267. I. Der Blutritt zu Weingarten.

1. Ursprung 1.

Weil das Reichsgotteshaus Weingarten auf das Jahr 1090 am Freitag nach dem Feste der Himmelfahrt Christi, der damals auf den 31. Mai fiel, durch eine feierliche Uebergabe [253] von der Königin Juditha, Herzog Guelph des IV. Gemahlin, das hl. Blut empfangen, so wurde dieser Tag zum Andenken dieser unschätzbaren Schenkung und zur Ehre dieses kostbaren Wertes unserer Erlösung von dieser Zeit an mit der Prozession gefeiert, die hernach von Jahr zu Jahr dergestalt angewachsen und so prächtig geworden, dergleichen man nicht bald an andern Orten zu sehen bekommt. Die Menge der Wallfahrer und Zuseher ist so groß, daß die ganze Nachbarschaft kaum erklecket, sie unterzubringen und ihnen Unterhalt zu verschaffen.

Die Zeit, in welcher diese Prozession durch lauter Reiter um die nahe gelegenen Felder herum angefangen, ist eigentlich nicht mehr zu bestimmen, weil die vielen Veränderungen, Feuersbrünste, Kriegsunruhen und andere Unglücksfälle unserer Neugierde die Urkunden davon entrissen. So viel ist gewiß, daß schon im Anfange des 16. Jahrhunderts dieser Ritt als eine von Alters her übliche Gewohnheit im Schwung gewesen. Es sind noch zwei Briefe vorhanden, der eine vom Jahre 1529 den 5. Mai, der andere den 14. Brachmonat 1546 geschrieben, worin sich nach der damaligen Mundart die »Gotzlüth beklagen, das niemand von Ravensburg, welche Stadt damals wegen der Reformation in voller Gährung war, um das heilig Blut durch die Stadt zu fieren gebethen habe, wie der Breuch von Alther her gewesen. Auf das seyn sie Freytags hin gegen der Stadt, zu dem Bild in der holen Gassen geritten, und darnach gegen dem Kammerbriel und das ganze Feld um, wie von Alther her. Es seye auch kein Mensch von Ravenspurg mitgeritten noch gangen. Der Landrichter sey selbs mitgeritten, und sonst gar viel Volk, das sie der [254] von Ravenspurg nit bedurft haben«, woraus zu sehen, daß diese Prozession damals schon lange üblich und zahlreich gewesen, auch der Zug durch die Reichsstadt Ravensburg gegangen sei.

Fußnoten

1 Fortsetzung des Wunderwirkenden, auf dem Calvarienberg entsprungenen Gnadenbrunnens. Altorf-Weingarten 1778, Anhang.

2. Wachsthum.

Nach und nach wurden die Wallfahrer zu Fuß von der Ordnung in der Prozession ausgeschlossen, und die Anzahl der Reiter nahm dergestalt zu, daß man zu unsern Zeiten schon über 7000 Mann gezählt hat. Um den Zug zu verherrlichen, theilten sie sich in abgesonderte Compagnien ein, und Einige fingen an, sich nach Art der Soldaten im Feld zu montiren. Die Erste davon war die Reichsstadt Biberach, welche aus Antrieb der edlen Herren von Brandenburg, aus deren Familie jederzeit einer die Rittmeisterstelle bekleidet, zwo Compagnien blaue Dragoner aufgestellt. Dieses Beispiel ahmten sogleich Altshausen und andere umliegende Herrschaften nach. Es wurde darüber ein ordentliches Reglement eingeführt und der Rang beibehalten nach dem Alter, wie jede Compagnie zuerst der Prozession beigetreten, davon die Herren Studenten bisher den ersten behauptet haben. Die Truppen haben ihre Ober- und Unteroffiziere, Feldpatres, Feldmusik, kostbar gestickte Standarten und beinahe Alles, was in's Feld erfordert wird.

