Ulysses und Sirene

Sirene.

Kom her, du werter Griech, kom her,
wie, woltest du nicht hie anfahren?
der wind und das meer toben sehr
und alhie kan dich nichts befahren:
hie sehen und verstehen wir
der schiffenden begird und klagen,
und frölich kanst du hie mit mir
die sorgen aus dem herzen jagen.
Ulysses.

O schöne Nymf, wan durch wollust
man einen namen kont erlangen,
so wolt ich deinen mund und brust,
so schön, gern küssen und umfangen:
[141]
die arbeit aber, nicht die ruh
kan recht der menschen leben zieren,
und keinem helden steht es zu
die zeit durch wollust zu verlieren.
Sirene.

Ulysses mein, bethör dich nicht!
was bringest du doch nur zuwegen?
wan alles lob nur ein gedicht
in andrer leuten köpf gelegen,
auch nur erfunden, unsern mut
um freud und friden zu betriegen
und für ruh, unser bestes gut!
mit müh und streit uns zu vernügen.
Ulysses.

O geile Nymf, wär weder lob,
geschrei noch trost für uns zu finden,
wär es doch schlechter manheit prob,
den lust sich lassen überwinden;
dan eben nach müh und verdruß
kan man der ru vil baß genießen;
so kan auch des lusts überfluß
uns so wol als die müh verdrießen.
Sirene.

So ist der wollust dan der lon
und port, der euch so lang vexieret,
den ihr oft, weil ihr lang davon,
ihn zu vermehren, gar verlieret:
mit wollust du abwechseln must,
dich allzeit frölich zu erlaben;
man kan so mancherlei wollust
als vilerlei geschäften haben.
Ulysses.

Doch sihet man, wie nah und fern
die würdigsten der müh nachtrachten
[142]
und sie, sich damit übend gern,
als wie ihr euern lust, hochachten;
und wie sie stets mit lieb und freid
der ausgestandnen müh gedenken,
hingegen wie mit reu und leid
die laster leib und seel bekränken.
Sirene.

Das macht allein der falsch argwohn,
den der gebrauch (auch falsch) vermehret,
der kleidet manche werk mit hohn,
die doch die natur höchlich ehret.
und unser kampf, der stets ohn blut,
macht weder waisen noch witfrauen;
und, lieber, wozu ist doch gut
der helden schlagen, stechen, hauen.
Ulysses.

Müh, unruh, arbeit, fleiß und streit
seind oft notwendig bei den ständen,
den krieg selbs kan ein held allzeit
zu des lands wolfahrt wol anwenden,
indem er schand, gewalt und list
kan strafen und das recht verwalten;
dan der krieg selbs stets besser ist,
dan mit sünd und schand frid zu halten.
Sirene.

Ulysses wol, ich kom zu dir,
weil du ja nicht zu mir wilt komen;
und weil dein herz nicht wird von mir,
wird mein herz von dir eingenommen;
zwar mein verlust ist mehr mein pracht,
dan so ich auch dich thet erwerben,
dan aller schönheit gröste macht
kan nur verderben und verderben.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Weckherlin, Georg Rodolf. Gedichte. Gedichte. Ulysses und Sirene. Ulysses und Sirene. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-9320-4