Das zwei und zwantzigste Lied

An die von tugend/ jugend und schönheit hochgeliebt- und gelobte/ holdseelige Lielje.

Die einige zier der Amstelinnen/ die fast einige beherscherin der gekränkten seelen. auf die stimme: Si vous ne me voulez guerir. oder Als ik aen 't Zuyver beekje kom

[353] [355]1.
Was hör' ich da? wer bricht zu mier
mit solchem wetter/ solchen blitzen?
Seh' ich Lieljen sitzen/
Lieljen/ meine Zier?
Ach nein! So ist es dan ihr geist/
der mich nur in versuchung führt und reisst/
zu sehn/ ob mein gemüht
in reiner flamme glüht?
2.
Dan nimmermehr tuht Lielje dis/
Sie ist zu fromm/ zu ehrerbietig/
viel zu tapfer-mühtig.
Ja er ists gewis.
und anders darf ich gläuben nicht/
im fall ich leben wil in meiner pflicht.
Er ists der arge Geist/
der mich in angst so reisst.
3.
Nuhn leg' ich allen wehmuht hin:
nuhn leb' ich/ lob' ich/ lieb' ich immer
nur ein Frauen-zimmer
mit erfreutem sinn.
Nuhn sol üm so viel ehr und mehr
ihr schöner ruhm und Lieljen nahm und ehr
hinfort gepriesen sein.
Sie ist mein preis allein.

[355] An die Hochädele und gelährte Jungfrau/Jungfrau Hildegond von Westohn

1.
Wer schreibt diese schöne schrift/
wessen hand und wessen sinnen
können solch ein lied beginnen/
das so nah zum hertzen trifft?
Hildegond/ könt ihr so singen/
daß die linden wider-klingen?
2.
Mier zwar seid ihr unbekant
von gestalt und von gesichte;
aber euer Lob-gedichte/
das mier ward von eurer hand/
ohne mein verdienst/ geschrieben/
pfleg' ich mehr als mich zu lieben.
3.
Meine sinnen seind erblasst/
müssen ungezwungen schweigen/
wan sich eure Lieder zeugen/
und seind ihnen selbst verhasst/
wan ihr hoch-deutsch opizieret/
und die süßen seiten rühret.
[356] 4.
Fries- und Holland wunderts sehr/
daß ein Weibes-bild so singet/
und die Deutschen seiten zwinget;
ja/ ich wundre mich vielmehr/
daß itzt unter fremden zungen
unser hoch-deutsch wird gesungen.
5.
Aber/ Schöne/ saget an/
was ich wiederüm sol schenken/
daß ihr meiner könt gedenken?
was ich würdigs geben kan?
meine lieder müssen schweigen/
weil die euren auf-wärts steigen.
6.
Eure kunst und zierligkeit
macht mich gantz und gar verzükket;
eure hand ist so beglükket/
schwingt sich höher als der neid.
Euer ruhm würd ewig leben/
und der sternen-schaar gleich schweben.

[357] Schäffer-lied

bei der Amstel

1.
Schöner flus/ bei dessen strande
seine liebe Liebste wohnt/
die ihn lägt in schweere bande/
und mit harten worten lohnt/
steh' und hämme deine fluht/
ihm zu guht.
2.
Höhre/ wie er sich beklaget
für der Allerliebsten tühr;
schaue/ wie er zittrend zaget/
und darf selbsten nicht zu ihr.
Seiner wangen farb' entweicht
und verbleicht.
3.
Er wird itzt in ohnmacht fallen/
noch flüht seine Schäfferin/
die er liebt führ andern allen/
und die ihn von anbegin
selbst so hertzlich hat geliebt/
nuhn betrübt.
[358] 4.
Ihrer schönen augen sterne/
das beflamte blitzel-zwei/
blikt itzund nicht mehr so gerne/
seind erzürnt/ und werden scheu:
ihre for-beliebte zier
weicht von hier.
5.
Sie erkänt/ und sieht ihn klagen/
aber hören wil sie nicht/
noch mit ihm ein leiden tragen;
Mahrhold/ Mahrhold/ wie sie spricht/
ist mein feind: drüm heiss' ich ihn
von mier ziehn.
6.
Nicht so scharf/ o Schäfferinne/
Mahrhold hat kein feindlichs hertz:
halt/ o harte/ halt nuhr inne;
doch es ist vielleicht dein schertz/
und auf sturm folgt ins gemein
Sonnen-schein.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Zesen, Philipp von. Das zwei und zwantzigste Lied. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-AF7C-6