583. Wundereichen.

1.

Auf dem Wege von Steinhagen nach Alt-Nantrow steht links am Wege auf dem Acker des Schulzen Vogt eine Eiche, die aus einer Wurzel sich in zwei Stämme spaltet, die in Mannshöhe etwa wieder zusammengewachsen sind, so daß durch den Spalt ein Mensch bequem hindurchkriechen kann. Bis vor etwa vierzig Jahren kamen zu dem Baume viele Kranke, die zu genesen meinten, wenn sie durch das Loch kröchen. Das Durchkriechen mußte aber vor [417] Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang geschehen, und zwar dreimal.


Seminarist Rühberg.

2.

Von einer eben solchen Eiche wird berichtet aus der Nähe von Fahrenholz, am Wege von Schwaan nach Doberan, etwa 11/2 Meilen von Rostock. Das Aufhören ihrer Wunderkräfte wird auf den Umstand zurückgeführt, daß man, um das Hinansteigen zu der 12 Fuß von der Erde entfernten Oeffnung zu ermöglichen, eine Galerie anbrachte.


Lehrer Fr. Haase in Rostock; vgl. Niederh. 1, 134 ff.

3.

Eine dritte derartige ›twęlig‹ gewachsene Eiche stand in Lützow bei Gadebusch, wohin zu Anfang der Zwanziger dieses Jahrhunderts gewallfahrtet wurde.


Dr. Techen. – Dr. Fromm, der diesen Baum selbst gesehen, bemerkt dazu, daß keineswegs jedem gespaltenen Baume solche Heilkraft beiwohne, sondern es ist nothwendig, daß der Baum an seinem Vereinigungspunkte eine Gestaltung besitzt, die den weiblichen Geschlechtstheilen ähnlich ist. Der Baum zu Lützow hat diese Bildung und oben einen Wulst, der grade wie ein Bauch mit Hüfte und Nabel aussieht. Das Ganze gleicht daher dem Untertheil eines die Beine spreizenden Weibes. Darin liegt die Heilkraft: wer zwischen den Beinen eines Weibes durchkriecht, wird neu geboren. Deshalb stecken die Weiber kränkliche Kinder des Abends zwischen ihren Beinen durch oder lassen sie durchkriechen. Die Zahl der Heilung Suchenden hat in der besten Zeit gegen Hundert am Tage betragen. Jeder durchgekrochene Kranke mußte den Baum beschenken; er steckte ein Stück Geld unter dessen Wurzeln. Auch jetzt hat das Durchkriechen noch nicht ganz aufgehört.

4.

Auch im Volkenshäger Holze gibt es eine solche Eiche, die das Aussehen zweier zusammengewachsener Bäume hat, so daß nahe der Erde eine Oeffnung ist, durch die ein Mensch kriechen kann. Freitags entweder vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang kommen gichtkranke und lahme Menschen hin und kriechen dreimal durch die Oeffnung. Wenn sie selbst nicht die Kraft haben, lassen sie sich durchschleppen. Alles muß schweigend geschehen. Dem Baume werden kleine Geldmünzen u.a. geschenkt.


Hilfsprediger Timmermann in Mummendorf. Ueber eine Wundereiche bei Sülz vgl. Niederh. 4, 158 f.


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TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 583. Wundereichen. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-DEDA-0