455. Finden wir uns hier?

1.

Zwei Brüder hatten, durch die Entdeckung einer schauderhaften That in ihren Familien veranlaßt, sich nicht nur ewige Feindschaft, sondern den Tod geschworen, falls sie sich je wieder träfen. Beide dienten als Officiere in fremden Armeen. Da führte das Schicksal sie unerwartet zusammen, den einen von Berlin, den andern von Hamburg kommend. Mit den Worten ›Finden wir uns hier?‹ und mit gezückten Schwertern stürzten sie auf einander los und tödteten sich gegenseitig. Als später an der Stelle eine Mühle erbaut wurde, gab man ihr den Namen Findenwirunshier, der auch den [335] ganzen großen Mühlenanlagen, die eine halbe Meile von Dömitz an der Elde liegen, verblieb und zuweilen auch in ›Findshier‹ (Finzir) abgekürzt wird.


Vgl. Niederh. 2, 132 f.

2.

Eine andere Sage läßt sich dort ebenfalls zwei Brüder finden. Beide hatten das Müllerhandwerk erlernt und durchreisten als Gesellen vieler Herren Länder mit einander, erwarben sich auch auf ihrer Wanderung große Reichthümer. In einer großen Stadt, wo einer Festlichkeit wegen eine große Menge Menschen in den Straßen wogte, wurden die Brüder in einem Gedränge von einander getrennt. Sie durchwanderten die Straßen und Gänge des Tages wohl mehr als einmal, aber fanden sich nicht wieder. Da, als alles Suchen vergeblich war, trat Jeder schweren Herzens die Weiterreise an, denn er wußte ja nicht, ob er den geliebten Bruder in dieser Welt je wieder sehen würde. Mehrere Jahre darauf trafen einmal nahe bei Dömitz an einem Kreuzwege zwei Handwerksburschen zusammen. ›Finden wir uns hier?‹ riefen Beide fast zu gleicher Zeit und fielen dann einander in die Arme. Es waren jene beiden Brüder, die sich so plötzlich, ohne vorher Abschied von einander nehmen zu können, hatten trennen müssen, dann jahrelang gesucht hatten und nun wieder fanden. Sie bauten dort eine Mühle und nannten den Ort zum Andenken an jenes glückliche Wiederfinden ›Findenwirunshier‹.

3.

Eine dritte Sage meldet: Ein Fürst von Meklenburg kehrt von der Jagd zurück. Unterwegs findet er einen früheren, treuen Diener wieder. Voller Freude springt er vom Pferde und ruft, ihn zu gleicher Zeit umarmend ›Finden wir uns hier!‹ Der alte Diener siedelt sich darauf hier an und der Fürst befiehlt, diese Ansiedelung ›Findenwirunshier‹ zu nennen.


G.F.C. Neumann bei Niederh. 2, 156 ff.


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TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 455. Finden wir uns hier. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-DB8A-5