Am Vorabend des hl. Blutfreitags, an dem Fest der Himmelfahrt unsers Herrn, rückten die entferntern Compagnien ein und nahmen ihr Quartier theils in den benachbarten Oertern, theils im hiesigen Flecken Altdorf. Die Husaren von Altshausen schlagen ihr ordentliches Lager auf, halten ihre Feldwachen und bringen die Nacht unter Gezelten zu.

[255] Die einzelnen Reiter, die weder montirt, noch zu einer bestimmten Compagnie gehören, stoßen den folgenden Tag zu den irregulären und unmontirten Truppen.

Die Feierlichkeit nimmt ihren Anfang am Freitag in der Früh um 6 Uhr. Der ganze hochwürdige Convent verfügt sich zu dem hl. Blutaltar, allwo ein jeweiligerR.P. Custos, mit einem Chorrock, Stola und rotsammetnem, mit Gold schön gesticktem Velum angethan, das hl. Blut in einem silbernen Behältniß an den Hals hängt, und unter Absingung der Antiphone: Salvator mundi etc., unter Läutung der Glocken und Abfeurung der Böller sich in den äußern Hof des Klosters verfügt und zu Pferd sizt, wo ihn schon eine zahlreiche Menge Reiter erwarten. Von hier aus geschieht der Zug durch den Flecken gegen Ravensburg in die umliegenden Felder in folgender Ordnung:

3. Ausritt.

1) Compagnie der Herren Studenten mit Pauken und Trompeten und entblößtem Gewehre, welches alle übrigen Truppen beobachten.

2) Reichsgotteshaus Weingart: Zehentamt.

3) Bediente in der Livree und Herren Beamte des Gotteshauses.

4) Reiter-Contingent des löbl. Stands Weingarten.

5) Die bürgerliche Schützencompagnie des löbl. Fleckens Altdorf, blau und rot, die das hl. Blut als eine Wache zu Fuß begleitet.

6) Trompeten und Pauken.

7) Ein römisch gekleideter Reiter mit einer Lanze, der den Soldaten Longinus vorstellt, welcher die Seite des Erlösers mit einem Speer eröffnet hat.

[256] 8) R.P. Custos mit dem hl. Blut. Vor und nach ihm reiten 6 geharnischte Männer, und zu beiden Seiten 4 Reiter in Göllern, deren jeder eine schöne Standarte führt.

9) Einige Herren Geistliche, die das hl. Blut zu Pferde begleiten.

10) Flecken Altdorfische Compagnie leichter Reiterei, blau und gelb.

11) Landvogteiische.

12) Landvogteiische.

13) Landvogteiische.

14) Graf Wolfeggische.

15) Stadt Ravensburgisches Jägercorps.

16) Graf Wurzachische Dragoner, gelb und schwarz.

17) Stadt Waldseeische Grenadiere zu Pferd, rot u. blau.

18) Graf Waldseeische Dragoner, mit rot und grünen Aufschlägen.

19) Heiligenbergische mit Göllern und roten Aufschlägen. Diese Compagnie bestand aus: 1 Lieutenant, 2 Fähndrichen, 1 Feldwebel, 1 Korporal, 2 Pfeifer, 2 Tambours und 26 Schützen; diese 35 Mann bekamen nach dem Umritt aus der Großkellerei des Klosters 2 Eimer Wein.

20) Stadt Biberachische Dragoner, blau und rot.

21) Stadt Biberachische Dragoner, blau und rot.

22) Altshausische gelbe Husaren.

Graf Zeilische sind einige Jahre her ausgeblieben.

23) Bettenreuthe, Freiherr von Rehlingische.
24) Erdingische Grenadiere zu Pferd, rot und blau.

Stadt Saulgauische sind ebenfalls ausgeblieben.

25) Graf Königsegg-Aulendorfische Grenadiere zu Pferd.

26) Graf Königseggwaldische Dragoner, rot und gelb mit der Musik.

[257] 27) Amtzell, Freiherr von Reichlingische, grün und rot.

