23. Die unterirdischen oder weißen Weiber von Sukow.

1.

Im Hause des jungen Warnke in Sukow (bei Crivitz) rechts an der Diele unter dem Kuhstalle wohnten zwei unterirdische Weiber, die ungetaufte Kinder stahlen und dafür ihre Wechselbälge unterschoben. Deshalb wurde jedem ungetauften Kinde des Nachts ein brennendes Licht an die Wiege gestellt.

Alle Neumond, Abends im Zwielichte, rief eines dieser Weiber in die Stube ›Leent uns jug'n Brukętel 'n bęten!‹ Dann ging die [17] Bauersfrau in die Küche, holte den Kessel, setzte ihn auf die Diele und nach dem Abendessen war er verschwunden. Am dritten Abend darnach, zur selben Stunde, rief das Weib wieder ›Hir is jug' Brukętel werre, wi bedanken uns ok.‹ Wenn die Frau hinausging, stand ihr Kessel auf der Diele und waren immer einige Kannen schönen Bieres darin.

Eines Abends im Spätherbste hatten Warnke's Mutter und das Dienstmädchen in der Backkammer, die rechts am Gang bei der Hinterthür lag, eingesäuert, um am anderen Morgen zu backen. Während das Mädchen den Teig zudeckte, sah Mutter Warnke noch einmal zur Hinterthür hinaus. Da hört sie in der Lewitz das Getöse der wilden Jagd und sagt zu ihrer Dirne: ›Dor is de oll Węderhex Waur all werre.‹ Kaum war sie wieder zur Hinterthür herein, da kamen die Hunde der wilden Jägerin ihr nach, drangen in die Backkammer und schlürften von dem Teig. Die alte Frau sprach zur Dirne: ›Nu frett 't Deiwelstüg mi all den Deig up!‹ Kaum hatte sie das gesagt, da gab die wilde Jägerin das Zeichen mit dem Horn und die ganze Meute stürzte hinaus. Wie Mutter Warnke durch die Thür guckte, sah sie die wilde Jägerin zu Roß aus dem Hofthor jagen, die beiden weißen Weiber mit den Haaren zusammengeknüpft vor sich über dem Pferde hängend. Seit der Zeit sind die weißen Weiber aus Warnke's Haus verschwunden.

Struck in Dargun, nach mündlicher Ueberlieferung; Niederhöffer 3, 190 ff.

2.

Ein anderes weißes Weib wohnte auf einer Horst in der Lewitz unweit der Sukower Feldmark und neckte oft die Hirten und Forstarbeiter, indem sie das Vieh irre leitete und den Arbeitern ihr Arbeitszeug verstreute. Einst brannte der Sukower Schmied im Herbste Kohlen auf dieser Horst. Als er eines Morgens am Meiler stand und die Rauchlöcher verstopfte, hörte er ein seltsames Geräusch und sah beim Aufblicken ein weißes Weib in fliegenden Haaren, ungewaschen und schweißtriefend, vorübersausen. Halblaut sprach er vor sich hin ›Dor is de oll Fru Waur wo hinner,‹ und gleich darauf war auch schon die wilde Jägerin mit ihrem Gefolge bei ihm. ›Hest keen witt Wif seen?‹ fragte sie. ›Ja,‹ sagte zitternd der Schmied, ›vör fif Minuten lep hir een vörbi, de harr sik æwer noch nich kemmt orre wuschen.‹ Da stieg die wilde Jägerin vom Schimmel [18] ab, nahm ihr eigenes Wasser, wusch sich darin und trocknete sich mit ihrem langen Jagdkleide ab. Dann schwang sie sich wieder auf's Pferd und jagte fort. Nach einer Viertelstunde kam sie zurück und hatte das weiße Weib vor sich auf dem Pferde.


Struck in Dargun; Niederhöffer 3, 192 f.; vgl. Müllenhoff S. 372 f.


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TextGrid Repository (2012). Bartsch, Karl. 23. Die unterirdischen oder weißen Weiber von Sukow. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-E058-3