war ungeraten, und der Himmel hat uns schon früh von dieser Last befreit.«

In diesem Augenblicke trat die dritte Schwester in den Saal und warf sich händeringend den beiden, die sie eben verleugnet hatten, zu Füßen. »Wo sind nun die Gaben, die ihr mir versprochen, und die Ehren, [256] die ihr mir habt erweisen wollen?« rief sie, und hob beide Hände flehend empor. »Ihr werdet doch nicht wieder undankbar sein?«

Die Schwestern verkrochen sich hinter den jungen Königssohn, indem sie riefen: »Bringt diese arme Wahnsinnige fort! Wir kennen sie nicht. Laßt sie in das tiefste Gewölbe des Schlosses werfen, damit sie nie wieder an das Licht des Tages komme und die Menschen ängstige.«

»Pfui, pfui, meine Damen!« rief der Prinz, »wie häßlich macht Sie der Zorn. Sie, meine Gnädige, haben plötzlich brandrotes, struppiges Haar bekommen, und Sie die scheußlichsten Hexenaugen, die ich je gesehen!«

Die beiden rannten vor die Spiegel und stießen einen lauten Schrei aus. Der ganze Hof lachte. Der Prinz aber sagte sehr ernst und strenge: »Ihr Rat war gut, meine Damen; damit die Bösen nie wieder die Guten ängstigen, soll man sie, wo man ihrer habhaft werden kann, in die tiefsten Keller und Gewölbe bringen. Damit werde ich so frei sein, mit Ihnen beiden, die Sie Ihre arme, kluge, bescheidene und schöne Schwester verraten und betrogen haben, den Anfang zu machen. Ich wußte es wohl, daß nur die, die ich damals, als ich noch im Zustande der Bezauberung war, mir zur [257] Gattin gewählt hatte, meine Fragen beantworten konnte, deshalb waren sie auch nur an sie gerichtet. Die Tugend und die Demut, die Bescheidenheit und die Klugheit empfängt jetzt die Krone, die ihr gebührt.«

Die jüngste, als sie Königin geworden, war doch so mildtätig, ihre Schwestern freizugeben, und Dame Triefauge und Dame Rothaar lebten am Hofe noch lange als zwei alte Klatschen, die Teufel und Hölle ineinander rührten, und denen jedermann aus dem Wege ging.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Ungern-Sternberg, Alexander von. Märchen. Braune Märchen. General Glitschinsky. General Glitschinsky. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-726D-8