28) Reichs-Gotteshaus Weingartische.

Während des Zugs werden vier Mal die heiligen Evangelien abgelesen und die Feldfrüchte mit dem hl. Blut gesegnet, damit sie Gott vor Ungewitter bewahre.

Das Volk macht den Umgang haufenweis zu Fuß mit und drängt sich dergestalt, daß zu verwundern ist, daß unter so vielen Leuten und Pferden keine größern Unglücksfälle entstehen, denn die zuweilen geschehenen Fälle und Stürzungen sind allezeit ohne bedenkliche Folgen abgelaufen, welche Gnade dem besondern Schutze Gottes in Ansehung des hl. Blutes zugeschrieben wird. Zu Hofs, unweit dem Dorfe Baierfurth, geht der ganze Zug durch eine Scheuer, worin die Reiter füglich abgezählt werden.

Nahe bei dem Flecken Altdorf wird ein Gezelt aufgerichtet, worunter sich R.P. Custos mit dem hl. Blut verweilet, bis alle Truppen vorüber und sich zum Einzug in die Ordnung gestellt haben.

Unterdessen beschäftigt man sich in der Kirche mit Lesung sehr vieler hl. Messen, mit Beichten und Communiziren, mit Trinken von dem mit dem hl. Blut gesegneten Weine, und Gewinnung des vollkommenen Ablasses, den Papst Clemens X. verliehen hat, bis ein Zeichen mit der Glocke gegeben wird, auf welches sich Seine Hochwürden und Gnaden Herr Reichsprälat, oder ein anderer mit einer hohen Würde bekleideter Gast mit hochpriesterlichen, rotsammtnen und reich mit Gold gestickten Kleidern angethan, unter Vortretung vieler Herren Geistlichen und des ganzen hochwürdigen Convents, des Ceremonienmeisters und 4 Leviten unter einem ebenfalls rotsammtnen und prächtig gestickten Himmel, mit Kreuz und Fahnen außer das Thor erhebt, um allda unter einer aufgeschlagenen [258] Bühne das hl. Blut zu empfangen. Das Infanterie-Contingent des löbl. Standes Weingarten macht von beiden Seiten Spalier und steht den anrückenden Truppen jedesmal in's Gewehr. Hierauf wird das hl. Blut gleichsam im Triumph eingeführt, welcher Eingang in folgender Ordnung geschieht:

4. Eintritt.

Zuerst kommt die hochwürdige Geistlichkeit von Altdorf, welche mit Kreuz und Fahnen dem hl. Blut außer dem Flecken entgegen gegangen. Hierauf meldet ein jeweiliger Wachtmeister der Studenten-Compagnie durch ein mit dem Degen gemachtes Compliment an, daß Alles in Ordnung sei und die Truppen anrücken.

Den Zug eröffnet wiederum die Compagnie der Herren Studenten; dann folgen die übrigen Compagnien wie beim Austritt.

Sobald das hl. Blut bei der Bühne anlangt, übernimmt dasselbe R.P. Untercustos und überreicht es Sr. Hochwürden und Gnaden Herrn Officianten, der es auf den Knieen empfängt und damit über das Volk den Segen gibt. Hierauf geht die Prozession durch den Klosterhof mitten durch die Compagnien, die von allen Seiten Spalier bilden, unter beständiger Musik, Ertönung aller Glocken, Abfeuerung der Böller, unter Absingung des LXXIX. Psalms unterhalb zur Kirche hinein bis vor den Hochaltar, allwo der lezte Segen gegeben und die Feierlichkeit mit dem hl. Bluthochamt beschlossen wird 1.

Fußnoten

1 Das Gefäß für das hl. Blut war von gediegenem arabischem Gold und mit guten Steinen besezt; der Wert desselben betrug circa 70,000 Gulden.


License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Birlinger, Anton. 267. I. Der Blutritt zu Weingarten. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-FC9D-A