2025.

Mel. Verliebter in die sündersch.


1.

Was siehest du? Ich sehe Gott, ich glaube, ja ich seh ihn. Der welt ihr schöpfer und ihr spott war da? sieh in die näh hin: so wahr ein volk des Heilands ist, deß ehre Jesu schande; so wahr das Lammlein ist der Christ und der GOTT aller lande!

2.

Wie sieht er aus? sein ansehn ist, wies in der Bibel stehet, als wie das schlacht-schaaf Jesus Christ, das in dem throne gehet. Ihr kinder! es ist wol was dran am bilde vom versöhner, nur daß ichs euch nicht sagen kan, wie vielmal blutig schöner.

3.

Die füsse hab ich in der eil, so gut es ging, besehen, zwey löcher, als von einem pfeil zerschossen, sah ich stehen, die beyden hände, sonderlich die, wo die sünder sitzen, die nahm und die besahe ich mit ihren nägel-schlitzen.

4.

Ob ich geküßt, geweint, [1913] gelacht, gebetet, hingesunken, geschlafen oder aufgewacht, ach! alles, und halb trunken: denn in demselben augenblik, da ich die vier berochen, da sahe ich den blutgen schrik, den ihm der speer gestochen.

5.

Ihr lieben kinder denkt vielleicht das wort von einem schafe hat mir das herze so erweicht, ich rede das im schlafe: ach herzen! hie in unserm ort regiert die phantasie nicht, war nicht das liebe Gottes wort, man krigte nicht viel einsicht.

6.

Man komme nur aufs kranken-bett und in dieselbe stunden, da sichs von nichts so selig redt als von den Lammes-wunden: man überlässet uns dem blik, den wir ins herz genommen; denn hätten wir nicht schon das glük, vom zuspruch würds nicht kommen.

7.

Auch wißt ihr aus erfahrung wohl, daß ihr es kaum dürft wagen, den kranken von der seiten-hohl noch vieles vorzusagen; sie werden leichtlich so entzükt in seine wunden-spalten, daß sich der geist behende schikt, die heimfahrt nauf zu halten.

8.

Wenn nur einmal ein kranker hört: Komm mit zum abendmahle! ihr wißt, er sagt nicht viel, und fährt sogleich zum hochzeit-saale: drum ließ man mich in meiner ruh, und wolte mich nicht stöhren; dem ohngeacht so bin ich nu daheim in allen ehren.

9.

Ich lag schon ganz vergnügt und froh auf meinem kranken-bette, und freute mich des Lämmleins so, als wenn ichs sichtbar hätte. Nun aber, bey dem speeres-stich und den vier nägel-wunden, ihr herzen! ach da habe ich erst rechte selge stunden.

10.

Ich weiß gewißlich, köntet ihr nur eine stunde sehen, wies eurem mitglied für und für beym Lämmlein wird ergehen, kein einigs von euch allen blieb zurük in den Gemeinen; ihr würdet euch dem La i zu lieb gewiß zu tode weinen.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Zinzendorf, Nikolaus Ludwig von. Gedichte. 12. Anhang zum Herrnhuter Gesangbuch 1743. 2025. [Was siehest du]. 2025. [Was siehest du]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-B653-D